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— Kör«. In dem seit acht Tagen da» Kölner Schwurgericht beschäftigenden großen Falschmünzer-Prozeß, -u welchem etwa 150 Zeugen geladen waren, erhielt Gaspert, Kunstfchüler der Düsseldorfer Akademie, wegen Anfertigung falscher Fünfzigmarkscheine 8 Jahr Zuchthaus, 10 Jahr Ehrverlust und Stellung unter Polize^ufsicht. Dieselbe Strafe traf den 60jährigen Treppenbauer Ferdinand Pickgart al» Seele de» Ver brechen»; sein Sohn erhielt wegen Beihülfe 15 Monate Gefängnis und ein Viehhändler 3 Monate Gefängni» wegen Verau»gabung der Falsifikate. — Wien. Bei einem Jagdsouper, an welchem auch Staatsminister teilnahmen, soll der Thronfolgeverzicht de» sächsischen Kron prinzen zur Sprache gekommen sein. Es wird versichert, daß sich der hiesige Hof be- reitS der Zusage de» sächsischen Königshauses vergewissert habe. Als Nachfolger des Königs käme der älteste Sohn de» Kron prinzen in Betracht. Bi» zu seiner Mündig keit würde Prinz Johann Georg die Regent schaft führen. — Der Bericht der französischen Kammer über die Vorlage der zweijährige» Dienst zeit berechnet, daß Frankreich in der Lage sein werde, 600 000 Mann unter Waffen zu haben, welche in 20 Armeekorps einzu- teilen wären, sodaß jedes Regiment 4000 Mann stark sein konnte; im Kriegsfälle würde die Armee, unter Ausschluß der Re- serven, über eine Million Mann verfügen. — England. London. In Colney Hatch bei London brannte der für jüdische Patienten reservierte Flügel des berühmten Irrenhauses nieder. Nahezu 50 Personen sind in den Flammen um» Leben gekommen. Während des Brandes spielten sich entsetzliche Szenen ab. — London, 27. Januar. Das Todes urteil gegen Lynch ist in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt worden- — Die größten Geschütze der Welt sind jetzt im Fort Sandy Hoock bei New-Aork aufgestellt und am 17. Januar zum ersten Male mit vollem Erfolge erprobt worden. Das Kaliber dieser ungeheuren Kolosse be trägt 40 Centimeter. E» wurden drei Schüsse mit der vollen Ladung von 640 Pfd. rauchlosen Pulver», der größten, die bisher jemals zur Anwendung gekommen ist, abge feuert, unter Benutzung eines Geschosses im Gewicht von 12 Tonnen (240 Zentner). Die Bombe traf die Meeresoberfläche in einer Entfernung von 5 Kilometer, während die eigentliche Tragweite der Geschütze über 30 Kilometer sein soll. — Odessa. Durch LoSreißen von Eis schollen wurden 80 Fischer und Kosaken ins Kaspische Meer getrieben. Ein Dampfer ist zur Rettung der Verunglückten abgegangen. Aus"Ltadt und Land? Naunhof, den 29. Januar. Naunhof. Vor einiger Zeit brachten wir einen Auszug über Berliner Fleischpreise, der uns von zuverlässiger Seite zur Ver öffentlichung überlassen worden war. Da diese Preisnotizen rege» Interesse hervorge rufen hatten, indem dieselben vielfach be sprochen wurden, so glauben wir, daß auch einige amerikanische Fleischpreise Beachtung finden werden. Ein hiesiger Fleischermeister- hat uns einen Privatbrief aus Amerika zur Einsicht gegeben. Es werden im Kleinhandel für beste» Kindfleisch, wie solches in Deutsch» land zu Roastbeef verwendet wird, 25 Cent» für da» Pfund bezahlt, da» wäre also reich lich 1 Mk., denn ein Cent gilt etwa 4Vs Pfennig. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß mit einem Pfunde nicht ein halbe» Kilo gemeint ist, sondern ei« englische» Pfund gleich 450 Gramm. Rind»lende kostet 30 und 35 Cent, Suppenfleisch 12 und 14 Cent, Hochrippe 16 und 18 Cent, Schweinsrippchen kosten 16 Cent, Schulter 12 und 14 Cent. Schinken im Ganzen 16, ausgeschnitten 25 Cent. Junges Lammfleisch Schlegel oder Keule 16—18 Cent im Ganzen, ausgewogen 25 Cent, ebenso Rippchen 25 Cent. Kalb fleisch ist nicht immer zu haben und wird jetzt die ganze Keule mit dem Bein daran für 15 Cent per Pfund verkauft, während Kalbsschnitzel 25 Cent das Pfund kosten. Brust und Schulter gewöhnlich 10 bi» 12 Cents. Die Wurstpreise find wie folgt: Blutwurst 16, Frankfurter 14, Leberwurst 14, Servelatwurst 25, Schweinefleischwürst chen 12 Cents. Rindsleber wird mit 10 bi» 12 Cent» verkauft. Die vielfach ge- priesenen billigen amerikanischen Fleischpreise suchen wir leider vergeben». Naunhof. Gewerbeverein. Die Ver sammlung am Dienstag war nur schwach be- sucht, trotzdem ein höchstinteressanter Vortrag den Mitgliedern geboten wurde. Es ist doch ein recht gewaltiger Irrtum, wer da meint, eine entsprechende Lektüre als Ersatz eine» mündlichen Vortrages gelten zu lasten, wenn der Vortragende Selbsterlebtes und Selbst erschaute» schildert. E» ist also dem Haupt teile der Mitglieder ein lehrreicher Genuß entgangen, denn heutzutage, wo die deutsche Flagge auf allen Meeren weht, müssen die Zustände und Verhältnisse eines jeden Lande» auch für solche Interesse haben, die nie aus ländische Geschäftsbeziehungen gehabt, vielleicht aber als ehemalige Soldaten zu beurteilen vermögen, wie leicht der Fall eintreten kann, daß deutsche Streitkräfte auch in kernen Weltgegenden eingreifen müssen, und wie zweckmäßig es dann ist, auch etwas Bescheid zu misten. Herr Schuldirektor Schäfer brachte nun durch Wort und Bild in seiner leicht begreifbaren Weise den Anwesenden einen recht umfassenden Begriff von Marokko bei. Ec ließ seine Zuhörer mit landen an dem Nordgestade Afrikas und sie einen Blick in lenes Wunderland Hineinthun, in welchem Neste einer uralten Kultur unter dem kon- ervierenden aber auch einschläfernden Tin- luste des Islam seit Jahrhunderten für die Außenwelt einen Dornröschenschlaf halten. Kein anderes islamitisches Reich hat sich in- ensioer gegen europäischen Einfluß obzu- chließen verstanden, wie Marokko. Wie es aber in solchen Ländern sehr oft vorkommt, überspringen intelligente Männer den Kultur« entwickelungsgang, indem sie sich mit den neuesten Errungenschaften der modernen Welt bekannt machen und diese dann in ihre alte tehen gebliebene Kultur unvermittelt hinein« iringen. Ein solcher Mann ist der gegen wärtige Sultan von Marokko, der ebenso vohl über Fahrräder wie Automobile ver- ügt und damit bei den alten orthodoxen Muhamedanern soviel Anstoß erregte, daß e» einer Gegenpartei möglich war, einen Aus land anzuzetteln. Naunhof. Je seltener ein Vergnügen ist, desto mehr Reiz hat cs, so ist es auch in unsrer Stadt mit den öffentlichen Masken bällen, von denen jährlich höchsten» einer, manche» Jahr aber gar keiner stattfindet. Nun diese» Jahr ist aber im Ratskeller Maskenball und schön soll er werden. Fleißige Hände rühren sich bereits den Saal ange messen zu schmücken. Mit wertvollen Prämien sollen die schönsten Masken ausgezeichnet werden. Die Bestände in Küche und Keller sind schon mit den besten Sachen vervoll ständigt, so daß am 2. Februar ein Ver gnügen vor sich gehen wird, da» auf zwei Jahre genügen kann. Die Hauptsache ist natürlich die Misere des AltagslebenS zu Hause lassen und in den Sprudel der Lustig keit hineinspringen. Naunhof. Die Temperatur der laufenden Woche bewegte sich zwischen 2 Grad Kälte bis 7 Grad Wärme. Der Stand de» Queck silbers war am 25. dss. tiefster Punkt 2 Grad —, am 26. höchster 5V, Grad Wärme; Am 27. ds». 1 Grad Wärme zu 5*/, Grad Wärme, am 28. ds». 2V, Grad Kälte zu 7 Grad Wärme, am 29. ds«. Hz Grad Wärme und Früh 8 Uhr 30 Min. bereits 3 Grad Wärme. Grimma. Am Montag Nachmittag hielt die Grimmaer Stadtbrauerei, G. m. b. H ihre Generalversammlung ab. Aus den Berichten, welche alle günstig lauteten, ist zu entnehmen, daß die Verschrotung ständig ge stiegen ist. So wurden, um nur die letzten 3 Monate herauszugreifen, verkauft an Hekto ¬ litern : 1901 1902 Oktober 452 506 November 298 441 Dezember 281 441. f Der Kaiser bestimmte, daß der dies jährige Deutsche Sängerwettstreit in den Tagen von 4. bi» 6. Juni in Frankfurt a. Main zum Austrag komme und am Vor abend des ersten Tage- da§ -mpkangskonzert der Frankfurter Sänger stattfinde. Die Frankfurter Sängerbünde stiften einen wert vollen Ehrenpreis. -j- Das zehnte deutsche Turnfest in Nürn berg fällt leider mit dem Eidgenössischen Turnfest in Zürich zusammen. Dem Gesuche des Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft da» Schweizer Turnfest zu verschieben, konnte vom Organisationskomitee für das Eidge nössische Turnfest nicht entsprochen werden wegen der in Zürich vorgesehenen Militär kurse. So fallen nun die beiden Turnfeste auf die gleichen Tage und schließen so den gegenseitigen Besuch au». H Wie das „Chemnitzer Tageblatt" mit eilt erfolgte vorgestern vor 50 Jahren, am 26. Januar 1853, auf „dem Richtplatze des Justizamtes" zu Chemnitz die erste Hinricht ung mit dem Fallbeil in Sachsen, nachdem »isher die zum Tode verurteilten Verbrecher mit dem Schwerte hingerichtet wurden. Das Fallschwert, wie das Werkzeug damals hieß, unterschied sich von der französischen Guillo tine dadurch, daß die Schneidfläche, in chräger Richtung verlief, wodurch der Kopf n Wirklichkeit abgeschnitten, nicht aber wie bei jener abgehackt wurde. Die neue Hin richtungsmaschine wurde von einem Mecha niker in Dresden gebaut. Der erste mit ihr Hingerichtete war der Strumpfwirker Fischer von Leukersdorf, der sein eigenes Kind ermordet hatte und dessen einaeretchte» Gnadengesuch abfällig beschieden »srde« war. Al» gegenüber der früheren Hinrichtung»- Methode menschlicher und zweckmäßiger wurde die große Schnelligkeit und Sicherheit, mit der die Maschine die Hinrichtung vollzog, sowie die Tatsache empfunden, daß den Zu- schauern der unheimliche Anblick de» abge trennten Kopfes und de« hervorquellenden Blutes erspart blieb. Der Leichnam de» Enthaupteten wurde mit der Bahn der Uni versität Leipzig übersendet, die Maschine aber beförderte man auf einem Möbelwagen nach Freiberg, wo sie bereit« am 28. Januar ihre traurige Thätigkeit erneut ausüben sollte, um sodann wiederum einige Tage später in Döbeln benutzt zu werden. -j- Die Lohnzahluug-bücher für minder jährige Farikarbciter haben sich nach den der Hamburger Handelskammer vorliegenden Er- sahrungen als gänzlich ungeeignet erwiesen, denn die Inhaber der fraglichen Bücher denken in der Mehrzahl gar nicht daran, sie ihren Eltern und Vormündern vorzuzeigen; ja es ist bisweilen selbst ganz unmöglich ge wesen, die den Minderjährigen bei einer Lohnzahlung eingehändigten Bücher bi» zur nächsten Lohnzahlung überhaupt wieder zurück zuerhalten. Da außerdem die Führung der Lohnzahlungsbücher mit einer Reihe von äußerst lästigen Formvorschriften für den Arbeitgeber beschwert ist, kann nur gewünscht werden, daß diese» Produkt der Gesetzgebung bei nächster Gelegenheit au» der Gewerbe ordnung wieder beseitigt werde. Dadurch würde einem allgemeinen Wunsche der ge samten deutschen Industrie Rechnung ge tragen werden. Leipzig. „Ein offenes Wort an die deutschen ^Studenten", so lautet die Ueber- schrift eines von einem angesehenen Arzt in Leipzig verfaßten Flugblattes, da» in voriger Woche erschienen ist und vom medizinischen Standpunkte au» auf die furchtbaren Ge fahren und Folgen eine« unsittlichen Lebens wandels aufmerksam macht. Es weist nach, daß man sich dadurch Krankheiten zuzieht, die nicht bloß die eigene Gesundheit zeitlebens untergraben, sondern späteres Familienglück unmöglich machen. Eine große Anzahl Mit glieder de» hiesigen Verein» zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit haben diesen Aufruf der deutschen Jugend an» Herz gelegt und in diesem Sinne unterzeichnet. Möchte der Ruf: „Deutsche Jugend, wache auf! Suche deine Ideale wieder!" in denj Herzen der deutschen Studenten Widerhall finden und zur That werden. Es ist wünschenswert, daß das Flugblatt in möglichst weite Kreise der deutschen Jugend gelangt.. Es ist zu beziehen durch die Geschäftsstelle de« hiesigen Sittlichkeitsverein», Leipzig, Roßstraße 14. Leipzig. In Sachen der Einverleibung der Heilanstalt Dösen in den Stadtbezirk Leipzig findet, wie wir erfahren, Anfang kommender Woche wiederum ein anderweiter Verhandlungstermin statt. E» ist nicht aus geschlossen, daß hierbei die Einverleibung der ganzen Gemeinde Dösen von deren Seite in Anregung gebracht werden wird. Leipzig. Der Aufsichtsrat der Leipzger Vereinsdank in Leipzig-Plagwitz wird der auf den 22. Februar einzuberufenden Gene ralversammlung die Verteilung einer Divi dende von 6 Proz. in Vorschlag bringen. Aer Machlwandker. Roman von Berthold Rehnert. 22 Er versicherte ihr, daß er sie aus Händen tragen wolle, daß er kein höheres Bestreben kennen werde, als sie glücklich zu ma chen Ein kleines Abendessen vereinigte die vier Personen im Gar- tensalon, wobei der Vicomte von seiner Audienz bei Napoleon erzählte. Herr Rother horchte auf, als er hörte, wie ungeniert sein zu- künftiger Schwiegersohn den Wiener Botschafter-Posten gefordert. Unbewußt bestimmen die starken Grundzuge den Charakter ; diese Beförderung, wenn sie zu stände kam, paßte vortrefflich zu fei nen Eisenbahnplänen. Taher gab er seine Bcistimmung lebhaft zu erkennen und äußerte den Wunsch, der Vicomte möge bei Napoleon ernstlich sich um den Wiener Botschafterposten bemühen. Auch Frau Rother war hocherfreut über die Aussichten des Vicomte. Ihre Tochter Botschafterin am Kaiserhof in Wien, sie wußte wohl zu schätzen, was das bedeutete und ihr Herz schwoll vor Entzücken. Daß man Toinette Rother, der Bürgerlichen und Israelitin, der Enkelin eines Hausierers, vielleicht den Eintritt in die Hofburg verwehren würde, daran dachte sie nicht. Anders ihr Mann. Dieser Punkt wurde von ihm erwogen und wenn er auch eine gewisse Beklemmung verursachte, so hatte er doch zu viele Beweise von der zwingenden Wirkung seiner Millionen, um an einem günstigen Ausgange zu zweifeln. Man sprach nach dem Essen dem vorzüglichen Weine zu und es begab sich, daß Frau Rosalie schließlich ein wenig ins Feuer geriet. Ihre Sprache wurde lebhafter, sie pries Napoleon als ein großes Genie, welches von der Vorsehung berufen sei, zur Rettung und Beherrschung Frankreichs. „Ja," rief sie pathetisch das Glaserhebend, „Hoch lebe der Kaiser, unser Louis soll leben!" Niemand that ihr Bescheid, was sie nicht weiter übel nahm, sondern ihr Glas anstrank, während Herr Rother in einen Lach krampf ansbrnch, daß es den Vicomte befremdete und er beide für betrunken hielt. Es dauerte lange, bis Herr Rother endlich sich soweit beru higte, um sprechen zu können. „Sie müssen wissen, Herr Vi comte," sagte er dann, ab und zu wieder schluchzend vor Lachen, „daß meine Frau behauptet, eine nahe Verwandte Napoleons zu fein." „Keine nahe Verwandle, aber doch eine Verwandte," schal-s tete Frau Rosalie ein. „Sie wissen ja, daß der Vater des Prinz- Präsidenten, Ludwig Joseph Bonaparte, sich von seiner Gemah-; lin Hortensie trennte und zwar wegen ihres Lebenswandels. In Graaz in Steiermark ließ er sich als Graf St. Leu nieder. Nach dem die Ehescheidung fast zwei Jahre vollzogen, gebar die Kö nigin Hortensie einen Sohn, den jetzigen Grafen Morny..." „Ich habevoreinigen Stunden mit ihm gesprochen," bemerkte der Vicomte, er ist die rechte Hand seines Stiefbruders bei des sen staatsverbrecherischeu Plänen." „Ganz recht, man sagt,seinVater sei der ehemalige Großstall meister der Königin Hortensie, Graf Fleury." „Tas stimmt auch, Mvrny ist bei der Mutter des Großstall meisters als namenloses Bübchen erzogen worden, bis ihm der alte, kinderlose Graf Morny adoptierte; eine nette Sippe diese ganze Familie Bonaparte." bemerkte der Vicomte wieder. „Den Bourbonen und dem Adel des vorigen Jahrhunderts reichen sie aber noch nicht das Wasser," dachte Herr Rother. Laut fuhr er fort: „Also der Graf St. Leu lebte, nachdem er mit seinem Bruder, Napoleon dem Ersten, vollständig zerfallen, voll seiner Gattin geschieden und der Krone von Holland ent sagt hatte, still und zurückgezogen in Graz, heiratete aber, was öfsew'ich nicht bekannt geworden, zum zweitenmal und zwar eine Tante meiner Frau. Dieselbe starb nach zweijähriger Ehe kinderlos. Meine Frau aber schwärmt nun für das Haus Bonaparte und bildet sich ein, zu demselben in einen: nahen verwandtschaft lichen Verhältnis zu stehen. Den Prinz-Präsidenten nennt sie da her auch unseren Lonis. Neulich sagte sie, ich bin doch gespannt, was unser Louis für eine Frau kriegen wird." Und wieder lachte Herr Rother. Auch der Vicomte stimmte, wenn auch nicht so ausgelassen wie sein zukünftiger Schwiegervater, ein. Die kleine Gesellschaft erhielt unerwartet einen Zuwachs. Alex Rother, der Vvlksfreund, kam herein. Der junge Mann sah etwas lendenlahm und zerschunden aus und trug den rechten Arm in einer Binde. Herr Rother brach anis neue in ein Gelächter aus, als er seinen Sohn in diesem Zustande erblickte. „Nun, Alex, haben die neuen Besitzer von Monceaux les Mines Dich geprügelt?" fragte er in heiterster Laune. Alex, welcher ziemlich mürrisch gegrüßt und sich dann nieder gelassen, schenkte sich ein Glas Wein ein, und nachdem er da» Glas gegen die Anwesenden erhoben und sich leicht verneigt hatte, trank er dasselbe aus. Tann fixierte er seine Schwester und den Vicomte und sagte: „So schnell ging es! Man kann also schon gratulieren?" „Jawohl, lieber Alex," sagte Toinette mit ihrer silbernen Stimme, und sah, ihm die Hand hinreichend, ihn mit reizendem Lächeln an. Er schien eine Bemerkung machen zu wollen, hielt es aber schließlich doch für geraten, dieselbe zu unterdrücken. Er rekelt« sich einige Male sehr ungeniert auf seinem Stuhle, dann erhob er sich und verschwand eben so steif und mürrisch, wie er gekommen war. Frau Rother und Toinette waren sichtlich unangenehm be rührt, Herrn Rothers gute Laune aber war nicht im gering sten beeinträchtigt. Er freute sich, daß Alex mit seinen Volks- freundlichen Absichten schon gleich anfangs so böse Erfahrungen machte. Es war schon ziemlich spät, als der Vicomte sich erhob, um Abschied zu nehme». Toinette, obwohl sehr einfach und ohne jedeZiererei, konnte doch eine tiefe Bewegung nicht verbergen. „Wir sehen uns sehr bald wieder, mein herziges Mädchen/ flüsterte er ihr zu, während sie dem Hause zuschritten. Drau ßen hielt sein Wagen und sehr schwer fiel es ihm, sie endlich frei zugeben und zur Abfahrt einzusteigen. 4 * -s- Eine berühmte Sängerin gab an diesem Abend ein Gast- spiel in der großen Oper. Die Flut der Gedanken beschäftigte den Vicomte so sehr, daß er es nicht über sich gewinnen konnte, schon sofort sein stilles Heim auszusuchen. Er fuhr also zur Oper. Das Hans war stark besetzt, doch gelang es ihm noch, einen be vorzugten Platz zu erobern. Ganz erregt von dem großen Er eignis des Tages, schenkte er der Darstellung wenig Aufmerk samkeit, sondern gab seinen Gedanken Audienz und ließ seine Blicke gleichgültig über das Publikum schweifen. Wohl zehnmal schon hatte er einen jnngen Mann sich gegenüber bemerkt, dessen Aenßeres ihm sehr bekannt vorkam. Immer aber waren sein« Gedanken und Blicke abgeschweift, bis sein Gegenüber ihn auf merksam beobachtete. Jetzt sah der Vicomte genauer hin. 103,20