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WSchenMch «Meinen drei Nummern. PrSnumerativnS- PreiS 22j Sgr. (^ Thlr.) vierttljährlich, 3 Thlr. sür daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Lüeratur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichsslr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemiern. Literatur des Auslandes. 29. Berlin, Montag den 8. März 1841. England. London im Jahre 1840. 1- Das Klublebcn und das Garyonleben. Die Bevölkerung von London vermehrt sich ins Unendliche; diese Hauptstadt dehnt ihre Straßen nach allen vier Weltgegenden aus; im Osten und Norden errichtet die Industrie ihre Fabriken, heizt ihre Oefen und eröffnet ihre Werkstätten, während im Süden und Westen die Reichen, fern von dem Geräusch und den Rauch wolken der Manufakturen, die neuen für ihre Lebensweise eingerich teten Stadttheile beziehen. Die neuen Bauten werben auf folgende Weise ausgcführt. Eine Gesellschaft kauft ein Terrain, das einem mehr oder weniger reichen Besitzer gehört; der Eigenthümer tritt den Platz auf VS Jahre ab; die Bau-Unternehmer errichten eine Stadt, von der jedes Haus dem Grundbesitzer eine kleine Rente zahlt; die Häuser gehören der Gesellschaft, und wenn die hundert Jahre verflossen sind, so fallen die Stadt und der Boden dem Eigcn- thumer oder vielmehr der zweiten Generation seiner Erben wieder anheim, die ihren Urgroßvater segnen, daß er, anstatt eines Parks oder eines Landhauses, ihnen eine Stadt hinterlassen hat. Im All gemeinen legt man in diesen neuen Stadtvierteln zuerst große Straßen an, die zur Verlängerung der alten Londoner Straßen dienen müssen; hierauf wählt man zwei bis drei Plätze, auf denen man Kirchen erbaut, deren Größe im Verhältniß zu der Anzahl von Häusern steht, aus denen der neue Stadttheil bestehen soll; die vollendeten Kirchen sind Mittelpunkte, nach welchen die Hauptstraßen auslaufen. Diese sind theils breit und luftig und besteben aus Häusern, die nur für die wohlhabenden oder reichen Familien ein gerichtet sind, theils sind sie engere Querstraßen, welche Kaufmanns läden, Magazine und allerlei Werkstätten enthalten, die zur Lieferung der Bedürfnisse der neuen Stadt bestimmt sind. Die Gesellschaft vermiethet oder verkauft ihre Häuser auf 99 Jahre und gewinnt dadurch ungeheuren Vortheil. In anderen Ländern, wo man mit Sand- oder Bruchsteinen baut, wird ein neues Haus erst nach einem bis zwei Jahren bewohnbar; in London aber, wo alle Gebäude aus Backsteinen bestehen, ist die Schnelligkeit, mit welcher sie sich erheben, fast zauberhaft. Hier ein Beispiel davon. Ich wohnte an einem Ende des Hyde-Park. Im Mai I8ZS sah ich von meinem Fenster aus eine unermeßliche Ebene; nach einer Abwesenheit von II Mo naten bemerkte ich, anstatt einer Wiese, eine Stadt von einer Viertel stunde im Umfang; und dieselbe Erscheinung wiederholt sich jähr lich auf allen Seiten der Residenz. Diese neuen Stadttheile werden sogleich verkauft oder vermiethet, ohne daß darum die Bevölkerung des Mittelpunktes der Stadt weniger dicht wird; sie nimmt bloß eine andere Gestalt an; denn alle Anstrengungen des Englischen Kaufmanns und Handwerkers gehen auf hinreichenden Geldgewinn, der sie in den Stand setzt, mit ihrer Familie, in einer reineren Luft und an einem schöneren Orte, als in dem Mittelpunkte der Geschäfte und des Handels, zu leben. London scheint durch einen Umstand sich besonders vor allen anderen Hauptstädten auszuzeichnen. In Paris, Wien, Berlin, Rom und Turin stehen die heterogensten Häuser neben einander, ein Hotel garni, ein Schuhmacher, ein Schneider neben den prächtigsten Pa lästen, in denen die Reichsten und Vornehmsten wohnen; selten wohnen in drei bis vier hinter einander folgenden Häusern Personen von gleichem Stande, und cs ist unmöglich, den Stand ober das Ver mögen einer Person nach dem Stadtviertel, in welchem sie wohnt, zu errathen oder zu bestimmen. In London dagegen können die Straßen und Stadtviertel, die sür eine bestimmte Klaffe von Per sonen gebaut werden, ihre Bestimmung nicht verändern. In der Baker-Street z. B- muffen alle Häuser von Personen bewohnt scyn, die sür ihren Haushalt jährlich wenigstens 10,000 Thaler brauchen; auf dem Grosvcnor- oder Belgrave-Square kann Niemand eine Wohnung miethcn, der nicht so,ooo bis 120,000 Thaler zu seinen jährlichen Ausgaben verwenden kann, u. s. w., so daß man, wenn man nur den Stadttheil kennt, wo Jemand wohnt, fast sicher die Höhe seines Vermögens angeben kann; doch freilich darf man nicht immer nach dem äußeren Schein urtheileu; denn wie viel glänzendes Elend liegt nicht in diesen so neuen und rcichgeschmückten Wohnungen verborgen! wie viele Familien machen nicht einen großen Aufwand, ohne daß man errathen kann, woher sie das Geld, das sie ver schwenden, oder den Kredit nehmen, vermittelst dessen sie die Kauf leute betrügen! Wenn also London im Aeußercn keiner anderen Residenz gleicht, so hat London eben so im Inneren eine eigenthümliche Physiognomie, die man außerhalb der Britischen Inseln nirgends wiederfindet. Im Allgemeinen giebt es in London drei verschiedene Lebensweisen: das Familienleben, das Leben in den Klubs und das Garyonleben. Zuerst einige Worte über die beiden letzteren. Die Klubs sind sehr große Hotels, in deren Einrichtungen ein übermäßiger Luxus herrscht. Diese Etablissements enthalten Alles, was zum bequemsten Leben erforderlich ist: gut geheizte große Säle, eine Bibliothek, in der die neuesten Werke und eine vortressliche Auswahl älterer ausgestellt sind, alle wichtige Journale der Welt; für das materielle Leben, schöne Speisezimmer, eine vortreffliche Küche und eine zahlreiche Dienerschaft in eleganter Livree, Badcsäle und Toilettenzimmer. Für einen jährlichen Beitrag von 2S bis 40 Thlr. bleibt nichts zu wünschen übrig. Jeder Klub besteht ungefähr aus ZOO bis SOO Mitgliedern, welche gleiche politische Ansicht, gleiche Lcbens-Carriere und gleicher Geschmack vereinigt hat. Man ist sehr streng in der Aufnahme eines neuen Mitgliedes; daher herrschen auch Einheit und Ordnung beständig in dem Inneren dieser Etablissements. Die Stammglieder eines Klubs haben gewöhnlich ein kleines Zim mer für sich, worin sie schlafen und frühstücken; den übrigen Tag bringen sie im Klub zu, wenn sie nicht des Abends im Theater oder in Gesellschaften sind. Dieses Leben ist, wie man leicht begreift, sehr angenehm; für eine mäßige Summe verschafft sich ein Mann alle Annehmlichkeiten, wozu sonst ein großes Vermögen gehört; aber diese Organisation leistet der egoistischen Tendenz der Englischen Nation einen ungeheuren Vorschub und vermehrt ins Unendliche die Zahl der jungen ober alten Hagestolzen, deren Einfluß auf Vie Gesellschaft betrübend ist, um cs nicht schlimmer auszudrücken. Das Garyonleben ist davon sehr verschieden; ein solches führen die Sccretaire der verschiedenen Regierungs-Büreaus, die Hand lungsdiener, die jungen Kaufleute. Die Zukunft dieser verschiedenen Individuen hängt von ihrer Arbeit ab; und sie wissen (dies ist eben das Geheimniß des glücklichen Erfolges ihrer Unternehmungen), daß man niemals vorwärts kommt, wenn man die Thorheit begeht, seine Ausgaben in dem Maße, als die Einnahme zunimmt, zu vermehren. Da jedoch die Einsamkeit für den arbeitsamen und moralischen Men» scheu, dessen tägliches Geschäft um 3 Uhr geendigt ist, ein großes Uebel ist; da die Abende in London für denjenigen, der nicht viele Freunde hat, unerträglich sind; da die großen Entfernungen und die Beschwerden des Tages die Freuden am Kamin wünschcnswerth machen, so vereinigen sich, um dieser gezwungenen Einsamkeit abzuhelfen, drei bis vier junge Leute, die ihren Charakter und ihren Geschmack vorher gehörig geprüft haben, und miethen gemeinschaftlich ein passen des Haus, nehmen zwei bis drei Bediente an und thcilcn sich in die Aufsicht des Hauswesens. Der Eine sorgt für den Wein, ein Anderer für das Fleisch, ein Dritter für Thee, Kaffee u. s. w. Des Morgens frühstücken sie zusammen und plaudern ein halbes Stündchen mit einander; dann geht Jeder seinen Geschäften nach und bekümmert sich weiter nicht um seine Kameraden. Um 0 Uhr, wo alle BürcauS geschlossen werden, kommen die Junggesellen beim Diner wicdcrzu- sammen, aber selten allein; denn Jeder hat das Recht, Freunde dazu cinzuladcn. So vergeht der Abend stets auf eine interessante Weise; denn da die Bekanntschaften eines Jeden sehr verschieden sind, so sind die Anekdoten und die Tagesneuigkeiten natürlich aus sehr ver schiedenen Quellen geschöpft, und demnach kann in dieser Lebensweise keine Gleichförmigkeit bestehen. Dadurch aber lebt jedes Mitglied viel behaglicher und bequemer, als wenn er allein wäre. Es giebt solche Junggesellen-Wirthschaften, die jährlich ooo LouiSd'or kosten; Jeder bezahlt, nach der Anzahl der Mitglieder, 40 bis SO Thlr. monat lich und genießt die Vorthcile einer jährlichen Einnahme von 3000 Thlrn. Diese Lebensweise schadet den Verbindungen, welche die Junggesellen später schließen, sobald ihr Vermögen ihnen erlaubt, ernstlich an Heirath zu denken, durchaus nicht, denn die Damen gestehen, daß häufig die besten Ehemänner diejenigen sind, welche auf diese Weise einige Jahre gelebt haben. In den Junggesellen-Wirthschaften lernt man in der That die Häuslichkeit lieben und die Kosten einer Haus haltung kennen; man ist gezwungen, seine Laune und seinen Geschmack nach dem seiner Kameraden zu richten, um den Frieben und die Ein tracht zu erhalten; und was bedarf es, im Allgemeinen, mehr, um eine Vereinigung glücklich zu machen?