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Wöchentlich erscheinen tret Nummern. Pränumcralion«- Prei- 22h Sgr. Thlr.) vierteljährlich, 3 THIr. sür da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« 'Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staat«.Zeitung (JriedrichSslr. Rr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Aemiern. Literatur des Auslandes. 19. Berlin, Freitag den 12. Februar 1841. Spanie n. DolkögeschulMche Stoffe des Spanischen Drama's. Nach L. de Bieil-Castel. Ein charakteristischer Zug des Spanischen Theaters besteht darin, daß es durchaus volksthümlich ist, ein lebendiges Abbild der Sitten, Ideen und Geschichte deS Landes. So wie es uns in den Mantel- und Degen-Stücken (cnmeüin« <lc onpn eü ein treues Ge mälde von dem gesellschaftlichen Zustand der Zeit liefert, in welcher dieselben verfaßt wurden, eben so bieten die heroischen Dramen, die einen so bedeutenden Theil seines Nepertoirs bilden, eine großartige Galerie dar, in der sich die ganze Geschichte Spaniens von Anbeginn Ler Monarchie vor unseren Augen entfaltet. Selbst vor der schwie rigen Aufgabe, fast zeitgenössische Ereignisse auf die Bühne zu brin gen, schreckten die dramatischen Dichter nicht zurück. Jndeß wenn ihnen auch dies kühne Unternehmen zuweilen geglückt ist, so hat man hoch ihre Meisterwerke nicht gerade unter den Stücken zu suchen, welche so neuen Begebenheiten entlehnt sind. Die Poesie ist nicht in ihrem eigentlichen Element, wenn sie die verwickelten Verhältnisse einer so vorgeschrittenen Civilisation, wie die des damaligen Spaniens, schil dern soll; sie versteht sich schlecht auf die Berechnungen der Politik, die tief angelegten Pläne und großen Kämpfe des Ehrgeizes, die wissenschaftlichen und methodischen Kriege, kurz auf alles das, waS den Glanz und Ruhm des Jahrhunderts Fcrdinand'S deS Katholischen, Karl'S V. und Philipp'S II. auSmachtc. Sie verlangt einfachere und ergreifendere Stoffe, die unmittelbarer zur Einbildungskraft sprechen. Sie verlangt Helden, deren offener und entschiedener Cha rakter mächtig auf die Gemüther wirkt, ohne daß man erst eine an strengende Verstandes-Operation vorzunehmen braucht, um ihn zu würdigen. Sic verlangt endlich, — und dies letzte Erfordcrniß ist kaum unerläßlicher als die anderen, — daß die Thatsachcn und Per sonen, wenn sie auch dukch lebendige Ucbcrlicfcrung im Gedächtniß der Völker sich erhalten haben müssen, doch schon von der Gegenwart in einer Entfernung liegen, in welcher für unseren Gesichtspunkt Lie Tinten sich abdämpfen und verschwimmen, die scharfen und groben Umrisse, die von der Wirklichkeit unzertrennlich sind, in einen milden Duft sich hüllen und die Menge der Einzclnheiten, die nur zu oft gar wenig Poetisches haben, selbst in Epochen, die am reichsten hieran zu seyn scheinen, sich konzentrirt und in eine kleine Zahl von Ergeb nissen zusammcndrängt, welche leichter idealifirt werden können. Um alle diese Bedingungen in einem Grade vereinigt zu finden, in welchem sie vielleicht bei keinem anderen Volke Vorkommen, brauchte man in der Geschichte Spaniens nur ein wenig weiter hinauf zu steigen. In dem ganzen Zeitraum vom Ren bis zum loten Jahr hundert unserer Aera bildet diese Geschichte gewissermaßen eine große Epopöe, deren graudiose Einheit in der Wirklichkeit die glänzendsten und glücklichsten Dichtungen übertrifft. Ein Volk, das acht.Jahr hunderte lang kämpst, um sein Gebiet von fremden Eindringlingen zu befreien, und das nach tausend Wechselfällen, nachdem es sich aus den Besitz einiger unfruchtbaren Felsen eingeengt gesehen, endlich seine Bedränger vertreibt; die Sache ver Religion, in diesem Kampfe un trennbar vereint mit der Sache der Nationalität; der Kontrast zweier mit einander streitender Völkerschaften, die, so sehr sie in Sitten, Glauben und Sprache verschieden sind, doch in ihrem ritterlichen, hochherzigen Sinn, in ihrer abenteuerlichen Tapferkeit sich gleichen, — dies Alles biellt wahrlich einen ganz anderen Stoff sür die Dichtkunst, als der kleine Trojanische Krieg bei den Griechen und die fabelhaften Fahrten des Aeneas bei den Römern, die doch eine Quelle der wunderbarsten Geistesschöpfungen wurden. Volkssängcr hatten frühzeitig einen so ergiebigen Boden ausgc. beutet, und ihre Romanzen verliehen den National-Ueberlicserungen jene poetische Weihe, die ihnen allein Dauer sichern kann. Diese Romanzen verdienen nicht nur die Aufmerksamkeit der Literatur- freunde und der Philologen, die daraus die Fortschritte der Sprache und des literarischen Geschmacks studircn können; sie sind ganz be- sonders auch eine reiche Fundgrube historischer Belehrung. Freilich man ihren Werth in letzterer Hinsicht nicht überschätzen. Man hatte Unrecht, wollte man darin zeitgenössische Dokumente erblicken, E die man mit Sicherheit fußen könne, um das Zcugniß der c s." zu bestätigen und zu ergänzen. Wenige dieser Romanzen sind m der 'gxjt gedichtet, von der sie handeln, und mit Ausnahme einer sehr geringen Anzahl, deren rohe und derbe Zeichnung sür ein hohes Alter zeugt, scheinen die ältesten nicht über das 18te Jahr hundert hinaufzureichcn; doch befinden sich viele darunter, die, allem Anschein nach, nur eine Uebertragung älterer Dichtungen in neuere Sprache find, und jedenfalls braucht man nur einen Blick auf die selben zu werfen, um sich zu überzeugen, daß die in ihnen gefeierten Begebenheiten und Personen nicht aufgehört hatten, im Andenken des Volks zu leben. Hätten die Dichter sie erfunden oder auch nur nöthig gehabt, sic aus der Vergessenheit hcrvorzuziehcn, um ihnen wieder Leben zu verleihen, so würde die flüchtige Andeutung der selben dem Publikum unverständlich sepn. Offenbar, und dies ist gerade ein bedeutender Vorzug dieser kleinen Gedichte, offenbar geben sie nur Erinnerungen wieder, die durch den Volksglauben schon besiegelt und geheiligt waren. Sie beweisen kcineswcges die Wahrheit von alledem, was sie erzählen; aber sic bewciscn, daß diese heroischen und romantischen Erzählungen dem,Geschmack der Zeit gemäß, dem Geist der Nation entsprechend und allgemein geglaubt waren. , Die Geschichte ist ja nicht bloß Vie Ueberlieferung ter Ereignisse, die sich zugctragen haben, sie über liefert uns auch die Meinungen und Uebcrzeugungen, welche in einer gewissen Epoche herrschten, und von diesem Gesichtspunkt betrachtet, der für ben philosophischen Beobachter vielleicht der wichtigste ist, sind die besagten Romanzen recht eigentlich Geschichte zu nennen. ' Man weiß sehr wenig von dem, was während der drei ersten Jahrhunderte, Vie dem Einfall der Araber folgten, im christlichen Spanien vorgegangcn. Die Christen, die sich in ihre Gebirge ge flüchtet hatten, wo eS ihnen so schwer wurde, ihre Unabhängigkeit zu behapptcn, sanden keine Muße, um ihre Geschichte zu schreiben, und waren bei der Nothwendigkcit fortwährenden Krieges fast in Barbarei versunken. Kaum daß uns die in jener Zeit geschriebenen Chroniken Vie Namen ver Könige und das trockene Verzcichniß einiger Hauptereigniffe geben. Alles, was spätere Geschichtschreiber hiuzugefüat haben, beruht offenbar nur auf den so eben besprochenen Volks-Ucbcrlieserungcn. Die Liebe des Königs Rodrigo und der schönen Cava, sür Spanien nicht minder unheilbringend wie einst für Jliou die Liebe deS Paris und der Helena; der jährliche Tribut von hundert jungen Märchen, der den Christen von den Muselmännern auferlegt und von Alfons dem Keuschen abgcschafft wurde; das unglückliche Schicksal deS Salvana, der vaS Verbrechen, der Schwester dieses Monarchen gefallen zu haben, mit dem Verlust seiner Augen und mit einer lan gen Gefangenschaft büßte; die Tbaten seines Sohnes Bernardo del Carpio, des Schreckens der Muselmänner, des Nebenbuhlers und Besiegers dcS tapferen Roland; die tragische Geschichte der sieben, Kinder Cava'S, die durch den Perrath ihres OhcimS dem Schwerdt der Mauren überliefert und von ihrem nachgcborenen Bruder, dem berühmten Mudarra, einem dir Vorfahren dcS Cid, so furchtbar gerächt wurden: alle diese romantischen Abenteuer und noch viel andere, die hier nicht aufgezählt wervcn können, sind wahrscheinlich nicht bloß erdichtet. Sie verbergen ohne Zweifel unter der fabel- haften Einkleidung, in der sie uns überliefert werden, einen histori schen Kcrn; aber vergebens würde man heutzutage sich bemühen, diese Wahrheit vor der daniit gleichsam eins gewordenen Dichtung abzulösen, eben so wenig wie man aus den Griechischen Mpthcn die wahre Geschichte des heroischen Zeitalters auszuschcidcn vermag. Spanien hatte also auch sein halb fabelhaftes Zeitalter, das mehr ter Dichtkunst als der eigentlichen Geschichte angehört. Was bei den Griechen die Dichter waren, die durch Homer der Vergessen heit überliefert wurden, indem er ihre Gesänge in ein Ganzes zu- sammrnsaßte, daS sind bei den Spaniern die unbekannten Ver fasser der Romanzen; sie sind die wahren Geschichtsschreiber der frühsten Zeiten; Spanien besaß aber keinen Homer, der' alle diese unvollkommenen Versuche gesammelt und zu einem erhabenen und schönen Denkmale vereinigt hätte, um ihnen so die Weihe des Ge nius aufzudrücken. Die späteren dramatischen Dichter haben aus diesen Romanzen den Stoff unzähliger Werke geschöpft, wodurch die alten Erinnerungen wieder erweckt und belebt wurden. So entlehn ten AeschpluS, Sophokles und Euripides der Jliadc und Odpsscc den Grundgedanken ihrer herrlichen Tragödien. Die Dramen, welche uns die frühsten Zeiten Spaniens vorfüh- ren, sind freilich keine Meisterwerke; gemeinhin stehen sic tief unter den Romanzen, aus denen sie geschöpft wurden, und die durch dix Einfachheit ihrer Form weit geeigneter waren, diesen volkSthümlichcn Ucbcrlieserungcn Geltung zu verschaffen, die reizende Originalität, worin ihr Hauptreiz besteht, hervorzuhcbcn und manche Abgeschmackt-