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WSKmUich «schcmen drei Nummern. PrSnumeraiion«- Prci« 22j Sgr. (j Tblr.) mcrltUädrlich, Z Tblr. für da« gan,t Jadr, »dne Er, döbunq, in allen Tdeilen der Preußischen Monarch». a g a für die Man xränumerirt aus diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Eroedition der Lüg. Pr. Etaats-Aeitung (Friedrichestr. Rr. 72); in der Prorinj so wie im Au«landc bei den WohllSbl. Post-Aemlttn. Literatur des Auslandes. a-U 67. Berlin, Freitag den 4. Juni 1841. England. Die Zinkali. Unter diesem Titel hat ein Engländer, Herr G. Borrow, ein Werk über die Geschichte, Sitten und Sprache der Zigeuner in Spanien herausgegeben, das Vieles enthält, was zur Aufhellung der Geschichte dieses räthselhastcn Volkes beitragen kann. Borrow war längere Zeit Missionair in Spanien und lebte viel unter den Gttanvs oder Zigeunern, die er theils zur Förderung seiner lite rarischen Publicationen gebrauchte, theils um sich sammelte, indem er, mit aller nöthigen Vorsicht, sie für die Lektüre der Bibel ge winnen wollte. Früher schon hatte er sich mit ihrer Sprache und Lebensart so vertraut gemacht, daß die Zigeuner glaubten, er sey ursprünglich von ihrem Stamme; er sey wenigstens durch eine Art Seelenwanderung mit dem echten Geblüte des Volkes in Verbin dung: und so begrüßten sie ihn als Bruder Rom. °) Zu Anfang des täten Jahrhunderts erschienen die Zigeuner auf Europäischem Boden. Viele nahmen an, sie wären durch die Erobe- rungSzüge Timur'S aus Hintostan versprengt worden; aber diese Meinung hat sich als unhaltbar erwiesen. Ob sie aus Aegypten kamen, oder noch tiefer aus Afrika, wer mag das ermittelns Sie selber können gewiß nichts Sicheres über ihren Ursprung nachweisen. Die allgemeine Annahme bei ihrem Eindringen in Europa war, daß sie vom Ml-Thale hergezogen wären; deshalb nannte man sie „Aegypter" (kxz-pueiw, l^psies). In Frankreich erkannte man zuerst, daß ihre Anwesenheit eine Pest für die Gesellschaft sey, und ergriff harte Maßregeln gegen sie. In Spanien dagegen war eine Art gelobtes Land für sie. Die Verderbtheit des Spanischen Volkes selbst, mit seinem Mönchwesen, seiner Inquisition und feiner lieder lichen Regierung, machten die Sitten der Zigeuner nicht zu einer solchen abschreckenden Erscheinung und ließen ihnen auch Zeit, sich ungestört der eigenthümlichen Lebensweise hinzugebcn, durch die sie sich anderswo zum Abscheu machten. Auch war man in Spanien seit fast einem Jahrtausend an das Zusammenleben mit Nichtchristcn gewöhnt; man hatte die Mauren und Morisko'ü um sich, oder sah sic der Küste gegenüber, und war mit Ungläubigen und Verdammten in einem stillschweigenden Verkehr. Außerdem bietet die natürliche Beschaffenheit des Bodens, mit seinen Bergen, Höhlen und Wäldern, große Sicherheit für die Vagabunden, wenn einmal der Alkalde auf den Einfall kommen sollte, mit strenger Miene zu fragen, wer diese Weiber sind, die auf öffentlichem Markte unzüchtige Tänze zum Besten geben? wer diese Männer sind, die dort einer jungen kinderlosen Frau den Segen der Fruchtbarkeit, hier einer alten geizigen Frau den Segen des Mammons versprechen, wenn sie sich durch Gcld- opfer vom bösen Geiste, der sie drückt, bei seinen Beschwörern los- kaufcn? In Spanien hausten die Zigeuner ärger als in anderen Ländern. Im Jahre 1818 war die Gegend zwischen Castilien und Aragonien von einer Bande nahe an lE Köpfe stark heimgesucht, die die beispiellosesten^ Verbrechen ausgeübt hatte. Dennoch waren sie in den meisten Städten geduldet und hatten überall einen abgelegenen Stadtthcil, Gitanerias, inne. Durch die Reize ihrer Weiber ver schafften sie sich den Schutz ausschweifender Edellcute, ohne daß diese Weiber sich preisgaben. Der vornehme Wollüstling wurde durch ein schwarzes feuriges Auge gekirrt, durch die lebhafte Bewegung der Füße beim üppigen Tanze, durch freie Reden der Gitana gelockt und hingehalten; er hielt sich stets seiner Beute gewiß, obgleich sie ihm entschlüpfte, sobald er sich am Ziele glaubte. Von einer wirklichen Neigung einer Gitana für einen Christen kann man wenig Beispiele anfuhren. Zigeunermädchen wie Preciosa finden sich nur im Roman; im wirklichen Leben ist, nach Borrow, eine Verbindung mit einem Richtzigcuncr für das Mädchen mit der Gefahr verknüpft, von ihren Stammgenoffen aetödtet zu werden. Das erste Zusammentreffen Borrow's mit den Zigeunern war in Badajoz im Jahre I8ZK. Er war eben in der Stadt angekommen und stand vor der Thür seines Gasthofes, als zwei Menschen vor übergingen, die er gleich für Zigeuner erkannte. Er redete sie durch «in einziges Wort an, und sie erkannten es. Sogleich verbreitete sich das Gerücht durch alle Stammgenoffen, es sey ein Engländer . -,'^S^neimt «ich der Zigeuner. Einer ähnlichen List bediente sich der trenttche Reisende Burckhardt im Mdrgenlandc, üch nämlich ,ür einen Muhammedaner auszugeben, um Vertrauen bei den Aradern zu wecken und dadurch das zu erfahren, was vor ihm noch keinem Europäer bekannt wurde- angtkommen, der so gelehrt im Rommany (dem Zigeunerthum) sey wie sie, und daß er nothwcndig vom „Geblüte" stamme. Alles, was die Blöße bedecken konnte, drängte sich nach der Wohnung des lieben Verwandten, und bald war es in seinem Zimmer, wie beim Lever eines neuen Ministers, zu dem die innigen Freunde eilen, damit sie ihm wahre Theilnahme an seinem Glücke bezeigen. B. ging gleich ans Werk, seine Freunde für den Glauben vorzubereiten, aber sein Wille hierin war weit bester als sein Glück. Die Herren Zigeuner und ihre Damen zeigten viel atheistische Philosophie. Sie wenden die Namen Gottes und der Jungfrau nur bei Verwünschungen an. Nach ihrer Erzählung glaubten ihre Vorfahren an Seelenwanderung, worüber sie selber aber lachen. „Warum sollen wir denn noch ein mal leben", sagten sie, „wir waren hier schon lasterhaft und elend genug!" „Ich übersetzte ihnen einige Stücke der heiligen Schrift in ihren Dialekt", erzählt Borrow, „und las öfter vor. Ich wählte beson ders die Parabel vom armen Lararus und vom verlorenen Sohne. Ich sagte, daß der Letztere so lasterhaft wie sie gewesen wäre, daß er und LazaruS so viel oder noch mehr als sie gelitten hätten; aber die Leiden des Letzteren, der immer das Auge auf eine selige Auf erstehung gerichtet, seyen durch die Aufnahme ins Himmelreich be lohnt worden, wo er im Schoße Abraham'S und der Propheten weile, und daß der verlorene Sohn, nachdem er seine Sünden bereute, Ver gebung erhielt und wie ein lieber Sohn behandelt wurde. Meine Zuhörer hingen an meinen Worten mit Bewunderung; sie schienen tief ergriffen, und eS glänzte eine freudige Genugthuung auf ihren Gesichtern. Auch in meinem Herzen lebte innige Freude auf, da ich so schöne Früchte meiner Mission hier zu sehen vermuthete. Doch ich blieb nicht lange in meiner angenehmen Täuschung. Nicht über die ewigen Wahrheiten geriethen sie in Entzücken, sondern darüber, daß ihr Jargon geschrieben und gelesen werde! Man höre die Be merkung einer Gitana: „„Bruder, Du erzählst uns seltsame Dinge! Man hat sie Dir vielleicht selber aufgebunden. Doch vor einem Monate hätte ich noch weit leichter diese Geschichten geglaubt, als daß ich vermuthet hätte, ich werde einen Menschen sehen, der Rom many schreibt!"" „Bei den Gitanos von Cordova wurde ich sehr wohl ausgenom men; aber auch nur unter der Voraussetzung, daß ich ein „Bruder" sey. Sie sagten, ich wäre der Erste, den sie so mit Vertrauen inS Haus ließen. Fremde dürfen sonst nur bei Hochzeiten eingelassen werden, oder wenn sie besonders einflußreiche Männer sind, die ihre Lieber hören und ihre Weiber sprechen wollen. Ader diese werden ohne Ausnahme betrogen; sie werden als Werkzeuge zu verschiedenen Zwecken gebraücht. Ich durste ihre geheimsten Gedanken erfahren; sie gaben sich ohne Rückhalt hin. Eines Abends war ich auf einem langen, niedrigen, finsteren Boden mit mehr als 2» Zigeunern und Zigeunerinnen zusammen. Nachdem sie lange über Pferde, Maul- thicre und Kleinhandel gesprochen hatten und die Unterhaltung sich zur Erschöpfung hinneigte, machte ich den Vorschlag, einige Stücke der Bibel versuchsweise in die Calo-Sprache (den Zigeuner-Dialekt) zu übertragen. Da sic mir längst geklagt hatten, ihre Sprache sinke täglich mehr, so nahmen sie mein Anerbieten mit Jubel auf. Ich übersetzte ihnen demnach erst Spanisch das Vaterunser, wiederholte jeden Satz langsam, während die Gitanos in ihre Mundart über setzten. Sic zeigten bei dieser ungewohnten Beschäftigung das größte Interesse und den größten Eifer und stritten sich ost über die zu wäh lenden Ausdrücke, da Jeder glaubte, den besten vorgcschlagen zu habcn. Während dessen schrieb ich ihre Uebersetzung nieder und laS sie ihnen dann als das Resultat unserer vereinigten Weisheit vor. Alle bra chen darüber in Entzücken aus und schienen nicht wenig stolz über die Composition zu seyn." Folgender Zug mag zur Charakteristik der Zigeuner in der Halb insel beitragen und andererseits auch zeigen, wie sehr das Spanische Volk noch in Gesinnungen des Mittelalters lebt, wie selbst vornehme und reiche Leute durch ihren unvertilgbaren Aberglauben noch zei gen, daß Revolutionen und Constitutionen in diesem von Natur so glücklichen und durch Menschen .so unglücklichen Lande nichts ge ändert haben: „Als eine Bande Gitanos in der Nachbarschaft eines Dorfes war, ging eine der grauen nach einem Hause, in welchem eine ein zelne Dame wohnte. Diese war ein« junge Witwe, reich, ohne Kin der und sehr schön. Nachdem die Zigeunerin sie begrüßt hatte, sagte sie die Rede, welche sic bereits einstudirt, her, daß wedcr ein Jung geselle, Witwer noch verheiratheter Mann, Edelmann noch Licbha-