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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumkratwnS- Prei« 22j Sgr. Tblr.) vjertegährü», 3 THIr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man pränumerirt ans dieses Liieralur-Blatt in Berlin in der Espehitio» ter YMg. Pr. Slaals-Jeitung (FriedrichSslr. Rr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wvhllöbl. Post-Aemizrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 19. Mai 1841 Frankreich. Ludwig XV. in Straßburg. Von C. F. X. Müller.") Ludwig XV. hatte eben seinen Einzug in Straßburg gehalten. Ein ungeheurer Aufwand von Seiten der Stadt sollte dem Könige den Beweis liefern, daß alle Deutsche Erinnerungen und Umtriebe beseitigt seyen, und daß die ehemalige freie Reichsstadt nun in aller Demuth ihr Haupt unter das Joch des erhabenen Königs von Frank reich gebeugt. Inzwischen hatte Straßburg keinesweges den alten Stolz, fahren lassen, jene angestammte Begeisterung für die Unab hängigkeit, die es nie ganz aufgegeben; nur hielt es, durch die Er fahrung belehrt, für gut, mit seinen Absichten ein wenig zurückzu- halten und nicht zu verwegen gleichsam mit dem Kopse gegen die Wand zu rennen. Der bischöfliche Palast, den der König in Straßburg bewohnte, war mit unerhörter Pracht ausgeschmückt worden. Dem Schlosse gegenüber, an der Jll, hatte man eine Ehrenpforte, mit sechs herr lichen Bildern, aufgerichtet, von Pyramiden umgeben, die mit Blumcn- Guirlanden verziert und mit einigen Springbrunnen auSgestattet waren, aus denen täglich mehrere Stunden lang Wein aus den vor züglichsten Weingegenden des Elsasses hervorsprudclte. Oberhalb der Jll sah man Neptune, Delphine und Feuerrätcr sich bewegen, und Schwäne schwammen auf dem Flusse umher, den zierliche Nachen durchfurchten, auf denen junge Mädchen oder Schiffer, in ihrem eigenthümlichen Kostüme, zu sehen waren. Täglich wurden hier vor den Augen des Königs neue Feste veranstaltet, und des Nachts illu- minirte man die Ehrenpforte und brannte Feuerwerke ab. Am 7. Oktober hatten die Schiffer von Straßburg und dem ganzen Elsaß sich vereinigt, um vor dem Könige das Schauspiel einer Art von Seeschlacht aufzuführen. Sie waren auf blau ge malten, mit Wimpeln ausgcschmücktcn Fahrzeugen erschienen. Paar weise in der vollkommensten Ordnung angelangt, pflanzten sie sich zu beiden Seiten des Flusses reihenweise auf und bereiteten sich zu den Evolutionen, die der Schlacht vorausgehen sollten. Längs der Jll war eine ungeheure Menge zusammcngeströmt, und die Dächer aller Häuser waren von Menschen voll gepfropft. Ludwig XV. befand sich, umgeben von vornehmen Herren und Damen, an einem Fenster des Schlosses. Das sich vor seinen Augen entwickelnde Schauspiel schien ihm sehr zu gefallen, und der laute Jubel des Volkes entlockte ihm Freudenthranen. Wer hätte auch bei jenen einfachen gemüthlichcn Elsässern an der Aufrichtigkeit der Ausbrüche ihres Frohsinns wohl zweifelst mögen? Aber auf einmal hatte sich ein fast unvernehmbares Gemurmel unter der Menge verbreitet. Alle Augen wandten sich den Strom hinauf. Ein außerordentlich leicht gebauter grüper Nachen, auf dem ein junges weißgekleidetes Mädchen sich befand, fuhr pfeilschnell die Jll hinab. Das Wasser schien kaum von dem Ruder des kleinen Fahrzeuges berührt zu werden, das nur eine geringe Spur von schäumender Furche hinter sich ließ. Das junge Mädchen war nach dem damaligen Kostüme der Elsässischen Bäuerinnen gekleidet; nur war ihre Kleidung etwas weiter als gewöhnlich, so daß man ihren Wuchs nicht zu erkennen vermochte. Gleichwohl gab sich in ihren Bewegungen ein gewisser Anstand kund, und ihre ganze Haltung verricth nicht den geringsten Zwang. Sie schien die Bescheidenheit und Sanftmuth selbst; aber wenn sie ihr schwarzes Auge auf die Menge umher warf, drückte sich in demselben eine Kühnheit und ein Stolz aus, wie sie schwer zu beschreiben sind. Die über diese untcrerwartcte Erscheinung erstaunten Schiffer ließen sic einen Augenblick ruhig ihren Weg verfolgen. Als aber das Signal zum Beginn der Evolutionen gegeben wurde, fuhren sie ihr nach, um sie aufznhalten. Das junge Mädchen ließ sic jedoch nicht an sich herankommen, und eS gelang ihr, indem sie bald den Verfolgenden auSwich, bald mit ihrem Ruder die zahlreichen ihr ') Es ist dies der Elsässische Schriftsteller, von dem wir in Nr. LZ d-S Magazins (Ari. „Mannigfaltiges") gesprochen. Herr Müller erzählt hier semrn Französischen Lesern die Geschichte einer gegen den König von Frank reich gerichtet gewesenen Verschwörung in Straßburg, bei der sogar der Am- meifter und die Schöffen dieser Stadt betheiligt gewesen segn sollen. Die ganze Geschichte ist iedvch so abenteuerlich und unbeglaubigt, daß wir sie wohl um so mehr in daS Reich der Fadel Vciweistn können, alS.von dem Ratl) »ner Deutschen Stadt gewiß nicht anzunehmen, daß er ein Komplvlt v gunstigt habe, bei welchem eS um einen Meuchelmord sich handelte-. entgegen kreuzenden Fahrzeuge zurückwarf, endlich mit unerhörtem Glucke, sich bis unter die Fenster des Schlosses durchzuschlagen. Hier wurden neue Angriffe versucht, nm sich ihrer Person zu bemächtigen; aber mit bewundernswürdiger Gewandtheit schlug sie diese alle zurück. Ihr Nachen schlüpfte gleich einer Schlange mitten durch die feindlichen Fahrzeuge hindurch; zuweilen schien sie zwar einen offenen Kampf mit ihnen eingeben zu wollen, allein in dem Augenblicke, wo der Angriff erfolgen sollte, verstand sie cs, behend eine andere Richtung zu nehmen und sich ihren Verfolgungen zu entwinden. Der König ergötzte sich ungemein an dieser sonderbaren Scene; da er aber fürchtete, daß sic ein unglückliches Ende für daS junge Mädchen nehmen dürfte, so bedeutete er die Schiffer, daß sie von ihren Verfolgungen ablaffen sollten. Diese gehorchten dem Befehl und kehrten nach ihren Plätzen zurück. Das junge Mädchen hielt mit ihrem Nachen an. Da die Strö mung nicht sehr stark war, so durfte sie sich nicht eben anstrengen, um derselben Widerstand zu leisten. Hierauf wandte sie sich gegen den Königlichen Palast, löste die Schnallen und den Gurt, die ihr weites Oberkleid bisher zusammengehalten, und ließ dasselbe ganz herabfallen. Als die Volksmenge dies sah, wurde sie anfangs von einem gewissen Schrecken ergriffen, aber das keusche, züchtige Lächeln des jungen Mädchens beruhigte sie bald wieder.... Leicht und schön wie ein Schmetterling trat sie aus ihrer Hülle hervor. Ein rvsenfarbigcS Gewand, das ihre sylphidenartige Taille vollkommen abzeichnete, reichte ihr bis an die Kniee, und darunter trug sic eine Art weißer Pantalons; ein zierlich um den Hals gehängtes Tuch spielte an beiden Enden mit den Liebkosungen des Windes, und ihr herrliches blondes Haar fiel in langen Locken auf ihre halbnackten Schultern herab. Das junge Mädchen streckte seine schönen runden Arme zierlich aus, hob ein Bein in die Höhe, schwang das andere gleich einer von dem Windhauche bewegten Garbe und begann einen Tanz, der anfangs etwas melancholisch, aber allmälig immer lebendiger und bewegter wurde; in einem Augenblicke schienen ihre Füße den Na chen gar nicht mehr zu berühren; ihr Gewand schwebte in der Luft, gleich einem Ballon, auf dem sie mit reißender Schnelligkeit einher zufahren schien. Der König hatte sie nicht einen Augenblick aus dem Gesichte verloren. Als sic ihren Tanz beendigt, berührte sie die Spitzen ihrer kleinen Finger mit den Lippen und machte dann mit ihrem Arme eine graziöse Bewegung, gleich als wollte sie dem Fürsten einen Kuß zuwerfen. Dieser crwicbcrte durch ein Lächeln. Das junge Mädchen zog hierauf aus einer kleinen in ihrem Gewand angebrachten Tasche eine Schleuder hervor und legte darauf eine Kugel, die sie mit bewundernswürdiger Gewandtheit über das Haupt des Königs in den Saal warf, in welchem sich der Monarch mit seinem Hofe befand. Ludwig gab ein sichtbar zurückgehaltcneS Erstaunen zu erkennen; seine Leute liefen sogleich herbei, um den Gegenstand aufzuhcben und ihm zu bringen. Es war eine kleine, hölzerne, hohle, schwarze Kugel, die mittelst einer Springfevcr vurch einen Druck mit dem Finger sich öffnen ließ; sie trug tue Inschrift: „An den König — Antwort, wcnn's beliebt." Ludwig XV. war weder furchtsam, noch argwöhnisch; indessen hielt er cs für klug, nicht selbst die Kugel zu öffnen; einer der an wesenden vornehmen Herren bot sich dazu an. ES siel ein versiegel tes Schreiben heraus, das der König eilends erbrach und las. Fol gendes war der JnhalN „Sire, es hat sich ein Komplott gegen Ew- Majestät entspannen; Ihr Leben ist in Gefahr; lassen Sie mich, aber allein — denn ich mag nicht vor Zeugen sprechen — vor sich kom men, und ich werde Ew. Majestät Alles entdecken, was ich von der Verschwörung weiß. In einer Viertelstunde wäre vielleicht keine Zeit mehr dazu. Vor Allcm aber mag Niemand erfahren, weshalb Ew. Majestät mich vor sich lassen. Ich würde dadurch ernstlich kom- promittirt werben." Der König schien beim Lesen dieser Worte etwas bewegt; nachdem er sich einen Augenblick bevacht, ergriff er einen Bleistift und schrieb auf das Billet: „Ich erwarte Sie", that das Papier wieder in die Kugel und warf sie dem jungen Mädchen zu. Diese fing es geschickt auf, zerriß sogleich das Billct und fuhr, mdem sie der Menge zulächclte, den Strom hinauf. Einen Augenblick darauf erschien sie vor dem Eingänge des Pa lastes. Dcr König hatte Befehl gegeben, sie einzulaffcn. Ludwig ließ zu gleicher Zeit den Saal räumen; indessen blieben aus Vorsicht mehrere von seinen Leuten in den anstoßenden Zimmern zurück.