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keit von einer Mchloffene» GesellsckH ver- anftallet worden sei. DaS Landgericht sprach den Vereinsoorstaad auch frei. Die Staats« anwaltschaft griff diese Entscheidung durch Revision beim Kammergericht an. Der Strafsenat de» Kammergerichts hob das Ur teil dee^LandgerichtS auf und wies die Sache an das Gericht zur «derweilen Verhand lung und Entscheidung zurück, indem es ausführte, unter einer geschloffenen Ge sellschaft sei ein nach außenhia abgeschlossener Kreis von Personen zu verstehen, welche nach innen mit einander verbunden seien' Die innerliche Verbindung könne auf persönliche Beziehungen, die zwischen den Mitgliedern schon vorhanden seien oder durch die Vereinigung hergestellt werden sollen oder auf«der Gemeinschaft des sachlichen Zweckes beruhen. Zu eng befaffe das Ober verwaltungsgericht den Begriff der geschloffenen Gesellschaft. Entgegen der Ansicht des Ober- Verwaltungsgerichts könne das Band, das die Gesellschaft zusammenschließe in der Absicht die Anbahnung persönlicher Beziehungen oder in der Gemeinsamkeit des sachlichen Zweckes bestehen; unbedingt erforderlich sei aber die äußerlich erkennbare Abschließung gegen Nichtmitglieder. Durch die Zulassung von Gästen werden die von geschloffenen Gesell schaften veranstalteten Tanzlustbarkeiten nickt zu öffentlichen. Indem das Landgericht diese Ausführungen zur Richtschnur nahm, erkannte eS auf Freisprechung des Vereinsvorstandes. Diese Entscheidung focht abermals die Staats anwaltschaft durch Revision beim Kammer« gericht an, welches indessen nunmehr end- giltig da» Rechtsmittel als unbegründet verwies. Rundschau. — Der Kronprinz von Preußen ist gestern Vormittag 10 Uhr in Petersburg eingetroffen, wo er in Vertretung des leicht erkrankten Zaren vom Großfürst Thronfolger begrüßt wurde. — Ein Pistolendueü, bei welchem der eine der Duellanten lebensgefährlich ver wundet wurde, fand gestern früh im Grune wald zwischen zwei Offizieren statt. An einer lichten Stelle hatten die Duellgegner mit ihren Sekundanten, unter letzteren einige Manen-Offiziere, Aufstellung genommen. Die Bedingungen müssen sehr schwere ge wesen sein. Di» Distanz war ziemlich gering. Beim zweiten Kugelwechsel erhielt der eine der Duellanten, ein Offizier der Schutztruppe zusammen. Er wurde mittels Equipage schwer verletzt einer Privstklinik zugeführt. — Generalkonsul Speck von Steruburg der, wie wir berichteten, mit der Vertretung des beurlaubten Botschafters von Holleben in Washington beauftragt worden ist, wird am Dienstag an Bord der „Augusta Viktoria" die Reise nach New-York antreten und vor aussichtlich vorher vom Kaiser in Audienz empfangen werden. Baron von Sternburg geht als „bevollmächtigter Gesandter in Spezialmission" nach Washington, und dieser Ernennung wird sehr wahrscheinlich nach Er ledigung gewisser Formalitäten diejenige zum Botschafter in einiger Zeit folgen. — Das Militärpenfion-gesetz wird einer aus zuverlässiger Quelle geschöpften Infor mation der „Tägl. Rdsch." zufolge nach einem SMuß des BundeSkM dem Reichs tage in dieser Session niÄ mehr zugehen. Da» Blatt bedaMt diesen Beschluß, der viele berechtigte Hoffnungen stört, auf» leb hafteste und drückt dM Wünsch au», der Reichstag möchte der Regierung sofort sein Verlangen kundgeben, WA Gesetz doch noch in Weser Session zu Arateu. Gin solche« VorüHen, das auch der Stimmung im Reichstage entspräche, würde die Negierung doch vielleicht zu einer Aenderung ihre« Be schlusses bringen. — Eine Gewerbe - Inspektorin bezw. eine weibliche Hilfskraft hat unter Beschränk ung ihrer Thätigkeit nun auch, bei jährlichem Gehalt von 1800 Mk., die Stadt Hamburg angestellt. — Eine besondere Bewachung aller Berliner Denkmäler durch Schutzleute während der Nachtzeit soll aus Anlaß der jüngsten Ereignisse allgemein durchgefühlt werden. — Schleswig. Der seit vorgestern ver schwundene Kassierer der hiesigen Spar- und Hülfskaffe, Iohannes Clausen hat sich selbst der Staatsanwaltschaft in Flensburg gestellt und eingestanden, daß er seit 20 Jahren Veruntreuungen im Betrage von ungefähr 100 000 Mk. verübt habe. Aus Stadt und Land. Naunhof, den 17. Januar. Naunhof. Die ersten Vorboten der Faschingszeit melden sich bereits, indem heute Abend der goldne Stern mit dem ersten Bockbier fest beginnt. Natürlich ist Alle« da: festlich dekorierte Räume, lustige Unterhal tungsmusik, ausgezeichnete Bockwürstchen und und die Hauptsache, vorzügliches Bockbier und Rettigs, selbstverständlich solche zum essen, gratis! Dazu schneidige Bedienung, also was sollte da noch fehlen! — In vierzehn Tagen (am 2. Februar) findet im Ratskeller saale großer öffentlicher Maskenball statt, bei dem dann Prinz Karneval zur unum schränkten Herrschaft kommt. Naunhof. Aus dem Leipziger Musik leben berichtet das dortige Tageblatt über das Konzert der Violinenvirtuosen Herrn Alexander Sebald, welches am 13. dS Mts. im Gesellschaftssaale des Zentraltheaters statt fand, nach der Rezension über die Leistungen des Künstlers Folgendes: „Angenehme Ab wechselung erhielt das Programm durch die Mitwirkung des Fräulein Elly Schellenberg, welche mit dem Vortrage von sieben BrahmS- schen Liedern wesentlich zur Verschönerung des Abends mit beitrug. Die Darbietungen, kor mit »in»» gut g-schultrn, votltönigen und überall leicht und rein ansprechenden Stimme versehenen Dame, die sowohl in den grund liegenden ernsten wie heiteren Stimmungen den richtigen Ausdruck traf, gewährten unge trübte Freude und fanden allseitige'Zustimm- ung." Wenn man bedenkt, daß Leipzig thatsächlich die erste Musikstadt der Welt ist, deren Kritiker bei der Fülle der dort alltäg lich gebotenen Kunstgenüsse in ihrem künst lerischen Urteil mit Lob sehr zurückhaltend sind, so läßt sich erst ermessen, welche vor zügliche Künstlerin Naunhof in Fräulein Elly Schellenberg in seinen Mauern hat. Naunhof. Das Thermometer zeigte gestern 5 Grad Kälte als niedrigsten und den O-Punkt als höchsten Stand an. Heute 8^/, Grad Kälte und Vormittag 10 Uhr noch 6 Grad. Wie aus zutzUlässiger Quelle mW- wird, haben die BertzMlunge» des juristischen Vertreters Sr. Königlichen Hoheit de» Kron prinzen, Justizrats Dr. Körner, mit der Kronprinzessin bezw. ihren Vertretern, Rechts anwalt Dr. Zehme und Advokat Lachenal, in GM zu dem Ergebnis geführt, daß die Frau Kronprinzessin auf sänMche ihr aus ihrer Ehe zustehenden Titel', ReMe und Würden verzichtet und fortan ihren ursprüng lichen Familiennamen wieder annimmt. In vermögensrechtlicher Beziehung hat sich Kron prinz Friedrich August bereit erklärt, der Prinzessin aus eigenen Mitteln jährlich die Summe von 30 000 Mark zu überweisen. — Dr. Zehme verabschiedete sich in Genf von der Kronprinzessin und hatte darauf im Hotel BergueS eine sehr lange Besprechung mit Giron. Dr. Zehme reiste um Mitter nacht nach Leipzig ab. — Der Aufenhalt der Kronprinzessin und des Herrn Giron in Genf hat übrigen«, wie von dort der „Schiel. Ztg," berichtet wird, zu einer ganz eigen artigen Beschwerde geführt. Es sollen sich nämlich zahlreiche Vorsteherinnen von Mäd- chenpensionaten darüber beklagt haben, daß sie mit ihren Schülerinnen nicht mehr die gewohnten Nachmittagsspaziergänge machen könnten, da das VorMfähren der Kronprin zessin mit Giron für die jungen Mädchen großes Aergernis biete. Auch die Direktoren von Mädchenschulen haben in ähnlicher Weise an die Kantonsregierung berichtet. -j- Thronwechsel ist in Sachsen seit zwei hundert Jahren achtmal eingetreten. Dabei ging die Krone viermal auf den Sohn des verstorbenen Fürsten, dreimal auf dessen Bruder und einmal auf dessen Bruderssohn über. f Bölkerschlachtdeukmal'Lotterie. Auch im Königreich Württemberg ist nunmehr der Losvertrieb gestattet worden, hoffentlich ent schließen sich recht bald auch die anderen Bundesstaaten. Der Losabsatz ist ein sehr erfreulicher, in allen Kreisen bringt man der Aufgabe des Deutschen PatristenbundeS das regste Interesse entgegen. Lose u 3 Mk. sind in allen besseren Losgeschäften zu haben. -j- Wichtige Bestimmungen über den ein jährig-freiwilligen Militärdienst der Volks schullehrer haben nach der „Post" die zu ständigen preußischen Minister erlassen. Es heißt darin: „Die Kandidaten des Volks- schulamts. welche die Berechtigung zum ein jährig-freiwilligen Militärdienst nachzusuchen beabsichtigen, aber das wissenschaftliche Be- söhignngkzpttgnia nicht rechtzeitig erlangen, können etwa drei Monate vor Ablegung der Lehrerprüfung bei der Prüfungskommission für Einjährig-Freiwillige ordnungsmäßig die Erteilung des Berechtigungsscheines bean tragen. Dem Gesuch ist eine Bescheinigung des Seminardirektors dahin beizusügen, daß der Bewerber zur nächsten Lehrerprüfung zu- gelaflen und das Befähigungszeugnis im Falle des Bestehens der Prüfung nachfolgen wird." Die anderen Bundesstaaten sind um gleiche Einführung ersucht worden. ch Ueber da« Staatsforstwesen und die vorhandene Waldfläche in Sachsen werden jetzt folgende Angaben ver öffentlicht. Bei einer Landesfläche von 1489 267 Hektar ist im Königreich Sachsen eine Waldfläche von 387720 Hektar (26,03 Proz. der Gesamtfläche) vorhanden. Im Deutschen Reiche beträgt diHr PrMHatz 25,82. Die Forsten und Holzung« de» sächsischen Staates betrugen bei der letzten Feststellung im Jahre 1900 175 450 Hektar. Die Kreishauptmannschaft Zwickau, z« deren Bezirk auch das Vogtland mit gehört, hat den meisten Waldbestand, nämlich 160324 Hektar. Von der sächsisch« Waldfläche kommen 45132 Hektar oder 11,6 Proz. auf das Laubholz und 342 597 Hektar oder 86,4 Proz. auf das Nadelholz. Ter sächsische Staatswald, der durch Zukauf und regelrechte Aufforstung fortwährend im Wachsen be griffen ist, umfaßt 45 Proz. der gesamten Waldfläche Sachsens. Auf die Privatsorsten entfallen etwa 48 Proz., auf die Gemeinde forsten zirka 5 Proz. und auf die Genossen schafts-Forsten 2 Proz. der Waldfläche. ch Aus der Königl. sächsische« Invaliden- Stistung zu Dresden erhielten im vorigen Jahre 145 sächsische Militärinvaliden 1790 Mark Unterstützungen ä. 15 bez. 10 Mark gewährt. ch Sayda. Ein eigentümlicher Vorfall ereignete sich dieser Tage auf der Bahnlinie Mulda-Sayda. Al« der gemischte Nach- mittagszug in Voigtsdorf abfuhr, hatte man infolge eines Irrtums die sämtlichen Per sonen- und etliche Güterwagen „sitzen" lassen. Erst später gewahrte man den Verlust und holte dann von Unterfriedebach aus die andere Zugshälfte. Die Passagiere sollen wegen dieses „Extrazuges" stolz gewesen sein. Mit nur wenigen Minuten Verspätung fuhr dann der volle Zug in Sayda ein. ch Da- größte Dorf Sachse«- ist seit dem 1. Januar 1903 OelSnitz im Erzge birge mit rund 13 000 Einwohnern. Bis her war es Löbtau bei Dresden, da» be kanntlich in den Stadtbezirk einverleibt wurde. Am 13. d. Mon. ist der am 9. Febr. 1892 in Leipzig-Volkmarsdorf geborene Schulknabe Karl Friedrich Heller spurlos aus der elterlichen Wohnung in Nerchau ver schwunden. Er ist 1,30 va groß, trägt grün liche Hose, graue gestrickte Jacke und der gleichen Strümpfe, blaue Schürze und Holz pantoffeln, hat blondes Haar, ist schmächtiger Gestalt, hat blasses, längliches Gesicht und geduckten Gang. An der Schläfe befindet sich eine Warze. Er schleicht sich gewohn heitsmäßig in Gebäude ein. Er ist schon mehrmals verschwunden und schon einmal halb erfroren aufgefunden worden. Leipzig. Innerhalb der hiesigen gewerb lichen Schutzvereinigungen scheint sich leider ein häuslicher Streit darüber zu entspinnen, ob es angängig fei, daß Mitglieder solcher Vereinigungen an ihre Abnehmer Rabatt ge währen. Der Verein selbständiger Kaufleute und Fabrikanten entschied sich dahin, daß das Rabattsystem unbedingt und in jeder Form zu verwerfen sei, da der Kaufmann nichts zu verschenken habe, während der Schutzverband für Handel und Gewerbe die von ihm begründete Rabattgenossenschaft ver teidigt. Die Sache hat sich bereits derart zugespitzt, daß der Vorsitzende vom Schutz- vcrbande von seinem Amte zurücktrat. Leipzig. Der Vorstand des Bundes deutscher Gastwirte versendet an die Kriegs minister der deutschen Einzelstaaten eine Petition wegen des Militärverbots für Saal- Etablissements: Es wird in dieser Petition Der Aachtwffndter. Roman von Berthold Rehnert. 12 „Du hast eifersüchtigdarüber gewacht, eifersüchtige^noch als derjenige, der vor Dir steht, und welchen Du liebst, wen« auch, vielleicht nicht so sehr, wie er Dich liebt." Sie erhob abwehrend und mit einer bittenden Geberde die Hand. Toch er fuhr fort: „Meine süße, kleine Toinette, höre mich, bitte, Hore mich. Was waren wir? Alles! Was sind wir jetzt? Nichts mehr. Meine Vorfahren waren auf ihrem Grund und Boden unbeschränkte Herren. Das Königtum wuchs langsam durch die Jahrhunderte, bis eS endlich die ganze Macht der kleinen Souveräne verschlungen hatte. Sie behielten nur mehr einen Schatten von Macht. Nicht mit Unrecht sagte eine adelige Dame: Die Bourbonen haben uns alles gestohlen! Und dann kam die Revolution und raubte uns noch Geld und Gut, Felder und Wälder. Später unter Lud wig dem Achtzehnten sind wir schwach entschädigt worden und nun, was sind wir? Bürger! Jedes Vorrecht ist uns genom- men, jeder Nimbus ist geschwunden, höchstens daß in den Ge fühlen und Vorurteilen der Menge, in der Titelsucht der Men schen der Name Baron oder Graf noch irgend ein Gewicht hat, ein Nachklang der früheren Zeit, wo diese Namen wirklich eine Bedeutung, einen Inhalt hatten. Die alte Aristokratie, ich habe das zweifelhafte Glück, zu ihr zu gehören, hat nur in den Augen weniger noch eine Bedeutung, sie ist zwangsweise von ihrem Posten abgelöst worden, um ihn nie wieder zu beziehen. Die Aristokratie des Geistes und des Geldes ist an ihre Stelle ge treten, so versichern wenigstens die öffentlichen Blätter." Er hatte sich gewandt verteidigt. Vor einem Kollegium von Männern würde er damit einen Erfolg erzielt haben. An dem )urch die Liebe geschärften Feingefühl des jungen Mädchens prall- :en leine Beweiskünste ab. Sie erwiderte nichts, sondern streifte bloß mit einem Blick ein Gesicht und schüttelte traurig den Kopf. Ties sagte ihm mehr und Schlimmeres, als der Versuch einer Widerlegung. Bisher hatte er nur tändelnd an sie gedacht, jetzt chien sie ihm außerordentlich begehrenswert. Infolge einer erklärlichen Aufregung hatten sie ihre Schritte beschleunigt und waren, ohne auf die Richtung zu achten, immer weiter gegangen. „Ich fürchte, wir haben uns sehr weit von meinem Wagen entfernt," sagte Toinette, stehen bleibend und vergeblich ver suchend, sich zu orientieren. „Ich würde Sie nicht länger von Ihrem weiteren Spaziergange abhalten wollen, jedoch fürchte ich, ich werde den Rückweg nicht allein finden." „Jeder Baum, möchte ich sagen, ist mir hier bekannt," erwi derte er gedrückt, „da ich das Boulogner Wäldchen wohl schon Hunderte Male nach allen Richtungen durchstreift habe. Wir kom men bald an eine Biegung des Weges und in zwanzig Minuten werden Sie bei Ihrem Wagen sein. Ich werde Sie bis dort hin begleiten. Eben wollten Sie mich fortschicken, indes wei gere ich mich, zn gehen und wage es entschieden, ungehorsam zu sein Die wenigen kostbaren Minuten will ich noch ausnutzen und da Sie meine Werbung französisch abgeiviesen haben," mit dem nächsten Worte fnhr er deutsch redend fort, „hören Sie in Ihrer Muttersprache, was ich Ihnen noch sagen möchte und sa gen muß. Wenn Sie nnr einen Funken von Liebe zu mir heg ten, würden Sie mich nicht so unversöhnlich verdammen, wär- den wenigstens bereit sein, mir zu sagen, was ich thun muß, um Ihre Gunst zu erwerben. Sie behandeln mich fast wie einen Ehrlosen, wie einen Auswürfling der Menschheit." „Dagegen protestiere ich, Toinette, bei Ihrem Herzen, bei Ihrem besseren Selbst lege ich Berufung gegen Ihre Ungerech tigkeit ein." Da sie ihre Schritte etwas mäßigte, so ergriff er lvieder ihre Hand und wiederholte: „Ja, Toinette, dies Urteil verdiene ich nicht, es geht viel zu weit." Sie blieb stehen und legte die Hand vor die Augen. Er zog sie an sich. Widerstandslos lehnte sie an seiner Brust, während sie unter Schluchzen stammelte: „Ich liebte Dich vom ersten Augenblicke an, doch Du hast alles zerstört, hast zerstört das Bild, das ich Dir in meinem Herzen aufgerichtet hatte. Du und mein Vater, Ihr habt meinen Jugendtraum zerstört. Wird eS nicht heißen: Der bankerotte Adelige tritt in die Dienste des Vaters und nimmt als Gegengefälligkeit die Tochter. Wird man nicht sagen, es sei Schacher, jüdischer Schacher. Und welche Rolle werde ich dabei spielen? O, hätten Sie nur anders gehandelt." Sie wandte sich rasch von ihm ab und eilte noch schneller als vorher ihrem Wa gen zu. „Noch ist es nicht zu spät, geliebte Toinette, ich werde den Verkauf meines Schlosses rückgängig machen und auch meine an dere Zusage zurückziehen. Wenn es sein muß, werde ich Dir zu liebe alle möglichen Schritte bei meinem Onkel thun. Doch will ich den diplomatischen Dienst quittieren, denn unter Napoleon als Kaiser mag ich nicht dienen." Sie hatten den Wagen erreicht. Der Kutscher, welcher wäh rend der Abwesenheit seiner jungen Herrin gelangweilt auf- und abgegangen war, trat eilfertig hinzu und öffnete den Schlag, der Vicomte hob sie leicht hinein, er reichte ihr die Hand und sie legte die Fingerspitzen der rechten Hand leicht hinein, zog sie aber sofort zurück. „Kein Wort, keine Silbe, Toinette ?" murmelte er. „Sie müssen mir Zeit lassen." Der Kutscherhatte seinen Sitz eingenommen, wartete aber mit feinem Instinkt noch etwas und hielt die feurigen Tiere fest im Zügel. „Kein Zeichen der Versöhnung, nicht das geringste?" Sie nahm die Rose von ihrer Brust und reichte sie ihm, und indem sie leise den Befehl zur Abfahrt gab, erwiderte sie dir tiefe Verbeugung des Vicomte durch gedankenvolles Neigen des Kopfes. Langsam schritt der junge Aristokrat zurück nach der Stadt Die Entfernung war groß und es mochte ziemlich spät werden, bis er seine Wohnung erreichte. Dies war ihm jedoch in seiner jetzigen Gemütsverfassung gleich. Ganz mit sich selbst und mit seinem Verhältnis zu Toinette beschäftigt, schritt er dahin. Er wollte sie erringen, um jeden Preis. Sobald wie möglich wollte er nach Noimont fahren, seinem Onkel alles gestehen, und bitten . . ja, da lag die Schwierigkeit. Er wußte es wohl: alle Schwächen, am Ende wohl auch die Spielverluste, würde der Onkel ihm verziehen haben, wenn er mit einer ebenbürtigen Braut vor ihnbingetreten wäre. Aber so- bald er ihm gestand, daß er sich mit oer Tochter emes Bör- senmannes vermählen wolle, war er seines äußersten Zornes sicher. 103,20 In der Nähe des Stadtthores fesselte ein vor ihm gehender, höchst vornehm gekleideter junger Mann von hoher Figur die Aufmerksamkeit des Vicomte. Er beeilte sich, ihn einzuholen, um sein Gesicht zu sehen. Seine Vermutung hatte ihn nicht getäuscht.