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74 heit zu verdecken, die in den weittäiiftigen Auseinandersetzungen eines dramatischen Werkes zu kraß und ausfallend heraustritt. Einigen dieser Schauspiele kann man ein großes romantisches Interesse nicht absprcchcn; andere wicver drücken mit Glück den idyllischen und naiven Charakter aus, mit dem die Einbildungskraft so gern die Wiege der Spanischen Monarchie umzieht, als diese noch auf die Gebirge beschränkt war oder eben erst anfing, diese z» verlassen, die die Zufluchtsstätte des Pclagius und seiner Genossen waren. Lope de Vega, der so geschickt seine Töne zu vervielfältigen und sie den Ideen, die er wiedergeben wollte, anzupaffen verstand, ist vorzugsweise glücklich in der Schilderung eines socialen Zustandes, der so verschieden von dem ist, in welchen, er lebte. Freilich ist die über seine Stücke verbreitete Lokalfarbe nicht durchweg tadellos, man kann ihm inmitten der echt altcrthümlichcn Züge manche Unge reimtheit nachweisen, doch ist der Ton ländlichen Heldensinnes, die Schilderungen des ungebundenen Berg-Lebens, die Lope de Bega mit so viel Kunst und Änmuth einzumischen wußte, hinreichend, um eine Täuschung hervorzubringcn, und Täuschung ist ja die Haupt forderung, welche ma i an die Poesie macht, die mit der ungeschmück- ten Wahrheit sich oft schlecht würde verbinden lassen. Gegen die Mitte des Ilten Jahrhunderts geht dieses erste Zeit alter der Spanischen Geschichte zu Ende. Damals wurde durch die Vereinigung der Grafschaft Kastilien und des Königreichs Leon zu einem einzigen Staate, worauf die Eroberung Toledo's, der alten Gothischen Hauptstadt, bald folgte, im Herzen der Halbinsel ein christliches, festes und mächtiges Königreich begründet, das schon den größten Theil Spaniens beherrschte, den Ueberresten der Maurischen Macht an Stärke überlegen war und mit seinen Fortschritten nicht eher cinhielt, als bis es dieselbe gänzlich unterdrückt hatte. Von diesem Augenblick an ist Kastilien ein ansehnlicher und regelrechter Staat, der seinen Rang unter den großen Europäischen Reichen einnimmt, von da an wird seine Geschichte bekannter, und Fabel und Roman haben nur noch ein geringes Anrecht daran, das sie bald gänzlich verlieren. Um diese Zeit tritt die Heldengestalt des Cid auf. Ruy Diaz, auch Rodrigo genannt, Sohn des Diego Ruy Diaz von Bivar, ist der volkSthümlichstc unter den Spanischen Helden, und ihn haben die Dichter auch am meisten besungen. Schon fünfzig Jahre nach seinem Tode war er der Gegenstand eines EpoS, des ersten, noch formlosen Versuches der Spanischen Poesie, und in den darauf folgenden Jahrhunderten wurden eine fast unglaubliche Menge von Romanzen zu seinem Ruhme versaßt. In diesen kleinen Dichtungen mischte sich unter die mehr oder minder veränderten Thatsachen so viel Erfundenes, ja so viel Abgeschmacktes, daß selbst di» größte Leichtgläubigkeit daran zweifeln müßte; deshalb hat den» auch erst kürzlich ein Kritiker, der nicht wußte, wie er Wahres und Falsches von einander trennen solle, die Eristenz des Cid überhaupt in Zweifel gezogen, was man aber nach einer genauen Prüfurg der geschichtlichen Dokumente keinesweges annehmen kann, so unvollstän dig sic auch immer über diesen Punkt seyn mögen. Die Romanzen, deren Held er ist, sind vielleicht in ihrer Gesammtheit die anziehend sten und poetischsten, die man besitzt. Die Sammlung, in der man sie alle zusammenstellte, hat einen Europäischen Ruf, überall wird sie übersetzt und gelesen, und man staunt die naive und kraftvolle Begeisterung derselben an. So wie die Romanzen des Cid allein den meisten Anklang außerhalb Spaniens fanden, so hat auch das nach denselben von Guilen de Castro, einem Zeitgenossen Lope de Vega's, verfaßte Drama von allen Spanischen Schauspielen die meiste Berühmtheit in Frankreich und in ganz Europa erlangt. Corneille schöpfte daraus den Stoff seines ersten Meisterwerkes; der Französische Cid enthält kaum eine Scene, deren Grundgedanke, dercn Dialog selbst nicht fast wörtlich dem Spanischen Original entlehnt wäre, und wenn Corneille zuweilen die Ideen seines Vorbildes vervollkommnete, so hat er sie auch oft geschwächt, indem er sie modifizirte, um sic mehr den Fran- zöfischen Theater-Regeln und dem verfeinerten Geschmack anzupaffcn. Weniger bekannt ist, baß Guilen de Castro noch einen zweiten Theil zu diesem Drama schrieb, der dem ersten nicht nachsteht, obgleich darin nicht ein Hauptgedanke vorwaltet, der das Interesse auf einen einzigen Punkt hinleitet und dem Werke einen echt dramatischen Charakter verleiht. Er ist, so zu sagen, eine dialogisirte Chronik in Shakespearischer Art, eine Erzählung der Bürgerkriege, die Kasti lien und Leon nach dem Tode Ferdinand des Großen zerrütteten, und die erst mit der Ermordung seines Sohnes "Sancho bei der Be lagerung von Zamora endeten; aber cs ist eine Erzählung voll Handlung, Bewegung und Pathos; das Mittelalter athmet darin in seiner ganzen Kraft, und die Bruchstücke aus alten Chroniken, die Guilen de Castro mit großer Kunst einzuflechten verstand, geben dem Ganzen eine so alterthumliche Färbung, wie man sie in keinem ande ren Spanischen Schauspiele findet. In diesem zweiten Theile, der „die Jugend des Cid" betitelt ist, tritt unS ganz besonders der eigenthüm« Uche und energische Charakter dcS Hclden entgegen, wie er den Ro manzen entlehnt wurde; er ist tapfer, großmüthig, gläubig, und Pflicht und Ehre gehen ihm über Alles. In ihm ist die hingehendste Treue gegen seinen Oberhcrrn mit einem edlen Streben nach Unab hängigkeit gepaart; er geht in die Verbannung, um sich nicht vor einem ungerechten, harten Könige zu beugen; doch noch in dieser Verbannung besiegt er die Feinde seines Herrn und erweitert die Macht dessel ben. An Kamps und Herrschaft gewöhnt, ist er freimüthig und rauh und vermag nicht, sich in das Hoflcben zu fügen; er ehrt den König, doch er schmeichelt ihm nicht; er kann nicht die Sprache des Günst- lings führen, und nur im Augenblicke der Gefahr sucht man seine Dienste, sonst findet man ihn unbequem und anmaßend. So erscheint aber Corneille'S Cid nicht, den er unS zwar auch in seiner Jugend- blüthe vorfährt, aus dem er aber ein Muster von anmuthiger Ritter lichkeit, Großmuth und Tapferkeit, einen wahren Romanen-Paladin gemacht hat, und doch ist der echte Spanische Held des Mittel alters durch die Tradition verherrlicht, wie Alles, was in der Poesie lebt. Die beiden Dramen Guilen de Castro's sind nicht die einzigen, zu denen die Geschichte des Cid den Stoff hergab, doch verdienen die anderen nur geringe Aufmerksamkeit; wir können davon selbst nicht das Stück Diamante's ansnehmen, dem Voltaire eine ge wisse Berühmtheit in Frankreich verschaffte, weil er glaubte, daß Corneille auch daraus geschöpft hätte; doch ist dem nicht so, Dia- manie ahmte den Französischen Tragiker nach, und da, wo er ihn nicht wörtlich übersetzt, liefert er fast eine Parodie desselben. Der Cid eröffnet in der Spanischen Geschichte gewissermaßen das Mittelalter; von da an tragen auch alle aufbewahrte That- sachcn einen bestimmten glaubwürdigen Charakter an sich, und die sonderbaren, romantischen Abenteuer, in welchen sich die Romanzen dichter so gern ergingen, werden immer seltener. Sie bilden nun nicht mehr eine Art von ununterbrochener Chronik, wohl aber be mächtigt sich der dramatische Genius der vorhandenen Stoffe, die ihm das reichste Material darbieten, und schöpft seine schönsten Werke aus den Annalen des I2tcn, I3ten und l4ten Jahrhunderts. Bevor wir jedoch weiter gehen, müssen wir noch eine Bemerkung aussprechen, die uns von Wichtigkeit scheint. Die Dramen nämlich, welche die Spanier als historische bezeichnen, verdienen diese Be-" nennung eigentlich nur in sehr beschränktem Smnc. Die Namen der Hauptpersonen, die hervorstechendsten Charakterzüge derselben, die allgemeine Physiognomie der Ze.it, in welcher sie lebten, sind freilich der Wirklichkeit entlehnt, doch beruht mcistcnthcils der Grundge danke der Handlung auf einer reinen Fiction, oder sie ist dermaßen entstellt, daß man eher sagen kann, die historische Wahrheit sey der Borwand, als die Quelle derselben gewesen. (Fortsetzung folgt.) Frankreich. Berryer. (Schluß.) In einer Zeit, wo das Maaß des materiellen Bortheils an alle Dinge gelegt wird, wo die Selbstsucht so häufig die Maske groß herziger Entschlüsse vorsteckt, bleibt es immer ein schönes und seltenes Schauspiel, einen Mann in die Kampfbahn niederstcigen zu sehen, um allein gegen Alle einen unausgesetzten, erfolglosen und vielleicht hoffnungslosen Kampf einzugehen. ES wäre nicht anwendbar, die zahlreichen Reden Bcrryer'S zu analysiren; man mliß ihn hören, nicht ihn lesen. Wir wollen auch nur die verschiedenen Phasen seines parlamentarischen Lebens überschauen. In den ersten Tagen nach der Revolution, als die Kraft, welche eine Dynastie gestürzt hatte, noch fortwirkte, war eS schwer, die Stimme zu Gunsten der Vergangenheit vor denjenigen zu erheben, die diese zerstört hatten. Die beredtesten Klagen würden nur auf Spott und Ironie gestoßen seyn. Berryer wählte eine andere Taktik. Erfolglose Jcremiaden verschmähend und sich an die gegebene Sach lage haltend, bekämpfte er die Verwaltung mit ihren eigenen Waffen. Durch Anrufung des revolutionairen Prinzips bemühte er sich, sie in ihren organisirenden Bestrebungen aufzuhalten; er redete ihr viel von ihren Pflichten vor, wenig von ihren Rechten, und suchte sie von Zugeständniß zu Zugeständniß ihrem Untergange zuzutreiben. Obschon er royalistischcr gesinnt war, als der König, so zeigte er sich doch nicht selten liberaler als die Freiheit. Anstatt den Wagcn zurllckzuziehen, suchte er ihn rasch vorwärts zu treiben, damit er an einem Eckstein zerschelle. Er ergriff die Initiative in allen Fragen, welche die Massen interessirten. So forderte er die Ueberweisung aller Preß vergehen an die Geschworenen, die Herabsetzung der Stempelgcbüh- ren, die Ausdehnung des Munizipal-Gesetzes, die Erweiterung der Rechte der Wähler und die Abschaffung des Ccnsus. So wurde er nicht nur der Mann der besiegten Partei, sondern der Mann aller derer, welche der Juli-Regierung feindlich gesinnt waren. In der folgenden Session konnte Berryer seine monarchischen Sympathieen schon leichter geltend machen, und er bekämpfte dcn Briquevilleschen Vorschlag wegen Verbannung der Bourbons mit der ganzen Macht seiner Rede. Am 8. Oktober 1831 traf er zum crstenmale mit Herrn ThierS über die Erblichkeit der PairSwürdc zusammen. Als er einige Tage später die Tribüne bestieg, um die Gedächtnißfeier des 2l. Januar zu Vertheidigen, und durch lautes Gemurre unterbrochen wurde, da rief er der linken Seite zu: „Am Tage des Urtheilspruches war es gestattet, von dcn Tugenden Lud wigs XVI. zu reden; ich wüßte nicht, daß dbr Konvent die Verthei- diger des Königs unterbrochen hatte." Während Berryer wie ein Fabius Cunctator für eine dritte Restauration wirkte, wollte die Ungeduld einer Frau eine raschere Entscheidung durch die Waffen herbeiführen. Die Herzogin von Berry durchzog Frankreich und suchte die alte Begeisterung wieder anzufachen. Sic meldete den Legitimisten in Paris ihre Ankunft; dem Briefe war eine lange Note in Chiffcrn beigefügt, zu welchen die Herzogin aber nicht den Schlüssel gegeben hatte. Berryer'S Scharfsinn sand ihn. Dieser Aufruf zu den Waffen, diese Schild- crhebung in einer Zeit gänzlicher Abspannung schien den einflußreich sten Männern der legitimistischen Partei ein Anachronismus. In einer zu Paris gehaltenen Versammlung wurde beschlossen, Berryer solle einen Prozeß in Vannes zum Vorwande gebrauchen, um sich zu der Herzogin zu begeben und ihr Vorstellung»» zu machen. Er