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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeraiivns- Prei« 22 j Sar. sj Tblr.) oierteljäbrstch, Z Tblr. sür dar ganze Jade, ohne Er. böbuna, in allen Tbcürn der Preußischen Monarchie. Magazin für die vränumcnrr ans dicfck ojterütur-Blart in Bertin in der Expedition der AVg. pr. Slaats-^eitung (Friedricdsstr. Nr. 72 j; in der Provinz so wie im Auslande bei de» WohUödl. PostAemiern. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 28. Mai t84t Frankreich. Das Elsaß unter Französischer Herrschaft. In seiner von uns kürzlich erwähnten „Musterung der Deutschen Literatur" °) berührt Herr Marmicr auch zwei Schriften, die der in Paris lebende Deutsche Schriftsteller Venedey über daS Verhältniß Frankreichs zu Deutschland herausgegebcn, und zwar eine in Fran, zösischcr Sprache („l^u t-'ranco, l'^Iiumaxue" ew.), die andere jedoch in Deutscher („Der Rhein"). In der ersten sucht der Verfasser dar- zuthun, wie wichtig für Frankreich die Allianz mit Deutschland sep, wichtiger als die mit Großbritanien, und viet wichtiger als die mit Rußland, doch müsse Frankreich, wenn es eine Allianz mit Deutsch land ernstlich wolle, vor allen Dingen die Deutsche Rationalität achten lernen und namentlich den Plan ganz aufgeben, jemals das linke Rheinufer zu erobern. In der zweiten, Deutsch abgcfaßten Schrift geht der Verfasser noch weiter. Er sucht darin darzuthun, nicht bloß baß das Rheinland, so weit cS zu Deutschland gehöre, nie Französisch werden könne, sondern auch daß die vor Jahrhun derten davon abgerissenen, längst zu Frankreich gehörenden Land striche dadurch in eine widernatürliche Stellung gekommen scyen, die noch jetzt, auf die Urenkel der Französisch gewordenen Deutschen, in unglückseliger Weise nachwirke. Herr Marinier bemüht sich, die Argumente des Herrn Venedey zu widerlegen, und da gerade dieser Theil seiner literarischen Muste rung auch sür Deutschland von besonderem Interesse ist, so wollen wir Bemerkungen und Gegenbemerkungen hier wiedergeben, doch müssen wir die ersteren, da uns bas Deutsche Original des Herrn Venedey nicht zur Hand ist, ebenfalls aus dem Französischen über setzen. Herr Venedey sagt: „In Straßburg, Colmar und anderen Städten des Elsasses giebt eS ziemlich viele Leute, die zugleich Deutsch und Französisch sprechen. Die Masse des Volks kennt weder die eine noch die andere Sprache, sondern spricht eine Mundart spuwi«), die neun Zehntel Deutsch und ein Zehntel Französisch ist, eine Mundart ohne Logik, ohne Verstand, ohne Ausdruck für dir Bedürfnisse des Geistes und lediglich Vie Hand habe des materiellen Instinktes, der Nothwendigkeit. Die Volks sprache des Elsasses ist um zwei ober drei Jahrhunderte zurück gegen die meisten Deutschen Dialekte; >a, ich nehme keinen Anstand, zu behaupten, daß das ganze Elsaß in jekcr Beziehung um mindestens ein Jahrhundert hinter Deutschland zurückgeblieben. Die Sprache ist immer daS richtige Thermometer für den Grad der intellektuellen Bildung eines Volkes, und daS Elsaß bestätigt diese Wahrheit. Die höhere Gesellschaft dieser Provinz besteht ans Franzosen und fran- zösirten Elsässern; hier findet man meistens den Pariser Ton, so weit er in einer Provinzialstadt wiedcrgegcben werden kann. Die Welt der Salons nimmt die Französischen Zirkel zum Muster, und Alles, was sich davon entfernt, Alles, was rein Elsässisch ist, steht um ein paar Jahrhunderte gegen Deutschland und Frankreich zurück.... „Das Elsaß scheint, vermöge seiner Lage zwischen Frankreich und Deutschland, beim ersten Anblick dazu berufen, der Vermittler zwischen beiden Ländern zu seyn und einen gleichen Antheil an den Fortschritten des einen wie des anderen zu nehmen. Doch das Ge gentheil ist der Fall in Folge seiner politischen Lage. „.... Die Eroberung des Elsasses vurch Frankreich war immer und ist auch heutzutage noch ein Unglück für diese Provinz. Die moralische Verstummung der großen Masse des Volkes ist nur ein Theil dieses Unglückes." — So weit Herr Venedey. Hören wir nun, waS ihm Herr Marmier darauf erwiedcrt. „Was in der Welt", ruft er, „konnte Herrn Venedey bewegen, diese Zeilen nicdcrzuschreibcn, so verletzend für eine Provinz, die er doch selber gesehen und die er nicht nach bloßem Hörensagen bc- urtheiltk Das Elsaß gilt mit Recht sür einen ber intelligentesten und lebendigsten Theile Frankreichs. Nirgends ist der Unterricht so weit, dis in daS Herz selbst des Volkes, vorgedrungen; nirgends sind die Schulen zahlreicher und in besserem Zustand und die Elemente des Unterrichts solider; nirgends endlich ist mehr offene Freudigkeit auf den Gesichtern, mehr Wohlstand in den Häusern wahrzunehmen, als hier. Ich appcllir« an diejenigen, die daS Glück gehabt, diese Pro vinz in der Nähe zu sehen, sic an einem schönen Tage von der Höhe ') Nr. er des Magazins unter ber Rubrik „Mannigfaltige«». des Gebirges in Zabcrn zu betrachten, in ihre Thälcr hinabzusteigen und ihre Dörfer kennen zu lernen. Welcher Reiz liegt in dem An blicke dieser Buchcn-Wälder, jener herrlichen Wiesen, wo die fetten Hccrden weiden, und der einfachen friedlichen Wohnungen, wo Alles den Stempel der Ordnung, des Wohlsepns und der häuslichen Tugenden trägt! Und das ist die unglückliche Provinz, die Herr Venedey bemitleidet; und jene kräftigen Landleute, die dort zu Pferde stolz vorbeiziehen, nnt ihpem großen Filzhut und ihrer gestickten Weste, und die so trefflich ihrer Hände Fleig und ihren praktischen Verstand abwechselnd aus den Landbau und auf den Mechanismus der Industrie anzuwcndcn verstehen, — das sind die Menschen, die ihm noch vervumpstcr als die des Mittelalters scheinen! Und diese edle und sittenstrenge «tadt Straßburg, in der sich so treffliche «schulen befinden, die der Literatur und der Wissen schaft so ausgezeichnete Männer geliefert und die jährlich so viele, eben so in Frankreich als in Deutschland geschätzte Bücher druckt, — das ist der arme Ort, der einen Bürgersohn aus Köln, wo der Gedanke unter den Ucbungen des Bigottismus erdrückt wird, mit Trauer erfüllt! °) Dieses ganze Elsaß endlich, das so belebt und voll Wohlstand ist, das mit den poetischen Uedcrlieferungen der Ver gangenheit die fortschreitende Bewegung der neueren Zeit verbindet, — das ist das Land, das um zwei Jahrhunderte hinter Deutschland zurückgeblieben, und zwar bloß, weil das Elsaß das Unglück hat, mit Frankreich vereinigt zu seyn, einen Maire statt eines Bürgermeisters zu besitzen und einen integrirenden Theil einer großen Nation zu bilden, statt von einem Fürsten regiert zu werden, der einige Hundert Soldaten an den Deutschen Bund liefern würde, oder eine kleine Republik vorzustcllen. Ehrlich gesagt, ist dies wohl eine vernünftige Idee, und erschrick» Herr Venedey nicht, wenn er bemerkt, daß sein angebliches Bild des Elsasses ihn gerade auf denselben «Standpunkt hinführt, den Herr von Raumer in Bezug auf Italien einnimmt k") Ja, es ist ein Irrthum, ein zu handgreiflicher Jrrthum, als daß der junge Schriftsteller sich nicht beeilen sollte, ihn mit uns zu erkennen und bei der ersten Gelegenheit wieder gut zu machen." — Dies ist die Erwiederung veS Herrn Marmicr. Sollte sich aber Herr Venedey dadurch wirklich veranlaßt finden, seine Ansicht als einen Jrrthum zu erkennen, um diesen bei der ersten Gelegen heit wieder gut zu machens Wir bezweifeln cs! Herr Marmicr yat ja augenscheinlich den Grundgedanken des Deutschen Schriftstellers gar nicht verstanden, ober nicht verstehen wollen. Denn nicht, daß die Gebirge und die Thäler, die Wiesen und die Wälder des Elsasses unfruchtbar oder reizlos seyen, hat Herr Venedey behauptet; auch nicht, daß es den Einwohnern an materiellem Wohlstand und an äußerer Glückseligkeit fehle; wohl aber, daß sie ein getrenntes Glied von dem Körp.r sind, zu welchem sie durch alle Fühlfädcn ihres Geistes, durch alle Nerven gehören, die vom Herzen und vom Kopf aus durch das elektrische Fluidum der Sprache belebt werden, und daß sie darum nicht die Fähigkeit haben, selbst durch die Elemente des Wissens, die sic lernbegierig auf ihren Deutschen Schulen gesam melt, ihren Geist wahrhaft zu befreien, und so zu ewiger Verstum mung verdammt sind. Ist das von Herrn Marmier widerlegt wor den ( Oder kann bas überhaupt widerlegt werdens Das Elsaß gehört zu Frankreich, zum Theil seit beinahe zwei Jahrhunderten, und nur ein blutiger, die Welt mit allen Gräueln der Verheerung überziehender Krieg könnte es wieder einmal mit seinem Mutterlande vereinigen. Niemand, oder doch nur eine sehr unbedeutende Minderheit, will einen solchen Krieg, in Frankreich wie in Deutschland. Jene Polemik über die Zustände des Elsasses müßte daher als eine rein müßige, unfruchtbare Erörterung bezeichnet wer den, wenn es sich bei solchen Diskussionen nicht auch stets darum handelte, gewisse Tonangcbcr der Französischen Politik von der sinn losen Tendenz ihrer EroberungS - Theoricen immer mehr zu über zeugen. Glücklicherweise scheinen Diese Theoricen in Frankreich selbst mit jedem Tage weniger Anklang zu finken; ja, es erheben sich von. ') Augenscheinlich ba> Serr Marmier hier wieder einmal nach Soren sagen geurtbeilt, oder nach allen Geichichicn, die langst stch überlebt baden, «bin bat in den legten Jahren bewiesen, daß es kcineswegeS mehr »ie von „Digottismus" crsütttc Stadt ,ev; die katholische Ar-mmeateit de« größten Tbeiles seiner Bcwobner ist Deutscher Bildung und der Liebe, die keinen Unterschied macht zwischen Menschen und Menschen, nirgends im Wege. Und was die scgenvcrbrcilendc Thätigkeit des Sandel« und der Industrie betrifft, so wird doch wohl Köln mir Straßburg nicht tauschen mögen! ) Was beißt das? Weil Herr von Raumer die blutigen nationalen Zustande Italiens erträglich gesunden, sollte Herr Benedey, der die anti- nationalen Zustande de« Elsaues unerträglich studets dcb gleichen Standyunkr mit ihm einnehmen?