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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrümimerMionS Preis 22^ Sgr. THU.) vierieliäl>rlich, Z LSlr. sur das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränunicrirt auf dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. Staats-Zeitung (FriedrichSslr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Acmlern. Literatur des Auslandes. Berlin, Sonnabend den 10. April 1841 Italien. Die Sette Communi. ,2m Sommer l8Z» wurde ich durch eine Krankheit meines Reise gefährten, des gelehrten Mailänders Herrn Lamberti, gezwungen, mich einige Zeit in Vicenza aufzuhalten. Der Genesende brachte seine Vormittage größtentheils in dem naturhistorischen Kabinct des Doktors Dominica Gregori zu, das sich durch einen außerordent lichen Reichthum von Fossilien auSzeichncte. Als ich ihn hier eines Vormittags besuchte, fand ich ihn in die Betrachtung eines fossilen Kopses versunken, der, wie er mir versicherte, einem antediluvianischen Krokoville angehört hatte. Ich gab zu, daß der Kopf einem Kroko dille angehört haben könne, doch wollte es mir nicht einleuchtcn, warum dasselbe ein antcdiluvianisches gewesen sepn sollte. „Herr Gregori wird Ihnen den Grund angebcn", sagte mein Freund, sich zu dem Eintretenden wendend. Statt aber unmittelbar darauf cin- »ugehen, öffnete dieser das Fenster, und seine knochige Hand nach Norden ausftreckend, sagte er: „Sehen Sie jenseits der ersten Ge birgskette die drei blauen Spitzens Nun, dieser Krokodilkopf ist auf dem höchsten Punkte des Gebirges gefunden worden. Hiernach wer den Sie wohl nicht bezweifeln, daß er vorsündfluthlich ist." — Mir war die Beziehung, welche zwischen den blauen Gebirgen, dem Kro kodilkopfe und der Sündfluth stattfinben sollte, anfangs nicht recht klar: aber mein gelehrter Freund belehrte mich, daß nur die Wasser der Sündfluth die Ueberreste von Thieren, welche am Ufer der Flüsse lebten, auf die Gedirgsgipfel hätten hinauftragen können. Dagegen war nichts zu erwiedcrn. Die Handbewegung des Doktors hatte indeß meine Aufmerksamkeit auf die drei blauen Spitzen gelenkt; iw fragte ihn, was dies für GebirgSspitzcn scpcn. „ES sind die drei Glockenthürme der Sette Communi", antwortete Herr Gregori. — „Und die Sette Communi?" — „Diese sind eines der merkwürdigsten Länder, ein kleiner neutraler Staat, der weder zu Tprol noch zu Italien gehört, obgleich er von diesen Ländern eingeschlosscn ist. Die Bewohner desselben, die aus dem Norden stammen, sprechen eine eigene Sprache, die weder Jtaliänisch noch Deutsch ist, haben eigene Gebräuche und Sitten und eine eigenthümliche Verfassung. Bon mächtigen Nachbarn umgeben, haben sie ihre Freiheit und ihre Eigen- tbümlichkeiten zu bewabrcn gewußt. Woher kommen diese merkwür digen Gebirgsbewohner? Niemand weiß eS zu sagen; sie selbst nicht. Stammen sie von den Rhätcn, welche die Römer so lange bekämpf ten? Sind sie die Nachkömmlinge der Cimbern, welche Marius bei Campo-Noudone, nicht weit von Verona, schlug? Oder stammen sie von den Thüringern, welche das Schwert des Franken-Königs ChloviS in den Gefilden Kölns niedermähtc und deren Trümmer sich unter Theodorich's Schutz in die Rhätischen Gebirge flüchteten?" Der gute Doktor wollte mir die Stellen citiren, auf die er sich be zog; aber ich übcrhob ihn dieser Mühe und bat ihn, mir vielmehr Auskunft über die Sitten und die gegenwärtige Verfassung dieses Völkchens zu geben. „Ihre Verfassung", antwortete er, „ist die der Republik San-Marino in größerem Maßstabc; eS ist eine Munizipal- Verfaffung, deren Ursprung sich ins Dunkel der Zeiten verliert. Ihre Sitten sind die der Schweizer und Tproler, doch mit größerer Ursprünglichkeit." Die sparsamen Mittheilungen des Doktors hatten meine Neu gierde im höchsten Grade gereizt, und als ich in meinen Gasthof zurückackehrt war, dachte ich nur auf die Mittel, sie zu befriedigen. Mein Freund theilte meinen Wunsch. Das Nächste war, daß wir die Carcttina unseres WirthcS mietheten, die uns in weniger als drei Stunden nach Bassano brachte. Wir nahmen nnS nicht Vie Zeit, Vie niedliche Stadt zu besichtigen; wir wollten in Valstagna schlafen, von wo aus wir am nächsten Tage unseren Einzug in die Sette Communi zu halten hofften. Wir durcheilten also die Stadt und drangen in das Thal der Brenta, das man richtiger einen un wegsamen Hohlweg nennen würde. Mit Einbruch der Nacht trafen wir in Carpenedo ein, einem elenden Weiler, wo wir auf einem Lager von Maisstroh schliefen. Am nächsten Morgen traten wir mit dem Frühesten unsere Wan derung an. Die Brenta zwischen Carpenedo und Valstagna ist ein wilder Gußbach, der aus ungeheuren Felsstückcn hervorschäumt und uch in gähnende Schlünde stürzt. Wir überschritten sie auf einigen Falken. Jenseits der Brücke steigen Vie Berge senkrecht auf. „Dort dllen wir also hinaufklimmen!" sagte mein Freund mit einem schmerz- «chen Seufzer. Einer der Führer, Vic wir in Carpcncvo angenommen hatten, schüttelte verneinend das Haupt, und aus eine Felsspalte deutend, auS der ein Waffersturz bervorsprudelte, sagte er: „Das ist unser Weg." — Wir hatten noch nicht Zeit zum Fragen gefunden, als jeder der Führer einen von uns auf den Nacken geladen hatte. So schritten sie in die FelShöhlung hinein, die nur spärlich durch den Dämmerschein des Tageslichtes erbellt wurve. Plötzlich machten unsere Führer eine Schwenkung, stiegen einige Stufen hinauf und legten uns auf einer Fclsabdachung nieder, die der Gießbach nicht benetzte. Während wir uns verschnauften, schlug einer der Führer Feuer an und entzündete einen gcthecrtcn Strick, der uns als Fackel bienen sollte. Nun ging es weiter. Die Wölbung der Höhle stieg jetzt zu einer bedeutenden Höhe empor, und in manchen Augenblicke» verloren wir sie ganz aus dem Gesichte. Ucber uns schäumte der Gicßbach, den wir nicht sahen; nur wenn der Pfad sich seinem Rande näherte, deutete ihn uns ein flimmernder Schein an. Lange gingen wir so in dem weiten und schweigenden Dunkel fort: cs war uns. als ob wir dcn Abhang eines Berges in einer windstillen und steinen losen Nacht erklimmten. Plötzlich stand einer der Führer still, lauschte einige Augenblicke, worauf er einige Worte mit seinem Gefährten wechselte und wir rascher zuschrittcn. Wir stiegen jetzt eben so rasch abwärts, wie vorher aufwärts. Schon lange hatte der Gießbach aufgehört, zu brausen; tiefe Stille umgab uns. Unsere Führer standen wiederum still, um sich mit ein ander zu beratben; sovann nahm der Eine einen schweren Stein und warf ihn in den leeren Raum hinein. Einige Sekunden lang hörten wir nichts; dann ließ sich ein dumpfes Geräusch, ähnlich dem Nieder fallen eines schweren Körpers in einen tiefen Brunnen, vernehmen. Ein Wassersturz breitete sich zu unseren Füßen auS. Wir klimmten jetzt mit großer Vorsicht an einem feuchten und glatten Fclsabhangc nieder, und bald sahen wir zu unseren Füßen ein Wasserbecken, m welchem ver Schein unserer Fackeln wiederstrahlte und in welchem sich der Pfad zu verlieren schien. Wir sahen uns nach einem Kahne um, aber unsere Führer luden uns auf die Schultern und durch wateten mit uns das Wasser, das ihnen bis an dcn Gürtcl, zuweilen bis an dic Achseln ging. Sie hatten ziemlich eine Viertelstunde zu gehen; sodann gelangten wir in eine sandige Ebene, welche man für das Ufer eines unterirdischen Meeres hätte halten können. Wir durcheilten sie rasch, nach dem Beispiele unserer Führer, dic zuwcilcn ängstlich in die Ferne lauschten. Ein schmaler Gang, in den die ungeheure Grotte wie in einen Trichter auslief, nahm uns auf. Die nahe an einander tretenden Wände ließen dem Gießbache, der sich in den See stürzte, und dem Wege nur einen schmalen Raum. Es war augenscheinlich, daß diesen langen Gang das Wasser auSge höhlt batte. Jetzt hörten wir vor uns ein Geräusch, wie das des fcrncli Donners. Unsere Führer zogcn uns rasch hinter sich her aus diesem beschwerlichen Wege. Mein Freund, der sich noch nicht ganz von seiner Krankheit erholt hatte, keuchte athcmloS und wollte anbalten. Aber unser ältester Führer rief uns zu: „Rasch vorwärts! Gestern hat cs im Gebirge geregnet, und nach Tonotta zu ist der Schnee des Berges Portole geschmolzen. Wchc uns, wenn der Gießbach uns ereilt, ehe wir aus der Höhle gelangt sind!" Wir vernahmen jetzt ein dumpfes Geräusch, das vom Ende ver Höhle, auf die wir zu schritten, zu uns hcrtöntc. Je weiter wir vorschrittcn, vesto mehr erweiterte sich vcr Felsgang. Balv bemerkten wir einen bläulichen Schein, der auS einer großen Ocffnung hcrvorzustrahlen schien. Wir wollten dies sonderbare Phänomen genauer in Augenschein nehmen, aber unsere Führer faßten uns beim Arme und rissen uns rasch hinter sich her. „Nasch! rasch!" riesen sie uns zu; „das Wasser kömmt schon herangcbraust; noch eine Minute, und wir sind verloren!" Sic hatten noch nicht geendet, als uns das Wasser schon bis zu ven Knieen und im nächsten Augenblick bis zu dcn Hüstcn stieg. Mit Hülfe unserer Führer klimmten wir auf Händen und Füßen dic Felswand hinan und gelangten so außer dem Bereiche des Wasscr- stromes. Das Schauspiel, das sich uns jetzt varbot, war eines ver groß artigsten unv konnte uns für manche Anstrengungen und Gefahren entschädigen. Der Felsgang, aus dem wir hervorgetreten waren, lief in eine ungeheure Höhle auS, die aber nicht finster war, wie dic vorher durchschrittene, sondern die durch eine weite Oeffnung über unseren Häuptern erhellt wurde. Der Abschnitt des Himmels, der durch dieselbe hindurchstrahlte, war vom schönsten Mecrblau gefärbt, das bis in die entlegensten Winkel der Höhle cincn bläulichen Wicvcr schein warf. Es war eine blaue Grotte, wie dic von Capri, aber