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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»' Drei« 22i Sgr. (j Thlr.) oieireliädrlich, 3 Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Er- Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man rränumerirt auf dieses Literatur-Blatt in Perlin in der Eroedition der Allg. Pr. L raat»,Heilung (Friedrichßstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auölande bei drn Wodllöbl. Posl-Aemiern. Literatur des Auslandes. 83. Berlin, Montag den 12. Juli 1841. England. Englisches Unheil über Deutsche Musik- und Gesellschasts- Zustände. Von Henry Chorley.") Die Vorliebe für Musik und Schauspiel begegnet uns in Deutsch land in allen möglichen Gestalten. So werde ich bei der Erinnerung an den reizenden Weg von Aachen nach Köln, wo sich am Horizont wie ein Gewölk das blaue Siebengebirge erhebt, um dein Wanderer die Nähe des Vater Rhein zu verkünden, stets auch an den ehrlichen, launigen Burschen denken, der mich im vorigen Oktober aus jener Straße als Postillon fuhr. Wir freuten uns um so mehr aus den munteren, höflichen und gewitzten Menschen, da wir den Tag zuvor uns über Belgische Rvhbeit und Verstocktheit hatten ärgern muffen. Aus ganz anderem Stoff war unser Deutscher; gutmüthig, offen und verständig, machte er uns untcrweges auf alles Interessante aufmerk sam, unter Anderem auch auf einen Wogen, dem wir begegneten, kurz vorher, ehe uns die Byzantinischen Thürme der St. UÄeryons- und der Apostel-Kirche zu Gesicht kamen. „Hierin", sagte er, „war die Theater-Gesellschaft; die hat für mich", setzte er hinzu, „großes Interesse." — „Ei, warum denn?" war die natürliche Frage. — „Ja, ich spiele selbst, und gar nicht übel." — „Und was für Nollen?" — „Gewöhnlich nehmen sie nnch zum Herold, weil ich bas Horn blasen kann." An demselben Abend, als wir den Rhein hinausfuhren, trafen wir in einem Individuum von noch strengerem Beruf auf einen Kunstliebhaber. Es war ein Preußischer Feldwebel, eine prächtige Figur, sechs Fuß hoch und von stämmigem Wuchs, das Antlitz aus gepicht gegen Wind und Wetter und mit dunklem Karmoisin über zogen, was gegen die Weiße des Haares uns des starken Schnurr barts grell adstach. Der Mann war ein echter Militair, gerade und reich an Sentenzen, wie Einer, der die Welt kennen gelernt. Er wollte von Köln zur Kirmeß nach Bonn, wo er in Quartier stand, und war mit aller Zärtlichkeit eines alten Kriegers, — denn die Soldaten sind immer große Kinderfreunde, — für ein kleines Mäd chen besorgt, ein so niedliches Wesen, als ich jemals eines gesehen, die sich durch einen Platz in M—'S Bruschke und durch ein paar gebackene Pflaumen zu einer Königin erhoben fühlte. Vor zwanzig Jahren hatte dieser brave Mann Einem von unserer Gesellschaft Schwimmunterricht gegeben; das war nun eine große Freude, als Lehrer und Zögling sich wiedererkannten, die sich bis dahin nicht mehr gesehen halten, und der Feldwebel begann seine ganzen Erleb nisse aus dieser Zwischenzeit zu erzählen. Es war keine gewöhnliche Solvatengcschichtc; denn der Mann hatte allerlei Functionen zu ver sehen und war zu manchem Dienst gebraucht worden; unter Anderem gehörte er zu denen, die den peinlichen Auftrag hatten, den Erzbischof von Köln zu verhaften. Als der Prälat, so erzählte er, ihn eintreten sah, fragte er ihn bloß, ob er rauche, da er von seiner Kommission schon unterrichtet war. Aus die Bejahung dieser Frage antwortete der Erzbischof: „Nun, ich rauche auch; da werden wir uns also auf der Reise wohl vertragen." Wie der Alte einen von unserer Gesellschaft bei seinem Namen nennen hörte, rief er aus: „Ei, der große Pianist! Das freut mich unendlich, den zu sehen." Und nun zeigte cs sich, daß der Feldwebel in der Musik seinen eigenen Geschmack hatte; er gab uns sein Urtheil über Rossini's limbtt-eo zum Besten, den er am Abend vorher in Köln gehört hatte, und der ihm nicht sehr gefiel. „Ich habe die Zeitungen immer fleißig gelesen", sagte er, „um daS Gute kennen zu lernen, und so glaube ich denn, mich jetzt ein wenig daraus zu verstehen." Die Kennerschaft des Feldwebels, wie daS dramatische Talent und daS Hornblasen des Postillons, mögen immerhin vön sehr geringer artistischer Bedeulung seyn, aber der Kunstsinn einer Nation rst ei» Aggregat von solchen Erscheinungen. .... Berlin ist bekanntlich die Stadt der Kritik, man darf flicht sagen der Anmaßung, denn ein Zeller führte hier daS Scepter im Reiche der Musik, eine Rahel war die Zierde der gesellschaft lichen Kreise, und Professoren wie Waagen sind mit der Obhut und Klassifizirung der Kunstwerke beauftragt. Wenn aber ein kritischer Geist von der Sichtung der Thatsachcn und Grundsätze sich zur z? f NuS dessen, in Nr- 8l de» Magazins erwähnten »u»,« »n<l mauaer, >u Beurtheilung der Personen und Vorfälle herabversteigt, so pflegen Temperament und Witz dabei eben so sehr ins Spiel zu kommen, wie die Urthcilskraft. Die Einwohner sind so freundlich und zuvor kommend gegen Fremde, der Ton ihrer Gesellschaften ist, obgleich er etwas ans Präzise streift, doch so erquicklich, so geistvoll ohne Prunk, daß ich nur wünschen kann, sie möchten liebreicher gegen einander selbst seyn. Bei einer Runde von Besuchen in Berlin ist es Einem, als tanzte man den Eiertanz, wo man bei jedem Schritte fürchten muß, eine Schale zu zerbrechen und einen Flecken zurückzulaffen. Fragte ich mit natürlicher Theilnahme nach Frau von Arnim, die durch die Herausgabe ihrer Korrespondenz mit Goethe sich den An spruch erworben hat, zu den ausgezeichneten Frauen ihres Vater landes gezählt zu werden, so beeilten sich ein Dutzend Stimmen, mir zu versichern, ihre Briefe seyen nicht „Briese eines KinbeS", und man griff sic mit Waffen an, die für Frauen die gehässigsten sind, — mit dem Kalender in der Hand und mit Wtadtgeschichtchen! Rühmte ich die gastfreundliche Aufmerksamkeit N. N.'S, so erhielt ich die ab- kühlenbe Antwort: „Da gehen Sie hink Ach, das ist ein hohler Zirkel." Erkundigte ich mich an einem Orte nach Mendelssohn's Musik, so schreckte mich ein trockenes: „Ja, er hatte als Knabe wohl Talent", von einer zweiten Frage ab. Wünschte ich an einem an deren zu wissen, welches von Marschncr'S Werken am beliebtesten sey, so war die sichere Antwort: „Es wird hier gar keines aufge- führt", und ebcn so sicher folgte daraus eine Geschichte von Kabalen und Zänkereien, die den Hörer nur ermüden konnte. Wollte ich an einem dritten Ort hören, was der Violinist Herr Leon de St. Lubin, der in Berlin ansässig ist oder war, außer einem Klavier-Trio in O-moll und einem Quintett für Streich-Instrumente, die mich nach seinen übrigen Compositioncn begierig machten, sonst noch geschrieben habe, so erhielt ich zur Antwort, er habe, als er sich in Leipzig um die jetzt von meinem Freund David eingenommene und trefflich auS- gefüllte Konzertmeister-Stelle beworben, aufs fürchterlichste fehlge- griffcn, und weiter nichts. Und wenn ich an einem vierten und letzten Ort eine natürliche Wißbegier in Betreff der späteren Opern Spontini'S zeigte, die niemals über das Brandenburger Thor hin- auSgcdrungen, wie z. B- „Nurmadal" und „Agnes von Hohen staufen", so war eS, als zöge ich an der Schnur eines mit Bitter wasser gefüllten Gießbades, cin solcher Schauer von Ammenmährchcn regnete auf mich herab, denen kein großer Tondichter hat entgehen können. Man erfreute mich mit dem Namen des eigentlichen Kom ponisten der „Vestalin" und erzählte mir, wie dessen Autorschaft unterdrückt worden. In jedem Theater war ein .eifriger Parteigänger für Dlle. Löwe oder für Fräulein v. Faßmann. Hiervon halte ich eines Abends einen merkwürdigen Beweis, als eine Deutsche Bearbeitung von Herold's l>c« :>ux 6l«rc8 (der Zweikampf) gegeben wurde, worin die beiden rivalisircnben Gcsangököniginncn auftraten. Die Partitur — wie konnte freilich auch der Komponist so rücksichtslos seyn? — läßt sie ohne Pause dicht nach einander erscheinen. Zuerst kam die Faß mann, — ich bitte um Verzeihung, daß ich sic ohne Ceremonien nenne, — als Königin von Frankreich, in cin glänzendes Jagd- Kostüm von grünem Sammet gekleidet. Sie sang mit großer An strengung, und es war unverkennbar, daß die Französische Musik nicht im Bereich ihrer Fähigkeiten lag. Kaum hatte sie geendet und von der klassischen Partei ihre Beifalls-Salve empfangen, was nach dem so entschiedenen Unwerth ihrer Leistung fast verletzend war, so segelte die Löwe heran, in aller Pracht ihrer schönen Gestalt, ihrer schelmischen, funkelnden, schwarzen Augen und ihres bezaubernden Lächelns, dazu auss herrlichste kostümirt. Ehe sie den Mund öffnen konnte, welches, beiläufig gesagt, zuerst fast nie ohne einiges Deto- niren geschieht, bewillkominte sic schon cin Beifalls-Sturm von Seiten der Französischen oder fashionablen Partei, und noch feuriger strahlten ihre Blicke, zu noch stolzerer Höhe erhob sich ihre Gestalt. Die Faßmann preßte ihre Hand ans Herz, suchte nach Luft, ward über und über roth, noch durch die Schminke, und wäre fast in Thräneu auSgebrochen. Das Schluchzen, welches im Anlauf war, drängte sie zwar zurück, doch für den übrigen Abend war ihr Ge sang kaum hörbar. „Hat man je solche Wuth gesehen?" rief einer von den Anbetern der Löwe, dessen Sperrsitz neben dem meinigen war; „es ist köstlich!" , . Diese Theaterfehdc war nicht die elnzige öffentliche Scene der Art, die ich während meines kurzen Aufenthalts in Berlin erlebte; genug, es schien aus Allem hervorzugehen, daß die dortige artistische und gesellschaftliche Welt mit einem Netz von Cotcrie-Einflüssen,