Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Prei« 22j Sgr. Thlr.) oierlUiöluNch, 3 Air. für dos ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man peänunieriri ans dieses Literaeur-Blati in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichsstr. Rr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 21. Mai 1841 England. Schottland in politischer, literarischer und industrieller Beziehung. Seit dem Anfänge deS Jahrhunderts, besonders aber seit der großen literarischen Revolution, die, von den Schottischen Kritikern begonnen, von Walter Scott zu Ende geführt wurde, hat Schottland die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Die Schotten selbst haben sich viel mit ihrem Lande zu thun gemacht; sie haben die Traditionen und Sitten ihrer Vorfahren untersucht und die Archive durchmustert. Sie haben sich selbst beurtheilt, und wie man sich leicht denken kann, haben sie das Urtheil ihrer mißgünstigen Nach barn nicht bestätigt. Dagegen haben sie sich aber wohl gehütet, den Fremden zu widersprechen, welche die Neugierde zu ihnen führte, und welche ein Volk, dessen literarische und philosophische Existenz sich ihnen durch Meisterwerke enthüllte, vielleicht über die Maßen günstig beurtheilten. Die Namen von BurnS, Walter Scott, Dugald Stewart, Reid u. s. w. wurden nur noch mit enthusiastischem Lobe genannt. Der überschwängliche Enthusiasmus gerieth indeß auch allmälig ins Stocken, und an seine Stelle scheint eine gewisse Gleich gültigkeit getreten zu sepn. In Wahrheit verdient Schottland weder übermäßige Begeiste rung noch übertriebene Geringschätzung. Die vielleicht zu sehr be schleunigte Civilisation der großen Städte ist nicht plötzlich zum Stillstände gekommen, wie die Engländer behaupten. Eben so wenig hat der Puritanismus alle Poesie erstickt, und das Zweckmäßige und Nützliche hat noch nicht das Genie entthront. Vielmehr hat da» Land einen guten Theil seiner Ursprünglichkeit bewahrt, und dies« allein würde ihm schon Anspruch auf Theilnahme und Berücksich- § Aan hat die begründete Bemerkung gemacht, daß Schottland das einzige Land sey, in welchem die schönen Künste eher gepflegt worden sehen als die mechanischen. Als unter der Regierung David'-ll. (>37v) ein Französischer Gesandter mit einem zahlreichen Gefolge am Hofe dieses Fürsten erschien, war eS unmöglich, so viele Fremden in der Stadt Edinburg unterzubringen; man mußte sie in den benachbarten Flecken einmiethen. Die Franzosen, welche damals selbst noch weit gegen die Jtaliäner zurückstandcn, waren nicht wenig über den elenden Zustand der Bevölkerung verwundert, welche in elenden Erdhütten wohnte und sich von dem Ertrage der Jagd und des Fischfangs nährte. Diese halbwilden Menschen brüteten die Ochsen und die Hammel, ohne ihnen die Haut abzuziehen, hatten kein anderes Geschirr als hölzerne Näpfe und kannten nicht einmal die Kunst, das Leder zu gerben; gemünztes Geld war ihnen fast noch nicht zu Gesicht gekommen. Dennoch hatten sic damals schon Dich ter, welche die Großthaten ihrer Krieger besangen, und Gelehrte, welche sich mit den heiligen und profanen Wissenschaften beschäftigten und emsig die alten Manuskripte durchforschten. Schon im Beginne des I2ten Jahrhunderts waren auch die prächtigen Kapellen von Holyrood und Dryburgh, so wie die prächtigen Abteien Melrose und Roslin, diese Wunderwerke der Gothischen Baukunst, entstanden. Hundert Jahre später hatte der Luxus noch keine merkliche Fort schritte gemacht; der kostbaren Metalle bediente man sich nur zu Kelchen und Kirchen-Zierrathen. Um diese Zeit mußte Jakob IN. noch mit großen Kosten acht Dutzend zinnerne Schüsseln und Teller, hundert Dutzend hölzerne Taffen und anderes Geräth aus London kommen lassen. Jakob I V. ließ eine Verordnung ergehen, daß jeder Baron seinen ältesten Sohn in das Kollegium schicken solle, damit derselbe dort das Lateinische, die Jurisprudenz und die Philosophie studir«. Die Schottischen Könige waren arm; sie konnten also die Künste und die Wissenschaften nur durch Verordnungen, selten durch reiche Geschenke zu heben suchen. Die Schottischen Gelehrten fanden für diese Entbehrungen Entschädigung im Umgänge mit den großen Män nern deS Alterthums; auch standen sie in Korrespondenz mit den Gelehrten Italiens, von denen mehrere, wie Aeneas SylviuS, Poggio und Carbanus, sie besuchten und ihnen ihre Bewunderung über ihre Gelehrsamkeit bezeigten, aber auch bald das rauhe Klima wieder flo hen, trotz der glänzenden Anerbietungen, durch welche die Schotti schen Könige sie zu fesseln suchten. ES ist sehr begreiflich, daß den Jtalianischen Gästen der Zustand deS Landes nicht behagen konnte: weniger leicht zu erklären ist es aber, wie sie ein solche- Geschrei über die Barbarei der Einwohner und die hinterlistigen und blut dürstigen Sitten der vornehmen Herren erheben konnten. In diesen hatte sich schon immer eine unverkennbare Aehnlichkeit mit denen des Jtaliänischen Adels kundgegeben. Die Schottischen Großen wa- ren unversöhnlich und geschmeidig, verwegen und an sich haltend, wild und gebildet. Ein trotziger Adel herrschte in den Hochlanden und im Tieslande und lähmte die Königliche Gewalt. Der Meuchel mord war die ukima racio der höchstgestellten Personen, wie der Könige selbst. Unter Maria Stuart trat die Aehnlichkeit noch un verkennbarer hervor. DaS ganze Jtaliänische Wesen schien auf diesen Boden verpflanzt, mit Ausnahme jedoch der Künste und der LebenS- verseinerung. Dagegen aber- alle Laster und die verschlungene Po litik. Auch der Schottische Staatsmann hatte keine andere Triebfeder als sein Interesse, und ein Meineid kostete ihm nichts, wenn er sei- ncn Feind verderben konnte. Er bebte vor keinem Verbrechen zurück und ließ keine Gelegenheit, sich zu rächen, entschlüpfen. Fand sich eine solche nicht, so wußte er ste auch wohl zu bereiten, selbst wenn er seinem Feinde, um ihn in die Schlinge zu ziehen, sichere- Geleit versprechen mußte. Sehen wir doch Jakob II., den Mörder des Douglas, sich mit seinem Schlachtopfcr freundlich über ihre vergan genen Zwistigkeiten besprechen, ihn über seine zukünftigen Pläne be fragen und, als sein Gast ihm freimüthig antwortete, er werde von seinen Ansprüchen nicht abstehrn, demselben den Dolch in die Brust stoßen, wobei der treulose Fürst noch in die Worte anSbrach: „Beim Himmel, daS wird Dich auf andere Gedanken bringen.^ Die Sitten deS Volks waren ebenfalls barbarisch, aber dennoch hatten sie mehr Ursprünglichkeit bewahrt und sich freier von fremde» Einflüssen erhalten. Walter Scott'S Schilderungen haben uns mit den wilden Bergbewohnern hinlänglich bekannt gemacht. Durch die Bereinigung der beiden Königreiche, durch die Aufhebung der Clans, durch die Unterdrückung der Nationaltracht, durch die Auswanderun gen ist indeß hier eine bedeutende Aenderung eingetrctrn. Die alten Sitten sind verschwunden; die starkgcprägten Laster und Tugenden der Bergbewohner haben den kleinlichen Lastern und kalten Tugenden einer raffinirteren Civilisation weichen müssen. Diese einst so furcht baren Männer sind in die große Familie einaetreten und zeichnen sich nur durch eine buntere Tracht, ein tieferes Elend und einen Rest ihrer früheren Energie aus, von der sie nicht immer den besten Gebrauch machen. Da die Zeit der bürgerlichen Kriege vorüber ist, so treiben sie Schleichhandel; da sie den Bewohner des Tieflandes nicht mehr berauben können, so betteln sie ihn an, oder sie legen sich nach sei nem Beispiele auf den Landbau und die Jndusterie und übertreffen ihn gewöhnlich in diesem Falle an Einsicht und Thätigkeit. Aber ihre frühere Frrimüthigkeit hat sich in Rohheit verwandelt, ihre Uneigennützigkeit und ihre Gastfreundlichkeit sind der Selbstsucht gewichen. Der einzige charakteristische Zug der Bergbewohner, den die Zeit nicht verwischt hat, ist ihre Leichtgläubigkeit. Diese Leichtgläubigkeit ist bei ihnen mit einer wunderbaren Kraft der Phantasie verbunden; sie überzeugen sich leicht von dem, was sie sich eingebildet haben, und glauben steif und fest an die Gespenster, welche sie selbst erfunden haben. ES ist also nicht zu verwundern, daß Schottland noch immer daS Land des zweiten Gesichts (seoonii Ekr) ist. Die Bauern, welche im Besitz dieser wunderbaren Gabe sind, vermöge welcher sie entfernte und zukünftige Dinge als gegenwärtige schauen, sollen noch immer so häufig seyn wie sonst. Viele Dörfer haben ihre Dichter und Hexenmeister, und obgleich diese nicht mehr verbrannt werden, ist ihre Axt doch nicht ausgestorben. Die Leute, welche die Hoch länder Dichter nennen, sind durchaus von den alten Barden unter schieden, indem sie die Gedichte, welche sie singen, nicht selbst ver fassen. Gewöhnlich sind es junge Bergbewohner, die eine schöne Stimme haben und die Verse, die sie in der Stadt hören, oder.die sich durch die Tradition in ihrem Dhrfe erhalten haben, absingcn. Da- Wunderbare und Phantastische bilden immer das Hauptelement dieser Lieder. Die presbyterianischen Pfarrer haben trotz aller Mühe gewiss« befremdliche Gebräuche, gewisse kabbalistische Ceremonien, welche von dem früheren Götzendienst zurückgeblieben sind, nicht verdrängen kön nen. Vielleicht werden Sonntags keine Libationcn von Milch oder Whiskey mehr zu Ehren Greogach's, des langbärtigen Greises, veranstaltet; am Steuerruder wird nicht mehr Kelpte, der Geist der Seen, angerusen; auch wird kein Kuchen mehr für dcn Brvwnic unter der Asche verborgen. Dennoch bringen in den Hochlanden die selben Bauern, welche zur Messe und zur Predigt gehen, belebten