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Wöchentlich erscheinen drei Nummerfi. Pränumerations- Preis 224 Sgr. (4 Thlr.) vierteljährlich, Z THIr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt ans dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichsstr. Rr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post- A-mtcrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 24. März L84L. Frankreich. Ein Ball in den Tuilerieen. Von einem Engländer.") Wenn man von den Franzosen behauptet, daß sie sich mit ma gerer Suppe und geschmorten Froschkeulen abspeisen ließen, so ist das eine, freilich sehr gewöhnliche, Schmähung, die aber durch die Speisekarte der Pariser Restaurateure hinlänglich widerlegt wird; gewiß ist es aber keine Unwahrheit, wenn man von ihnen sagt, daß sic leidenschaftliche Tanzliebhaber sind, daß sie das Tanzen dem Essen, dem Trinken, dem Schlafe, der Unterhaltung und selbst der Musik vorziehen, daß der größte Theil ihrer Belustigungen und Be schäftigungen durch Tanz ausgefüllt wird. Bei einer Hochzeit tanzt die Braut die "ganze Nacht hindurch, dis die ersten Strahlen der Morgcnsonne durch die Fenster-Vorhänge hercinbrcchen. Bei einer Taufe überläßt die junge Mutter das Kind, dessen Gehurt die Gäste feiern helfen, der Sorgfalt einer Amme und nimmt am Tanze so lange Theil, bis sie ganz erschöpft in das Sopha sinkt, um sich auszuruhen. Bei den Geburtstagen der Mutter, des Vaters, der Großältcrn, der Kinder ordnet man nicht, wie in Eng land, ein Mittagsmahl, oder, wie in manchen Kantonen des schönen alten Helvetiens, ein Abendessen, sondern eine Tanzbelustigung an. In England trägt die Hausfrau die größte Sorge, daß bei solchen Geburtstags-Feierlichkeiten die Tafel auch recht hübsch aussehe, reich besetzt und glänzend erleuchtet sey; in Frankreich stehen auf einem Seitentisch eine kalte Pastete, einige Schalen voll Reismilch oder Bouillon, ein wenig warmer Punsch und einige kleine Kuchen; das sind die ganzen Erfrischungen, die maii bei dem großen Vergnügen ves Abends, beim Tanze, darbietet. Der Engländer schickt bei einer Abendgesellschaft seine Sparpfennige zum Pastetenbäcker, der Franzose zu den Spielleutcn. Selbst bei den gewöhnlichsten und einfachsten Soireen, wenn am Rande der Einladungskarte bemerkt ist: „Man wird nach dem Klavier tanzen", damit man nicht etwa glauben soll, cs fände ein Ball statt, muß der Franzose drei oder vier Musikanten, ein dazu gemicthetes und besonders gestimmtes Klavier und die neueste Musik aus der neuesten Oper zu den Quadrillen haben? Dabei wird aber weder auf den Werth der Musik, noch aus die Schwierigkeit Rück sicht genommen, auch Musikanten hcrbeischaffen zu können, die schon mit den labyrinthischen Schönheiten und Schwierigkeiten der neuesten Tänze vertraut sind; es ist eine Pflicht, der man genügen muß, und die Mutter würde aufs tiefste beschämt seyn, wenn bei ihrer Tochter nicht gleich die neuesten und modernsten Quadrillen gespielt würden. In den unteren Ständen ist die Liebe zum Tanz, wenn auch weniger verfeinert, doch nicht minder lebhaft. Es giebt keine Ma demoiselle, wenn sie auch noch so demüthig das Mitleid der Reisen den in Anspruch nimmt oder Orangen und Nüsse an die Passagiere der nach Bordeaux oder Calais fahrenden Eilwagen verkauft, die nicht tanzen könnte. Die Bettler schluchzen uns ihr Englisches ^Kauderwelsch entgegen, um das Mitleid der Briten zu gewinnen; ist aber der Eilwagen oder die Kalesche vorüber, so tanzen sie den Hügel hinab, den sie erstiegen haben, um ein paar Sous von dem Reisenden zu erwischen; sie drehen und tummeln sich, Hüpfen und springen nach den Weisen der letzten Quadrillen Mcycrbccr's. Woher kömmt das? ES ist den Leuten angeboren. Warum ißt der Irländer Kartoffeln? Weil eS seine Nationalkost ist. Warum tanzt der Franzose? Weil es in seiner Natur liegt. Und wenn wir die Stufenleiter Hinansteigen, vom Bettler zum Arheiter, in der Hauptstadt w,s m den Provinzen, was ist das Hauptvergnügen des Bauers, des Tagelöhners und des Handwerkers, von dem an, der hinter der Pflugschaar hergeht, bis zu dem, der zu Lyon so geschickt und geschmackvoll zu weben versteht, bei allen Festen des Dorfs oder des Bezirks, der Familie oder der Schenke, zu Hause und auf Be suchen? Nichts Anderes als der Tanz. Kein Frauenzimmer in Frankreich läßt vom Tanzen, bis ihre Beine und Füße nicht mehr fort wollen. Auch graue Haare und Runzeln sind kein Hinderniß; wer nicht mehr walzen kann, tanzt doch die Quadrille noch mit, ') Nie Franzosen find mit dieser im dir«- Anmbh enthaltenen Darneiiuna nicht ganz einverstanden; sie nennen ste ein Gemälde mit den Farben John Bull'S. File uns, die wir nnvarteiisch zwischen Engländern uw> Franzosen uns befinden, wird der Standpunkt, um das muurtreu Auf- getatzte von dem ucdertriebencn zu unterscheiden, leicht zu gewinnen seyn. und wer die Pas nicht mehr machen kann, läuft doch noch mit-und macht den Strohmann wie beim Whistspiel. In den Britischen Reichen giebt cs vielleicht einige Millionen junge Damen, die nicht tanzen können; in Frankreich aber geht bas Abc und das Tanzen Hand in Hand, so daß selbsi der alte Monsieur Monod, jener be rühmte Pastor der protestantischen Kirche zu Paris, den Adolph und den Friedrich und alle seine Söhne, die meistcntheils auch Pastoren waren, in der wundervollen Kunst unterrichtete, den rechten Fuß vor und den linken auswärts zu setzen. Professor Albert hat ein Buch über die Sittlichkeit des Tanzens geschrieben, worin er darthut, daß der Tanz dazu geeignet ist, die geistigen wie die moralischen Fähig keiten und Kräfte des Menschen zu vervollkommnen. Wer keinem ländlichen Fest in Frankreich beigewohnt hat, kann sich keine Vorstellung machen von der Schönheit und malerischen -Lebendigkeit solcher Scenen. Das Fest von Ville d'Avray, etwa zwei Meilen von Paris, ist ein herrliches Musterbild dieser Art von Lustbarkeiten. Nicht etwa häßliche alte Mützen findet man da, nicht abgetragene Damen - Shawls, nicht schmutzige Putzlappen; nein, Häubchen so weiß wie Schnee, Fichüs so nett und schwellend wie ein Blumenbeet im Juli, zierliche, saubere, knappe Kleider und Füßchen so niedlich und in so feinen Strümpfen und Schuhen wie die der elegantesten Gräfin auf den Londoner Almacks-Bällen. Und wie sie tanzen! o wie sie tanzen! mit ihren ganzen Augen und Herzen, mit ihren ganzen Füßen und Beinen, mit ihrer ganzen schlanken, kegelförmigen Taille und ihrem glückseligen, munteren Antlitz, nach den Tönen zahlloser Violinen und allerlei lustiger, wenn auch manch mal nicht gerade harmonircnder Instrumente. Das Tanzen der arbeitenden Klaffkn, der Dienstboten und Land leute unter freiem Himmel ist ganz einzig in seiner Art. Wir haben viele Länder bereist und manche Tänzer und Tänze gesehen, aber die arbeitenden Klaffen und Dienstboten in Frankreich übertreffen alle anderen in ihrer Liebe zu diesem Vergnügen. Die Männer hängen cbcn so sehr daran wie das schönere Geschlecht; frisch und munter sind sie am Morgen wieder um die gewöhnliche Stunde an der Arbeit und verrichten unverdrossen, cs koste, was es wolle, ihre Geschäfte in der Wirthschaft, in der Fabrik oder am Ladentisch, wenn sic auch eine lange Nacht hindurch in stets kreisender Bewe gung gewesen sind. Es ist unglaublich, mit welcher Ausdauer und Leidenschaft sic tanzen, obgleich ihre einzigen Erfrischungen in Zuckerwaffer, GaS- Limonade oder einen, Teller Suppe bestehen, wenn die Morgendäm merung die verglimmenden Dochte der schwindsüchtigen Oellampcn in den Buden oder Schenken übcrleuchtet. Zuweilen ziehen die Damen indeß Bier vor, ein Getränk, welches zwar der Masse des Volks in Frankreich noch wenig bekannt ist, das aber bei warmer Witterung und beim Tanz immer beliebter zu werden anfängt. O und wie tanzen sic dann! Mit welcher Grazie nicht selten, aber stets mit welcher Seele und Lebendigkeit! Wie manche Lady Arabella, die zu Hastings mit einem schwarzen Respirator vor dem Munde dahinsiecht, würde in solchem Tanz, als gymnastischer Uebung, mit leichter Luft, leichter Kost und leichtem Wein, die beste und schnellste Heilung finden! Aber diese Erinnerungen an den Französischen Tanz und an die Französischen Feste hätten uns fast ganz vergessen lassen, daß wir heute zu einem Ball in den Tuilerieen eingeladen sind. Dahin wollen wir unsere Leser und Leserinnen führen, wenn cs ihnen gefällig ist; wir versichern im voraus, daß BerklcinerungSsucht und Bosheit unS fern liegt. Wir haben cs nicht mit den Tuilerieen von ehedem zu thun. Nicht unbekannt ist uns deren Geschichte, und nicht un empfänglich sind wir für die ergreifenden Eindrücke, welche diese Geschichte auf unser Gemüth macht. Wir erinnern uns des Lebens Katharina's von Medicis, welche die Tuilerieen schuf, und des drei zehnten und vierzehnten Ludwigs, die ihr Werk fortführten.^ Die schönen Venetianischen Rosse aus der neueren Zeit schweben uns noch in all' ihrer Vollkommenheit und Schönheit.vor Augen, und die Scenen, welche im Flora-Pavillon vorfielen, sind noch frisch in unserem Gcdächtniß, als hätten sie gestern sich zugctragcn. Es war im Juli 1830, als der letzte König aus dem alten Capctingischen Geschlecht ihn zum letztenmal besuchte; seitdem hat Frankreich seine Farben wieder angenommen, wie die neue Charte sagt. Immerhin, wir wollen unS auf den Ball begeben. Die politischen Ereignisse der letzten vierzig Jahre in Frankreich haben den Charakter der Französischen Bälle und des Französischen Tanzes ganz umgewandelt. Die Tracht ist eine andere geworden;