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268 Einöden trennen die beiden Sprengel, und man sieht fast keine mensch liche Wohnungen auf dem Wege, außer ein paar der Wassermühlen, welche die Bauern hier rum Hausbedarf haben und die meist sehr malerisch an kleinen wild rauschenden Elvcn liegen. Mitten im Walde begegnete ich einer ganzen Karavane, zuerst die Kühe und Ziegen in der Heerde, darauf die Hirten und Hirtinnen, die Weiber mit den Kindern auf dem Rücken, der Herr aber bequem auf seinem Pferd. „Wo wollt Ihr hin?" srggte ich. — „Zu Güter", lautete die Antwort, und da ich mich näher mit ihnen einließ, erhielt ich Aufklärung über diese Säterfahrt. Der Dalbauer hat gewöhnlich zwei Weide-Buden (Säten), die Heimbude in seinem Heimwalde und die Weit-Bude in seinem Außenwalde. Sobald die Aussaat bestellt ist und das Gras zu wachsen beginnt, ziehen sie bergauf; die Weide-Buden sind kleiner als ihre eigentlichen Häuser, sonst aber in demselben Styl gebaut. In diesen bleibt die Familie, mit Ausnahme der Aerndtezeit, so lange das Heu zurcicht, meistens bis Weihnachten. DaS Vieh wird im Walde laufen gelassen, aber mit Glocken, damit man eS wiedcrfinden kann, und die Weiber hüten es, während die Männer Holz hauen und Kohlen brennen, welches zu Eisen- und Glasbetrieb abgesetzt und wodurch zugleich der Platz als Ackerland frei gemacht wird. Orsa liegt in einem ziemlich engen GebirgSthal am User eines schönen Sees. Ich ließ meine Sachen im Gasthause stehen und ging hinauf zum Prediger, einem gewissen Arborelius, an den ich eine Empfehlung hatte. Wie gewöhnlich wurde ich äußerst gastfrei empfan gen und lebte ein paar höchst angenehme und lehrreiche Tage in seiner Familie, in die ich bald eingebürgert war, wie ein alt bekannter Gast. Wunderbar wehmüthig fühlte ich mich hier jedoch in meiner Freude gestimmt; Arborelius' Weib hatte dasselbe Wesen, dieselbe schöne Haltung, dieselbe Liebenswürdigkeit, aber auch dieselbe Krank heit, wie meine geliebte verstorbene Mutter, deren Bild aus den KindhcitStagcn wie das eines holdseligen Engels stets vor mir steht. Der Siljan-See. Unter den Ausflügen, die ich vop hier in die Wälder vornahm, sind ein paar, die ich nie vergessen werde. An einem schönen Nach mittage machten wir, der Prediger, seine Frau, sein Adjunkt, kurz die ganze Familie, eine Tour über den See nach Bäcka zu einem Eisenbruch-Inspektor. Hier ließ ich die Anderen den heiteren Abend in dem gastfreien Hause genießen, ich selbst aber ging mit einem Studenten in die Berge. Der Weg war beschwerlich, da eigentlich gar kein Pfad vorhanden war; von Stein zu Stein mußten wir springen, uns durch alte modernde Stämme ein Fortkommen bahnen, die der Wind umgcworfen hatte, auf einem schmalen Baum über schäumende Bäche setzen, an deren Ufern Ziegen und Kühe weideten, und über unwegsame Berge klettern; doch wo die Sätcrdauern fort kamen. mußten auch wir es können. An einem Orte im Walde fan den wir eine liebliche Stelle. An einem reißenden Bergstrom brei tete sich ein sanfter blumenreicher Gartcnteppich aus, auf welchem ein Sätcr lag, von stolzen Birkenkronen umweht, und ein kleiner Knabe stand an demselben und blies auf seinem Lurn-Horn. Endlich waren wir oben auf den Weide-Buden des Frpr-Rückens. Es waren elende Hütten, die nach aller unserer Anstrengung uns nichts Anderes bieten konnten, als saure Milch in hölzernen Aeschen, aber welche Aussicht, welcher Niedcrblick! Schweigende, unendlich stille Fichten wälder umgaben uns, doch sie öffneten sich in der Mitte, indem sic zu beiden Seiten einen Rahmen bildeten und die schönste Gegend ein faßten; der ganze Siljan, hundert Dörfer, Wälder, Elven und Thäler lagen in herrlichen Gruppen, wie auf einer Landkarte, zu unseren Füßen. Als wir wieder nach Bäcka kamen, war die Sonne eben im Untergehen; veilchenblaue Farbentöne lagerten über den Wäldern und über den fernen Bergen mit einem unnennbar entzückenden Reiz. Erst spät des Abends kamen wir fort und fuhren in unserem Boot über den Siljan. Es war stille, feierliche Mitternacht, wie man sie nur in dem hohen ernsten Norden genießen kann, wo Morgen und Abend sich mit keusch erröthenden Wangen küssen, während die Sonne eine kurze Zeit beim Gesang der Vögel in Schlummer sinkt. Es war nicht Tag, es war nicht Nacht, es war nickt dunkel, es war nicht bell, und doch war eS beides in zauberischer Vereinigung; der lichte Abendschein zog sich nach Norden hin und begegnete dort dem des beginnenden Morgens, von einer lichten Wolke sank ein Regen sacht und mild auf uns nieder, die Ruder plätscherten leise im Wasser, in der Ferne hörte man das gedämpfte Rauschen der Dalclv, die im Waldgebüsch ihre Wasser mit denen des Sees ver mischte, und es ertönten die wunderlich tiefen, wehmüthigcn, jetzt stei genden, jetzt ersterbenden Töne aus der Kehle der Fichtenvroffel. (Fortsetzung folgt.) Frankreich. Das Hierodrama am Beginn der Französischen Revolution. ES ist zwar unglaublich, aber gleichwohl der Wahrheit gemäß: man hat in Frankreich vielleicht nie so viel gelacht, nie so viel ge sungen, nie so viele Feste gefeiert als während der SchreckenSzeit. Während auf dem RevolutionS-Platze das Blut in Strömen floß, veranstaltete ein berühmter Restaurateur auf den Elpsäischcn Feldern große Konzerte. Die Eroberung der Bastille feierte das Volk durch gewöhnliche Gesänge und durch Geschrei. Als aber etwas später die Mäkler sich im Rathhause versammelten, bestellten sie ein lyrisches Werk, das den Sieg deS Volkes verewigen sollte. Sie gaben einem Manne, Namens DesangierS-Janson, den Auftrag, ein Hierodrama zu verfassen, welches an die bedeutendsten Episoden der Einnahme der Bastille erinnern sollte. Dasselbe wurde mit großem Pomp m Notre-Dame aufgeführt. Auf die Eroberung der Bastille folgte die Organisation der National-Garde. Das patriotische Banket rief das patriotische Couplet hervor. Sowohl die Musik wie die Composition waren gewöhnlich sehr mittelmäßig. ES bestand meistentheilS aus einer Art Kantate mit Chor oder Refrain. Die Revolution kann einem großen lyrischen Drama verglichen werden, zu dem Marie Joseph Che'nier den Tert, Goffec die Musik und David die Decorationcn lieferte. Bei allen Festen von >78» bis zur Zeit des Kaiserreichs erscheinen diese Namen in Gemeinschaft. Goffec war nicht nur als Komponist, sondern als eifriger Apostel der Musik in Frankreich bekannt. Er wurde bald zum Musik-Direktor der National-Garde gewählt, und wenn dieselbe so schlecht sang, so war eS nicht seine Schuld. Die lyrischen Theater machten übrigens 178» gute Geschäfte. Die Opern Paesiello's auf dem Dkeürre Äonnieur, Gretry's in der ^caäemi« royale «le IVIusique und Cimarosa'S im Jtaliänischea Theater sorgten für das Vergnügen des Publikums. Nur die ernste Musik war nicht in Gunst. Dennoch wurden in den Tuilerieen geistliche Konzerte veranstaltet. Wenn man das Programm derselben IM „Journal «le kuri«" liest, so muß man bedauern, denselben nicht beigewohnt zu haben. Man findet hier die Namen Haydn, Berton, Eler, Plcyel, und die Ausführung war den berühmtesten Künstlern übertragen. > Doch kommen wir zu dem Hierodrama zurück. Dösangiers hatte in der Bibel Situationen ausgesucht, welche den Umständen angemessen waren und welche ein heroisches Ganze in der stärksten Bedeutung des Wortes bildeten. Die Musik dazu war nicht ohne einen gewissen Schwung. Der Komponist hatte sich zuerst bemüht, die dumpfe Traurigkeit zu schildern, welche der Revolution voran ging. Dann kam der Sturm zum Ausbruche. Die Musik suchte das Geschrei der aufgeregten Volksmaffen, das Kampfesgctöse, daS Wehklagen der Verwundeten und das Röcheln der Sterbenden zu malen. Endlich wird die Festung genommen, und cs erfolgt ein all gemeiner Ausbruch der Freude und lautes Siegesgeschrei. Das Hierodrama gab Gelegenheit zu einer Neuerung. Das Orchester wurde durch eine große Glocke verstärkt, um das Sturmläuten na türlicher darstellcn zu können. Seitdem ist man freilich in dieser Beziehung weiter gegangen. Das Hierodrama brachte durch die Mischung des piumusimo, marealo und sorti^iuw eine große Wir kung auf die Menge hervor. Auch bildete eS noch lange die offizielle Musik, die später im Gefolge der großen Aufzüge erschien. Ja, das Hierodrama, so wie die vielen Tedcum's, mit welchen alle merkwürdige Begebenheiten gefeiert wurden, weckten den Sinn für Musik im Volke. Bald kam die Zeit, wo kein Fest mehr ohne Musik gefeiert werden durfte, wenn das Volk nicht seine Unzufrie denheit äußern sollte. Vom 14. Juli 178» bis zum 5. Oktober I7A) zählt man 13 feierliche Tebeum's. (l-s kraue« museale.) Mannigfaltiges. — Schomburgk's Reisen. Wir machen diejenigen unserer Leser, die sich für die geographische Wissenschaft und für solche Deutsche Werke interessiren, welche als eine Stufe für den Fort schritt dieser Wissenschaft zu betrachten sind, auf das bevorstehende Erscheinen der Reiseberichte unseres geschätzten Landsmannes Schom burg! aufmerksam. Dieselben werden von der Georg Wigandschen Buchhandlung in Leipzig unter folgendem Titel angekündigt: „Robert Hermann Schomburgk's Reisen in Guiana und am Orinoko während der Jahre I8Z5—183». Nach seinen Berichten und Mit- theilungen au die Geographische Gesellschaft in London herauögegeben von O. A. Schomburgs. Mit einer Vorrede von Alexander von Humboldt; nebst dessen. Abhandlung über einige wichtige Punkte der Geographie GuiaNa'S." — Das Werk wird in würdiger Aus stattung mit sechs prachtvoll kolorirten Ansichten und einer Karte erscheinen, und ist zur Ehre der Nation wohl zu wünschen., daß der Verleger durch recht^zahlreiche Subscriptionen (die für jetzt zu «>; Thlr. sür das Ganze eröffnet sind) von den Freunden der Wissenschaft, so wie der Deutschen Literatur überhaupt, unterstützt werde. — Die Sprache der Wienerinnen. Ein Englischer Rei sender, der im Londoner Jusienueum vom 22. Mai Skizzen von Wien und den Wienern mittheilt, macht die Bemerkung: „Bei meinen Spaziergängen auf der Bastei ist eS mir stets ausgefallen, daß die Wiener Damen, die unter einander Deutsch sprechen, augenblicklich zur Französischen Conversation übergehen, sobald sie einen Fremden in der Nähe wahrnehmen: eS ist dies eine recht häßliche Affeciation!" Wir möchten diese Bemerkung mit goldenen Buchstaben drucken lassen und sie allen schönen Wienerinnen in rosenfarbigen Couvcrtcn zufen- den, damit sie doch erfahren, welchen Eindruck auf die Fremden ihre für die Fremden eingerichtete „Conversation" macht. Wir haben zwar in Wien selbst gehört, daß die Damen sehr oft nur darum zum Französischen ihre Zuflucht nehmen, weil sie dieses besser, d. h. in einer gebildeteren Form sprechen, als das Deutsche; aber abge sehen davon, daß dieses Besser nur um so schlimmer sey- fragen wir: wer möchte aus dem Munde einer schönen Wienerin ihr schelmisch- naives Wienerisch nicht viel lieber hören, als das polirteste Fran zösisch? H-ransg.'zebcu von ter Erpcdilion der Allg. Preuß. Staat«-Zeitung. Rebigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.