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322 misten jetzt so populaire System, welches auf zwei Prinzipien beruht: erstens, die Legitimisten sollen bei jeder Wahl — sey sie nun parla mentarisch oder munizipalisch — ihr Votum abgeben, und zwar alle mal für die Feinde der jetzigen Regierung; zweitens, es soll eine General-Versammlung der Stände zusammenlreten und eventuell darüber entscheiden, wer König werden solle, und welche Constitution und Institutionen in Frankreich gelten sollen. lSchluß folgt.) Die Freischütz-Sage in Frankreich. (Schluß.) Diese Verschwiegenheit hatte er uns so oft anempfohlen, daß wir sie gern beobachteten. Er verbarg seiner Frau das erlegte Wild nicht; aber auf welche Weise er cs getövtet hatte, mit welcher Kugel, zu welcher Stunde, an welchem Platze, nach welchen Worten, das waren die Geheimnisse, die wir zu bewahren jeden Tag aufs neue schwören mußten. Er jagte fast nur mit uns, und dies war ein Zeichen von großem Zutrauen. Dn gestehst demnach, daß du ein Zauberer bist, da du deine Kunst so geheim hältst. Nein, antwor tete er; aber meine Frau darf nichts von Sachen der Jagd wissen; das bringt Unheil. Dieser Mensch zeigte auf den ersten Anblick in seinen Ideen eine wunderbare Mischung von Leichtgläubigkeit und Zwcifclsinn. Er glaubte in Wahrheit weder an den Teufel, noch an böse Geister, doch an eine VorauSbcstimmung, ober vielmehr an verderbliche und segensvolle Einflüsse, die, so viel ich weiß, keine Wissenschaft anerkannt hat. Wenn man ihn schärfer durchschaute, so fand man, daß er durchaus nicht abergläubisch war, sondern er baute aus gewisse Ge setze, die er sich durch Beobachtung der Natur gebildet hatte, sie mochten nun wahr oder falsch seyn. Die Ergebnisse waren meist so ungewöhnlich, daß er sich, allem Anschein nach, in der Anwendung versehen selten täuschte. So oft wir mit Fragen in ihn drangen, wich er aus, und da er schlauer war, als wir, wußten wir ihm nichts zu entlocken. So oft sich die Jagd schlecht anließ, zog er sich zurück, d. h. er verbarg sich vor uns, es mochte in einem Gebüsch, einem Graben oder hinter einem alten Gemäuer sepn, und nach einiger Zeit kehrte er zurück, bleich, erschöpft, znsammcnschanernd, schwerathmend und nur mit Mühe sich fortschleppend, doch herrliche Begegnungen und Siege verkündigend, die sich stets verwirklichten, und bisweilen mit einer Genauigkeit der Einzelangaben, die an das Wunderbare gränzte. Eines Tages beschlossen wir, ihn zu beobachten. Wir entfernten uns scheinbar und eilten aus einem Umwege wieder in seine Nähe. Hier sahen wir, daß unsere Vorsichtsmaßregel un- nöthig gewesen war, denn der Zustand, in dem wir ihn fanden, gestattete ihm weder, uns zu sehen, noch zu hören. Er lag aus der Erde lang ausgestreckt und schien von einer unerklärlichen Angst gefoltert zu sepn. Er rang die Arme, seine Gelenke knirschten, er warf sich aus dem Rücken umher wie ein Karpfen, athmete tief und mit großer Anstrengung, sein Mund war geöffnet, seine Augen ge schlossen. Wir glaubten, er sep epileptisch; doch es trat ibm kein Schaum vor den Mund, er stieß kein Geschrei aus, »erste! in keine Abspannung. ES war,dies ein einfacher Neroenanfall, eine konvul sivische Aufregung, der'er sich in weniger als fünf Minuten entwand. Hierauf sahen wir, wie er langsam aüfstanv, sich dehnte, zur Ruhe kam und einige Minuten stillstand, wie getheilt zwischen einer großen Ermüdung und einer Art von Wohlbehagen. Als er von dem Platze tzing, uns aufzusuchen, stießen wir auf einem großen Umwege zu ihm, um ihn nicht zu beunruhigen. Als er zu uns trat, redete er meinen Bruder an: Heute treffen Sic Nichts, wcnn ich mich nicht ins Spiel mische. In der That, mein Bruder schoß mehr als zwölf Mal und fehlte stets. Bin ich denn der Ungeschickteste der Ungeschickten k rief er aus, indem er mit dem Kolben aut die Erde stieß. Frisch, Meister Mouny, nehmt den Zauber von mir. Das ist leicht geschehen, Freund, antwortete Mounp mit seiner milden, lieblichen Stimme. Geben Sie her. Welchen Lauf wünschen Sie, daß ich lade? Er lud den linken, den man ihm angab, mein Bruder den rechten. Mit diesem, sprach Mounp, indem er auf den Lauf wies, den er eben geladen hatte, werden Sie nicht fehlen. Und mit dem anderen? fragte mein Bruder. Mit dem anderen treffen Sie nicht, antwortete er. Ein Kibitz kam vorüber, mein Bruder schoß ihn herab; eine Drossel folgte, er fehlte sic. Mouny's Ladung hatte getroffen, die meines Bruders zehn Fuß zu hoch einen Ast geknickt. Jetzt lade du den rechten Lauf, sagte mein Bruder; vielleicht wird mein Gewehr auf diese Weise besser. Wie ihr wünscht, sprach Mounp Robin. Er lud den rechten, mein Bruder den linken Laus. Mit dem linken traf er stets, mit dem rechten nie. Der Versuch wurde, stets umgekehrt, fünf bis sechs Mal wiederholt; das Ergebniß blieb dasselbe, welches Mouny zuerst vorhergesagt hatte. Beim sie benten Male sprach er: Diesmal trifft Ihre Ladung, und die meine fehlt. Ich bin ermüdet. Der Erfolg bestätigte seine Verkündigung. Bisweilen war Mounp selbst unglaublich ungeschickt, und er schien darüber weder überrascht, noch verdrießlich. „Ich hab' es ge wußt", damit befriedigte er seine Selbstliebe. Er war ein guter Schütze, wie man ein guter Spieler ist. Wir schrieben ihm mehr Hebung und Geschicklichkeit zu, als wir besaßen; doch diese genügte nicht, um all' die wunderbaren Beweise eines wahrhaften Ahnungs vermögens zu erklären. Die fortgesetzten und gewissenhaften Nach, sorschungen gewisser Verthcidiger des Magnetismus, Vie weder Tho ren, noch Betrüger sind, haben hinreichend dargethan, daß die einfache Ergründung einer offenkundigen und unbestreitbaren Thatsache der Gegenstand lebenslanger Forschungen sepn kann. Der Stolz der Weisen sträubt sich, dergleichen Entdeckungen, die ihre Theorlcen Um stürzen, anzuerkcnncn. Ich hatte keine Theorie zu verlieren und kein Lehrprinzip zu bekämpfen, und ich bin Zeuge von Thaten gewe sen, die zu bezweifeln unmöglich ist. Ich habe an Mounp Robin das zweite Gesicht kennen gelernt; ich habe den Geruchssinn bei ihm bis zu einem Grade ausgebildet gefunden, der an die Witterung der Hunde gränzt, und ich hatte zuvor nicht geahnt, daß es bei den Menschen dergleichen Instinkte gebe, welche die Eränzen unserer be kannten Fähigkeiten so sehr überschreiten. Zehn Jahre darauf spielte ich Karten mit einer Somnambülen, deren Gesicht völlig verbunden schien, und dennoch machte ich mir, obgleich sie Stauncnswerthes leistete, beim Fortgehen Vorwürfc, daß ich da« Protokoll unterzeich net hatte. Es stiegen nachträgliche Besorgnisse in mir auf; ich arg wöhnte, ihre Muller könne mit ihr einverstanden gewesen sepn, um das Publikum zu täuschen; und die Binde, welche für das Auge allerdings undurchdringlich war, habe durch'die krampfhaften Bewe gungen, die sic gcmachr hatte, sich nach unten vielleicht etwas ver schoben odcr gelüftet. Doch vor zwei Monaten habe ich bei einem Arzte, den ich als einen edlen gewissenhaften Mann kenne, und den zahlreiche Betrüge reien vorsichtiger gemacht haben, als wir Llllc sind, eine andere Som- nambüle gesehen, die durch mehrere-festanschlicßcndc Bindcn, und jedes fremden Beistandes beraubt, sich der Sehkraft mit sochcr Ge nauigkeit bediente, wie es mir bei vortrefflichen Augen und bei voll- kommcner Helle nicht möglich war. Die schärfste Untersuchung ließ keinen Verdacht des Betruges aufkommcn. Somit bin ich jetzt über zeugt, daß in der Menschheit gewisse Individuen sehen können (und weshalb »ichl hören? weshalb nicht riechen?) unter Bedingungen, unter welche« der Gesammthcit dieser Individuen der Gebrauch der Sinne versagt ist. Seit dieser Zeit bewundere ich meine Ruhe. Ich hatte geglaubt, ein Ercigniß der Art würde mir übernatürlich schei nen, cs würde meine Vernunft untergraben, mich allen Thorheitcn der Welt zugänglich machen, und nur mit Furcht dachte ich die Möglichkeil, dic Wahrheit, die ich suchte, zu finden. Nichts hiervon ist geschehen. Ich glaube an keine übernaiürliche Gewalt, und ich sage mir mit allen denen, die dasselbe gesehen haben, daß es ohne Zweifel in der Natur der Kräfte noch viele gicdt, die noch nicht auf- gedeckt sind und noch lange Zeit werden verborgen bleiben. Und wer bürgt uns dafür, daß sie je erklärt werden? Wer sagt uns, wie das Getraive wächst, wie der Mensch empfangen wird? Wir sehen es keimen und einen Halm auS dem Innern des Saamenkorns hervor- treibcn, wir sehen bas Kind aus dem Mutterschoße sich loßringen; doch die Lebenskraft, bas Fortbestehen und dic cwige Erneuung dcF Alls, die unvergänglichen Eigenschaften des Geistes und der Materie, wo her kommen sic? Und wcnn man das Luge dcS Verzückten untersuchte, und wcnn man in seinen Nerven, in feiner Netzhaut, in seinem Gehirn eine desonbere Fähigkeit fände, vermöge deren er durch Hindernisse und in jede beliebige Entfernung sähe, was würde man wissen? Was man schon vor dreitausend Jahren wußte: daß es Ppthien, Auguren, Wahrsager, Geisterseher und Propheten gicbl, bic nicht bloß die Leichtgläubigkeit der Menge selbstsüchtig auSbcuten, sondern wahrhaft und unwiderleglich von einer inneren Macht ergriffen sind. Man wird nicht mehr sagen: Apollo, Isis, Jehovah, Magog sprechen hier: sondern dic Welsen werden sprechen: Hier geschieht etwas ganz Naturgemäßes. Doch wohin leitet diese Naturkraft, woher ent springt sie? Ist nicht Gott, wie bei jeder Lebensregung im All, auch hier bic Quelle? Alle Forschung wird eine siegreiche und stets allgc- mcmcre Bestätigung der Kraft und Erhabenheit Gottes, und die Wissenschaft hat nur dic Aufgabe, das innere Getriebe der Natur kräfte und das Wesen der aus demselben hcrvorgchendcn, sich gegen seitig bedingenden Bewegungen und Erzeugnisse möglichst zu erforschen. So weit war ich mit meiner Auseinandersetzung gekommen, als ich sah, daß mein kosmopolitischer Zuhörer fest cingeschlascn war. Mit großer Mühe rüttelte ich ihn ans den süßen Träumen, in die ibn meine tiefsinnigen Betrachtungen versenkt hakten, damit er baS prachtvolle Finale des Freischütz Horen möge. Als der Vorhang ge fallen war, bob cr an: Sie sind mir noch den Schluß der Geschichte von Robin.Kaspar uns Georgeon-Samicl schuldig; wir gehen zu Tortoni, dort hör' ich Sie zu Ende, kommen Sie. Und dabei schob er seinen Arm unter den meinen. Ich vermöchte sie dort nicht zu erzählen, sagte ich, an einem Ort, dessen Eindrücke dem Effekt, den ich durch meine Erzählung be absichtige, so vollkommen zuwider sind. Ich glaube, unter all' den zarten Pariserinnen würde ich die Erinnerung an die ländlichen Freu den meiner Jugend verlieren- Doch komme» Sic; dcr Mond scheint hell, vielleicht komm' ich mit meiner Erläuterung glücklich zu Ende.... Die erlasse ich Ihnen, sagte der Kosmopolit, ich bin von ihr schon völlig zufrieden gestellt. Ich glaube, im besten Schlaf hab' ich sie vollkommen begriffen. Sie wollen Ihrem Helden eine Art von zweitem Gesicht zuschreiben, dessen cr sich beim Jagen bedirnte, und das sich vermittelst gewisser nervöser Erschütterungen bet ihm ent- wickelte. Sie könnten dies mit zwei Worten sagen; und ich bin kem solcher Skeptiker, daß ich diese VorauSictzung nicht lieber als manche andere annähmc. Gut denn, antwortete ich, da mein Werk von dieser Seite voll endet ist, so soll der Schluß meiner Erzählung nicht lange ausbleiben Der Feldwächtcr und alle Weisen des DorfcS halten cS uns wohl vorausgesagt, daß dies nicht gut enden und daß Georgeon seinem Gesellen Mouny einst arg mitspiclen wervc. An einem schonen mond hellen Abend ging Mouny, wie gewöhnlich, die Schaufel seiner Mühle zu heben; doch in dem Augenblicke, da das Wasser her anstürzte und das Rad in Bewegung setzte, stürzte Georgeon, der mit ihm unzufrieden war (ohne Zweifel, wril er Mouny für