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Wöckmtlick - erscheinen drei Nummern. Pränumerations- VreiS 22j Sgr. (j THU.) »ierttljährllch, Z Thlr. sür da« ganze Jahr, ohne Er- hihung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. für die Man prZnumerirt ans diese« Msratur-BIatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Fricdrichhstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den WohllSbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 78. Berlin, Mittwoch den 3V. Juni 1841. Frankreich. Vorbemerkungen zur Geschichte der Moral-Philosophie. Von Victor Cousin.") Die Philosophie in ihrem höchsten Sinne ist nichts Anderes als die Methode. Ein System ist weniger nach diesem oder jenem Prinzipe, nach diesem oder jenem Resultate zu beurtheilen, als nach dem allgemeinen Geiste, der cS charaktcrisirt, und der allgemeine Geist eines Systems liegt in seiner Methode. Es giebt keine Wissenschaft des Veränderlichen, denn eine solche Wissenschaft würde nie zu Ende kommen. Die Wissenschaft sucht das Unveränderliche: ihr erstes Gesetz ist also, keine Willkür in ihrer Entwickelung zu gestatten. Um aber nicht willkürlich zu sepn, darf sie nicht unvollständig seyn, und um nicht unvollständig zu seyn, muß sie ihren Gegenstand erschöpfen oder zu erschöpfen suchen, d. h. sie muß alle Aufgaben, die ihr vorliegcn, lösen. Wir haben also zuerst eine bestimmte Erklärung der Aufgaben zu geben, mit denen der menschliche Geist sich zu beschäftigen hat und deren Vereinigung die Philosophie bilvet. Diese Aufgaben können auf drei oder, wie wir noch sehen werben, auf zwei zurückgeführt werden. Der Mensch will wissen; dies ist das erste Bedürfniß seiner Natur. Er will wissen, was die Welt ist, in welche er hincingesetzt ist, und welches sein Verbältniß zu dieser Welt ist. Der Mensch will das ganze Weltall erkennen, und diese unermeßliche Frage ge nügt noch nicht einmal der rastlosen Thätigkcit seines Geistes; denn er will auch wissen, woher diese Welt kömmt und welches ihr Endzweck ist. Hier allein findet oer Gedanke des Menschen einen Zielpunkt. Wenn man weiß, was die Welt ist, was ihr Ursprung und ihr Endzweck ist, so weiß man Alles, was der Mensch wissen und er forschen kann. Eine Philosophie, welche sich nicht so weit erstreckt, ist unvollständig. Wenn sie eS bleibt, ohne zu wissen, weshalb, und ohne zu behaupten, daß sie cs seyn müsse, so ist sie keine Philosophie; wenn sie eS aus System ist, so muß sie ihrem Systeme die höchsten Anforderungen des Geistes opfern. Wollte sie einwcnven, daß die Aufgabe, welche ihr auferlcgt wird, zu hoch liege, so ist ^u er- wiedern, daß sie nicht höher liegt, als der Gedanke des Menschen, dessen Wesen einmal so ist. Man halte sich also an den Gedanken und seinen Urheber, welcher wollte, daß der Gedanke unendlich wie er sey und alle Dinge umfasse. Es müssen nun diese drei Fragen geordnet werden. Mit welcher sollen wir beginnens Etwa mit dem Ursprünge der Dinge, den wir noch nicht kennen? Das wäre eine Hypothese. Oder mit dem End zweck der Dinge? Das wäre abermals eine Hypothese. Wir dürfen also weder mit dem Ursprünge noch mit dem Endzweck der Dinge beginnen; wir müssen uns an ras Gegenwärtige, nicht an das Ver gangene oder Zukünftige halten. Mit dem Studium des Universums, in dem wir leben, des Universums in seiner jetzigen Gestalt, beginnt die Philosophie ihre Forschungen; sic beseitigt die beiden anderen Fragen nicht, aber sie vertagt sie. Wenn man genau Hinsicht, so stellen sich diese beiden Fragen unter einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte dar; sie stehen über dem Universum. Jede Philosophie, die über die Gränzen des Weltalls hinausgcht, nenne ich transccndcnt, ohne vor dem Ausdrucke zurück- zuschreckcn. Was aber über die Welt hinausgeht, kann nicht den Ausgangspunkt für einen in diese Welt gestellten Geist bilden; dieser muß von dem Punkte auSgehen, wo er ist. Nachdem wir das Studium des Universums als das nächste Studium für die Philosophie hingcstellt haben, entsteht die Frage nach der Methode dieses Studiums. Wie werden wir das Uni versum studiren? Durch die Beobachtung. Diese beseitigt jede Hypothese. Die Beobachtung ist die einzige Methode der Präliminar- Philosophie. Aber dieses Universum besteht aus einer großen Mannigfaltigkeit von Dingen. Womit wird die Philosophie beginnen? Mit dem Menschen oder mit der Natur? Denn der Mensch und die Natur sind das ganze Universum. ES fragt sich, wer will studiren? Nicht die Natur, sondern der Mensch. Wie aber muß er sie studiren? Durch sich selbst, mit den ihm eigenen Fähigkeiten. Die Kenntnisse, '» Aus dessen vor medreccn Zadrea gebotenen und iem von Dawerst berauSgegebenen Vorlesungen. welche der Mensch erlangt, verdankt er virtnuliter den Fähigkeiten, mit denen er sie erlangt. Wenn er diese Fähigkeiten nicht kennt, so weiß er auch nicht, wie weit sie reichen, so weiß er auch nicht, welchen Gebrauch er davon machen kann. Um ein Instrument gut anzuwenden, muß man es kennen. Da wir aber unser einziges Instrument sind, so müssen wir mit uns selbst beginnen, mit dem Studium unserer Fähigkeiten oder des Instrumentes jeder möglichen Erkcnntniß. Mit dem Menschen muß also der Mensch beginnen. Aber die menschliche Natur ist eine Welt im Kleinen. Mit welchem Theile der menschlichen Natur wird die Philosophie be ginnen? Etwa mit der Empfindung? Nein, denn die Geistesthätig- keit, welche die Empfindung untersuchen würde, wäre nicht die Empfin dung selbst. Wenn wir uns zuerst mit der Empfindung beschäftigen wollten, so könnte die Geistesthätigkcit, die sich mit ihr beschäftigen würde, sich verirren, ihr eigenes Wesen in den Gegenstand ihres Studiums hineinlegen. Wenn das Instrument der Gesuhlserkenntniß nicht vorher untersucht worven wäre, so könnte seine Anwendung eine falsche seyn. ES muß also mit der Untersuchung der Geistes thätigkcit, die in uns untersucht, begonnen werden, d. h. mit dem Denkvermögen. Hier sind das Objekt und das Subjekt nicht mehr von einander unterschieden. Ueber dieses können wir nicht hinaus. So wäre also der erste Gegenstand der Philosophie bestimmt; die Vernunft ist der Ausgangspunkt der Wissenschaft. So kommen wir zur Moral-Philosophie.' Wenn der Mensch in sich selbst einkehrt, wenn er sich von der äußeren Welt abscheidet, so findet er in sich selbst eine autonome und freie Kraft, die mit sich selbst identisch ist, während ihr Gegen stand beständig wechselt. Wir haben das Ich, welches sich als frei anerkennt, im Gegensätze zum Nicht-Jch, welches den Gesetzen der Nothwenbigkcit unterliegt. Hier kömmt uns schon der Gedanke der Ueberlcgcnheit, der Würde, der moralischen Größe und Heiligkeit entgegen. Der Mensch ist ein heiliges Wesen gegenüber den Dingen, von vencn er sich unterscheidet. Zm Bcrhältniß zu ihm erscheinen ihm die Dinge als untergeordnet; er erkennt sich als ihren Herrn und Meister; er kann nach Belieben ihre Form und ihre physische Beschaffenheit ändern. Der Mensch erhebt sich in seinen Augen zum Gebieter der ihn umgebenden Natur; das erste moralische Grund gesetz ist also gefunden: es ist die Heiligkeit des Menschen gegenüber den Dingen. Das Gesetz jedes Wesens ist und kann nur die Erhaltung seines Wesens seyn. Das Wesen des Menschen ist die Willenskraft, ver möge welcher cr sich von Allem abscheidet, was nicht er selbst ist. Das Gesetz des Menschen ist und kann also nur die Erhaltung seiner Freiheit seyn. Wenn der Mensch die Freiheit, welche sein Wesen bildet, aufgiebt, so steigt cr vom Range eines Menschen zum Range eines bloßen Dinges hernieder; er giebt die Einheit auf, um der Verschiedenheit und dem Wechsel zu verfallen. Nachdem wir den Menschen in seiner Beziehung zu den Dingen, von denen er sich unterscheidet, betrachtet haben, wollen wir ihn jetzt in den Beziehungen zu sich selbst betrachten. Den Dingen gegenüber kühlt sich der Mensch heilig und unver letzlich; und wenn cr sich selbst prüft, findet er sich auch in seinen Augen unverletzlich; er weiß, daß, wenn cr das Recht hat, die Dinge nach Belieben zu gestalten, cr doch nicht das Recht hat, das Gesetz seines eigenen Daseyns zu stören. Dieses Gesetz legt die Vernunft der Freiheit auf. Also Laune, Eitelkeit, Stolz, alle Leidenschaften, welche die Würde und den Frieden der menschlichen Natur beein trächtigen, werden der Freiheit durch die Vernunft verboten. Wir wenden uns zu den Beziehungen, welche den Menschen mit dem Menschen verbinden. Die freie Willenskraft ist den Dingen überlegen und sich selbst zur Achtung verpflichtet. Wenn die Menschen sich aber betrachten, so finden sie, daß sie sich als freie'Willens kräfte entgegenstehen. Sobald also diese Beziehung hcrvortritt, entwickelt sich die Idee der gegenseitigen Gleichheit aus der Idee der gegenseitigen Freiheit, und aus jener die gegenseitige Pflicht, diese Frei heit und Gleichheit zu achten, wenn die Menschen als Personen und nicht als Dinge gelten sollen. Jede Person ist mir heilig, wie auch ich wieder jeder Person heilig seyn muß, weil ich ebenfalls eine Person bin. Dies ist die Beziehung zwischen den Rechten und Pflichten. Ich habe keine direkte und unmittelbare Pflichten, ich habe nur Pflichten gegen die Personen; da aber auch sie Pflichten gegen mich zu erfüllen haben, so übertragen sic mir dadurch Rechte. Aus der Freiheit und Gleichheit sind alle Pflichten und Rechte abzuleiten. Die Person ist frei, heilig, unverletzlich; Alles, was zu