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162 Wir dürfen nicht vergessen, einer zweiten Ursache des Jrrthums zu erwähnen, deren Einfluß sich in allen Systemen mehr oder weni ger kund giebt. Dadurch, daß man die Philosophie unter einem Begriff gedacht, der solche gewissermaßen verstümmelt und folglich ihre Verhältnisse zur Gesammtheit der Dinge zerstört, hat man ihre Probleme unlöslich, aus ihr eine irrige und fruchtlose Wissenschaft gemacht. Dieser Grundfehler zeigt sich unter zweierlei Formen, je nachdem er im Gegenstand der Philosophie selbst, oder in ihrer Ver- fahrungsart, ihrer Methode und vorzüglich ihrem Ausgangspunkt seinen Sitz hat. Hinsichtlich des Gegenstandes der Philosophie haben manche die selbe aus der physischen Welt verwiesen und in das Bereich der reinen Ideen zurückgedrängt. Dadurch ist die Harmonie und die Einheit der Schöpfung, und folglich auch die Harmonie und Einheit der Wissenschaft, gestört worden. Letztere ward dadurch sogar un möglich: denn Alles, was im Ganzen seine nothwendige Stelle hat, muß nothwendig auch in der Wissenschaft dieses Ganzen, wo Alles nur im Verein mit der Gesammtheit der wesentlichen Elemente erklärt werden kann, woraus es besteht, und welche durch wechselseitiges Wirken und Rückwirken einander modifiziren und ihrer Natur nach bei den Erscheinungen, deren Auffassung die Philosophie zum Zweck hat, thätig sind, seine Stelle haben. So sind die Gesetze der orga nischen Wesen mit den Gesetzen der intelligenten Wesen, in der Schöpfung, wo kein intelligentes Wesen anders als unter der Bedin gung des Organismus besteht, eng verwandt. Klar ist, daß derselbe Fehler sich im entgegengesetzten Sinne kund geben würde, wenn der Geist die reinen Ideen durchaus vernach lässigte, bloß mit der physischen Welt sich befaßte und darin allein den Grund der Dinge suchen wollte. Dies ist, in der That, mehr denn einmal versucht worden; die Resultate dieser Bemühungen aber waren beständig mehr scheinbar als reell. Denn um die reinen Ideen von den Erscheinungen vollständig zu trennen, um von ersteren ganz und gar zu abstrahiren, müßte man auch das Denken, welches dieselben streng voraussetzt, beseitigen und auf die Sprache, die in ihnen wurzelt, Verzicht leisten. In Betreff der Methode haben verschiedene Philosophen Gott allein, andere die Welt, noch andere den Menschen zum Ausgangs punkt ihres Systems genommen. Wir werden in der Folge zeigen °), wie die einen unausweichlich zum Pantheismus, die anderen zum Skeptizismus hingerissen werden. Was die letzten, die Psychologen, wie sie sich nennen, betrifft, so kann man nichts Unsinnigeres denken, als die Grundlage ihres Systems; denn sie führt dahin, beides, Gott und die Welt, zu leugnen, weil der Grund des einen wie der ande ren nicht in dem Menschen ist. Sie können nur sich individuell für eristirend erklären; es ist ihnen logisch unmöglich, aus sich selbst her auszutreten; sie bleiben ewig aus ihr einsames Ich beschränkt. Ihre sinnlose Philosophie, mit einem Wort, ist eine Art menschlichen Pan theismus, der ersordert, daß man in einem und demselben Subjekt widersprechende Begriffe annehmc. Diese falschen Methoden sammt und sonders haben den Nachtheil, zahllose Widersprüche zu erzeugen, in deren Labyrinth der Gedanke sich verirrt, und die, wenn sie auf das ganze System der Wissen schaft sich ausdehnen, endlich dazu zwingen, entweder auf die Ver nunft oder auf den Glauben zu verzichten: auf den Glauben, wenn man nur Wahrheiten annehmen will, die sich mit einander vertragen; auf die Vernunft, wenn man Ideen, die sich in der Theorie, die man ausgestellt, aus dem Gesichtspunkte, woraus, in Folge dieser Theorie, sie betrachtet werden müssen, wechselseitig ausschließen, zu gleicher Zeit als Wahrheiten annimmt. Es beruht in der That jedwede Theorie auf einer ursprünglich gege benen Thatsache, aus der eine Reihe von nothwcndigen Konsequenzen entfließen. Wenn also diese Thatsache nicht alle Grund-Elemente des Problems der Wesen in sich begreift, so folgt nothwendig: erstens, daß man logisch gezwungen ist, Alles zu leugnen, was diese gegebene Thatsache nicht in sich faßt; zweitens, daß, weil man es nicht leugnen kann, da sich das innere Bewußtseyn dagegen sträubt, zwei Reihen in verschiedener Richtung hin laufender Konsequenzen entspringen, wovon die eine aus der ursprünglich gegebenen Thatsache, die andere aus dem Ur-Prinzip, das in letzterer nicht enthalten ist, von den That- sachen aber, wovon wir das unüberwindliche Bewußtseyn haben, vor ausgesetzt wird, sich ableiten lassen. Nichts hat über die großen Fra gen, womit sich die Philosophie beschäftigt, mehr Dunkel verbreitet. So zerstört, um nur ein Beispiel anzugebcn, die christliche Theorie von der Gnade den Begriff von freiem Willen; die Theorie vom freien Willen, aus dem theologischen Gesichtspunkt betrachtet, den Begriff von Gnade; und doch nimmt die Theologie zu gleicher Zeit die Gnade und den freien Willen an, weil die Eristenz der Gnade sich streng aus der Grund-Idee der theologischen Lehre folgern läßt, und weil auf der anderen Seite der freie Wille eine Thatsche ist, deren jeder Mensch innerlich bewußt ist. Im Grunde lassen sich alle Widersprüche der Art aus einen ursprünglichen Widerspruch, dessen sekundäre Aeußerungen sie bloß sind, zurückführen; und dieser ursprüngliche Widerspruch selbst ist nur derjenige, welcher aus dem Problem der Schöpfung, oder der Co- Eristenz des Unendlichen und des Endlichen, sich ergicbt. Denn wenn man, um die Dinge zu begreifen, zuerst nur das Unendliche an- nimmt, so kann man, streng genommen, daraus das Endliche nicht folgern; sind umgekehrt, wenn man das Endliche allein annimmt, so kann man das Unendliche davon nicht ableiten. Je nachdem man also das eine oder das andere zum Ausgangspunkt genommen, so entspringen daraus zwei Reihen entgegengesetzter Konsequenzen, die logisch mit einander zu verbinden kein Mittel vorhanden ist. ') Crües Buch, drittes Kap. Damit folglich eine Philosophie nicht von Anbeginn schon ohn- mächtig sich erweise, muß sic in ihrer ursprünglich gegebenen Ursache, oder in ihrem Ur-Prinzip, zugleich das Unendliche und das Endliche umfassen, beide zugleich annehmen, weil keines von beiden von dem anderen abgeleitet werden kann und sie, wiewohl mit verschiedenem Rechte, beide der nothwendige Gegenstand der Philosophie sind. Hieraus solgt: erstens, daß die Reihen der Konsequenzen, die aus beiden entspringen, in demselben Grade logisch gültig werden; zwei tens, daß die Vereinbarung derselben sich in die Vereinbarung der beiden zugleich angenommenen Ur-Thatsachen, mit anderen Worten in die klare Erscheinung der Einheit, welche beide in sich faßt, noch anders in die Auffassung dessen, was sie Gemeinsames haben, auflöst. Da nun aber jeder Begriff den Begriff von Wesen voraussetzt, well nur, was ist, gedacht werden kann, so heißt das Endliche so viel, wie das endliche Wesen, das Unendliche so viel, wie das unendliche Wesen. Das Unendliche und das Endliche Haden folglich ein ge meinschaftliches Element, die Grund-Idee vom Seyn, bevor aller bestimmteren Unterscheidung. Es muß folglich das zu lösende Pro blem, das Problem der Vereinbarung des Endlichen mit dem Unend lichen, seine ursprüngliche Lösung in dem Begriff vom absoluten Wesen selbst finden. Hieraus ergiebt sich, daß das absolute Wesen der erste Gegen stand, die nothwendige Grundlage der Philosophie ist, und daß also jedes philosophische System, das nicht von demselben ausgeht, das nicht ganz und gar aus dem Begriff, den cs davon aufgestellt, entfließt, oder einen unrichtigen, falschen Begriff von dem ab soluten Wesen aufgestellt hat, in der Wurzel schon unwiederbringlich falsch ist. In Ermangelung dessen, was uns fehlt, baden wir wenigstens uns bemüht, diese Klippe zu vermeiden. Unsere Arbeit, von der wir vor der Hand nur die Hälfte veröffentlichen, zerfällt in drei Abtheilungen. In der ersten, der Grundlage der beiden anderen, sprechen wir von Gott und der Welt; in der zweiten von dem Menschen; in der dritten von der Gesellschaft. Weit entfernt, die Eristenz Gottes und die Eristenz der Welt beweisen zu wollen, erklären wir sic, im Gegentheil, alles Beweises unfähig. Sie sind in unseren Augen die beiden ursprünglichen That- sachen, die alles Denken, jede Sprache, jedweder geistige Akt vor- auSsetzt. Dieselben leugnen, heißt so viel, wie sich selbst leugnen; Unsere Eristenz annehmen, heißt ihre Eristenz zugeben. Der Zweck der Philosophie ist nicht, dieselben zu beweisen, sondern begreiflich zu machen und ihre Beziehungen zu einander auszufinden, in dem Grade, wo solch ein Begriff möglich ist; denn ein vollständiger, absoluter Begriff wäre ein unendlicher Begriff, und ein unendlicher Begriff in einem endlichen Wcsen ist etwas Widersprechendes. Wenn wir ergründen wollen, was das Wesen, in dem allge meinsten Begriff, den man sich davon machen kann, Nothwendiges einschließt, so kommen wir dahin, zu erkennen, daß die einige und unendliche Substanz nothwendig mit drei Eigenschaften begabt ist, ohne welche dieselbe nicht gedacht werden kann, und daß diese drei wesentlichen Eigenschaften selbst nur unter einem Begriff, der etwa dem Worte Person entspricht, gedacht werden können. Wir zeigen mit einem Worte, daß der christliche Lehrsatz von der Dreieinigkeit, ein Ergebniß der Thätigkeit des menschlichen Verstandes während langer Jahrhunderte, eine Folge von dessen allmäligem Fortschrei ten, der höchste Punkt ist, wohin dieser Verstand in der Kenntniß Gottes bis jetzt gelangt ist, und daß dieses Dogma die unerschütter liche Grundlage desselben bleiben wird, so bedeutend auch seine späteren Fortschritte seyn dürsten. Nur müssen wir bemerken, daß man sich, in Folge einer besonderen Richtung der Denkkraft, deren Veranlassung zu erklären die Schranken einer Vorrede nicht zulaffen, bisher beinahe ausschließlich an die Philosophie, gewissermaßen, der göttlichen Personen und ihrer wechselseitigen Berührungen gehalten hat, ohne sich im mindesten um die Eigenschaften derselben zu be kümmern, die denselben als Grundlage dienen, ohne sogar den wesentlichen Begriff dieser Eigenschaften zu bestimmen. Wir haben uns, im Gegentheil, hauvtsächlich bemüht, eben diesen Begriff, wor- aus der Begriff von Person fließt, der sonst unmöglich wäre, weil die Person nur eine Abstraction wäre, näher zu bestimmen; und wir haben es uns um so angelegener seyn lassen, das.die nothwen digen Eigenschaften des absoluten Wesens Betreffende zu erläutern, da die ganze Lehre von der Welt davon abhängt. Wir zeigen ferner, daß in Gott ein besonderes Prinzip vor handen ist, dazu bestimmt, in der unendlichen Intelligenz die Ideen durch die Begränzung zu unterscheiden; und nachdem wir erklärt, wie in Gott zugleich Einheit und Vielheit ist, sprechen wir von die sen verschiedenen Arten, zu seyn. , Bon da aus gehen wir zur Schöpfung über und betrachten sie zuerst in dem Akt, wodurch sie vollendet wird, und unter den noth wendigen Bedingungen, welche dieselbe vvraussetzt. Dies führt uns dahin, zu ergründen, was die Materie an und für sich ist und wel chen Begriff man sich davon machen muß. Wir hoffen, klar darge- than zu haben, daß dieselbe in der Welt dem entspricht, was in Gott das Unterscheidungs-Prinzip'ist; daß sie dieses Prinzip selber ist, das nach Außen verwirklicht und außer Gott die wirkliche Gränze der Wesen, deren Ideen es in Gott durch die Begränzung unter scheidet, geworden ist. Uebrigens hat keine Frage dem menschlichen Geiste mehr Schwierigkeiten dargeboten, als die von der Schöpfung, und bei keiner ist.er mehr irre gegangen. ES ist uns keine stlhiloso- phic bekannt, die nicht am Ende diesen Akt der Allmacht offen oder heimlich lbngnete, oder ihn einfach annähmc, ohne ihn im geringsten zu erklären. Nachdem wir auSeinandergcsetzt, wie wir uns Gott als schaffend denken, suchen wir den Zweck dieses Aktes oder die Welt zu dcgrei-