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240 durchblättern. DaS 4te Heft dieser Arbeit lag vor Harald, und in demselben war die Abtheilung: „Entdeckung des Weinlandes" aufgcschlagen. Er hatte so eben des Uebersetzers interessante Ein leitung zu den Sagen von Erik Röve und Karlefsne vorgelesen und schickte sich jetzt an, die Sagen selbst vorzutragen, welche Berichte von der erste» Entdeckung Amerika's enthalten und von denen wir hier einen kurzen Auszug liefern. „Am Schluffe des zehnten Jahrhunderts, um die Zeit, als die Normannen den Süden Eurvpa's mit kriegerischen Seczügen hcim- suchten und das Christenihum mit dem Evangelium des Friedens sich dem Norden nahte, lebte auf der Insel Island ein sehr angesehener Mann mit Namen Herjulf. Sein Sohn hieß Bjarne und war ein entschlossener junger Mann. Zeitig stand sein Sinn nach Reisen und Abenteuern. Bald verschaffte er sich auch ein eigenes schiff und fuhr damit in die Welt hinein. Als er eines Sommers zu seiner heimat lichen Insel zurückkehrte, war sein Bater fortgezogen nach Grön land und hatte sich dort angebaut. Da stach Bjarne sogleich wieder in See, indem er sagte: „Ich will nach alter Sitte bei meinem Vater Winterkost nehmen und gen Grönland steuern." „Nachdem er drei Tage gefahren, erhob sich ein heftiger Nord- vstwind, dem ein starker Nebel folgte, so daß Bjarne und seine Leute nicht mehr wußten, wo sie sich befanden. Dies währte mehrere Tage; — hierauf bekamen sie die Sonne wieder zu sehen und ver mochten die Himmelsgegenden zu erkennen. Da sahen sie ein Land vor sich, das war waldbedeckt und hatte kleine Höhen. Bjarne wollte hier nicht vor Anker gehen, da es nicht Grönland seyn konnte, von welchem er wußte, daß sich hohe Schneeberge darin be fänden. Sie segelten mit Südwcstwind weiter, drei Tage lang, und bekamen ein anderes Land zu Gesicht, Vas war bergig und hatte hohe Schncekegcl; aber Bjarne erkannte auch dies nicht für Grön land und segelte weiter, bis er endlich das Land fand, was er suchte, und seines Vaters Hof." „Während eines Besuches bei Erik Jarl in Norwegen erzählte Bjarne später von seiner Fahrt und von den fremden Ländern, die er gesehen. Da er aber weiter nichts von diesen Ländern zu sagen Wußte, hielt man ihn für äußerst wenig wißbegierig und lachte ihn aus. Erik Röde's Sohn, Leif, der Sprößling eines angesehenen Geschlechtes, wurde bei Bjarnc's Erzählung von Lust ergriffen, die Entdeckung zu verfolgen. Er kaufte ihm ein Schiff ab, welches er mit fünfunddreißig Mann besetzte, und stach in See, um das neue Land zu entdecken. Zuerst kamen sic zu einem Lande voller Schnee und Berge, und das ihnen „ohne alle Herrlichkeit" zu sepn schien. Dann bekamen sie eines zu sehen, dessen Küste aus weißem Sande bestand und dessen Inneres mit Wald bedeckt war. °) Sie segelten noch weiter und gelangten endlich zu einem herrlichen Lande, wo sie Weintrauben und Mais und jenen edlen Baum fanden, den man Maser-Baum nennt. Dies Land hießen sic das Weinland") und bauten Häuser daselbst und blieben den Winter über dort, der so mild war, daß auf den Triften das GraS nur wenig verwelkte. Auch waren Tage und Nächte in Bezug auf ihre Dauer nicht so sehr von einander verschieden wie in Island und Grönland. Und Leis war ein großer und starker Mann von kräftigem Ansehen und Verständig und klug in allen Stücken." „Nach diesem Seezuge nahm er noch zu, sowohl an Ansehen als an Vermögen, und wurde allgemein „der Glückliche" genannt." „Von den Fahrten nach dem neuen Lande, welche der des Leif folgten, ist die von KarlefSne die merkwürdigste; aber theilS wur den die entstehenden Kolonieen durch schwere Krankheiten hcimge- sucht, theilS trieb das dem nordischen Bauer eigene Heimweh ihn von den Trauben des Wcinlandes nach seinen heimischen Schnec- feldern zurück; gewiß ist, daß keine von allen Kolonieen in der neuen Welt festen Fuß gewann; auch wurden sie bald von den Eingeborncn angefallen, deren zahlreichen Waffen zu widerstehen sic nicht mächtig genug waren." „Jndeß haben mehrere Isländische Chromkenschrcibcr ausgezeich net, daß in jedem Jahrhundert, von Leif's Entdeckung bis zu der des Columbus, Amerika von Normannen besucht worden ist. Den Beweis von diesen Fahrten liefern nicht nur diese Berichte, sondern auch ein merkwürdiger, jetzt „Uixkwn veriting liocsi" genannter Stein, den man an den Ufern des Taunton-Flusses in Maffa- chussetts aufgefunden, und dessen Runen und Hieroglyphen, die der Amerikanische Gelehrte Dighton im Jahre I8Z0 abzcichnete, die Wahrheit dieser Entdeckungszüge noch näher bekräftige^." Ueber diese Figuren kommentirte Harald jetzt mit großem Eiser, indem er erzählte, wie man noch gegenwärtig in Norwegen auf alten Grabsteinen, Gebäude-Trümmern u. s. w. ähnliche Zeichnungen und Runen finde. „Siehst Du, Alette", fuhr er eifrig fort, „dies hier soll eine Frau mit einem kleinen Kinde vorstellen; vcrmuthlich Kar- lefsne's Frau, welche während ihres Aufenthaltes im Weinlande einen Sohn bekam. Und das hier soll ein Stier seyn, denn in KarlefSne's Sage wird von einem Stier gesprochen, welcher die Eingcbornen durch sein Gebrüll erschreckte. Diese Figuren hier links stellen die Eingeborncn vor. Dies hier soll ein Schild seyn, und das ist Runenschrift......" „Es gehört in der That sehr viel Einbildungskraft dazu, mein lieber Bruder, um alle diese Dinge herauszufinden", unterbrach ihn Alette lächelnd, die nicht immer so patriotisch gesinnt war wie Wahrscheinlich Neufundland. ") Sud-Kanada. Harald; „aber angenommen, alles dies hier bewiese in der That, daß Amerika schon früher von unseren Vorältcrn entdeckt worden, was dann? — welchen Nutzen hätte die Welt davon? und was ent stände ihr Gutes daraus? Ist es nicht tm Gegentheil höchst betrübt, zu sehen, daß eine so wichtige Entdeckung, wie die einer neuen Welt, spurlos verloren gehen konnte, als wäre sie nie gemacht worden? Und hätte nicht Columbus mehrere Jahrhunderte später der Eng herzigkeit der Menschen und den unermeßlichen Räumen des Welt meeres von neuem Trotz geboten, so wüßten wir heute sicher nichts von Amerika und von jenem Steine, der einzigen Spur, die unsere Vorfahren auf jener fremden Erde hinterlassen zu haben scheinen." „Aber, meine liebe AIcttc", ries Harald verwundert, „ist es nicht ganz sonnenklar, daß ohne die Fahrt der Normänner nach dem Wein lande Columbus gewiß nicht auf die Idee gekommen wäre, ein Land hinter dem großen Meere zu suchen? Zu der Zeit, wo Columbus lebte, befuhren die Normannen mit ihren schmalen Böten alle Euro päische Küsten; sie machten selbst einen Zug nach Spanien, und das Gerücht von dcr Eristenz des Wcinlandes ging mit ihnen. Außer dem, — und das ist wohl zu beachten, — besuchte Columbus vor seiner großen Entdeckungsreise selbst Island, und dies mehr, wie Robertson sagt, um seine seemännischen Kenntnisse zu erweitern, als um Geld zu erwerben." „Aber", entgegnete Alette, „Washington Irving spricht in seinem Columbus, — den ich kürzlich gelesen, — zwar von dessen Reise nach JSland, stellt jedoch in Abrede, baß er daselbst die ge ringste Anleitung zu seiner späteren großen Entdeckung gefunden habe." „Das ist ja unglaublich, unmöglich, nach dem, was wir hier sehen und vernehmen! Höre nur, was Aal von der Zeit sagt, wäh rend welcher sich Columbus in Island aushielt: „Auf Island war damals das Abschreiben alter Sagen im besten Gange, und die verschiedenen Kopicen gingen von Hand zu Hand; sie dienten dazu, die trägen Stunden der langen Winterabende zu verkürzen. Sicher warfen die alten Sagen in die dunklen Ver muthungen des fremden Gastes aus dem Süden ein Helles Licht, und dies mußte ihn um so mehr auf den richtigen Weg leiten, als er im Stande war und gewiß nicht unterließ, durch mündliche Nach fragen bci den Abkömmlingen dcr alten nordischen Seefahrer genaue Nachrichten über Alles einzuziehen, was sich über diese Vorgänge vom Vater auf den Sohn getreulich überliefert hatte." „Ist dies nicht höchst natürlich und sogar nothwendig? Kannst Du noch länger daran zweifeln? Ich bitte Dich, bekehre Dich, — be kehre Dich von Irving zu Aal." „Ich bin geneigt, auf Harald'» Seite zu treten", sagte die Oberstin >nit lebhafter Stimme und Miene. „Große, für die Mensch heit wichtige Entdeckungen sind nie ohne gewisse Vorbereitungen geschehen. Oft wurden sie Jahrhunderte lang im Stillen fortgesetzt, dis ein glücklicher Genius in einer günstigen Stunde den unter der Asche glimmenden Funken anhauchte, daß er zu einer Hellen Flamme cmporschlug. Ueberall, wo wir eine Blume erblicken, treffen wir auf einen Stiel; er führt unS zu Wurzeln, und diese endlich zu einem Saamenkorn, das in seinem Schooß den unentwickelten Keim zur Pflanze barg. Und sollte sich nicht überhaupt Alles in der Welt wie aus einem Saamenkorn entfalten? In der stürmischen Nebelfahrt dcr Normannen über das weite Meer erblick' ich das vom Winde verwehte Saamenkorn, welches im Weinlande unter dem Schutz der Vorsehung Wurzel faßte, bis ein mächtiger Geist dadurch veranlaßt wurde, eine neue Welt für die alte zu entdecken." Mannigfaltiges. — Holländische Preisfrage. Das Holländische soll mit dem Hebräischen und Arabischen verwandt seyn; so behauptet wenig stens der von seinen Landsleuten in großen Ehren gehaltene Dichter Bilverdijk. Allerdings müßten auch wir Deutsche von dieser Ver wandtschaft etwas wissen, da wir, was die Sprache betrifft, mit den Holländern nicht bloß wie in manchen Gewohnheiten und Neigungen, unverträgliche Vettern, sondern gewissermaßen identisch sind. Aber da der verstorbene Bildcrdijk aus die Meinungen und das Urthcil der Deutschen nicht viel gegeben, so war es ihm ganz gleichgültig, was diese zu der orientalischen Verwandtschaft sagten, und so blieh er auch bis an sein Ende bei seiner Behauptung, wenngleich er den Beweis dafür schuldig geblieben. Nun ist es aber seinen Verehrern gerade um diesen Beweis zu thun, und so hat denn die IVIaaczeKgpplj üer kilaäorlsnäncke I.erlerkunäe (Gesellschaft der Niederländischen Literatur) für das Jahr 1841 zu einem Gegenstand ihrer Preis-Auf gaben folgende Frage gemacht: „Worin vornehmlich besteht die von Bildcrdijk so positiv behauptete Uebercinstimmung des Niederdeutschen (Holländischen) mit den alten orientalischen, insonderheit Semitischen Sprachen? Hat diese Uebercinstimmung, oder nicht, ihren Grund in einer ursprünglichen Verwandtschaft und in einer größeren oder ge ringeren Ableitung dcr einen Sprache von der anderen? Und wen» dem so ist, welches sind davon die überzeugendsten Beweise?" — Wir ersehen hieraus, welchen naiven und kindlichen Standpunkt unsere Holländischen Nachbarn noch auf dem reichen Gebiete der Sprachwissenschaft einnehmen. Wir ersehen aber auch ferner dar aus, daß man alleiniger und unumschränkter Protektor von Java seyn kann und doch nicht zu wissen braucht, daß auf dieser Insel eine Sprache (das Kami) gesprochen ward, die vielleicht verwandter mit dem Holländischen ist, als das Hebräische und Arabische des Herrn Bilverdijk. HerauSgegebcn von dec Expedition der Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.