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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. BrönumeraiionS- Prei« 22^ Sgr. (^ Thlr.) vi-rieij-ihriich, Z Tblx. für das ganze Jahr, ohne Ex- böbung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man vränumerirt auf dieser Lneratnx,Klatt in Berlin in der Expedition der hlllg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Prooinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 6. August 1841. »WM ' Frankreich. Geoffroy, der Kritiker zur Zeit Napoleon's. Während der Zeit der Kaiserherrschast in Frankreich Halle eine gewisse Rauhheit und kriegerische Zucht sich aus dem Reiche der Weltereigniffe auch dem Reiche der Geister mitgetheilt. In neuester Zeit ist inan bestrebt gewesen, den Ruhm besten von jedem Vorwurf zu reinigen, besten feste, scharfausgeprägte, ernste Gestalt unsere mo dernen Dichter, ich weiß nicht zu welchem, riesenhaften, Ossianischen, neblichten Gebilde umgeschaffcn haben; und man hat Napoleon los gelöst von der literarischen Umgebung, mit der die Zeitumstände ihn verbunden hatten, um ihn varzustellen, wie er das Auge voll Be wunderung und Trauer nach der Gegend wendet, in der Chateau briand in der Natur und der Poesie Trost für seine Verbannung sucht. Zch weiß nicht, in wie weit die historische Treue in diesem Bilde bewahrt ist; doch ein tieferes Eingehen auf jene Epoche zeigt uns, daß ver Einstuß dieses streng regelmäßigen, sicher fortschreiten den und in sich abgeschlossenen Geistes sich ost auf sehr verderbliche Weise geäußert hat, nicht nur in Betreff bedeutender Kunstwerke, wie der Tragödien von Lemercier, sonvern auch in Betreff der leich teren literarischen Productionen, der Tages-Literatur, auf deren Geist und Gehalt Frankreich bisher so stolz gewesen war. Die Beweglich keit und Eigenthümlichkeit des Französischen Geistes scheinen unter diesem unbeugsamen Despotismus gänzlich verschwunden zu scpn; der sprühende Witz und die Ironie waren aus Flugschriften und Liedern verbannt, und selbst in der Kritik vermochten sie sich nicht zu halten. Die Kritik unterlag demselben Einstuß, gegen den sie sich wie aus Instinkt bei den Werken erhebt, die sie beurthcilt. Geoffroy wirst den Trauerfpieldichtern Schlaffheit und Eintönigkeit vor, und seine Artikel leiden in Stil und Gedanken an denselben Fehlern und in gleichem Grade. Und wäre Geoffroy nicht vermöge seines Talentes der Repräsen tant der Kritik während des Kaiserthums, er wäre es vermöge seines Charakters. Geoffroy war nicht, wie manche Feuilletonisten unserer Tage, ein kecker, leichtfertiger Literat; er war ein Pedant von Pro fession, der seine ganze Jugend in wissenschaftlichen Instituten zuge bracht hatte und sich plötzlich zum dramatischen Kunstrichter aufge worfen in einem Alter, in dem man über feine Vorurtheile nicht mehr hinwegkommt. Man findet in seinen sentenzenreichen Angriffen all' die bedächtige Gemessenheit, mit der man Ruthenstreiche zuzählt. In den Karikaturen jener Zeit erscheint er mit Halskragen (er war in einem Jesuiten-Kollegium angestellt gewesen), oder in Entzückung zwischen einer Flasche und einer Pastete; doch die übrigen anmuthigcn und holdseligen Verführungen, denen ein Feuilletonist unserer Tage ausgesetzt ist, diese hat man dem Granbart nie von fern zuzumuthen gewagt, ungeachtet der Lobströmc, die er über Demoiselle George ausgeschüttet hat. Er war ein Mensch, ver der Ordnung, der eisernen Regel seine Jugcnv und die Jugend Anderer geopfert hatte und ihr sklavisch unterworfen war. Auf dieser Höhe steht der Pedantismus der nnutairischen Disziplin gleich; beide sind auf die schärfste Beob achtung vorgcschriebcner Gesetze bis in die kleinlichsten Einzelheiten gerichtet. Man giebt an, Napoleon habe dem früheren Jesuiten eine Pension gegeben; jedenfalls war dieser ihm voll Eifers untergeben, und er hat bei kffffr Untergebenheit, man muß eS eingestchen, oft Einsicht und Geschicklichkeit gezeigt. Um unsere Darstellung anschaulicher zu machen, unterscheiden wir zwei Naturen m Geoffroy; wir betrachten ihn als Kritiker im Allgemeinen und als Kritiker seiner Zeitgenossen. In Wahrheit sind diese beiden Momente nicht so getrennt, als man erwarten sollte; die Vorurtheile, von denen er beherrscht ist, geben ihn auch dann nicht frei, wenn er die Vergangenheit beurtheilt. Um den Geist der Forschung und der geistigen Unabhängigkeit, zu dem die Philosophie auffordert, zu bekämpfen, greift er Voltaire in ver Zaire, Beau marchais im Figaro an. Rühmt er die Dichter des siebzehnten Jahrhunderts, fo geschieht cs, weil er hier überall ein tiefes Gefühl für die Hierarchie, einen steten Haß gegen alle revolutionaire Grund sätze finvet. Gott verhüt' es, daß wir Geoffroy tadeln sollten, wenn er an den Schriftstellern des Zeitalters Ludwig's XIV. die Vorliebe zur bürgerlichen Ruhe und Ordnung und die Darstellung derselben bewundert; doch die alte Monarchie hat nichts mit dem neuen Staate gemein, der durch Bonaparte gegründet ist. So scheint Geoffroy, nur wenn er Racine lobt, wahrhaft aus Ueberzeugung zu sprechen; Corneille verthcidigt er viel mehr auS Haß gegen seinen berühmten Kommentator, als aus wahrer Begeisterung. Möllere vermag er nur mit Mühe seine Spöttereien gegen Gestalten wie Trissetin und Badius zu vergeben. Geoffroy liebt das Griechische sehr, obgleich er Euripides und Sophokles bisweilen vorgeworfen, sie hätten keinen sonderlichen Geschmack gehabt, unv obgleich er sie oft unter ihre Französischen Nachahmer gestellt hat. Er liebte das Griechische mehr als Pedant, als im Interesse der Kunst, doch genug, er liebte es, und man hat mir sogar erzählt, eines Tages habe er Thränen vergossen, als er, freilich vom Wein erhitzt, eine Stelle aus De mosthenes rezitirte. Die Glätte und Feinheit des achtzehnten Jahrhunderts vermochte er weniger zu würdigen, als die Korrektheit und Reinheit des Jahr hunderts Ludwig's X1V. Eristirt etwas Anmuthigeres auf der Fran zösischen Bühne, als vas Hauptwerk Sedaine's, der Philosoph ohne es zu wissens Diese Mutter, vie, ganz beschäftigt mit Vorbereitungen zur Hochzeit ihrer Tochter, das ganze Stück hindurch nicht weiß, wel cher Gefahr ihr Sohn sich aussetzt, und die, als er glücklich gerettet wiederkehrt, nach langer angstvoller Spannung, die wir alle ffühlen, nur sic nicht, ihm mit Nichts entgegenkommt, als ihrem gewöhnlichen Lächeln und ihrem alltäglichen Gruße; dieser Sohn, der sogar an dem Tage, auf welchen das Hochzeitssest seiner Schwester festgesetzt ist, wie ein Schuldbewußter mit Waffen das väterliche HauS verläßt und vorthin eilt, wohin die Ehre ihn cust; dieser Vater, der, plötz lich hiervon unterrichtet, auf fruchtlose Wünsche beschränkt und den schrecklichsten der Schmerzen in seine Brust zu verschließen genöthigt ist; endlich die entzückende Rolle der Viktorine, so zart, so ver schwiegen, alle Herzen muß sic gewinnen, sie ist vielleicht das Lieb lichste, was im Roman und im Drama jemals geschaffen worden ist; — und diese reizende Mischung von Sorglosigkeit und Unruhe, von Glück und Angst, von Anmuth, Heiterkeit, Empfindsamkeit und Liebe, sic hat bei Geoffroy ein Urtheil hcrvorgcrufen, welches wir zu seiner eigenen Schande Hierherfeyen: „Dies Stück", sagt er, ,;hält sich durch Zufälligkeiten und sehr wenig wahrscheinliche Annahmen müh- sam zusammen, es ist jeden Augenblick im Begriff, aus einander zu fallen; der Philosoph ohne es zu wissen ist kein Karnevals-, sondern ein Sonntagsstück." Derselbe Mann konnte Marivaur nicht besser verstehen. Dieser, behauptet er, gefalle sich darin, seine an sich ansprechenden Erfindungen bunt unter einander zu werfen und seine Epigramme in die Sprache des Pöbels einzukleiven. Doch gehen wir zu den großen Ungerechtigkeiten über, die Geoffroy bei Bcurtheilung Voltaire's und Beaumarchais' sich zu Schulden kommen läßt. Warum hat Geoffroy nicht zu der Zeit ge lebt, als der unsterbliche Verfasser der Romane in Prosa und in Versen seinen seltsamen Gegnern eine Schelle umgehängt hat, durch welche sie ebenfalls unsterblich geworden sind? Abb,'- Nonotte und Abbe Trudlet würden einen Genoffen haben und unsere Literatur besäße statt ver unglückseligen Zwei eine Drei. Dieser Haß gegen Voltaire spricht sich bei Geoffroy bald durch hitzige Declamationen, bald durch Spöttereien aus. Nichts ist hochmüthiger und zugleich spaßhafter, als diese ewigen Anfälle gegen einen Mann, der groß genug ist, um eine ganze Epoche zu vertreten. Jüngst, als ich die Memoiren der Frau von Epinay durchflog, wurde ich aufs neue leb haft an das außerordentliche Talent Voltaire's gemahnt. Frau von Epinay spricht, ungeachtet ihrer hohen Verehrung für den Hohen- pricster ihres Glaubens, mehr mit Verdruß als mit Begeisterung von ihm. Die unglaubliche Beweglichkeit seines Geistes erschreckt sie, in dcn Zeichen des Genies sieht sic nur cin Zeichen der Schwäche; dieses ewige Wogen des Gedankens, die fortreißende Gluth des stets wechselnden und doch stets skeptischen Geistes, diese Reflexionen, die sich widerstreiten, dieser Scherz, der stets wicderkehrt, endlich das bewegliche Chaos der ungeheuren Gelehrsamkeit, aus dem mit jedem Augenblicke Wellen hervortreten, die unverkcttet neben einander stehen — dies Alles ist für Frau von Epinay unbegreiflich. Voltaire ist deshalb vorzüglich groß, weil in ihm Alles Inkonsequenz ist; sein gewaltiger Geist dringt tief genug, um alle verschiedene Seiten der Dinge zu erkennen, und er ist beweglich genug, um sich nach ein ander auf all' die verschiedenen Gcsichtspunkie zu stellen. Geoffroy hat Voltaire nicht besser begriffen, als Frau von Epinay. Er glaubt triumphircn zu dürfen, indem er fortwährend unwiderlegliche Wider sprüche nachweist, indem er Züge von Gotilosiäkeit in der Tragödie zeigt, welche dem Papst gewidmet ist, und Züge von Religiosität in den Stücken, in denen der Dichter auf dem Standpunkte der Philo sophie zu stehen glaubt. Wir werden alle diese Untersuchungen keiner Untersuchung unterwerfen, wir werden alle diese Analysen nicht