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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- PreiS 22j Szr. t! Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man vränumerirt auf diese« Litcratur-Llatt in Berlin in der Expedition der ÄUg. Pr. StaatS-Zeiiung (Friedrichsstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Aurlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 12. Berlin, Mittwoch den 27. Januar 1841. Spanien. Ein Ausflug nach Majorka. Von George Sand. I. Majorka'S Naturverhältnisse. Zwei reisende Engländer entdeckten vor etwa fünfzig Jahren das Chamounir-Thal; so sagt wenigstens eine Inschrift, die auf einem Felsstück am Eingang zu dem Eismeer cingegraben ist. Gewiß eine ziemlich starke Anmaßung, wenn man die geographische Lage dieses Thales betrachtet, aber doch in gewissem Grade nicht ohne Grund, insofern diese Reisenden, deren Namen ich nicht behalten habe, den Poeten und Malern zuerst diese romantischen Landschaften aufschloffen, in denen Byron seinen „Manfred", dies bewundernswürdige Drama, dichtete. Und wenn man sich auf den Gesichtspunkt der Mode stellt, so kann man überhaupt sagen, daß die Schweiz erst seit dem letzten Jahrhundert von der schönen Welt und von den Künstlern entdeckt wurde. Jean Jacques Rousseau ist der eigentliche Christoph Colum bus der Alpen-Poesie und, wie Chateaubriand sehr richtig bemerkt, auch der Vater des Romantizismus in der Französischen Sprache. Nicht gerade mit gleichem Anspruch auf Unsterblichkeit begabt, wie Jean JacqueS, und natürlich sehr bemüht, mir irgendwie einen solchen zu erwerben, kam ich auf den Gedanken, daß ich mich vielleicht auf dieselbe Weise hätte berühmt machen können, wie die beiden Eng länder, wenn ich die Ehre für mich in Anspruch genommen, die Im el Majorka entdeckt zu haben. Aber die Welt hat ihre Forderungen so gesteigert, daß es heutzutage nicht genügend gewesen wäre, meinen Namen auf irgend einen Balearischen Felsen einzugrabcn. Man würde von mir eine einigermaßen ausführliche Beschreibung oder zum mindesten eine einigermaßen poctische Schilderung meiner Reise verlangt haben, damit den Touristen dadurch Lust gemacht würde, aus mein Wort einen gleichen Ausflug zu unternehmen, und da ich mich überdies auf jener Insel in keiner schwärmerischen Gcmuths- stimmung befand, so entsagte ich dem Ruhme meiner Entdeckung und machte ihn weder auf Granit geltend, noch auf Papier. Hätte ich unter dem Einfluß der Plagen und Widerwärtigkeiten geschrieben, die ich damals auSzustehen hatte, so wäre es mir nicht möglich gewesen, mich dieser Entdeckung zu rühmen, denn ein Jeder, der meinen Bericht gelesen hätte, würde mir geantwortet haben, die Sache scy nicht der Mühe werth. UnP doch ist sie der Mühe werth, ich wage es jetzt zu versichern, denn Majorka ist für die Maler einer der schönsten Flecken der Erde und einer der unbekanntesten. Wo es aber nichts als malerische Schönheiten zu beschreiben giebt, da ist unsere schriftstellerische Feder so arm nnd unzulänglich, daß es mir gar nicht einficl, mich dein zu unterziehen. Stift unv Griffel des Zeichners gehören dazu, dem Reiseliebhaber die Größe und An- muth der Natur zu veranschaulichen. Wenn ich nun jetzt vie Schlaf sucht meines Gedächtnisses abschüttele, so geschieht eS nur, weil ich an einem der letzten Morgen auf meinem Tisch ein hübsches Buch fand mit dem Titel: „Erinnerungen einer Kunstreise nach der Insel Majorka, von I. L- LaurcnS", und mit einer großen Menge litho- graphirtcr Kupfer. Eine rechte Freude war eS für mich, hier Ma- »orka mit seinen Palmen und Aloeen, seinen Arabischen Denkmälern und Griechischen Trachten wicderzusindcn. Ich erkannte alle Ge genden mit ihrer poetischen Färbung, ich sand alle meine Eindrücke wieder, die ich schon erloschen glaubte. Kein Gemäuer, kein Gebüsch, das nicht eine Welt von Erinnerungen in mir weckte, wie man heut zutage zu sagen pflegt; da erst fühlte ich in mir die Kraft, wo nicht meine eigene Reise zu erzählen, so doch wenigstens über die deS Herrn Laurens zu berichten, eines Künstlers voll Geist, Fleiß, Rasch heit und Gewissenhaftigkeit in seinen Arbeiten, dem sicherlich die ganze Ehre der Entdeckung Majorka'S gebührt. Diese Reise des Herrn Laurens in das- Herz des Mittellän dischen Meeres, an Gestade, wo die See ost eben so ungastlich ist wie die Einwohner, hat viel größeres Verdienst als der Spazier gang unserer beiden Engländer nach dem Montanvert. Wenn indeß die Europäische Civilisativn nur so weit gediehen wäre, daß die Zollwachen und Gendarmen aufhören könnten, diese sichtbaren Merk male des Mißtrauens und der Antipathie unter den Nationen, wenn nur erst unsere Dampfschifffahrt direkt nach jenen Gegenden hii» ginge, so würde Majorka sehr bald der Schweiz großen Schaden zufügen, denn man könnte dann in eben so kurzer Zeit dorthin ge langen und würde daselbst gewiß eben so amnuthige, wundcrbarc, großartige und erhabene Natürschönheitcn finden, aus denen die Maler neue Stoffe hernchmen könnten. Für jetzt aber kann ich diese Reise nur Künstlern von robustem Körper und sehr enthusiastischem Geist mit gutem Gewissen empfehlen. Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, wo auch die zarteren Dilettanten und selbst die niedlichen Dämchen mit eben so wenig Strapazen und Unannehmlichkeiten nach Palma werden reisen können, wie nach Genf. Lange schon Theilnehmer an Taplor'ö artistischen Arbeiten über die alten Denkmäler Frankreichs, gcrieth Laurens, der jetzt auf seine eigenen Kräfte angewiesen ist, im vorigen Jahre auf den Einfall, die Balearischen Inseln zu besuchen, von denen er so wenig erfahren konnte, daß ihm, wie er gesteht, das Herz gewaltig klopfte, als er nun an diesen Ufern anlangte, wo vielleicht seine goldenen Träume auss ärgste enttäuscht werden sollten. Doch nein, er fand, was er suchte, alle seine Hoffnungen gingen in Erfüllung, denn, noch ein mal sep es gesagt, Majorka ist ein Eldorado für vie Maler. Alles ist dort pittoresk, von der Hütte des Landmanns, die in ihren ge ringsten Linien die Ueberlieferung des Arabischen Stpls bewahrt hat, bis zu dem in Lumpen gehüllten Kinde, das stolz ist auf seine groß artige Unsauberkeit, wie Heinrich Heine von den Weibern des Gemüse- Markts zu Verona sagll Der Charakter der Landschaft, die eine reichere Vegetation hat, als man sie sonst in Afrika zu finden pflegt, ist doch eben so erhaben, ruhig und einfach wie dort. Es ist das grüne Helvetier, unter Kalabriens Himmel mit der feierlichen Stille des Orients. » In der Schweiz erhalten die Ansichten durch den überall rollenden Gießbach, durch das unaufhörlich vorübcrzichendc Gewölk eine wechselnde Färbung und man möchte sagen eine Kon tinuität der Bewegung, die der Pinsel des Malers nicht immer glücklich wiederzugcben vermag. Die Natur scheint hier des Künst lers zu spotten. In Majorka hingegen ist es, als ob sie seiner harre, als ob sie ihn einlüde. Hier strebt die Pflanzenwelt nach stolzen und seltsamen Formen, aber sie entfaltet nickt die wilve Ueppigkeit, in der die Linien einer Schweizer-Lanvschaft nur zu oft verschwimmen. Der Gipfel des Felsens zeichnet seine klaren, festen Umrisse an einem blendenden Himmel ab, der Palmbaum neigt sich von selbst gegen den Abbang, ohne daß ein launischer Luftzug die Majestät feines Haupthaars verwirrt, und Alles, bis auf den krüppelhaften Kaktus am Rande des Weges, scheint mit einer Art von Selbstgefälligkeit nur da zu sepn, um das Auge zu ergötzen. Ehe wir aber Herrn Laurens auf seiner Kunstreise folgen, wollen wir eine ganz gedrängte Beschreibung der großen Balearischen Insel geben, in der gewöhnlichen Form eines Artikels für ein geographisches Lcrikon. Das ist nicht so leicht, wie eS scheint, besonders wenn mau seine Belehrung an Ort und Stelle selbst sucht. Die Vorsicht des Spaniers nnd das Mißtrauen des Inselbewohners werden hier so weit getrieben, daß ein Fremder auch nicht die gleichgültigste Frage von d,er Welt, an wen es auch sep, richten kann, ohne gleich für einen politischen Agenten gehalten zu werden. So wurde auch der gute Herr Laurens, weil er sich erdreistete, ein halb verfallenes Schloß abzuzeichnen, von dem argwöhnischen Gouverneur gefangen genommen, der ihn beschuldigte, den Plan seiner Festung aufzu nehmen. „Das Einzige", sagt Laurent, „was meine Aufmerksamkeit auf dieser Küste fesselte, war ein dukikelgelbeö, von einer Kaktus-Hecke umzogenes Gemäuer. ES war das Castillo von Sollcr. Kaum hatte ich die ersten Grundlinien meiner Zeichnung entworfen, so er-' blickte ich vier Individuen, die mit surcht- oder vielmehr lachcncrrc- gender Miene aus mich zustürztcn. Ich hatte cs mir zu Schulden kommen lassen, ganz gegen die Gesetze des Königreichs, den Plan einer Festung aufzunchmen, und so wurde sie denn auch sogleich für mich zum Gefängniß. Ich besaß einen zu geringen Grad von Sprach gewandtheit im Spanischen, um diesen Leuten das Thörichte ihres Ver fahrens einleuchtend zu machen; genug, ich war genöthigt, den Schutz des Französischen Konsuls von Sollcr in Anspruch zu nehmen, uno obgleich er sich auf das eifrigste für mich verwendete, mußte ich doch drei tödtlich lange Stunden, unter der Obhut des Befehlshabers der Festung, Sessor Sei-DedeS, eines wahren Drachen der HeSperiden, gefangen bleiben. Mitunter gericth ich in Versuchung, diesen lächer lichen Drachen und seinen militainschcn Aufputz von der Höhe seiner Bastion ins Meer hinnnterzustnrzen, sein Aussehen entwaffnete aber immer wieder meinen Zorn. Hatte ich Charlet'S Talent besessen, so würde ich meine Zeit dazu benutzt haben, meinen Gouverneur zu studiren, der ein ganz vortreffliches Muster zu einer Karikatur abgab. UebrigenS habe ich ihm seine zu blinde Ergebenheit im Dienste des