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WöchemUch ersckeinm drei Nummern. Prünumeraüon«, Drei« 22 ; Sqr. j; Thlr.) vierleljödriich, Z Thlr. sür da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese« Lüeratur-Klatt in Berlin i» der Expedition der Allg. Pr. StaatS-^eitung (Friedrichöstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbi. PoS-Aem,ern. Literatur des Auslandes. 1841 Berlin, Freitag den 3V. April Holland. Nord-Holland und der Helder. Bon Zc. Marmicr. Eine der anziehendsten und mannigfaltigsten Provinzen des jetzigen Königreichs Holland ist diejenige, welche den Namen Nord- Holland führt; in derselben gewahrt man die frischesten Landschaften, die auffallendsten Gegensätze. ES breitet sich vor unseren Augen eine weite Ebene mit üppigen, fruchtbaren Gärte» und gesegneten Korn feldern aus, und dicht daneben schimmert der dürre Sand der Dü nen; hier betreten wir Harlems breite und schöne Straßen, erblicken das Stadthaus, welches Zeuge so vieler großen Begebenheiten war, vernehmen das muntere Glockenspiel, das den Reisenden schon von weitem zugleich erbaut und erheitert, und kaum zwei Stunden davon entfernt liegt der arme Flecken Zandvoort, mit seinen baufälligen Brctterhütten, die mich an Norwegen und Island erinnerten, und mit langen nackten Sandufern, wo man nichts als bas Brausen der Wellen und die Seufzer des Sturmes vernimmt; hier der Lurns der reichen Bank-Nvtabitilätcn, deren Unterschrift in der ganzen Welt gilt, dort das Elend des armen Schiffers, der mitten durch Wogen und Un gewitter einer unsicheren Beute nachstellt oder bis an die Brust in Vie salzige Fluth hincinwatet, um einen mit unendlicher Mühe gefüllten Korb voll Fische nach Hause zu bringen. In dieser Provinz zeich net sich das Volk durch Kraft und durch einen gewissen Anstrich von Unabhängigkeit aus, cs besitzt jenen männlichen Stolz, den die Ge wohnheit der Gefahr und die Nachbarschaft des Mecres verleiht, des Meeres, das für den freien Mann erschaffen wurde, tue rk« free, wie Thomas Moore sagt. Mit schmerzlicher Tkeilnahme wür det ihr an einem Werktage diese armen Küstenbcwohncr betrachten, wie sie in ihrer abgetragenen Bekleidung, ganz durchnäßt, unter der Last ihrer Netze, ihrer Harpunen daherkeuchcn, unter das elende Dach, das sie ihr Haus nennen, eintreten und sich mitten unter ein Haib-Dntzcnv zerlumpter Kinder niederlaffen, die alle mit gieri gen Blicken nach dem großen Topf Kartoffeln schauen, der langsam Uber einem kleinen Torsfeucr brodelt. Kommet aber nur Sonntags wieder und betrachtet euch denselben Arbeiter, wenn er die Tracht seiner Väter angelegt hat, die lange blaue Jacke mit den Metall- knöpfen, die Weste aus dickem Wollentuch, die wie ein Küraß seine breite Brust schirmt, und den breitkrempigen Hut, unter dem dichte Haarbüschel hervordringen. Er ist gar nicht mehr derselbe Mensch; er ist der Abkömmling der alten Niederländischen Freiheitskämpfer, der Besitzer einer Barke, der schon oft den vom Sturm erregten Mcercswellcn trotzte und der sein Haupt nicht vor dem reichen Grundbesitzer beugt, welcher ohne Mühsal ärndtet und sich ohne An strengung bereichert. An solchen Tagen betrachtet er das Meer mit einem ganz absonderlichen Gefühl von Nichtachtung. Still, still, armes Meer, spricht er zu ihm, umstürmc immcrhm mein armes «Schiffchen mit deinen Liebkosungen, zerschelle deine übermülhigen Wellen am Fuß der Dünen, suche mich mit deinen Seufzern in dein feuchtes Schaumbett zu locken, heut sind alle deine Klagen umsonst, heut gehe ich mit meiner Frau in die Kirche, ich setze mich mit mei nen Kinderchen an dem Tische meiner Väter nieder, die dich alle sehr wohl kannten, ich trinke in Ruhe mein GlaS Wachholver, schmauche ein Pfeifchen wie der Direktor der Ostindischcn Compagnie unv singe mit meinen Gefährten unser vaterländisches Lied: Vk'iea üoor 6« 26er» vloeit! So verstreicht der Feiertag des Fischers, und am nächsten Morgen schüttelt er die süßen Bande seiner sonntäglichen Genüsse wieder ab und kehrt zu seinen abenteuerlichen Fahrten zurück. Eine andere nicht minder scharf gezeichnete Klasse ist die der Bauern; sie besitzen denselben Stolz, nur mehr Ruhe und regel mäßigere Gewohnheiten. Sie haben denselben Wahlspruch wie die Schwedischen Bauern: „Weder Herren noch Knechte"; sie bebauen von Vater auf Sohn viele Generationen hindurch dieselbe Pachtung, «nd die seßhaften Holländischen Gewohnheiten verleihen ihnen ein so n'nes Gefühl von Ruhe, daß cS kaum durch einen Besiytitel erhöht werden könnte. ES giebt dort alte Gebräuche, die durch eine crb- , A Ehrfurcht beschützt werden, Ucbcrlicferungen, die sich immer r kortpsianzen, von denen uns va» Lennep einst in seinen und BogacrS in seinen Gedichten erzählen wird. Einige " von Harlem cntf.rnt liegt daS alte Schloß Egmonl'S, dieses >wuandnchcn Helden, deö Märiprerö der Spanischen Inquisition. Sein Evelsitz, der einst so herrlich strahlte und durch so prächtige Feste belebt wurde, zerfällt in Ruinen, doch zeigt der Holländer noch dem Reisenden mit Ehrfurcht die zerborstenen Thürme und er zählt den. Ruhm und den Tod veS Siegers von Gravelingen, mit njcht so erhabenem, aber vielleicht mit dramatischerem Ausdruck als Goethe. Die Provinz Nord-Holland Ist eine von denen, wo der indu strielle unv gcdulvige Charakter ver Holländer sich am hartnäckigsten im Kampfe gegen die Gewässer der Sümpfe und gegen die Meeres wellen bewährt hat. Die Peltener Dämme sinv wahre Meisterwerke an Kühnheit unv Ausdauer; der Kanal setzt einen Jeden, der seine Ausdehnung kennt, in Erstaunen, unv noch an verschiedenen anderen Punkten dieses wcitläuftigcn Landstrichs sind Arbeiten von bewun derungswürdiger Kühnheit auSgeführt. Wie uns die Chroniken- schreiber berichten, so war noch vor wenigen Jahrhunderten die ganze Erdfläche, wo Alkmaar erbaut ist, von drciundvierzig Seen überschwemmt. Jetzt erblickt man an der Stelle dieser gefährlichen Gewässer grüne Wiesen, von langen Baumgängen durchkreuzt, reizende Landhäuser unv eine schön gebaute, belebte, durch blühenden Handel reich gewordene Stadt von IOMO Seelen. Jede Woche werden aus den Dörfern unv Flecken der Provinz alle Erzeugnisse des Ackerbaues nach Alkmaar gebracht, von wo aus sie auf den Kanälen über das Königreich verbreitet oder ins Ausland verführt werden. Jeden Markttag werden dort über 200,OVO Pfv. Käse und bedeutend viel Butter verkauft. Bon Alkmaar geht alle Morgen eine Trcckschuite nach dem Hel der; diese Treckichuilen sind das Lieblings-Beförderungsmittel der Holländer, und schon lange verspürte ich große Lust, sie zu beschrei ben. Wie das aber anfangen? O Musen! ... Ist es nicht eigent lich eine neue Entweihung, wenn ich die Musen hier meiner Schwach heit zu Hülfe rufe, bei der Beschreibung eines Fahrzeuges, von dem sicher weder Griechen noch Römer etwas wußten? Lassen wir also die weisen Göttinnen in ihrer klassischen Region, wo sie friedlich auf einem Hügel von Epopöen und narkotisch wirkenden Trauerspielen schlummern, durch welche die Höhen des Olympus noch bedeutend an Zuwachs gewinnen, und bemühen wir unS, ohne Umschweife zu beschreiben, was wir auf den zahlreichen Kanälen Batavtens erblick ten. Die Trcckschuite ist eine bedeckte Barke, die auS zwei Abthei- lungen besteht. In der nahe am Vordertheil dcS Schiffes belegenen bcsinvcn sich das Gepäck, die Butter- und HeringStolincn und die ar men Reilenven, die für wenige Dobbeltjcs, von Schlaf und TabackS- dampf umnebelt, von einer Stadt zur anderen fahren. In der zwei ten Abthcilung, Ruim genannt, hält sich das aristokratische Publikum auf, dem cs nicht darauf ankömmt, daö dreifache Fahrgeld und noch ein Trinkgeld zu entrichten. Hier ist das Steuer und der Steuer mann, also die Seele und der Geist des beweglichen Fahrzeuges. Am äußersten Ende der Trcckschuite ist ein langes Seil befestigt, das von cinem hagercn Pferde gezogen wird, auf dessen von Hunger und Ermüvung ausgcdörrtcm Kreuze ein kleiner Mann mit einer blechernen, wie ein Jagdhorn geformten Trompete sitzt. Es ist eigent lich ausgemacht, daß dieses unschulvige Beförderungsmittel wenigstens anderthalb Stunden in einer Stunde machen soll, die phlegmatische» Holländer würden aber anfs tiefste betrübt sepn, wenn cs sich solcher Geschwindigkeit unterfinge. Mit liebenswürdiger Bedächtigkeit hält die Trcckschuite also bei jeder Schleuse, bei jever Brücke, bei jeder der wohlweislich von Zeit zu Zeit am Ufer erbauten Schenken an. Lei jedem Ruhepunkte hat der Steuermann irgend ein wichtiges Geschäft zu verrichten, daS ihn auf den festen Erdboden hinüber ruft; »r wagt einen glücklichen Sprung und verschwindet anz Ufer; die über sein Ausbleiben besorgten Reisenden machen sich auf, ihn zu suchen. Das erste Gebäude, welches ihnen in die Augen fällt, ist die Ortsschenke, die Schenke mit ihren Wachholverflaschen, ihrem von irgend einem modernen TenierS gemalten Schilve, mit ihren Bänken im Schatten der Buchen, die den Vorübergehenden mit ccht christlicher Barmherzigkeit zuzurufen scheinen: „Kommt zu mir, ihr Mühseligen unv Beladenen, hier ist Ruhe, tretet ein, ihr Hungrigen und Durstigen, hier ist Brod zur Sättigung und Wasser zur Stil- lung dcs Durstes." Unmöglich k»»n man einer so liebreichen Ein ladung widerstehen; man tritt ein, man trinkt ein GlaS Branntwein, man spricht ein paar Worte mit der Wirthin, die immcr jung und blond und blauäugig ist und rosenrotste Lippen hat; man wirkt cinen Blick auf die Spalten der Amsterdamer Zeitung, da erscheint mit cinem Mal der Steuermann, seine Reisenden suchend nnd sic saust zur Fortsetzung der Reise ausfordcrnd. Diese Abschweifungen unv