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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerativn»- Preis 22^ Sgr. tö Tblr.) vierteljährlich, Z THIr. sür daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumcrirt aus dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Ervedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSsir. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 48. Berlin, Mittwoch den 21. April 1841 Frankreich. Aus Lamcnnais' Grundriß einer Philosophie. °) Vom Schönen und von der Kunst, in ihren Bezie hungen zur Schriststellerei. Die Schriststellerei unterscheidet sich von der Beredsamkeit, und selten finden sich Männer, die in beiden Fächern gleich ausgezeichnet sind. Um einen und denselben Zweck zu erreichen, um zu erleuchten, zu überzeugen, zu überreden, hinzureißen, gehen ost der Schriftsteller und der Redner, in gewissen Hinsichten, ganz entgegengesetzt zu Werke. Der Redner wiederholt sich, verweilt bei einem Gedanken, zeigt ihn von verschiedenen Seiten, dreht und wendet ihn nach allen Richtun gen, um den trägen oder unaufmerksamen Köpfen denselben leichter verständlich zu machen. Beim Schriftsteller wäre diese Methode in den meisten Fällen unausstehlich. Sobald er eine Idee klar auSge- drückt, muß er weiter gehen, sonst ermüdet er und erregt Langweile. Hat der Leser den Sinn nicht recht aufgefaßt, so mag er noch ein mal von vorn anfangen, ein zweites-, ein drittesmal durchlesen, bis er sicher ist, begriffen zu haben. Aus diesem Unterschiede zwischen den Versahrungsweisen des Redners und des Schriftstellers entspringt ein ähnlicher in den Gewohnheiten der Schriftsteller selbst. So lange die Rede, in Folge der Regierungsform, in den Staats-Angelegen heiten einen bedeutenden Einfluß übt, nimmt die Schriftstellerei vcn Charakter der Redekunst an; die geschriebene Sprache ist gedehnt, periodisch; die Sätze eilen sich nicht, sie entfalten sich nach aller Be quemlichkeit; sie finden gleichsam Gefallen daran, ihre weiten Falten auszubreiten. Hört, im Gegentheil, der politische Einfluß der Rede auf, so wird der Styl kurz, gedrängt; der Gedankte schnürt sich zu sammen und verlangt bloß, in die unentbehrlichen Worte eingckleidct zu werden. Dies erhellt deutlich, wenn man den Titus Livius und Cicero mit Sallust, Seneca und TacituS vergleicht. Die Prediger, die Redner auf der gesetzgebenden Tribüne und an den Gerichts höfen könnten, in unseren Tagen, zu einer ähnlichen Bemerkung Anlaß geben. Der Redner wirkt außerdem auf seine Zuhörer und durchdringt sie mit seinen Gefühlen und Gedanken mittelst der Stimme, der Geberde, des Blickes, des Spiels seiner Gesichtszüge, jener Art Lebensergießung, welche unter den Gemüthern eine unmittelbare Communication bewerkstelligt. Die grammatikalische Richtigkeit, die Anordnung und Wahl der Worte, haben für ihn bei weitem weniger Wichtigkeit als für den Schriftsteller; er besitzt andere Mittel des Ausdrucks, und die Unregelmäßigkeit verschwindet in dem raschen Gang der Sprache, während sie beim Schriftsteller augenblicklich auffällt, da des Lesers Aufmerksamkeit durch nichts abgewendet wird. Um auszudrücken, was er denkt und fühlt, hat der Schriftsteller nur eine nackte, stumme und stets unvollkommene Sprache, fo daß die Klarheit und demgemäß auch der Effekt erstlich von der genauen Be obachtung der Regeln, denen zufolge die Eintheilungcn der Rede sich an einander reihen, und von der Paßlichkeit der Ausdrücke, ferner von dem Wiederschcin, de» diese Ausdrücke durch ihre Aehnlichkeit oder ihren Gegensatz einander zurückwerfen, abhängt: darin liegt das Gchcimniß der Stylistik. Die ganze Schriftstellerkunst besteht darin, unter den Worten das zu zeigen, was nicht in denselben ist; das faßlich zu machen, was man weder wirklich gesagt, noch hat sagen können; den Leser zu zwingen, in sich die Idee und das Gefühl hervorzurufen, das man ihm mittheilen will; — dieses Problem ist, wie man sicht, im Grunde dasjenige aller Künste. Der Zweck aller Künste besteht, in der That, darin, daß jede in rhrer Sphäre ein ideales Muster verwirkliche, das weiter nichts ist A das unendlich Wahre oder Gute unter einer seiner Ansichten. Dieses Muster realisircn, heißt so viel, als es mit einer Form, mit einer HiM bekleiden, wodurch cs den Sinnen zugänglich werde. Jedes Kunstwerk ist also aus zwei mit einander verbundenen und von einander unterschiedenen Elementen zusammengesetzt: der Idee und der Einkleidung der Idee. Die Idee macht Eindruck auf den Geist; die Einkleidung wirkt aus die Sinne und ist, obgleich mit der Idee innig verbunden, ihrer Natur nach davon verschieden, ist der selben Gränze und nicht die hervorbringcnde Ursache, das unmittel- 7"" Bild davon. Allein, so wie die äußeren Gegenstände, durch thre Einwirkung auf die Organe, das Schauen des Geistes physiolo- '» S. Nr. und Nr. 4r des Magazins. gisch bestimmen, so bestimmt die Einkleidung der Idee, in dem Geiste, das Schauen des Musters, das der Künstler hat äußern wollen. Mit anderen Worten, der Geist allein sieht dieses Muster, das von dem unterschieden ist, was solches durch die Beschränkung verwirk licht; und er sieht es, nicht in der materiellen Form, in der Gränze, in denen es nicht ist, sondern in der Sphäre der Essenzen, wo eS unwandelbar verharrt. Das, was die Sinne wahrnchmen, wird von allen beinahe gleichmäßig wahrgenommen, und sogar vom Thiere so gut wie vom Menschen, und doch bleibt die Idee, das göttliche Musterbild, dem Thiere ewig verhüllt, entblößt sich vor dem Menschen sogar nur in sehr verschiedenen Graden, je nach der Entwickelung der inneren Zähigkeiten, die im Verhältniß zur Vollkommenheit der Sinncswerkzeuge gerade umgekehrt seyn kann. Es muß dazu noch bemerkt werden, daß jede einzelne Kunst zur Erreichung des Zweckes der Kunst im Allgemeinen nur eine partielle und beschränkte Ordnung von Mitteln zu Gebote stehen hat. So können z. B. die plastischen Künste und die Zeichenkünste nur durch den Gesichtssinn, die Musik nur durch den Gehörsinn zum Geiste gelangen. Jede dieser Künste verfügt demnach nur über eine Art von Mitteln, und dazu noch in sehr engen Schranken; denn es stiebt in der Natur eine Änzabl Töne, Intervalle, Rhythmen, Klänge, welche die Musik nicht zuläßt, oder die sie sich nicht anzueignen ver mag; und eine Menge Linien, Ebenen, Reliefs, Farben, Tinten, Spiele von Licht und Schatten, in Bezug auf welche Bildhauerei und Malerei in derselben Ohnmacht sich befinden. Der Künstler muß also die Mittel, die ihm abgchen, durch andere Mittel ersetzen; er muß durch mancherlei Combinationen, die ihm die Art von In stinkt, welchen wir Genie nennen, eingiebt, den Geist anfeuern und ihn zwingen, in sich die Idee, das Gefühl, das Bild, das die Kunst nicht unmittelbar reproduzircn kann, hervorzurufcn. Deshalb erheischt auch sein Werk, soll es verstanden werden, eine gewisse Andacht, eine gewisse Anstrengung, deren Nothwendtgkeit die tägliche Erfahrung lehrt. Denn es ist Jedermann bekannt, daß man, um recht zu hören, recht zu sehen, sich sammeln muß, wie man sagt, daß der Blick nach einem Orte gerichtet werden muß, den ein anderes Licht beleuchtet, als das, welches die Außenwelt offenbart. Wir haben so eben gesagt, jede Kunst habe eine besondere Ordnung von Mitteln zu Gebote stehen, und jede dieser partiellen Ordnungen scy außerdem in den Schranken, worin sie sich dreht, unvollständig. Dies wird sehr deutlich bei der Schriftstellerkunst. Die Sprache ist das Werkzeug des Schriftstellers. Alle Sprachen aber leiden an der wesentlichen Unvollkommenheit der menschlichen Sprache überhaupt, sind außerdem noch unvollkommen, im Vergleich zu anderen Sprachen, die wieder anderen in anderen Beziehungen untergeordnet sind. Alle haben ihren besonderen Bau, ihre Wen- dungcn, Wörter, die ihnen ausschließlich eigen sind. Deshalb ist eine Uebersetzung oft unmöglich. Manche Ideen-Nuance, mancher Effekt der Harmonie oder des Rhythmus verschwindet durchaus in einem anderen Idiom. Tausend Schönheiten können selbst von der reichsten Sprache nicht wiedergegcben werden. Wie arm wäre folg lich die Kunst, wenn es nur Eine Sprache gäbe! So groß also die Hindernisse seyn mögen, welche die Verschiedenheit der Sprachen dem wechselseitigen Verkehr der Menschen cntgegcnstcllt, so begünstigt sie doch in anderen Hinsichten die allgemeine Entwickelung dadurch', daß sie eine Menge von Aeußerungcn möglich macht, die in der Voraus setzung einer einzigen Sprache unmöglich wären. Gerade dies aber zeigt, wie viele Schwierigkeiten der Schriftsteller zu überwinden hat, um, was er denkt und fühlt, auszudrücken, so wie er cS denkt und fühlt, um das ideale Musterbild, das sein Geist innerlich beschaut, in der Sprache zu verkörpern. Diese Fähigkeit, das Wahre und Schöne an der Quelle zu er fassen, ist die Grundlage, die erste Bedingung der Schriftstellerkunst, und aus ver geringen Anzahl solcher, die sich j» dieser schwierigen Kunst hervorgcthan haben, läßt sich auf die seltene Vescheerung dieser hohen Gabe schließen. Sie allein ist jedoch nicht hinreichend. Der Schriftsteller muß noch ein anderes Vermögen besitzen, das nicht durch Ucdung erlangt, wohl aber durch sie entwickelt, wird, nämlich die Fähigkeit, den immateriellen Typus zu reproduzircn. Diese eben so feine als komplizirtc Arbeit, um den Ausdruck hcrvorzubringcn, läßt sich in zwei Zweige abtheilen, die allgemeine Zusammensetzung und Anordnung der Rede, und den besonderen Bau des Satzes. Betrachten wir zuerst diesen. Was ist der Satz? ein mit der ihn äußernden Fobm bcklcidctcr Ge danke. Es ist also nolhwendig, daß die Form genau dem Gedanken ent-