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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«' Drei« 22j Sgr. sj Nir.) rücnehährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prönumeritt ans dieses ?itcratur-Dlatt in Berlin in der Erpedition der Allg. Dr. StaatS-^eitung ^FriedrichSstr. Nr. 72)-, in der Pronin, so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Aemtcrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 2. Juli 1841. Frankreich. Die Freischütz-Sage in Frankreich. Von George Sand. Jüngst saß ich in der Oper zwischen einem Bürger von Paris und einem Deutschen. Man gab den „Freischütz", und der Pariser rief bei dem zweiten Akt mit gewichtigem Ernst auS: Welche Narren sind die Deutschen, an solche Possen zu glauben! Der Deutsche er hob Augen und Arme zum Himmel, das heißt zur Decke, und seufzte voll Erbitterung: O, über die nüchternen Verstandesmenschen, die Franzosen, sie begreifen das Wunderbare nicht. Dies verdroß den Bürger, und er fuhr fort, indem er sich zu seiner Frau wandte: Sieh, diese Eule, wie sie die Augen rollt und die Flügel schlägt! wahrhaftig, sie ist nicht werth, auf die Französische Bühne zu kommen. Der Deutsche nahm verletzt das Wort aufs neue, indem er sich zu den Sternen wandte, das heißt zu den Lampen: Die Eule schlägt die Flügel wider den Takt, und ihre Augen schielen. Man möchte ihr die Augen zurecht rücken. Würde das Stück in Deutschland mit gleicher Nachlässigkeit in Scene gesetzt, das Publikum würde es nicht dulden. — Die Deutschen haben keinen Geschmack, sprach der Pariser Bürger. — Die Franzosen haben keinen Verstand, sprach der Deutsche Zuschauer. Worüber streiten diese Herren? fragte ich im Zwischenakte einen kosmopolitischen Zuschauer, der neben mir stand und der, nebenbei gesagt, zu meinen vertrautesten Freunden gehört- Wie kann Vie schlechte Haltung dieser Eule sie mehr beschäftigen als der Sinn des Stückes, mit dem die Musik in so wundervollem Einklänge steht? Der Deutsche ist mit gewissen Theilen der Ausführung nicht zu frieden und sucht den Grund hiervon in der äußeren Ausstattung, antwortete mir der Kosmopolit. Dies kann man nur Bescheidenbeit unv Nachsicht von seiner Seite nennen. WaS den Bürger betrifft, der kommt in die Oper, um das Schauspiel zu sehen, unv er hört die Musik mit den Augen. Gut denn, um nur von dem Schauspiel zu sprechen, erwiedcrtc ich, was meinen Sie dazu? Sie, der Sie dies Meisterwerk auf den ersten Bühnen Europa's gesehen haben, finden Sic, baß eS auf der unseren schlecht ausgestattet ist? Ich bin mit diesem Hercnsabbath nicht ganz unzufrieden, ant- wertete er, obgleich ich mehr der Teufelei wünschte. Die Erschei nungen, die im Plane des Stückes liegen, sind zu wenig beachtet, sie kommen zu selten unv treffen nicht zu mit den Worten des Dichters und der Andeutung des Komponisten. Ich habe den Eder nicht ge sehen, dessen wildes Gebrüll in der Musik so herrlich ausgebrllckt ist. Ist er vorübcrgekommen, so war es so schnell, daß ich ihn nicht be merkt habe. Anstatt der Erscheinung Agathcns habe ich nichts als ein gewöhnliches Gespenst gesehen. Diese Gerippe und Kobolde brauchten gar nicht so häßlich zu sepn, und sie bringen keineswegcs den Eindruck hervor, den in Deutschland die unzähligen Hunde und Vögel hervorbringen, die sich auf die Bühne stürzen. Das Gebell und das Flügelrauschen ist ohnehin durch das Orchester ausgedrückt, und cs heißt etwas lieblos mit Wcber's Gedanken umgehen, wenn man ihm die nöthigsten Bilder entzieht, durch welche dieselben ver körpert werden. Hierüber beklagt sich der Deutsche, und er hat Recht. Ich für meinen Theil finde einen gewissen Ersatz in der Schönheit dieser Landschaft, in der Durchsichtigkeit dieser Nebel schleier, in dem ganzen, ich möchte sagen, künstlerischen, poetischen und erhabenen Ausvruck, den die Sccneric durch diese Art der Auf fassung erlangt hat. Auf keiner anderen Bühne würde man die Landschaft an sich mit so viel Geschmack und Einsicht gemalt haben. Dieser Wasserfall, bei dessen einförmigem dumpfen Rauschen man schaudert und erstarrt, diese Nebelschleier, die sich abwechselnd trüben und erhellen, alles dies zeugt von einer großartigen Anschauung und Empfindung des Decoratcurs. Der Franzose hat für die wahre Schönheit der Natur mehr Sinn als der Deutsche, wie denn auch alle große Landschaftsmaler der jüngsten Zeit Franzosen sind. Der Deutsche will die Natur verschönern, sie genügt seiner Einbildungs kraft nicht, er bevölkert sic mit Gebilden seiner Phantasie und um kleidet die äußeren Gegenstände mit phantastischen Formen. Die Scene, wie sie in Deutschland dargestellt wird, sucht die Idee des Dichters auf das Genaueste zu versinnlichen, doch ich glaube, man hat Recht gethan, dies bei uns nicht z» versuchen. Wir hätten Ein drücke der Wahrheit denen der Phantasie opfern müssen, und am Ende hätte man die Anmuth der ersteren eingebüßt, ohne die groß artige Bizarrerie der letzteren zu erreichen. Kurz, bei jedem der beiden Völker hat die Embildungskraft ihre besondere Richtung ge nommen, und eS würde mehr als schwierig sepn, sie hierin zu ver einigen. Wenn Sie von Paris und Wien sprechen, antwortete ich, so geb' ich dies zu, die Unterschiede sind scharf abgegränzt; allein drin- gen Sie in das Herz unseres Volkes, gehen Sic in die Provinzen, zu den Landleutcn, und Sie werden Uebcrliefcrungcn finden, die den Deutschen und Schottischen so ähnlich sind, daß man deutlich sieht, diese Volksdichtungen sind auS einer gemeinsamen Quelle entsprun gen. Die Dichter und die bildenden Künstler der verschiedenen Na tionen begeistern sich bald mehr, bald weniger für dieselben. England hat Shakespeare und Bpron, Deutschland Goethe, Polen Mickicwitz, Schottland Ossian und Walter Scott. Wir Haden nichts der Art. Unser Aberglauben hat keinen berühmten Ausleger gefunden und wird ihn nicht finden; Voltaire's Geist hat ihm den letzten Streich ver setzt, und unsere moderne romantische Schule war nur eine farblose Nachahmung von der unserer Nachbarn. Sic hat nichts Dauerndes hervorgebracht, sie ist eine Modesache. Die Franzosen der höheren wie der mittleren Stände lachen über Gespenstergeschichten und ver bieten ihren Dienern, den Kindern mit dergleichen den Kops zu vcr- drehen. Der aufgeklärte Deutsche glaubt sie eben so wenig, allein er lacht nicht über sie, er liebt sie. Niemand hat in dieser Hinsicht den Deutschen Geist besser gezeichnet als Heinrich Heine. Wir, so fuhr ich fort, wir haben Hoffmann'S Erzählungen mit großer Freude gelesen; doch sie haben unsere Gewohnheit, zu denken, unser gebieterisches Bedürfniß, überall nach dem Grunde zu forschen, und somit den etwas nüchternen und ironischen Verstand nicht zu verändern vermocht, der den Deutschen an uns so verdrießt. Ich gestehe, Nichts ist lächerlicher als der starre Verstand, der Alles er klären will, ohne Etwas zu glauben; allein eine Schwäche ist eS ebenfalls und verdient nicht minder belacht zu werden, wenn man absichtlich Nichts erklärt, auch dort nicht, wo man es sehr wohl er klären könnte. Hierin, wie ich glaube, besteht der Unterschied beider Nationen. Voll Liebe zum Wahren leugnet oder verkennt der Fran zose jede neue und außergewöhnliche Wirklichkeit; voll Liebe zum Sagenhaften sträubt sich der Deutsche, die Wirklichkeit darzustellcn, sobald sie seinen Hirngespinnstcn zuwiderläuft. °) Jedoch, ich wieder hol' es, gehen Sie in die Provinzen, dringen Sie in das Innere des Volkes; Sir werden in den großen Städten eine gebildete, thätigc Menschcngattung finden, welche, obgleich sie an Aufklärung den höheren Klassen nahe steht, sich noch der Erzählungen ihrer Kind- '> Mit diesem Unterschiede, so wie mit einem großen ThcUc der vorangehen den Behauvtungen tonnen wir wenig zufrieden sepn Weshalb halt es die Verfasserin sür nöthig, zu bemerken, in Frankreich haben Holtmanns Erzäh lungen die Gewohnheit, zu denke», nicht verändert? Glaubt sie, da» dies in Deutschland der Hall ist? Und wir Deutsche, deren Gründlichkeit bei den Franzosen ipruchwörtli-h geworden isi, wenn wir hier plötzlich un- grünblich verfahren, so sieht sie nichts darin, als Znkonsegucnj? Der Grund unseres FesihaltenS an der Sage isi vielmehr der, daß wir gewisse Vorsiellungen auch dann noch, wenn wir lanqsi erkannt haben, daß die selbe» vor dem Verstände unhaltbar sind, nicht aufgcben, sobald sic einer tie feren poetischen Zbec oder vebenSanschauung, einem umfassenderen künstleri schen Gebilde zur Grundlage diene»; daß wir das Wesentliche höher achten, als das Zusallige, und daß wir geistige Elasticital und Kraft Ler Abstraktion genug besitze», um die Phantasie von allen unberufenen Eingüssen des Ver standes frei zu erhalten; unberufen aber sind dieselben, sobald sie das Groß artige, Pedcuiungsvolle des Kleinliche» weaen zerstören, sobald sie den ganzen Bau einer Dichtung stürzen, weil sic die Sage, seine nothwendiae Voraus setzung, nicht anerkennen dürfen üb wir berechtigt sind, diese Abstractions- krält bei unseren Nachbarn ganz oder zum Theil zu leugnen, bleibe hier uneröriert; jedenfalls würde die Anklage, die wir dadurch gegen sie erhoben, eine sehr fchwere fevn, und der in Nede stehende Mangel, daß sie keine Sagen- Poesie haben, ist nicht groß genug, üm dieselbe zu rechtfertigen. Dow warum beruft sich Madame George Sand nicht auf die Alttranzösische Poesie, aus der das Deutsche Mittelalter so viele Sagenstoffe entlehnt bat? Wenn sie jedoch sagt, daß Heine hicrm den Deutschen Geist an, besicn dargestellt habe, so werben die wenigsten Deutschen damit einverstanden serm, indem gerade Heinc's Traum- und Gesoenstergedichte anerkannt, etwa den Todtentanz aus genommen, seine schwächste» lind Dao Beste >» dieser Gattung hat die romantische Schule hcrvorgcbrachi; wir rechnen einen großen Theil des Tieckschen Phanta-üs und Fouque's Undine hierher Ihre wahre Bedeutung aber erhalt die Sage erst dann, WINN sie nur als Trägerin einer Idee aitt- tritt, wie es Göthe im Faust dargestellt hat und Andere, j..B Zmmermann IN feinem Merlin, es verflicht habe». Auch macht die Versi ihrem kosmopoli tischen Freunde durchaus keine Schmeicheln, wenn sic ihm dc» Vorwurf in den Mund legt, wir Deutschen verstanden die Natur nicht zu erfasse,;, weil sich bei uns stets die Subjektivität herVordrauge; cr, dec den Frcilchun „au, den ersten Buhnen Europa'«" gesehen hat. wie bat er es augefangen, um au, seinen bedeutend«; Ncisen nirgend zu hören, daß kein Dichter der neueren Z-it Lie Göthttche Objektivität erreicht har? .