Volltext Seite (XML)
und das Recht, das politische und literarische Journal, das „Echo" oder den „Courier" hcrauszugcben, gekauft. Der gewöhnliche Lauf seines Lebens fließt sanst dahin. Wenn die Malle-Post aus Paris anlangt, so öffnet er die lithographirte Korrespondenz, welche er gewöhnlich unentgeltlich bekömmt, berechnet den Raum, welchen die gerichtlichen Ankündigungen und sonstigen Anzeigen für die Politik und Literatur übrig lassen, dann ergreift er die Scheere, schneidet die Korrespondenz und die Journale aus, ordnet sorgfältig die Nachrichten für die starken Geister des Orts, und die Selbstmorde, Unglücksfälle und Sitzungen der Geschworenen für die Masse der Leser. Zuweilen wagt er es auch wohl, eine Episode des Zuchtpolizei-Gerichts aufzunehmen, aber er schenkt der Auswahl die gewissenhafteste Aufmerksamkeit, damit die keuschen Ohren des Lesers nicht durch einen kühnen Ausdruck beleidigt werden; denn wenn ein Journal in der Provinz gedeihen soll, so muß die Mutter ihren Töchtern das Lesen desselben, wenn auch nicht anempfehlen, doch wenigstens gestatten können. In entscheidenden Momenten, wenn ein parlamentarischer Sturm den politischen Horizont verdunkelt, erhalten die Verrichtungen des Eigenthümers und Herausgebers eine ganz besondere Wichtigkeit. Jeden Tag wird er auf eine gcheimnißvolle Weise in das Kabinet des General-Secretairs oder gar des Präfekten eingcführt; da wird ihm feierlichst der halbofflzielle Artikel übergeben, dessen Aufnahme für angemessen erachtet wird, da werden alle eingehende Nachrichten sorglichst geprüft; man wägt gewissenhaft ihre Bedeutung ab, man berechnet die Zweideutigkeiten, die sie veranlassen könnten, ja man sucht sogar die aufrührerischen Calembourgs und die meuterischen Witze, welche die Schöngeister des Ortes hincinlegen könnten, auS- zuspüren. Zuweilen holt die oberste Behörde des Departements den Rath des publizistischen Druckers ein, und dieser tritt unfehlbar den An- und Absichten des Präfekten bei, mit dem die Fürsorge dcS Ministers des Innern die Provinz beschenkt hat. Zur Zeit der großen Krisen ist der Herausgeber des Journals fast der Freund des Präfekten, und eS trifft sich bann wohl, daß er in Gesellschaft eines Dorf-Maire's und eines Steuer-Einnehmers des Kantons am Tische des Präfekten sitzt. Wenn die Zeiten der Ruhe wiedcrkehrcn, überläßt der Präfekt auch wiederum die unumschränkte Leitung der Departemental-Zeitung ihrem Herausgeber. Ab und zu erleidet jedoch auch dann dke Mono tonie des offiziellen Blattes eme Unterbrechung. Da hat der Maire eines Dorfes in aller Stille eine Theorie über die Findelkinder auS- gearbeitet; oder ein Departemental-Rath will der Oeffentlichkeit ganz neue Ansichten über die Gemeinde-Wege oder über die Gen darmerie-Kaserne des Departements übergeben; oder ein anonymer Philanthrop trägt auf Verbesserung des Looses der Gefangenen an. Der Herausgeber nimmt diese Meisterwerke dankbar an und schickt ihnen unfehlbar folgenden Eingang vorauf: „Unsere Leser werden uns Dank wissen, daß wir den vortrefflichen Aussatz von Herrn L oder Zj über eine so interessante Frage ausgenommen haben. Möch ten doch die Ansichten dieses ausgezeichneten Schriftstellers nach ihrem wahren Wcrthe gewürdigt werden; möchte doch seine beredte Stimme einen Wiederhall bei den Ministern und Dcputirtcn finden." Nach diesen kommen die Dichter, welche sich mit furchtbarer Fruchtbarkeit vermehren. Bald ist es ein Romantiker, der seinem Weltschmerze Luft macht, bald ein elegisches Gemüth oder ein fröhlicher Epikuräer, der die Liebe und den Wein besingt. Der Rcbacteur bringt diese poetischen Schätze im Feuilleton unter und fügt eine Anmerkung hinzu, daß er sich glücklich schätze, dem Publikum das ungedruckte Werk eines zukünftigen großen Dichters übergeben zu können. Es giebt indeß auch regelmäßig wiederkehrende Epochen, welche die süße Ruhe des Redacteurs stören; cs ist die Zeit der Wahlen. Da sind die Wahlen der National-Garde, die Wahlen zu den Arron dissements-Conseils, die Wahlen zu den Departemental-Conseils, die Wahlen der Deputirten. Wenn diese eintrctcn, ist es aus mit seiner Ruhe; Glaubensbekenntnisse der Kandidaten und Empfehlungen der selben durch ihre Anhänger stürmen nun unaufhaltsam auf ihn ein. Jeder derselben braucht die wunderbarsten Uebcrtreibungcn, um die Tugenden seines Erwählten zu preisen. Soll ein Kommandant der National-Garde gewählt werden, so wird ein ehemaliger Korporal der Küsten-Wache als ein Ucberbleibsel der heldenmüthigen Armee des großen Kaisers herauSgestrichcn; soll ein Departemental-Rath gewählt werden, so wird ein Dorf-Äaire wegen seiner musterhaften Verwaltung und seiner fünfundzwanzigjährigcn Dienste in den Him mel erhoben, obgleich der ehrenwerthe Mann in den fünfundzwanzig Jahren bloß die Geburts- und Sterbe-Listen geführt hat. Wenn die Zeit der Deputirten - Wahlen kömmt, geht der Lärm erst recht los. Dann weiß sich der Herausgeber vor den Einsendungen und Rccla- mationen, die ihm von allen Seiten zugehen, gar nicht mehr zu lassen. Das unschuldigste Wort, die unwahrscheinlichste Anspielung giebt einen Vorwand, um auf eine Behauptung zu antworten, die nicht aufgestellt worden ist, um einen Kandidaten zu vertheidigen, der nicht angegriffen worden ist, oder um die unbekannten Tugenden desselben ins hellste Licht zu stellen. Und wenn unglücklicherweise in einem zweispaltigen Artikel zu Gunsten eines Kandidaten der Kan didat der Gegenpartei erwähnt wird, dann wehe dem Nedacterr! denn augenblicklich stellt sich dieser mit einer endlosen Erwiederung M zwei Advokaten seiner Partei ein. Mag der unglückselige Ne- vacteur immerhin anführen, daß der Artikel keine feindliche Tendenz Men den Kandidaten hat, daß dessen Name nur beiläufig erwähnt ^*d; die Advokaten gehen nicht davon ab, daß der II. Art. des Petzes vom 2S. März 1822 den Rcdacteur nöthigt, die Antwort Journal genannten oder erwähnten Person aufzunehmen, vap dir Aufnahme derselben unentgeltlich seyn soll, und daß sic die doppelte Länge des Artikels haben kann, auf welchen sich die rekla- 118 mirende Partei bezieht. Der Artikel, gegen welchen die Reclamation erhoben wird, beträgt zwei Spalten; also stehen dieser vier Spalten unentgeltlich zu. Fällt die Antwort länger aus, so wird der Rest nach dem Tarif der Annoncen bezahlt. Der Herausgeber kann da gegen nichts einwenden, aber bei näherer Betrachtung des ihm auf- gezwungenen Artikels findet er, daß derselbe eine Verleumdung seines eigenen Kandidaten enthält. Er erinnert sich des Gesetzes vom 18. Juli 1828, welches lautet: „Die Unterzeichner jedes Blattes sind für dessen Inhalt verantwortlich und allen gesetzlich deshalb festgestellten Strafen unterworfen, unbeschadet der Bestrafung der Verfasser solcher Artikel als Mitschuldiger." So steht er also zwischen zwei Klippen. Entweder muß er Vas Gesetz von 1822 ver letzen und eine Geldstrafe tragen oder muß er nach dem Gesetze von 1828 die Hauptschuld der Verleumdung gegen seinen eigenen Kandi daten auf sich nehmen. Endlich kömmt der Tag der Wahlen. Schon am frühen Mor gen wird sein Büreau gestürmt. Die Opposition nimmt im Namen der Unparteilichkeit die zwölf Spalten, seines Journals für ihre Kan didaten in Anspruch. Die Regierungs-Partei gsebt zu verstehen, daß sie auch wohl einiges Recht habe, über das Journal zu verfügen. Während die Häupter der feindlichen Parteien sich im Büreau be fehden, hat aber die Tiers-Partei die Druckerei gestürmt. Es läuft die Nachricht ein, daß der Druck der ministeriellen Artikel im Namen des RcdacteurS aufgehalten und eine Apologie des linken Ccntrums untergeschoben worden ist. Dieser kühne Streich der dynastischen Opposition stürzt den Herausgeber in die furchtbarste Verlegenheit. Die Zeit drängt, und es ist zu fürchten, daß das Blatt nicht mehr zeitig genug erscheinen werde, um noch einen Einfluß auf die Wähler zu üben. Um wenigstens eine Wirkung hervorzubringcn, muß er die Sachen lassen, wie sie sind, und die Apologieen der linken Seite bringen. Endlich erscheint das Blatt, und selbst in der Hitze des Gefechts finden die Kämpfenden noch die Muße, den unglücklichen Herausgeber zu quälen und ihm Alles zum Vorwurf zu machen, was er für oder gegen jeden Kandidaten gethan hat. Aber des Widerstandes müde, beugt er sein Haupt unter dem Sturm der widersprechendsten Vorwürfe und läßt ruhig Alles über sich ergehen. Trotz aller Opfer, die der offizielle Journalist der Unparteilich keit bringt, gelingt es ihm doch nicht, die Opposition zufricdenzu- stellen. Die Führer derselben finden, daß die nationale Partei in schimpflicher Abhängigkeit von einem Sklaven der Staatsgewalt gehalten werde; die Sache der Freiheit müsse durchaus ein würdiges Organ in dem Hauptorte des Departements erhalten. ES würde ein Vcrrath an der heiligsten Sache seyn, wenn die Verbreitung der Theorie von der Souverainetät des Volks dem Gutdünken des Druckers der Präfektur überlassen bliebe. Das Bcdürfniß eines Journals der Opposition macht sich mit unwiderstehlicher Kraft gel tend, und die gewiegten Männer der Partei sehen sich nach den Mitteln um, durch welche diese große Idee ins Werk gesetzt werden könne. Während sie aber noch darüber debattiren, springt die Idee schon ganz fertig aus dem Haupte eines der Ihrigen hervor. Ge wöhnlich ist der Redacteur des Journals der Opposition ein Advokat, der von der Höhe des Königlichen Gerichtshofes in die Ebene dcS Tribunals erster Instanz herabgestiegen ist. Erbittert über die sträf liche Gleichgültigkeit, welche das Publikum seinem Genie bezeigt, er bittert über die unverantwortliche Vernachlässigung, welche sich die Negierung gegen ihn zu Schulden kommen läßt, ist' er zu der Einsicht gekommen, daß eine so organisirte Gesellschaft nicht dauern könne, und daß ein Volk, welches einem seiner herrlichsten Söhne weder Geld noch Ehre spenden könne, seinem Untergange nahe seyn müsse. Mit dem Adlerblicke des Publizisten mißt er die Tiefe des Abgrunds aus; er ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine Revolution im Anzuge scy, daß sie nothwendig sey, um der Fähigkeit einen breiteren Pfad zu eröffnen. Da er überdies nichts zu thun hat, so „widmet er sich dem Werke des Fortschritts, so übernimmt er dieses Apostolat; er weiht sein Leben diesem heiligen Werke und verkündet, daß er auch das Märtyrerthum nicht scheuen wird, wenn der Präfekt und der König!. Prokurator gegen die Journalisten, diese Verkündiger des neuen Glaubens, die Verfolgungen erneuern wollen, welche ernst Dioclctian über die Anhänger Christi verhängte." Die schlagende Wirkung dieser Darlegung der Prinzipien ist leicht vorauszusehen. Die Opposition ist vor Freuden außer sich, und die ministerielle Partei heuchelt eine Ruhe, welche leider nicht in ihrem Herzen wohnt. So weit ist Alles ganz gut; aber es bleibt noch eine Hauptsache zu berücksichtigen: das Geld. Denn wie groß auch der Eifer des Druckers seyn, wie sehr er auch wünschen möge, seinem Nebenbuhler Abbruch zu thun, so ist er doch keineswegeS gesonnen, den Krieg aus eigene Kosten zu führen. In einer kleinen Stadt hält es sehr schwer, die Geldbeutel für eine solche Sache zu erschließen. Die verschiedenartigsten Cvmbinationcn werden in Vorschlag gebracht, um endlich bei derjenigen stehen zu bleiben, welche den Actionnairen ani bequemsten ist. ES werden z- B. Acticn zu 6ü Fr. gemacht, welche Ansprüche aus ein zweijähriges Abonnement geben; oder die Notare nehmen Actien von ioo Fr., welche ihnen allmälig durch die Einrückung von Ankündigungen abbezahlt werden. Auf eine Weise nun oder auf die andere wird ein kleines Kapital zusammen gebracht, und der „Jndependant", der „Jmpartial", der „Progresfis", oder wie das Blatt sonst getauft wird, tritt ins Leben. Bon vicsem Augenblicke an ist es mit der friedlichen Existenz des Journals der Präfektur zu Ende. Es ist jetzt ebenfalls gezwun gen, sich in den Strudel der Politik zu stürzen; aus ist es mit dem Monopol der Annoncen, aus mit dem bequemen kw niente. Anstatt den „Moniteur" und die halboffiziellen Journale auszuschneiden, muß es sich jetzt täglich mit einem streitsüchtigen Journale herum schlagen. Der Drucker fühlt seine Unzulänglichkeit, die täglichen