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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22j Sgr. Töle.) vierteljährlich, z Lhlk. für du« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preuliischen Monarchie. für die Man pränumerirt auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz s» wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 36 Berlin, Montag den 10. Mai 1841. Frankreich. Die Französische Deputaten-Kammer. Mach Englischer Schilderung.) Die Leser werden vielleicht schon wissen, daß ein Französischer Deputirter einer von vierhundertundneunundsunfzig Gesetzgebern ist, die von allen Franzosen gewählt werden, welche jährlich 12 Pfund Steuern zahlen, während der Deputirte selbst 2» Pfund zahlen inuß; daß jedes Mitglied ein besonderes Arrondissement repräsentirt, deren einige wohlhabend und volkreich, andere arm und dünn bevölkert sind, und daß viele Tausende von den Wählern weder schreiben noch lesen können. Ferner ist ihnen vielleicht nicht unbekannt, daß die Fran zösischen Deputirten-Wahlen nur Einen Tag dauern, daß cs da keine Hustings, keine Reden, keine Bretterbuden giebt, daß die Wähler vermittelst Kugelung stimmen, und daß die Dauer der Parlamente auf fünf Jahre beschränkt ist. Auch das Haden sie vielleicht schon gehört, daß die Wähler hauptsächlich der Klaffe der Geschäftsleute angehören, und daß in großen Städten die Krämer allmächtig sind. Es giebt in den Französischen Provinzen keine Gentry, die dieses Namens werth ist. Die alten Hallen und Schlösser sind längst dem Boden gleich gemacht. Ein leerer Schloßgraben bezeichnet nur noch hier und da durch feine verfallenen Backsteine und sein üppiges Un kraut die Stättp früherer Größe und ruft die grimmigen, blutigen Fehden des alten Frankreichs den Politikern ins Gcbächtniß. In ewigen Departements, wo die Schlösser während der Anarchie mehr geschont wurden, sieht man wohl noch ein riesenhaftes Paar eiserner Thore, verrostet und unangestrichen, mit zwei Reihen Pappelbäumen, die eine lange Allee bilden, an deren Ende der Familiensitz des Marquis oder Grafen und zuweilen des Herzogs oder Barons liegt. Das Schloß ist gewöhnlich von einem Helle» Gelb oder schmutziger Rahmfarbe; die äußeren Mauern sind verfallen, da der Stuck oder Mörtel am Ende jedes Winters, wenn der Frost sich löst, in großen Stücken abfällt; wenn der Herzog reich ist, so werden solche Stücke durch andere Mörtelstückc ersetzt, alle von verschiedenen Farben, so daß man glauben könnte, erstens, der Mörtel müsse sehr theuer seyn, und zweiten«, das HauS habe die Blattern gehabt. Betritt man daS Schloß selbst, so kommt man in eine große steinerne Halle ohne Kamin, Stuhl oder Bank. DaS Speisezimmer hat keinen Teppich. Der Speisetisch ist nur einmal täglich mit einem Tafeltuch bedeckt, da dieses beim Frühstück für überflüssig gehalten wird; die Stühle sind eine bunte Gruppe von abgenutzter Tapetenarbeit, mit Binsen- polstcrn, Rofihaarpolstern, kurz, schlank, mit hoher Lehne, niedriger Lehne und gar keiner Lehne, und der Boden wird zuweilen einmal täglich gefegt oder einmal wöchentlich gebohnt. Der Salon oder daS Besuchzimmer enthält ein Piano, ein paar Stühle von verschiedenen Farben, keine Jalousieen, keine Vorhänge, ein Sopha ohne Seide und Sophakifsen ohne Daunen, Federn oder Roßhaar und eine un geheure Uhr aus dem KamingesimmS, mit einem gläsernen Schirm bedeckt und zwei gläsernen oder messingnen oder bronzenen Kande labern daneben. Der Glasschirm ist mit Staub bedeckt; die Fenster sind äußerst schmutzig und zuweilen mit Papier ausgefüllt; der Tisch ist altersschwach; die DemoisellcS denken nur an ihre Wollenarbeit und Stickerei, die Garyons nur an ihre Hunde und Flinten. Mit einem Wort, es ist in diesen Schlössern nicht viel zu suchen; sie sind ein treffendes Abbild des modernen Französischen Adels. Doch um wieder auf die Deputirten-Kammer zurückzukommen: die Französischen Deputirten sind den Mitgliedern des Britischen Unterhauses so unähnlich, als Schuhflicker Königen und rohe, zurück gezogene Krämer geborenen Gentlcmens. Da sind sie vor uns; denn wir sitzen in einer besonderen, be vorzugten Tribüne oder Loge auf der ersten Reihe, dem Präsidenten gerade gegenüber; und zwar sind wir deshalb hier, um einer be rühmten Debatte über die verwickelte Frage, ob Paris befestigt wer den soll, zuzuhören. Die Stunde, zu welcher die Debatte beginnen soll, ist zwei Uhr — aber wir sind eine Stunde früher hingegangcn, um die eintretenden Deputirten zu beobachten, zu hören, was sie in ihren lauten Unterhaltungen sprechen, und die Anatomie der Kammer Au studiren. Der Präsident, die Vice-Präsidenten und Sccrctaire Mn auf einer erhöhten Plattform oder Bühne und werden in der Ausübung ihrer Functionen durch die Quästoren unterstützt. Die «ammer hat die Form eines Hufeisens. Die Sitze für die Dcpu- As, " sind erhöht. Jeder von ihnen hat ein kleines Schreibpult vor uw, mit Tintenfaß, Federn, Papier, Oblaten und Saud, gewöhnlich von schmutziger Sorte, der die Stelle des LöschpapierS vertritt. Dit Franzosen verstehen kein Löschpapier. Sie haben umsonst versucht, es gut zu machen, und wir wundern uns nicht, daß sic mit dem schlechten Stoff, der diesen Namen trägt, keine Geduld haben. Sie brauchen daher Sand, Sägestaub, Schnupftaback und Asche, je nach ihrem Geschmack, ihrer Börse oder Stellung und, vor Allem, je nach ihren Verhältnissen im Augenblick des Schreibens. Dort kommt George Lafayette. Er gehört natürlich zur Partei seines verstorbenen Vaters und spricht mit Arago und Laffitte. Sie lachen alle Drei. Worüber? vielleicht errathen wir's. Arago be lustigt sie mit einer Skizze der projektirten Befestigungen, die er ge macht hat, und sie betrachten sie mit sichtlichem Wohlgefallen. George Lafayette ist seinem Vater gar nicht ähnlich. Arago ist ein wahrer Riese. Wir beziehen dies nicht aus seinen Geist, obwohl Sir John Herschel ihn für „eine sehr begabte Person" erklärt, sondern wir meinen seine breiten Schultern, seinen athletischen Bau, sein schwarzes Haar, wallende Locken, durchdringende Augen und muskulöse Glied maßen. Da steht er, sagen wir, lachend — denn was kümmert er sich darum, daß fünfhundert Augen auf ihn gerichtet sind? Lafitte sicht, mit Arago verglichen, wie ein perit maicre aus. Herr Lafitte ist frühzeitig grau geworden, und seitdem er seinen blauen Rock mit messingnen Knöpfen abgelegt, sieht er nicht mehr so gut aus. Er firirt Herrn Jacques Lefebvre, seinen glücklichen Gegner im zweiten Arrondissement von Paris. Lafitte ist von Lefebvre zweimal ge schlagen worden, und das kann er ihm nicht verzeihen. Sie sind Beide Banquiers, aber sehr verschiedenen Meinungen zugethan; La fitte gehört der Kriegs-Partei der äußersten Linken an, während Lefebvre ein Mitglied des rechten CentrumS lst und Herrn Guizot unterstützt. Welcher Kontrast zwischen dem schwarzen Haar und dem dunkeln Gesicht Arago's und dem blaffen und nervösen Aussehen des Pariser Banquiers! Herr Lefebvre hat einen tiefen Widerwillen gegen die Männer der Linken. Er behandelt sie mit Verachtung und geht bei ihnen vorbei, als wenn er von ihnen anaekeckt »u werden fürchtete. " ° Jener ernst aussehcnde Mann, der mit Herrn Thiers spricht, ist Odilon Barrot. Er ist Jurist. ES ist etwas an einem Juristen, was fast immer seinen Stand erkennen läßt. Wir mögen Barrot, Mauguin oder Persil ansehen, die jetzt alle drei vor uns sind, wir erkennen den Advokaten in Jedem und in Allen, und doch giebt eS keine fünf Menschen, die physisch weniger sich gleichen können, als die eben Genannten. Odilon Barrot, obgleich eben sowohl Politiker als Advokat, ist vor allen Dingen Jurist. Das war auch Dupin, und das ist er bis zu dieser Stunde. Odilon Barrot spricht offenbar mit Thiers über die bevorstehende Debatte. Odilon Barrot sucht Herrn Thiers in seiner Opposition gegen die Regierung und gegen die Regierungs-Maßregeln zu be stärken, während Thiers zu Herrn Barrot sagt: „Yue vaulor-vou« toir«, !Vl. liofroc, uvee <le8 boinme« counue ceux-Is?" Er zeigt mit Kopf und Schulter nach den Centren. Er weiß, sie Haffen ihn — und daß er sie verachtet. Herr Barrot sieht zweifelnd aus. Er scheint zu erwiebern: „O, was das betrifft, Herr Thiers, so sind wir nie geschlagen, bis die Abstimmung vorüber ist; denn wer kann sagen, was für Kugeln in diese Stimm-Urnen gelegt werden?" Und das ist allerdings sehr wahr — denn gar manche Bill seit IM, deren einzelne Klauseln von einer großen Mehrheit durch Auf stehen und Niedersitzcn genehmigt wurden, ist dann vön derselben Mehrheit bei der Abstimmung über das ganze Gesetz verworfen worden. Jener Deputirte in der Mitte dcs Hauses, der mit großer Hef tigkeit zu Herrn Roper-Collard spricht, ist Graf Zaubert. Beides sind wackere Männer und verdienen Achtung. ES war eine Zeit, wo sie Beide auf ciner Seite stimmten; aber Herr ThierS hat den Letzte- ren für sich gewonnen, während Royer-Collard den Grundsätzen sei» nes langen Lebens treu bleibt. Royer-Collard ist ein großer Mann; er hat einen gewaltigen Geist, liebt die Wahrheit und verabscheut Aufregung, mißtraut den heftigen Männern aller Parteien und hat die Gewohnheit, alle Fragen mit dem Auge eines Philosophen zu be trachten. Ludwig XVIII. und Karl X. achteten ihn sehr hoch, und selbst als der Letztere am wenigsten mit ihm zufrieden war, sagte er: „UcbrigcnS ist Collard ein sehr braver Mann." Graf Zaubert wid met in der Französischen Deputirten.Kammer besonders den Agri- kultur-Jntereffen seine Aufmerksamkeit; er ist ein trefflicher Präsident in Comite's und sucht Alles, was zur Sprache kommt, zu verstehen, ehe er eine Meinung ausspricht. Graf Zaubert kann euch mehr als