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liche Volkssprache und die Umbildung der Volkssprache zur moder nen Sprache. Man beurtheilt das ganze Volk nach der Sprache. Die Sprachen sind musikalisch, gesangreich, lebhaft unter einem schönen Himmel, traurig und reich an Kehllauten unter einem rauhen Himmel. Jedes Wort hat seine Geschichte. Manche sterben mit der Generation, deren Gedanken sie ausdrückten, manche lassen ein Echo zurück ober leben in Umbildungen wieder auf. Sie gehen wechselswcise vom Adel zum Volke oder vom Volke zum Adel über; sic wechseln das Geschlecht oder gehen Mesalliancen ein. So verbindet sich «säe, das in seiner ersten Be deutung untergcgangen ist und welches süß heißt, mit seinem Gegentheile mal; mal verwandelt sich in man, und aus dieser Verbindung entsteht inaussaü«. Oft verliert auch das Wort seine erste Energie. Lrmms hieß ursprünglich: vom Blitze getroffen. Wie kömmt es nun, daß im Laufe der Zeit die Wörter eine weniger edle, oft skandalöse Bedeu tung erhalten? Das Wort tMe und einige seiner Spnonpme sind rin Beispiel davon. Eben so das Wort bonkomme, welches im Mittelalter eine Magikratsperson, einen ausgezeichneten Bürger be deutete. Manches Wort, das, wie Vaugelas sagt, das Herz ent zückte, darf sich kaum noch auf dem Markte sehen lassen. Und das darum, weil das Wort und die Idee, die es bezeichnete, sich durch den Gebrauch abnutzten. Die Aenberung des Sinnes entspricht immer einem Wechsel der Sitten, und die Sprache ist immer baS getreuste Bild eines solchen. Wenn man die Wörter auf ihren Wanderungen und, um so zu sagen, in ihren Racevermischungen verfolgt, so stößt man auf die seltsamsten Modifikationen. Durch nachbarschaftliche Beziehungen, durch Antipathicen im Falle einer Eroberung erhalten viele Wörter im Uebergange von einer Nation zur anderen eine ungünstige Be deutung. Von Buch, Englisch buob, kömmt das Französische bcmqm» (schlechte Scharteke), von Roß das Französische ro««« (Mähre), von Herr das Französische köre (armer Teufel). So weit geht sogar der Haß der Völker, daß viele Schimpfwörter von Völkeruamen abstam men; äuit und ärsb« sind beleidigende Ausdrücke geblieben; ^ngisi« bedeutete im ISten Jahrhundert einen unbarmherzigen Gläubiger und hat diesen Sinn in der Sprache der Bewohner aller Franzö sischen Schuldgefängniffe behalten. Das Studium der besonderen Umstände, welche bei der Bildung gewisser Wörter thätig gewesen sind, ist von nicht geringerem Inter esse. ?er«v»s kommt von per und zonare, hindurchtönen. Wie soll man hierin die Etymologie von per««»«« finden, wenn man nicht weiß, daß persans im Alterthum die Maske der Schauspieler bedeu tete? Wie will man die Wörter cog s I sne (ungewaschenes Zeng) oder liarä erklären, wenn man nicht die Volkserzählung vom Hahn, dem Esel und der Katze kennt, oder wenn man nicht im Menage gelesen hat, daß der Erfinder dieser Münze Liard hieß? Theodor von Beza leitete kinguenot vom König Hugo ab, weil er das Schwei zerische Wort „Eidgnoten" nicht kannte. Um das Wort bo»»e subsme (unverhoffter Fund, Gewinn) oder die Redensart Stirerer »ne mereuriale (so hieß die Versammlung des Parlaments am Mitt woch nach Martini und nach der Osterwoche und die dabei gehaltene Rede) zu verstehen, muß man auf die Geschichte der Rechte des Königthums und der Parlamente zurückgehen. Die etymologischen Forschungen führen zu dem Resultate, daß die Mehrzahl der Französischen Wörter Lateinischen Ursprungs ist. Mit dieser fruchtbaren Quelle unserer Sprache, sagt Ampöre, haben sich indeß andere Zuflüsse verbunden. Die Sprachen der Iberer, der Celtcn, der Griechen, die lange im südlichen Gallien heimisch waren, das Deutsche und das Arabische haben manche Spuren zurückgelaffen. Die Kreuzzüge und die Handelsverbindungen haben Frankreich in mannigfache Bezüge mit der äußeren Welt des Mittelalters gebracht, und sogar mit der Asiatischen Welt, von der kaum der Name bekannt war. Aber wo soll man den Faden in diesem Labyrinthe suchen? Vor Allem muß man die historische Wahrscheinlichkeit zu Rathe ziehen; man muß sich fragen, ob cs möglich oder wahrscheinlich sey, daß dieses oder jenes Wort aus dieser oder jener Sprache komme. Nachdem Ampere die Verwandtschaft der Indo-Germanischen Sprachen als eine unzweifelhafte Thatsache hingestellt hat, weist er dem Sanskrit den ihm gebührenden Platz beim etymologischen Studium der Französischen Sprache an; er vergleicht eine gewisse Anzahl von Sanskrit-Wurzeln mit den Lateinischen und den Französischen Ab leitungen. Sehr zu verwundern ist es, daß die Sprache der Urbewohner Frankreichs so wenige Spuren zurückgelaffen hat. Einige Bezeich nungen von Oertern, Flüssen und Bergen find Alles, waS sich von der Gallischen Sprache erhalten hat, etism periere ruinse. Diese Sprache, deren Rauhigkeit Martial erschreckte, war schon unterge gangen zur Zeit Luitprand's, Bischofs von Cremona, wie dessen Ausspruch beweist: Huse smem ei« snce nstsli« stierst lingus ignorstur. Dies ist das Resultat der Eroberung. Rom öffnete seine Tempel den Göttern der Besiegten, aber «S verschloß seinen Sprach schatz ihren Wörtern. Ampere ist überzeugt, daß das Celtische, mit Ausnahme der Wörter, die sich an den Boden knüpfen, der modernen Sprache nur eine sehr unbedeutende Erbschaft hinterlassen bat. Griechische Wurzeln finden sich häufiger; aber man muß sorg fältig unterscheiden. Es gicbt drei Klaffen von Griechischen Ablei tungen: die direkt abgeleiteten Wörter, welche durch die Phocäischen Kolonieen nach Gallien gebracht worden sind und deren Zahl sehr beschränkt ist; diejenigen, welche durch Vermittelung des Lateinischen, wie bero8 von oder poeme von nas,p,a, oder durch Vermitte lung des Christenthums, wie «Knaste von oder cimetiere von die Aufnahme erlangt haben; endlich diejenigen, welche durch die Verbindungen mit dem Abendländischen Kaiserthum eingesührt worden find, wie mvubtscbe von /-stora!. 306 Die Deutsche Spracht hat einen bedeutenden Antheil an der Bildung der Französischen Sprache, nächst der Lateinischen den be deutendsten. Dietz schlägt die Zahl der Französischen Wörter, die einem Deutschen entsprechen, auf tausend an, und Ampöre hält diese Zahl nicht für übertrieben. Daraus, daß ein Wort sich in beiden Sprachen findet, darf man noch nicht schließen, daß das Französische Wort vom Deutschen abgeleitet sey, denn auch die Deutsche Sprach familie hat schon früh viele Lateinische Elemente in sich ausgenommen. Bemerkenswerth ist dabei, daß die Französische Sprache der Deutschen besonders Kriegs-Ausdrücke entlehnt hat, so wie Wörter, welche Haß, Zorn oder Schwermuth ausdrücken. Von den Engländern haben die Franzosen viele Marine-Ausdrücke entlehnt; von den Jtaliänern Kunst- denennungen. Aus dem Ungarischen kömmt ImMrä, aus dem Tür kischen bsrsr, aus dem Persischen tspiü, aus dem Chinesischen rbe, aus dem Karaibischen t»bse; aber diese fremden Elemente sind ganz vereinzelt. Die Arabischen Wörter verdienen schon mehr Aufmerk samkeit; sie zeugen für den bedeutenden wissenschaftlichen Einfluß der Araber und für ihre frühen Kenntnisse in der Chemie, Medizin und Astronomie, ^mirsl, ersmoiui, msggzin, cbitlre, me8guin, esrssse, einflan sind Arabische Wörter. Das Wort csstsrä, welches einen Scheinheiligen bezeichnet, kömmt von kstin, welches gottlos, Gottes lästerer heißt. Die Französische Benennung mir«, msitre, welche für die Aerzte im Mittelalter gebräuchlich war und welche von emir, Herr, herkömmt, spricht für die große Achtung, in welcher die Aerzte standen. Nachdem Ampere in kurzen Umrissen die Bildung der Eigen namen untersucht und gezeigt hat, wie die aristokratischen Namen von den Grundstücken abgeleitet sind, die bürgerlichen Namen von den Handwerken, die bäuerlichen Namen von den Lokalitäten (Dupre, Dmiwnc, so Dunns)'), wendet er sich zu den Dialekten uuv betrach tet sie in ihrer Beziehung zur Bildung der Sprache. Diese und die Patois sind in sprachlicher und geschichtlicher Hinsicht vom größten Interesse. Das Volk bleibt der Vergangenheit treu, wenn es sie auch nicht kennt. Es spricht die Sprache seiner Väter, wie eS an den Teufel glaubt. Ein Picard, der Froiffart liest, wird sich nicht selten wundern, in diesem Chronikenschreiber die Sprache des Schäfers oder des Adjunktns seines Dorfes zu finden. Noch merk würdiger ist es vielleicht, daß in einer Vorstadt von Dieppe ein verderbtes Venetianisches Patois gesprochen wird, und in einer Vorstadt von Saint-Omer das Flamändische des lSten Jahr hunderts. . Das Kapitel, welches Ampöre der Aussprache gewidmet hat, ist ebenfalls höchst bemerkenswerth, und man kann sagen, daß eS ihm gelungen ist, die Vokale und Konsonanten dcS Mittelalters zu neuem Leben zu erwecken. Er ist der Meinung, und diese scheint vollkommen gegründet, daß die alte Aussprache voller und weniger zusammen gezogen war, und daß sie sich mehr dem Lateinischen näherte; daß man vom I2tcn Jahrhunderte an nicht mehr alle Buchstaben sprach, die geschrieben wurden, und daß damals eine conventionelle Ortho graphie entstand. Es ist sehr zu vermuthen, daß die alten Fran zosen nicht sehr ängstlich um die Harmonie besorgt waren, und daß ihre Aussprache einen rauhen und harten Charakter hatte, wodurch ein Troubadour zu der Aeußerung veranlaßt wurde: „Sie sprechen, wie die Schweine grunzen." Lamartine's Friedens - Marseillaise. Deutsch von Ferdinand Freiligrath. Es hat ein junger Meister Deutscher Vcrskunst, Herr Ferdinand Freiligrath, den undankbaren Versuch gemacht, Lamartinc's Ode zu übersetzen. Was einer minder geübten Hand mißlingen mußte, das ist der kunstfertigen des Deutschen Dichters geglückt, nämlich die wort reichen Sentenzen und die überschwänglichen Bilder des Franzosen in unsere Muttersprache auf eben so poetische als allgemein faßliche Weise zu übertragen. Da wir (Nr. 70) daS Original mitgethcilt, so dürfte cs dem größten Theil unserer Leser wohl interessant scyn, die Uebersetzung deS Herrn Freiligrath damit zu vergleichen, und wir entlehnen diese daher der „Kölnischen Zeitung", in welcher sic uns zuerst vorgckommen ist: O, rolle stolz und frei, zieh deines Wegs gelassen, Du Nil des SecidentS, Nationenbecher Rhein, Und schwemme mit dir fort den Ehrgeiz und daS Hassen Der Völker, die geschaart sich deiner Woge freun! Nie von dem rothen Blut deS Franken sei, dein Rüchen, Nie von dem blauen auch deS Deutschen mehr besteckt! Nie biege mehr Geschütz die Joche deiner Brücken, Die, Händen gleich, ein Volk aus nach dem ander« streckt! Nie senke zischend mehr der Schlachten Regenbogen, Die glttlsnde Bombe, sich auf deine Rebenhöh'n, Nie mög' ein zitternd Kind im Schaume deiner Wogen Blutrünst'ge Rosse mehr, von blut'ger Mahn' umstogen, Mit Leinen Wirheln ringen sehn! S, rolle klar und frei, und spiegle deinem Volke Die Burgen, die dein Weh'n mit Epheu grün umsticht, Sie dräun auf ihrem Fels, wie eine letzte Wolke Mit ihrem Zorn bedräut ein ruhig Angesicht. DaS Fahrzeug, daS der Damvf durchvulst wie eine Seele, Anathmen soll eS dich mit seinem Feuerhauch: ES sott dir Gruße sprüh», und aus entbrannter Kehle Zu deiner Berge Stirn auszüngeln soll sein Rauch' ES trägt lebenb'ge Fracht, ein Lied von hundert Lippen Schallt nieder vom Verdeck, die Pilger stehn geschaart: StromaufwärS treibt eS sie nach deines Ursprungs Klippen, ES sehnt ihr Auge sich, zu schaun die Felfenripven, Wo du entströmst zu freud'ger Fahrt! '