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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22^ Sgr. sj Wr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preukischen Monarchie. Magazin für die Man prinumerirt am dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der AUg. Pr. Staatö-Aeitung HZriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSIande bei den Wohllöbl. Post-Aemiern, Literatur des Auslandes. 83. Berlin, Freitag den 1k. Juli 1841. Dänemark. Dänisch-Deutsche Nordseebilder. Von Steen Steensen Blicher. °) I. Die Elbmündung und ihre Ufer. Man muß diesen Fluß bis zu seiner Mündung hinaus kurz nach einem anhaltenden Sturme befahren. Da ist es eine Lust, zu sehen, wie sie von dem wilden Kehraus draußen alle hercingeschlüpst kom men, die vielen beflügelten Tänzerinnen. Wie wenn Damen nach einer durchtanzten Nacht den Ballsaal verlassen; sie haben alle mehr oder weniger Havarie an der zierlichen Takelage gelitten: Eine hat ihre Handschuh verloren, eine Ändere eine Schleife, eine Dritte eine Haarblume — so sehen wir an diesen herumgetummelten Seejung frauen die Kennzeichen von ihrem Reigen mit Acolus und Neptunus. Wir sehen sogar Eine und die Andere so ermattet, daß sie sich von einem der Knappen Vulkan'S schleppen lassen muß — ich meine die Dampfschiffe, diese riesengroßen Seegeister, die dem Wind entgegen blasen; sie machen selbst Wind — glühendheißen Sirokko. — Es war auch ein Streich, den der lahme Schmied seinen obengenannten Oheimen spielte, als er so Seedienstc nahm. Doch steht der Wind aus einer der Seiten perpendikulär auf den Lauf des Flusses, dann ist es doppelt lebendig mit der Segel fahrt; die Ausgeruhten passiren bei den Heimkehrenden vorbei und lösen sie im Wellentanz ab, natürlich viel mehr im Staat, mit weißeren, helleren Segeln und mit zierlich geputztem Vorvertheil. „Es wird abgeklatscht", dachte ich, wie in jener altmodischen Eng lischen Menu^t, wo die eine Tänzerin mit der anderen wechselte, um den Do» Juan des Balles zu crmllveu. — Wie sorglos gleiten diese stolzen Schwäne in die wilde Umarmung des Oceans hinaus! Die und die soll vielleicht nie mehr einen rettenden Hafen erreichen, und doch brüsten sie sich so kühn, als wenn sie nimmermehr unter- gehen könnten — und recht so! Furcht vor möglichen Gefahren ist schlimmer, als wirkliche Noth. Wer den Tod fürchtet, ist bereits todt im Leben. Die Hannoversche Küste hat nichts besonders Anziehendes, ihr Anblick ist weder imposant »och einladend; die Erde ist grün, aber flach; ich liebe die Wellenform. Ich liebe die Hügel, diese unbe weglichen Landwellcn, mit Thälern dazwischen; sie sind Eroberungen auS den Naturkriegen. Die Marschfluren sind Gnadengeschenke des MeereS. Fett sind sie, aber ich weiß nicht, wie es zugedt, beim Anblick solcher Fluren denke ich unwillkürlich an fette Menschen, fette Schinken, Gänsefett und Fettgrievcn; und dabei denke ich denn weiter an Pflanzenleben und geistigen Schlummer, und bann wird mir übel zu Muth. Nein, da gefällt mir der Rahmen der Elbe gegen Norden; diese großen Beulen, diese tiefen Narben sind Zeugen von Arbeit und Kampf. Einer meiner Mitreisenden auf dem Hamburger Dampfschiff — er trug ein grünes Kleid — machte mir die Bemerkung, daß drüben aus der Hannoverseite gewiß gute Bcckasincn-Jagd sepn müsse. „Das glaube ich wohl", antwortete ich, „denn maii kann ja ihre Schnäbel sehen." — Er blickte mich mit einem Gesicht an, als wenn er sagen wollte: „Bist du verrückt? oder willst du die Leute zum Narren halten!" — Aber ich zeigte aus die Äirchthurmspitzcn, und nun räumte er lachend selbst die Richtigkeit des Gleichnisses ein. Blankenese! Hornbeck! Hurup! Aalbcck! Agger! ich liebe euch, ihr munteren Amphibien. Bald auf dem Lande und bald auf dem ') Blichcr hat nicht allem unter allen Dänischen Schriftstellern den meisten und zwar einen sehr krastia gelunden Humor, er hat auch dcinahe unter alle» die korrekteste und klar dclimunteNl Schreibart Das zeigt lich vor nehmlich in seinen Novellen. ar»k einer tedenslanglichen Neisesehnsucht, war es ihm nicht vergönnt, feine emlame Pfaxxqxgx,w im nördlichen Jütland zu verlasse»; erst jetzt, nahe seinem lechzigsten Jahre, gelangte er einmal dis Hamburg und dann »ach Stockholm. Darum haudcl» auch die hübschesten >e>ner Novellen in Jütlands Vorzeit und Gegenwart Viele davon Wielen 'Uten Gegenden der Erde, und merkwürdig ist eS, Mit welcher btoendiakeit er sich in die entserntesten nie gelehenen Volker und in die ver schiedensten Lebenskreise zu versetzen weiß. VN-Her ist übrigens auch einer »er vorzüglicheren l»rischen Dichter. Seine interessanteste Dichtung dürsten "d>e Zugvögel" sei,». Hier spricht er den Gesang der Vogel in Lieber» und mit Naturtonen aus, zu denen wohl nur ein mit seinem PeobachtungskrciS so aut die Natur angewiesener Mensch und nur eine Sprache fähig ist, die, trotz ihrer Verschmelzung aus zwei verwandten Mundarten, Ler Gothische» und Altnordischen, von den ursvrünglichen Volkslauten, welche ine Natur den Völkern gelehrt, noch so viel sich bewahrt hat. Wasser — Nasses und Trockenes — Kaltes und Warmes — das ist das rechte Leben. — Glück zu mit der Fischerei, ihr Fischottern! Euch müssen wir Landkradben für unsere leckersten Speisen danken. Wenn ich euch sehe, denke ich jedesmal an Dorsch und Austern — Austern! — ach! nun erst erinnere ich mich, daß das reiche Ham burg mir nicht eine einzige zu bieten hatte. Die Schalen lagen hausenwcis vor den Restaurationen, wie leere Teller, wie die Ein bände auseinandergegangencr Bücher! Hamburg! alles Andere hattest du; ich vermißte nichts in dir, als Austern und Bettler. Brunsbüttel, die Pforte zu der reichen Marsch! Die Marsch ist ja auch eine Festung, und dies in unaufhörlichem Belagerungs zustände. Ja! aber nicht gegen der Menschen Gewalt erhebt sie ihre mächtigen Wälle. Es ist die Erde, die sich gegen zwei andere Ele mente vertheidigt. Und wahrlich, wenn Luft und Wasser sich alliiren und gegen die Marsch Sturm lausen, dann wehe ihr, wenn eS ge lingt, eine Bresche zu machen. — Doch hier leb' wohl, Polpphem! vor deinem Element brauch' ich mich nicht länger zu fürchten. Frankreich. Lemercier's und Victor Hugo's Stellung zur Französischen Literatur. Aus Salvandp's ErwicderungSrede an Victor Hugo in der Französischen Akademie.") Sie hatten Recht, unsere Zeit und unser Vaterland zu preisen. Die Literatur kann nicht vergessen, daß Frankreich das einzige Land in der Welt ist, wo sie auf gleichem Fuß mit der Politik behandelt wird, wo sie ihre Versammlungen, ihre Wahlen, ihre Tribüne und ihre Gallatage hat. Wo finden Sie sonst diesen edlen Lohn Ihrer Arbeiten, eine feierliche Inauguration, mit diesem unermeßlichen Zu lauf, diesem glänzenden Publikum und dem Enthusiasmus, dem Ihre Worte eben so gefunden als hervorgerufen? Wir begreifen es, daß alle Gedanken des öffentlichen Lebens bei diesem Schauspiel sich Ihrer bemächtigten. Die literarischen Ideen traten hier zurück. Sie haben, indem Sie zum erstenmal Ihre Stimme vor Ihrem Lande hören ließen, sich gewissermaßen unter den Schutz der berühmtesten Namen, der ehrwürdigsten Prinzipien, mit einem Worte aller Gefühle und Erinnerungen, die den Fran zosen am theuersten sind, begeben wollen. An uns ist cs jetzt, Ihnen Ihr natürliches Gefolge wiederzugeben, Ihre wahren Patrone und Fürsprecher um Sie zu sammeln, nämlich „die Oden", „Notre- Dame de Paris", „die Strahlen und Schatten", so viele Werke, die Ihnen mehr als jedem Anderen in unserer jungen Lite ratur jene allgemeine Popularität der Französischen Schriftsteller er worben, von der Sie so eben sprachen. Wenn die Alten triumphir- ten, umgaben sie sich mit den Bildern ihrer Ahnen. Napoleon, Siopes, Malesherbcö sind nicht Ihre Ahnen. Sie haben andere nicht weniger berühmte: I. B. Rousseau, Clöment Marot, Pindar, den Psalmendichtcr. Hier, in diesem Umkreis, kennen wir keine schönere Genealogie. Denen unter uns, die, weil die unermeßlichen Reiche der Poesie ihnen verschlossen sind, sich in das beschränkte Feld des praktischen Handelns zurückgezogen, stellen Sie mit Recht als Muster jenen tugendhaften Minister, jenen Märtprer auf, dessen Namen so rein ist, baß in ihtn allein eine unwiderrufliche Verurtheiluug der Zeit und des Zustandes liegt, wo er unterlag. Aber sür Sie, den Dich ter, ist diese große Erinnerung an Malesherbes kein leitender Stern. Unter seiner Führung sind Sie nicht ins Leben getreten, seine In spiration ist cs nicht, die in Ihren Schriften widerstrahlt. Die Muster, welche die Literatur Ihnen vorhält an diesem feierlichen Tage, wo Sie von ihr gekrönt werden, sind Shakespeare, Corneille, Dante, alle Meister der Kunst, unter welchem Himmel und unter welchem Gesetz sie auch gelebt haben mögen. Als Napoleon im Üebcrmutb seiner Macht und seines Genies sagtc, er würde Corneille zum Minister gemacht haben, so machte ') Dtefe ErwiedcrungSrede des Kanzlers der Akademie, welche eineStheilS eine Widerlegung der von Victor Lugo ausgesprochene» Ansichten, anderen theils eine kurze Kritik feiner Werke enthalt, verdient um w eher, hier mit- qetheilt zu werden, alS sie in Form und Gehalt wohl geeignet ist, mit teuer durch Hugo S Tiraden unS so verleideten Sitzung der Akademie wieder au<- zufohnen.