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336 bisweilen eine zarte Rücksicht auf das Privatrccht. In Betreff der Besteuerung waren seine Grundsätze folgende: „Es ist besser, das Geld in den Händen der Bürger zu lassen, als es in den Kasten zu verschließen. Man muß zu geben wissen, wenn man nehmen will. Ein Einkommen von sechshundert Millionen genügt Frankreich in Friedenszeiten. Man muß den Esel nicht von allen Seiten beladen. Die öffentlichen Plätze und das Wasser muß man umsonst haben; schlimm genug, daß man das Salz bezahlen muß." Bei jeder Gelegenheit zeigte er sich nachgiebig gegen die Aus gewanderten; er gab ihnen ihre noch nicht verkauften Besitzungen zurück und fühlte sich versucht, ihnen eine Entschädigung zu bewilligen. Im Interesse des Volkes wollte er die Plätze des Theaters im Preise herabsetzen. Und dabei sprach er: „Ost giebt es nichts Ty rannischeres als eine Regierung, welche sich das Ansehen giebt, als wolle sie für ihr Volk väterlich sorgen." Dies waren Worte und Grundsätze des ersten Konsuls. Später, als Napoleon Kaiser geworden war, beherrschte er seine Geheimnisse mehr, er ging behutsamer mit seinen Plänen um, war zurückhaltender in seinen Mittheilungen. Doch auch dann noch geschah cs häufig, im Staatsrath, daß sich seine Seele über die Lippen ergoß, daß seine Gedanken ein Echo suchten, und daß er, einer alten Gewohnheit gemäß, wiederholt auf denselben Gegenstand zurückkam. Kaum hatte er, von seinen großen Schlachten zurückgekehrt, vie Sporen abgelegt, so hörte man an der Thür des Bersammlungssaales des SlaatS- raths Waffengeräusch; der Tambour wirbelte dreimal; beide Thür- slügcl öffneten sich, und der Thürstehcr rief: ,,Der Kaiser, meine Herren!" Napoleon kam; er ging mit stolzem Schritt aus seinen Lehnsessel zu, grüßte, setzte sich, bedeckte sich, während seine Ofsizicre und oft fremde Fürsten, hinter ihm geordnet, schweigend und mit entblößtem Haupte standen. Ich war damals noch jung, und ich gestehe, daß ich nicht ohne Bewegung diese freie Stirn anzuschauen vermochte, auf der sich von oben herab der Ruhm von Austerlitz zu spiegeln schien. (Das Gemälde der Schlacht von Gerard zierte die Decke des Saals.) Ich war in der berüchtigten Sitzung nach der Schlacht von Hanau. Noch erschöpft von den Anstrengungen der Reise, bleich und von tausend Gedanken beschäftigt, ließ uns der Kaiser in sein Kabinet treten. Ohne sich zu setzen oder sonst eine Vorbereitung zu treffen, rief er hier lebhaft Herrn Zaubert, den Gouverneur der Bank von Frankreich, der, wie er sagte, die Un- klughcit begangen hatte, mit zu großer Uebereilung einen Diskont von den Banknoten zu bewilligen. Napoleon erklärte ihm die Statuten der Bank, er setzte ihm den Mechanismus derselben mit der Genauig keit eines ihrer Aufseher oder Vorsteher aus einander. Dies war für mich in der That ein überraschendes Schauspiel, einen Soldaten sich über die Organisation der Banken und oie Gesetze des Wechsel rechts verbreiten zu hören. Zaubert, ein stiller schüchterner Mann, stammelte einige Entschuldigungen, die wir nicht verstanden. Man -öffnete die Thür des großen Saales aufs neue; Jeder setzte sich, und der Staatsrath schwieg. Der Kaiser machte zuerst eine große Pause; er war sichtlich von anderen Gedanken abgezogen, ließ den Kopf unbewußt auf die Brust sinken und zerschnitt gedankenlos mit seinem Federmesser Fevern, Papier und Decke. Endlich rief er, wie aus einem Traume er wachend: „Die Bayern! die Bayern! bin ich nicht über ihre Leichen geschritten? habe ich nicht Wrede getödtet? (So glaubte er.) Die Feinde nahen, die Zeit drängt! Wohlan denn, meine Herren, was beschließen Sie? was haben Sie mir zu sagen?" „Sire", erwiederte Regnault de Saint-Jean-d'Ang«ly, „bauen Sie auf die Stärke der Holländer." „Die Holländer! Nicht Blut, geröthetcs Wasser fließt in ihren Adern." „Allein aus allen Theilen des Landes gehen bereits Adressen ein, Sire, unser ganzes Reich baut auf ihre Treue und Ergebenheit." „Wie sprechen Sie, Herr Regnault? glauben Sie, ich wisse nicht, wie dergleichen Adressen zn Stande kommen, was sie bedeuten? Geld brauchen wir, Menschen, keine Revensarten. Sie, meine Herren, sind hochgestellte Bürger, Sie sind Familienväter und die Väter des Staates. An Ihnen ist es jetzt, den Geist des Volkes durch beredte Ermahnungen neu anzufachen,° Kommen Sie der Schmach und dem Elend zuvor, mit dem ein feindlicher Einfall das Reich bedroht." Die Worte kamen zu spät; das Reich neigte sich von Stunde zu Stunde mehr feinem Untergänge zu. In Zeilen der Art werden Regierungen und Völker, wie groß auch ihre geistige oder physische Macht seyn mag, unaufhaltsam von dem Verhängniß ipS Grab ge rissen, das nichts als die nothwendige Folge ihrer eigenen Verge hungen ist. Daß das Reich damals so vollkommen unterlag, davon war der Grund, daß alles Ansehen, alle Macht in Napoleon's Händen war. Wer hätte sich nicht gebeugt vor einer so entschiedenen Ueberlegenheit? Wer hat sich ihm genähert und den allmächtigen Zauber nicht ge fühlt, mit dem er sich die Gemüther unterwarf? Zn diesem Gehor sam lag keine Knechtschaft, weil man ihn freiwillig leistete; es war eine unwillkürliche Hingebung, bisweilen sogar eine Art von Leiden schaft. Man konnte nicht müde werden, diese breite, gedankenvolle Stirn zu betrachten, welche die Schicksale der Zukunft einschloß. Man konnte mit seinem Blicke nicht gegen dies unwiderstehliche Auge ankämpfen, das die Gedanken des Hörers im tiefsten Grunde der Seele zergliederte. Alle übrige Menschen, Kaiser, Könige, Generale, Minister, schienen neben ihm Wesen einer untergeordneteren, gemei neren Gattung. Seine Stimme hatte etwas Gebietendes, und den ¬ noch sprach sich bisweilen eine gewisse Weichheit und Zartheit in seinem Organ aus, die einschmeichelnd war, wie die Jtaliänische Milde, und den Hörer wunderbar ergriff. Diese unbegreifliche Mischung von Anmuth und Kraft, von Einfachheit und Prunk, von Herablassung und Würde, von Gewandtheit und Stolz war es, welche die wider- spänstigsten Gemüther ihm unterwarf und die starrsten Vorurthefle zerstörte. Man kann sagen, Napoleon gewann durch die Sprache eben so viel, als durch die Waffen. Er besaß in seinem Geiste orientalische Fülle und mathema tische Präcision. Seine Beredsamkeit, die nicht eine Frucht von Studien, sondern eine Folge seines angebornen Herrschertalentes war, paßte sich allen Zeiten und Umständen an. Er sprach zu den Soldaten, welche aus dem Volke sind, die Sprache des Volkes, welche scharfe Gegensätze, Erinnerungen und Rührungen liebt. Er zeichnete mit seinen Marschällen Schlachtenpläne. Er redigirte mit seinen Ministern und Secretairen die diplomatischen Noten und die Artikel des Moniteur. Er ging ohne vie geringste Anstrengung von einer Erörterung der bürgerlichen und politischen Gesetze zu den unbedeu tendsten Einzelheiten in Betreff einer neuen Anordnung in der Klei dung der Schiffmannschaft oder eines Gebotes für die Bäcker über. Er sprach über Literatur und Wissenschaften, korrigirte statistische Ta bellen und gab die Gesetze heraus mit Tronchet, Treilhard, Merlin, Bcranger, Cambacerös und Portalis. So ost sich vie Mitglieder ves Staatsratheü, träg und müd, dvm^Schlafe überwinden ließen, machte er sich ein Vergnügen daraus, die Sitzung bis in die Nacht hinein zu verlängern. Er kannte we der Hunger, noch Müdigkeit, noch andere Bedürfnisse. Sein unbe zwinglicher Wille schien, wie alles Uebrigc, so auch seinen Körper zu beherrschen. Er liebte cs, seine Räthe in Diskussionen zu ver wickeln, sey es, weil ihm vics Streiten ein Bilv des Krieges gewährte, sey es, weil er überzeugt war, daß sich hierdurch vie Wahrheit am sichersten herausstelle. Er selbst trat einige Male gegen Treilhard in die Schranken, diesen unerschrockenen Athleten der Logik, und er sagte scherzend, daß ein Sieg über diesen ihn mehr Mühe koste, als eine gewonnene Schlacht. Napoleon war noch mehr zum Herrfchcn, als zum Erobern, noch mehr, um Staaten zu gründen, als sie um zustürzen, geboren. Was ist im AuSlandc übrig geblieben von so vielen Siegen, die mit unserem Blute erkauft sind? An wenigen Orten des fremden Landes schwache Spuren unserer Gesetzbücher, unserer Jury. In welchem Zustande wäre unsere Gerichtsbarkeit im Innern, die civile, wie die kriminelle und kommerzielle, ohne die Einheit der Gesetzgebung, die wir ihm verdanken? Wir schreiten seit Napoleon in vem ebenen Gleise, welches die Näder seines SicgeS- wagens in Rücksicht auf Staatsverwaltung uns gebahnt haben. Na poleon im Staatsrath war vie verkörperte Ccntralisation des Rei ches, die unbevingte Oberhoheit vcr Verwaltung, die entschiedenste Willenskraft und die lebendige Seele des Staates. So lange Frank reich centralisirt ist, fällt eS stets mir dem Gewichte von dreiunddreißig Millionen in die Wagschalc von Europa. Wenn Europa centrali sirt ist, schreitet die Menschheit vorwärts, wie Gott ihre Schritte lenken wird. So wird Napoleon einst von der Nachwelt mehr be wundert werden, weil er ein Vorläufer der Zukunft war, als weil er vie Nationen sich unterwarf, mehr, insofern er Staatsmann, Ge setzgeber und Ordner, als insofern er Krieger, Eroberer und Sieger war. (b". t.) Mannigfaltiges. — Zur Geschichte der Aussprache des Französischen. Neuere Französische Forschungen haben ergeben, daß der Diphthong in den Wörtern .^uxlnm, I>a»z:n>8, ssvois, )'öcoix etc. vor mehreren Jahrhunderten in Frankreich ganz eben so ausgesprochen wurde, wie noch heutzutage in den Wörtern moi, tni etc. Die Veränderung der Aussprache fand um die Mitte des inten Jahrhunderts nach der Vermählung Katharina's von Mcvici (l:>SZ) statt, um welche Zeit zahlreiche Jtaliäner am Französischen Hofe sich befanden, denen, so wie der Königin selbst, vie Aussprache des »i wie oa schwer wurde, wo nicht gar unmöglich war. Aus Galanterie gegen die Königin ward es bei Hofe allgemein Mode, diesen Diphthong nach Art der Jtaliäner zusammenzuziehen und vie Wörter mit den Buchstaben oi so auszusprechcn, als wären sie mit ai geschrieben. Voltaire war der Erste, der dann, der Aussprache gemäß, in seinen Schriften das letztere statt des oi setzte, worauf denn auch bald das »i in die Schriftsprache allgemein eingeführt wurde. Boileau, Racine und Molicre folgten noch der älteren und korrekteren Schreibung. — Schwedischer Nachdruck Dänischer Werke. Ein Buch händler in Stockholm bat angefangcn, einen wohlfeilen Ahdruck Däni scher Klassiker zu publizircn. Dies scheint allerdings ein Eingriff in vas geistige Eigenlhumsrccht des Nachbarlandes; bcvenkt man jedoch, daß in Schweden bisher fast gar keine Werke in Dänischer Sprache verkauft wurden, und zwar hauptsächlich deshalb, weil diese dort zu theucr waren, so kann der angeregte Vertrieb nur.vortheilhast für die Verbreitung der Dänischen Literatur unv mithin auch für die Verleger Dänemarks seyn. Obwohl das Schwedische und das Dänische so viele Aehnlichkeit mit einanver haben, daß jeder Gebildete leicht die Schriftsprache des SchwestervolkcS verstehen kann, wurden doch eben so die Dichtungen Tegnör's ins Dänische, wie die von Oehlen schläger ins Schwedische übersetzt. Bei größerer Verbreitung der Originale wird dies kaum mehr nüthig seyn. Herausgegcben von dec Expedition der Allg. Preuß. StaalS-Zeitung. Redigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Havn.