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34:; Studien, die Wiederbelebung der geistigen Freuden, wie es den jungen Eroberer begrüßte, der diesem Volk, bas so viel zerstört, die Hände voll von den Meisterstücken Italiens entgegenkam. Das Direktorium gab dem Strom nach, invcm es mit einem antiken, republikanischen Pomp den Heldcn im Lurcmbourg, den Dichter auf dem Marsfeld krönte, und ohne cs zu ahnen, dankte es so auf beiden Seiten ab. Das Konsulat war eine solche Erlösung, daß cs dcr Freiheit glich. Selbst Lemercier täuschte sich hierin. Er liebte Bonaparte, weil er ihn bewunderte. Diese Epoche war bei Beiden die schönste ihres Lebens. Napoleon war auf der Höhe seines Genies und seines Wirkens. Er befestigte mit seiner schützenden Hand die neue sociale Ordnung: er brachte Regel und Gehorsam hinein, ohne den Enthu siasmus zu unterdrücken. Er richtete die Altäre wieder auf, er stellte die Monumente und Institutionen wieder her. Er errichtete Tllrenne jenes Gabmnal, in dessen Nähe er einst nach dcr ganzen Jliadc seiner Schlachten, nach der ganzen Odyssee seiner Verbannungen als Soldat neben dem Soldaten, als Sieger neben dem Sieger ruhen sollte. Lemercier, mit zufriedenem Geist und Herzen, fühlte sich mehr als je begeistert. Er hatte den „Pinto" gegeben, er dichtete „Karl den Großen". Er gab mehrere Gedichte heraus, die „Vier Metamorphosen", eine zu treue Nachahmung des AlterthumS; „Homer, Alexander, Moses", eine philosophische Trilogie, in welcher der Haß gegen die Anarchie athmet; „Ismael in dcr Wüste, die Französischen Zeitalter", eine anmuthigc Epopöe, deren fünfzehn Gesänge die fünf zehn Jahrhunderte unserer Geschichte besingen. In diesen Werken lebten die Ideen, von denen das Konsulat selbst sich leiten ließ. Es war die allgemeine Tendenz der Literatur, welche sich an der Anar chie rächte, indem sie in der Kunst die alten Forme», in der Politik die alten Zeiten proklamirte, und zwar so, daß Lemercier sich eines Tages vom Publikum und von Napoleon überholt sah. Jenes erhob sich gegen „Ehristoph Colomb", weil die Einheit des Orts darin verletzt war, und dieser stellte den Thron Ludwig's XIV. und Karl's des Großen wieder her. Lemercier, der ein Mann von I7M war und es immer geblieben ist, hatte in Betreff der Monarchie und der Freiheit Gesinnungen, die mit dem Kaiserthum unverträglich waren. Er nahm die höchste Magistratur von Seinesgleichen an, aber nicht das Königlhum: er glaubte nicht daran. Selbst die Weihe der Religion und des Sieges imponirte ihm nicht. Da er ohne Ehrgeiz und ohne Furcht war, so konnte nichts seinen geraden Bcr- stand täuschen. Man glaubt cs nicht, wie leicht die Uneigennützig keit uns in der Zuknnst lesen läßt. 'In aller Unbefangenheit seines Urtheils wie seines Muthes sagte er zu Napoleon, dem Herrn dcr Welt, jenes glänzende Wort: Ich warte! Allerdings bot Frankreich damals ein großes Schauspiel. Es erfüllte die Welt und ward selbst von einem Mann erfüllt. Lemer cier aber fragte sich, ob das nicht eine falsche und gefährliche Größe wäre, wo ein Mann alle Kräfte von vierzig Millionen Menschen in sich absorbirt. Sie, mein Herr, haben den Koloß wieder aufgerichtct unter uns, Sie haben uns seine Thätigkeit als Bezwinger, als Schöpfer von Königen, als Gründer eines Lehnsspstems so anziehend dargestellt. Lemercier fragte, welches die Bedingung dieses Zustandes sey? Das Schweigen überall und ein immerwährender Sieg. Es komme ein Tag, wo das ermüdete Glück an einem Ende Europa'S den Rücken kehrt, und Alles schwankt. Die Nationen, die Napoleon besiegt hat, werden sich in Waffen erheben. Die Könige, die er ge schaffen, selbst die seiner Familie, werden ihn im Stich lassen, ehe sie fallen. Die Dpnasticen, deren Sturz unwiderruflich gemacht zu haben er vor dcr Welt sich rühmte, werden ihn noch während der Dauer seiner Macht durch ihre Restauration Lügen strafen. Von allen Seiten endlich werden jene verborgenen Wunden aufbrechen, auf die Lemercier schon in der historischen Unterhaltung von Saint- Cloud hinwies: der Zorn wird die Völker aufrüttcln, die Eroberung der Welt wird mit der Invasion, der Absolutismus mit der Einsamkeit enden, und Frankreich, zum Preis für alle diese Opfer, vom Rhein, wo Napoleon eS überkommen batte, bis an seine alten Gränzen zu rückweichen, über welche die Revolution es weit hinauSzuvehnen gedacht- So sprach Lemercier. Er trug ohne Klage und Hochmuth Na- poleon's Feindschaft. Seine Tugenden waren einfach, weil sie ihm nicht schwer wurden. Aber wie schrecklich ist es, daß in derselben Zeit, wo Napoleon Herr der Welt geworden war, Lemercier alle Stürme des Lebens über sich Hereinbrechen sah, daß er aus einem Unglück ins andere stürzte, während Napoleon von einem Sieg zum anderen getragen wurde, daß er sich endlich sogar um die Trüm mer seines Vermögens gebracht sah. Er war einen Augenblick auf siebzehn SouS täglich revuzirt, und seine eigenen Freunde wußten cs nicht: er war einer von denen, die man immer für reich hält, weil sie dessen würdig sind. Vom Theater ausgeschlossen, hatte er sich aus die Wissenschaften geworfen und die Atlantiave gedichtet; er bestieg das Katheder deS Athenäums und beschenkte die Französische Literatur mit jenem .,0our8 äo lileratui-«", der eine dcr schönsten Früchte der Altcrihumsstndicn unter uns ist. Sagen wir die Wahrheit. In unseren Ideen uud in unserer Sprache herrscht die materialistische Gewohnheit, Vie Größe der Regierungen nach der Stille, mit der sic sich umgeben, zu messen. Wir bewundern sie, daß sie nichts sich gegenüber geduldet, das heißt, daß sie vor Allem Furcht gehabt. Der Konvent erdrückt seine Geg ner mit dem Beil. Das Kaiserthum, das eine wirkliche Macht und Majestät hat, außer ein einziges Mal, begnügt sich, seine Feinde gefesselt zu halten. Wie viel mehr licbe ich die gegenwärtige Stellung der Negierungen, die einen Schritt weiter gcthan, indem sie im Kampf und durch ven Kamps regieren! Diese Gesinnungen waren die Lemercicr's. Seine Kämpfe unter der Restauration und seit I8»o gegen die Unterdrücker Griechenlands, gegen die Parteien dcr Gelchrtenrepublik, gegen die dramatische und politische Censur, vermochten keine seiner Erinnerungen ans der Schreckenszcit und dem Kaiserreiche auszulöschcn. Da seine Feind schaften ihre Quelle in Grundsätzen und nicht in Interessen hauen, so konnte er nicht zu denen gehören, die im Kampf der Gegenwart verthetdigcn, was sie früher bekämpft. In der Aufregung der Juli- tage und später schrieb cr bei all seiner republikanischen Gesinnung leidenschaftlich gegen die Erinnerungen dcr Republik. Später, als Vie Nachricht sich verbreitete, daß ein Französischer Prinz sich anschicke, nach Sankt-Helcna zu segeln, um die Kaiserliche Asche dem Franzö sischen Boden wievcrzugcben, konnte cr als Mcnsck und Freund Theil nehmen, aber nicht als Bürger und Philosoph. Die Akademie wird diesen Tag nicht vergessen, wo sie den Vorschlag machen hörte, auf das Lob deS großen Mannes einen Preis zu setzen. Sogleich prote- stirte Lemercier mit aller Kraft seines Geistes und Wortes. Er pro- testirte im Namen des Vaterlandes, das an seiner Freiheit, seinem Gebiet und seiner Größe verstümmelt worden. Allerdings ist das nicht das Urtheil der Geschichte, denn es ist ein einseitiges. ES hieß die Arbeiten des Gesetzgebers vergessen, mit denen Frankreich scit vierzig Jahren sich erhält. Es hieß die Siege des Helden vergessen, die so groß sind, daß sie unsere Niederlage verdunkeln. Aber in ober flächlichen und wankclmüthigen Zeiten, wie die unsrigen, müssen wir jene seltene Treue gegen sich selbst, jene unwandelbare Standhaftig keit ehren, und wenn wir unS an die allgemeine Theilnahme erinnern, welche die Rückkehr der Kaiserlichen Asche erregte, so werden wir noch mehr eine andere, seltenere Eigenschaft bewundern, eine. Eigen schaft, die dem Staatsmann manche Fehler, manche Gewissensbisse ersparen möchte, den Muth, welcher der Tyrannei einer allgemein herrschenden Meinung zu widerstehen wagt. Jene Sitzung ist unS theuer und denkwürdig. Es ist die' letzte, wo wir den berühmten Schriftsteller, den treuen Kollegen, den Ehrenmann, den man in der Nähe lieben und in jeder Entfernung bewundern mußtc, in unserer Mitte sahen. Zwei Tage darauf erlosch dieses Leben plötzlich, das in einem gelähmten Körper bis zum 72stcn Jahre die Jugend der Phantasie, des Herzens, des Talents bewahrt hatte. Lemercier sollte sterben, wie cr gelebt hatte. Sein Tod glich einer Protestation. Aber, ich muß cs anssprechcn, wenn er viel protestirte, so hatte er nur zu oft Gerechtigkeit und Wahrheit auf seiner Seite. Die Opposition war bei idm weder eine Caprice seines Charakters, noch eine Krankheit der Seele. Er gehörte nicht zu jenen verdrießlichen Naturen, die mit Allem unzmriedcn sind, einem Laster, worin sich eine geheime Unzufriedenheit mit sich selbst verbirgt. Es war ein großer, strenger, wohlwollender Geist; weit entfernt, „mit dem Fluß über seine Quelle, mit dem Baum über seine Wurzel zu hadern", hatte cr vicr große Regierungen bei ihrem Auftreten mit Vertrauen begrüßt: die Revolution von 8l>, das Konsulat, die Restauration und die Negierung von ItM. Er nahm es mit dcn Programmen nicht streng, desto mehr mit dcr Ausführung derselben, und kann man leugnen, daß die Ausführung mehr als einmal seine gerechte Erwartung getäuscht hatte? Allerdings kann man ihm die Mängel vorwerfen, welche die Entfernung von den praktischen Geschäften nothwcndig mit sich bringt: Einseitigkeit dcr Theorie, unvollständige Kcnntniß der Thatsachen und ungerechte Urthcile aus Eifer für die Gerechtigkeit- Ader man lese nur seine zahlreichen Schriften; man wird darin immer dieselben Prinzipien wicderkchrcn sehen, denen er noch jung sein Leben geweiht, den Tadel dessen, was er einmal getadelt hatte. Er konnte an einem bestimmten Tage von unseren verschiedenen Regierungen glauben, daß sie für Frankreich nicht mehr paßten, aber nie wollte cr ihm das Kleid des vergangenen Jahres aufzwingen. Man hat ihn zuweilen seiner Zeit vorauscilen, nie hinter ihr Zurückbleiben sehen. Soll ich von Ihrem Urtheil über seine Arbeiten sprechen? Sie konnten Ihren ganzen Gedanken ausdrückcn, selbst ohne zn Vergleichun gen die Zuflucht zu nehmen, aus die er keinen Anspruch machte und die wir uns hüten, für ihn zu verlangen. Ihre konservativen Verwahrun gen im Interesse der Kunst haben uns nur in eincr Beziehung über rascht: wir fürchten, Sie strenger zu finden, als wir es sind. Warum es leugnen? Die letzten Produkte Lcmercier's tragen nicht immer daS Gepräge jener leichten^Grazie, die, wie die Maler sagen- seine erste Manier auszeichnete. Seine Diction scheint wcmger frei als in dcn Epochen, wo sein Gedanke cS nicht war. Sein Stpl läßt glauben, daß fein Geist wie sein Charakter in dcr Zeit dcS Sturms und der Gefahr sich freier fühlte. Es gicbt erhabene und starke Naturen, die ihre Unbefangenheit im Sturm finden. Aber davon abgesehen, wie treu finden wir ihn in sechzig Jahre langen Arbeiten den Interessen dcr Kunst, den Prinzipien des Geschmacks und feinen Gesetzen! Tadeln Sie seine geistreichen Komödien, Pinto oder Christoph Colomb, die dem Parterre der Zeit wegen der Ein heiten verdächtig waren? Er selbst hat in einer seiner sinnreichen Vor reden merken lassen, daß diese neue Gattung der historischen Komödie, die er einführcn wollte, auch sein literarisches Gewissen beunruhigte. Und zwar waren cs nicht seine eignen Kühnheiten, die ihm Skrupel erregten: er fürchtete, Andere zu noch größeren verleitet zu haben Beziehen sich vielleicht Ihre Verwahrungen auf seine Atlantiave, lenes sonderbare Epos, in der die Natur der Held ist und Vie Wis- . fenschaft den Stoff zum Wunder hergiebt, wo der Dichter Alles sich selbst geschaffen, die Handlung, den Schauplatz und die Götter? Diese außerordentliche Phantasie eines originellen tiefen Geistes bat eine ernste Seite, die es wohl verdient, unS länger zu beschäftigen. Lemercier sah mit dem religiösen Glauben auch alle epische Maschi nerie zerstört durch die Angriffe dcr Philosophie und ihres Hauptes, „des sektircrischcn, fanatischen Unglaubens." Nicht begreifend, als Kind des I8ten Jahrhunderts, daß man das unsrige zu dem Wunverstoff Dante's, Milton's, Tasso'S, CamcenS'