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Wöchentlich »scheinen drei Nummern. Prönmnttiticns- Preis 22j Sgr. (z Tbtr.) nierteliäörlich, Z Tblr. sür das ganze Jahr, ohne Er- hödung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man kränumerir! auf dieses Literaiur-Blaii in Berlin in der Exredilion der Allg. Pr. Siaats-^eitung (FriedrichSsir. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wodllöbl. PoK-Acmtcrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Montag den 26. Juli 1841 Polen. Vorlesungen über Deutsche Literatur in Posen. Herr Liebelt, Professor am Polnischen (Marien-) Gymnasium in Posen, hält jetzt daselbst Vorlesungen über Deutsche Literatur, die bereits in einigen Korrespondenz-Berichten Deutscher Blatter, namentlich in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, aus günstige Weise erwähnt worden. In einer seiner letzten Nummern bringt auch das zu Posen in Polnischer Sprache erscheinende literarische Wochenblatt ClJgostnik läreracsti) eine ausführliche kritische Anzeige der Liebeltschcn Vorlesungen. Wir halten es sür interessant genug, durch thcilweise Benutzung dieser Anzeige sowohl den Vorleser als seinen Polnischen Kritiker auch im Deutschen Publikum einzusübren. Der Letztere theilt, wie man leicht wahrnehmcn wird, den Grund irrthum aller seiner Slawischen Kollegen (in Rußland sowohl als in Polen), wonach das literarische Leben in Deutschland jetzt im Stadium des GreiscnalterS sich befinde und bald an gänzlicher Ent kräftung hinstcrben werde. Zum Beweise wird die alte Bemerkung wiederholt, daß das Zeitalter der Kritik hinter dem der künstlerischen Production komme, und daß jenes, wie einst in Griechenland, so jetzt auch in Deutschland, den Abschluß eines ganzen Kultur-Cyklus bilde. Hierbei wird freilich die eben so alte Bemerkung, daß moderne literarische Zustände mit denen des Alterthums aus vielen nahe liegenden Gründen keine Vergleichung zulassen, nicht hinzugesügt; auch vergißt unser Slawischer Kritiker, der nnS im Reiche der Philo sophie immer noch eine Art von Herrschaft zugcsteht, daß ia eben dieses Reich HülsSquellen genug darbietc, um auf einem sonst ge sunden Boden die Aussaat einer ganz neuen Literatur auszustreucn, und baß in Griechenland nicht die philosophische Kritik, sondern das Eindringen der Römer und der Barbaren, der alten Bildung die Rückkehr unmöglich gemacht habe. Wir lassen nun die Ansichten des IZ-xoilnik folgen und fügen nur noch hinzu, daß die am Schluffe befindlichen Gegenbemerkungen nicht von uns, sondern von demjenigen unserer Mitarbeiter her- rühren, dem wir die Uebersetzung dieses Artikels aus dem Polnischen aufgetragen. Denn so wenig wir auch die mit unserem ganzen religiösen Denken und Fühlen in Widerspruch stehenden Begriffe von Golt und Welt theilen, Vic einige Jünger der philosophischen Schule Hegel's aus dessen Systeme sich konstruirt haben, so wenig möchten wir doch auch zugeben, cs habe dieses System noihwcndig zu solchen Konsequenzen und endlich auch zu deren Widerlegung in der von unserem Mitarbeiter angedeutelcn Weise führen müssen. Wenn wir seine Bemerkungen vollständig aufnehmen, so geschieht cS eben nur, weil wir keiner der beiden ertremcn Parteien angeboren und vor jeder rein wissenschaftlichen Erörterung die schuldige Achtung hegen. I. L. „Herr Liebelt (heißt cs im IJgollnik) sprach von dcn verschie denen Zeiträumen der Literatur, welche er nicht, wie es bisher ge schah, auf historische Ereignisse stützte: er bewies, daß die Literatur nicht unmittelbar von historischen Ereignissen abhängt — bewies ferner, daß, so wie diese Begebenheiten aus die Literatur, so umge kehrt diese auf jene Einfluß übe; er bewies endlich, daß die Deutsche Literatur ein vollständiges, beendetes, abgerundetes Gebäude sey, worin sie eben ihren Anfang, ihren Gipfel, ihr Ende haben müsse; er betrachtete sie also an und für sich und verglich sic einem Tage, der seinen Morgen, seinen Zenitd und seinen Abend hat. In schöner Darstellung zeigte er weiter, wie in ihrer Morgen dämmerung alle Gestalten sich wie Riesen an ihrem frischen Boden spiegelten, wie beim bellen Mittagslichlc die Reformation in un gleich kleineren Dimensionen bervörtral, die aber desto deutlicher, klarer, ausgeprägter waren — wie endlich gegen den Abend der Literatur im Lichte der untcrgehendcn Sonne die Titanen Goethe, Schiller, Jean Paul") und Andere ihren langen Schatten vor sich hinwarfen. '> UeberauS seltsam sehen diele Namen rn der barbarischen Welle aus, wie die Polnische Schreibung sie wledergiebt, nämliche <!»e, 8rvl», s-n Wir nennen diese Weil-barbarisch, obwohl die Griechen, die jedoch eine ganz andere Berechtigung dazu hatten, bei der Schreibung ausländischer Namen dtthnliches lich gcnatteten. Dcn Runen, die auch so verfahren, kann allenfalls als Rechtfertigung dienen, dan in ihrem All-Haber nicht immer das entsvrecheude Zeichen für den fremden Buchstaben zu bilden se». I. b- Von da ab soll die lange Nacht der Deutschen Literatur be ginnen!" Der Referent fährt weiter fort: „Ich weiß nicht, wie Herr Liebelt diesen Gedanken auf histo rischem Wege weiter entwickeln wird/ — so stehe cs mir frci, die selbe Auffassung der Deutschen Literatur mehr auf philosophischem Wege zu rechtfertigen, auf dem ich zu derselben Ucbcrzeugung kam, daß die Deutsche Literatur, nachdem sic ihren ganzen Horizont durch laufen, sich ihrem Untergänge zuncigt. Mancher würde das bestreiten und sich auf die Menge von Schriften berufen, die gegenwärtig in Deutschland gedruckt werden, und die von Regung und geistigem Leben unter den Deutschen zeugen müßten. Diesen gelten die Worte Aristarch's, der, über die Menge der Gelehrten seiner Zeit sprechend, meinte: Im Alterthum gab cs kaum sieben Philosophen; heute ist's schwer, so viel Ungelehrte zu finden (Plutarch ^l-.ccsts/vsu;). Wenn wir in unseren Zeiten die Worte Aristarch's wiederholen (denn heute ist fast jeder Deutsche ein Schriftsteller, jeder Schriftsteller Doktor und jeder Leser Patient), so müssen wir zugleich gestehen, es sey eine irrige Bcbauptung, daß unsere Zeit in ihrer literarischen Produktivität die glücklichste, daß die Thätigkcit des Geistes und seine Entfaltung nie so hochgevrungen sey — zumal wenn wir die Schwierigkeiten berücksichtigen', die das Alterthum zu überwinden hatte, ehe es die Buchdructerkuust, noch die andere Kunst verstand, aus zwölf Büchern das dreizehnte zu machen. Wenn wir einräumen, daß unsere Zeit jede andere vorange- gaugeuc an Bücher-Anzabl übertrifft, so können wir fragen, ob die , Größe der Bücherzahl denn die Bürgschaft für de» Fortschritt in der Literatur spy? (die Chinesische Literatur übertrifft ohne Zweifel alle Europäische au Neichthum) und woher in Deutschland der große Andrang von Büchern kommt/ qus der Verwickelung der socialen Verhältnisse, oder dem Bedürfnisse der Gesellschaft, oder dem Be dürfnisse der Schreibenden/ Diese Fragen sind nicht schwer zu lösen. Die Literatur betrachte ich aus dreifachem Gesichtspunkte: I) an und für sich; 2) hinsichtlich der Umstände, welche auf sic wirken; hinsichtlich des Einflusses, den sic auf das öffentliche und Privat leben übt. Literatur ist die Manifestation des Gedankens, worin sich das geistige Leben eines Volkes, einer Nation darstcllt. Als organisches Ganze, das uns mehr oder weniger die vcrschicdcnseitige Gestaltung dieser oder jener Nation offenbart, unterscheidet sie sich vom Worte, das flüchtig, verschwindend, eine Form des Gefühls oder des zur That gelenkten Willens ist. Dieses Wort war anfangs das einzige Werkzeug, wodurch sich die geistige Tbätigkeit offenbarte; ehe es in die Schrift überging, lebte es im Munde des Volkes und war ein biureichendes Mittel, das gegenseitige Wissen und Fühlen mitzu- thcilen (Sagen, Mythen)." Referent zeigt weiter, wie die Entwickelung des geistigen Lebens von der Sage zur Kosmogonie und religiösen Offenbarung, zum Epvs, zur Tradition, zur Dogmatik, zum Drama fortgeht, bis sic in der Philosophie und Kritik ihr Ende erreicht. Im letzten Stadium heißt eS: „Die Theorie schafft weder im Leben noch in der Kunst. Plotinos, Philostratos und Longinos standen auf dem Gipfel der Theorie der Künste — und wo war zu ihrer Zeit die Griechiscbc Kunst/ Die philosophische Theorie schreitet um so mehr vor, je mehr die Wirklichkeit sich zurückzicht; das ist das Alter, dessen Wissen um so ausgedehnter ist, je mehr Leben es hinter sich hat und eine je kürzere Zukunft vor sich. Die Philosophie gleicht dem Herbste, der die Früchte ärndtet von Frühling und Sommer, worauf der Winter dcö GenießenS folgt. Diese Zeit ist jener Abend der Literatur, wovon Herr Liebelt sprach. Der Arbeit von Jahrhunderten folgt die Nacht der Ruhe — doch ist diese Ruhe noch kein Tod — es muß sich noch Leben darin finden — und wenn auch lethargisch, muß dieses Leben sich in irgend einer Form offenbaren. Ich weiß nicht, welche GcistcSthätigkcit Herr Liebelt dcn Deutschen in dieser Zeit zugestehen wird. Meiner Ansicht nach könnte man zum Tröste der Deutschen Literatur sagen, daß die Idylle, Satire, Komödie und der Roman sich neben der Philosophie aufrecht zu erhalten im Stande sind. In ihre Formen lassen sich alle Arten der neueren Poesiecn bringen und darin konzentrircn. Ganz unabhängig von der Zeit und von Umständen aber sind die Lyrik und die eraktcn Wissenschaften; die Lyrik, weil sic'kaS innere Bedürfniß des Herzens befriedigt; jene Wissenschaften/ weil' sie das innere Bedürfniß des Lebens stillen.