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WöchenNich »scheinen drei Nummern. Pränumeracion»- Dreie 22^ Sgr. (j THIr.) vienelsährli», Z Ldlr. sür das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt aus dieses Sücratur-BIatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung sFriedrichsstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wokllöbl. Post-Aemiern. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 4. August 93. 1841. Polen. Eines Polen Besuch bei Goethe. (Nach dem priMciel luüu. ') " Einer der namhaftesten heutigen Französischen Redner sagte, daß, wenn das Land, worin er geboren, seine Heimat im Raume, so die Zeit, in der er lebe, seine Heimat in der Zeit sey. Wie es unsere Pflicht ist, Alles genau kennen zu lernen, was der Ruhm der Heimat war und ist, so muß das Bestreben nicht geringer sepn, sich mit dem zu befreunden, was die Auszeichnung und Größe des Jahrhunderts macht, in welchem zu leben unsere Bestimmung ist. Die durch Tu gend, Wissenschaft oder Genie ausgezeichneten Männer sind der erste Schmuck sowohl der Nation, aus der sie hervorgehen, alS der Zeit, die sie erleuchten; sie sind als unsere Zeitgenossen unsere Heimat- brüder in der Zeit. Wer würde nicht wünschen, sich ihnen zu nähern, , um sie zu sehn und aus ihrem Gespräche kostbare Lehren und werth- volle Erinnerungen zu schöpfens Wer auch immer den wandernden Fuß über die Glänze des vaterländischen Bodens setzt, muß die Ge legenheit eifrig suchen, die Zierden seiner Zeit kennen zu lernen. Jedes Land, das wir besuchen, hat, um mich des allgemeinen Sprüch- worts zu bedienen, seinen Papst, ven man sehen muß. Der schäme sich seiner Gleichgültigkeit, der vor einigen Jahren Frankreich besuchte und nicht Chateaubriand und Cuvier kennen lernte; der nach England reiste und sich nicht mühte, mit Walter Scott oder Thomas Moore in Berührnng zu kommen; der in Deutschland war uno Weimar nicht besuchte, nm Goethe darin zu sehen. Als ich im Jahre 1820 mit dem Grafen B. nach Frankreich ging, hielt ich mich einige Tage in Weimar, diesem kleinen Deutschen Athen, auf. Meine erste Sorge war, ven Zutritt zu dem gefeierten Deutschen Seher zu bekommen. — Nicht leicht gewährte Goethe, dieser König der Gedanken, dieser geistige Beherrscher Deutschlands, einen Besuch; Um die Erlaubniß zu erlangen, ihm seine Huldigung darbringen zu dürfen, mußte man ihm dem Namen nach bekannt oder gut empfohlen sepn. Trotz seiner angeborenen Freundlichkeit war Goethe gezwungen, den Zutritt zu sich zu erschweren; sonst würde er jede Stunde des Tages denen haben opfern müssen, die aufrichtige Verehrung oder zudringliche Neugierde zu ihm geführt hätte. Die freundliche Aufnahme, die ich mit meinem Reisegefährten am Wei marschen Hofe erfuhr, die Verwendung von Personen, Heren Wünschen Goethe gern willfahrte, und besonders die Freundlichkeit seiner Schwie gertochter, deren Eigenschaften, als Witz, starkes Gefühl nnb leben dige Phantasie, sie würdig machten, Goethe's Schwiegertochter zu sepn, erwarben uns die Erlaubniß, ihn in seinem Hause zu besuchen. Einige Tage vor unserer Ankunft in Weimar wurde er durch den Besuch seines alten Freundes, des Grasen Reinhard, Französischen Gesandten am Deutschen Bundestage, erfreut. Goethe sammelte da her jeden Abend einen gewählten Kreis um sich, dem Freunde seine Anwesenheit in Weimar zu verannehmlichen. Auch wir erhielten die Einladung, einige Augenblicke in seinem Hause zuzubringen, die wir zu nützen eilten. Als ich mich Goethe's Wohnung näherte, erfuhr tch Eindrücke, die wir nur unter wichtigen Umständen erfahren, in den Augenblicken, worin die Seele auf ihr noch unbekannte Gefühle, unbekanntes Entzücken wartet. Als ich die Schwelle seines Hauses überschritt, dann die Treppe hinansticg, unter deren Verzierungen der Kopf des Apoll von Bel vedere den ersten Platz hatte, als ich mich schon zwischen den Wän den fand, worin ich ven Genius sehen sollte, empfand ich eine Art von Furcht und Zagen und hatte das Gefühl eines Wanderers, der zum ersten Male ein Schiff betritt und zu sich sagt: „Nun bin ich auf dem Meere!" — oder eines, der nach der ewigen Stadt kommt und sich sagt: „Nun bin ich j» Rom!" oder eines, der ven Gipfel des Montblanc ersteigt und sich sagt: „Jetzt bin ich aus der höchsten Bergspitze Europas!" — In der Stube, worin Goethe die Gäste aufnahm, fanden wir schon einige Personen und mit ihnen seine Schwiegertochter, die mit einnehmender Artigkeit die Pflichten der Hausfrau übernommen hatte.^ Goethe hatte sich noch nicht gezeigt, aber bald kam sein Diener, öffnete die Flügelthür nach beiden Seiten und rief: Herr von Goethe. Odwobl schon in einer alteren Nummer dieses Polnischen Journals enthalten, wird die interessante, das Gepräge der Wahrbastigkclt tragende Darsteuuna, die uns mit einem ttrtheil Goethe S über die junge Polnische Literatur bekannt macht, auch hente noch >n unserem Blatte gern gelesen werden. -Auf diese Meldung erhoben wir uns Alle^ mit Ehrfurcht und sahen vor uns den Dichter, der beim Eintritt die Versammelten mit einer freundliche», aber ernsten Verbeugung begrüßte. Die Art des Oeffnens der Thür und sein durch den Diener angekündigtes Ein treten hatte vielleicht etwas Theatralisches und erhöhte bei mir wenigstens den Eindruck nicht, den sein erhabenes Wesen auf mich machte. Seine Gestalt war majestätisch und ernst, die Züge strahl ten Genie, daS Auge flammte im Feuer der Begeisterung. Zwei Falten, welche über die Stirn liefen, gaben ihr den Ausdruck einer geistigen Gewalt, die schwer zu beschreiben ist; es schien, als ob aus diesen seine Gedanken flössen, aus diesen die Funken seines Genies sprühten. Die Deutschen sagen, er habe in der Jugend dem Belve- dereschen Apoll geglichen, im Alter dem donnernden Jupiter — und in der Thai konnte seine erhabene Greiscngestalt und der Adel seiner Züge dem Bildhauer zum Modell dienen. Das Angesicht verrieth weniger den Verfasser des Werther, als den des Faust; ich las darin eher den mächtigen Gedanken, als das zarte Gefühl, und glaubte sogar den Ausdruck deS Charakters darauf zu sinden, den die ergründeten Geheimnisse des Lebens geben. — Aber Goethe's ganzes Wesen, seine edle Freundlichkeit zeigte, baß dieser Mensch, der so kräftig fühlte, so tief dachte, immer dem Rechte der Geselligkeit sich unterwarf, daß er an Hofluft gewöhnt sey und in vielfacher Berührung mit der vornehmen Welt stehe. Seine Schwiegertochter stellte uns ihm vor; er empfing uns artig und that einige Fragen über unsere Reise; aber die Ankunft neuer Gäste zog ihn von uns ab. Er gab sich besonders dem Gespräche mit dem weiblichen Theil der Gesellschaft hin, dessen Umgang er liebte 'ffnd suchte. Da ich nur einen kleinen Theil des Abends in dem Kreise zu- brinaen konnte, gab ich mir bei meiner Entfernung das Wort, auf der Rückkehr aus Frankreich Weimar wieder zu besuchen. Und so erlangte ich I8ZÜ bei meiner Heimreise aus Paris durch die Ver wendung der Frau von Goethe die Erfüllung meines Wunsches, Laß ihr Schwiegervater mir Tag und Stunde anzeigte, wo er mich bei sich aufnehmen wolle, was mir durch folgende Visiten-Karte ange- zeigt wurde: Großherzoglich Sachsen-Weimarischcr Wirklicher Geheimrath und Staatsminister von Goethe. wozu er eigenhändig mit Bleistift geschrieben hatte: „wünscht, da er heute verhindert ist, Herrn vonK.... morgen Sonntags um l2 Uhr bei sich zu sehen." — So sehr mich die Einladung freute, so sehr wunderten mich die prunkenden Titel, die ich neben dem Mamen des Dichters fand. Wäre nicht das einzige Wort Goethe größer als alle Würden und Aemter, geheime Räthe und Minister gewesen ( Ich verfehlte die mir angegebene Mittagsstunde nicht. — In Goethe's Wohnung «»gekommen, fand ich ibn auf meine Ankunft in demselben Zimmer wartend, worin ein Jahr vorher seine Freunde mit mir versammelt waren. Mit anziehender Artigkeit begrüßt, dankte ich ihm in Französischer Sprache (da ich mich der Deutschen nicht mächtig genug fühlte, um sie zu Goethe zu sprechen) für die mir erwiesene Aumicrksamkcit. „Ich sah immer sehr gern Ausländer bei mir", sagte Goethe (auch Französisch, das er langsam, aber mit Leichtigkeit sprach), „ihre Gesellschaft ersetzt mir einigermaßen die Annehmlichkeit einer Reise, die ich j» meinem Alter mir nicht mehr erlauben kann; wenn ich mit ihnen spreche, reise ich auch, ohne den Ort zu verändern; heute z. B. wandere ich in Polen", fügte er lächelnd hinzu. " Diese Worte waren der Eingang zu einem Gespräche über meine Heimat, deren Vergangenheit und Gegenwart, so wie endlich über die Literatur. Ich sprach von dem neuen Geiste, der neuen Richtung der Polnischen Poesie und Kritik, und vom Haupt miscrcr Schule, das er vor einigen Monaten in Weimar kennen gelernt hatte. „Ich bedaure", sagte Goethe, „daß die Reichthümer Ihrer alten und neuen Literatur mir unzugänglich sind; mit Freuden würde ich ihre heutige Entwickelung betrachten und die Richtung, die sic genommen. ES sind edle Bestrebungen, welche darauf hinausgehen, die Poesie zu nationalisiren und aus dem Gleise der Nachahmung zu reißen. Mögen jedoch die jungen Poeten alle Vorurtheile vermeiden, sich vor Fehlern und Jrrthümern hüten, Vie allen Neophyten eigen sind, mögen sie einen zu großen Eifer, einen Fanatismus ihres Glaubens sorgfältig scheuen. Sie mögen neue Muster schaffen, aber die allen nicht mit