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IS vor vierzig Jahren viel Beifall eingetragen haben mußte. Dieser GestuS destand darin, daß sie ihre Tunika etwas in die Höhe hob und eine schlotternde Lende sehen ließ, die bessere Zeiten gekannt hatte. Glauben Sie nicht, gnädige Frau, daß, wenn ich so oft die Ver gangenheit lobe, ich darum für die Gegenwart undankbar sey. Im Gegentheil gestehe ich gern, daß der äußere Pomp der antiken Werke durch die Nützlichkeit der modernen ausgewogen werden kann. ES giebt sogar in NimcS ein gestern erst vollendetes Werk, aus das die Römer selbst stolz sepn würbe». Es ist dies die Schöpfung eines einzigen Mannes, Namens Paulin Falabot! Indem er die Berge durchstrich, welche die Stabt umgeben, und überall wüstes Erd reich, ausgetretene Flüsse, Elend und Verwüstung sah, kam ihm der Gedanke zu einem wahrhaft Römische» Werte; auch er wollte die Thaler austullen, die hohen Berggipfel ebnen, die reißenden Guß bäche eindämmcn, mit einem Worte dir Stadt NimeS mit dem Rhone verbinden. Was er wollte, hat er ausgeführt. Und nicht nur hatte er nicht eine Armee von Römern zu seiner Verfügung, son- der» er hatte auch die Gewohnheit, daS Vorurtheil, die Böswillig keit und den Besitz, diese blinden und eigensinnigen Despoten, gegen sich, ja, waS noch mehr war, er hatte auch gegen eine außerordent liche Macht, welche man dir Verwaltung der Brücken und Ebausscen nennt, anzukämpfen. Nichtsdestoweniger brachte er in Zeit von anderthalb Jahren daS ungeheure Werk zur Ausführung. Sein Weg geht gerade durch die Berge hindurch: er bohrt sich in die Erde ein, und plötzlich erscheint er wieder am Tageslichte. Paulin Falabot führte unS in die Grand-Combe, ein wahres Kohlengebirge. Bedrückt und außer Athcm kömmt man dort an. Die ganze Land schaft, wenn hier noch von Landschaft die Nebe sepn kann,. ist nackt, wüst, erstorben. Dennoch hat sich schon ein Dorf auf deni Abhänge der Höhe erhoben; aber in diesem Dorfe bellt kein Hund, ertönt kein Äindergeschr«, kein Vogelgesang. An diesem Orte, der verwundert scheint, daß er mit der lebenden Welt verbunden ist, beginnt kaum daS Leben und die Bewegung. Noch vazu muß man beide unter der Erde suchen. Weit und breit erstrecken sich die dunkeln Straßen- die nur hfer und da vvu einem Lichtschimmer erhellt werben. Von Zeit zu Zeit hört man nur ein lautes Geräusch; es sinb die wieder- Hallenden Steinkohlen^ Der Weg, der nach der Grand-Combe fuhrt, geht weiter nach Deaucaire. Der Rhone nimmt in Beancaire die Steinkohlen auf und führt sie dem Meere zu. So hat Beancaire, eine arme Stadt von zweifelhafter Eristenz, die von Zufälligkeiten lebte, ei» tägliches HandtlSleben erhalten. Auf dem Quai finden wir eine Hängebrücke, welche der Rhone später fortgerissen haben soll; hier sehen wir das Dampfschiff und die Galiote, ein trauriges Fahrzeug, von, einem schwindsüchtigen Pferde gezogen, vorübergleitcn; vor zwanzig Jahren war dieses unsere ganze Bildung, und wir hatten keuw andere Waffe Hegen den Rhone, diesen Stä'dtezerstörer und Länderverwüster. Links liegt daS Schloß von Bcauca;r«, ganz in Trümmern; es ist jetzt rin Ochsenstall. Weiter erblicken wir Tarascon und das Schloß, das der König Ren« erbaut hat; ei« armer Cretin, der sich in der Sonne wärmt, empfängt uns. (Schluß folgt.) Ein Blick auf die Uelwrschwemimmgen im südlichen Frankreich. A«S einem Schreiben aut Avignon-') Ein schreckliches Ereigniß, ein unerhörtes, grandioses Drama Hat sich im Lauf« eines Monats vor unseren Augen entwickelt, rin Drama, an dem wir Allr selbst als Schauspieler oder Zuschauer, als Opsrr oder Priester Theil genommen. Es ist uns gerade so zu Nuthe, als hätten wir eben »inen fürchterlichen Tranm gehabt. Der Herbst schien mild und angenehm; unsere schöne südliche Sonne ließ noch durch das gelbliche Laub ihr» melancholischen Strahlen durch- scheinen, gleich einem Lächeln auf den Lippen eines Kranken: Alles war noch m voll« Bewegung, lcbtr und arbeitete auf den Feldern. Kaum hatte der Saemann den Boden für das künftige Jahr zu be- ctrbriien angefangen, als auf einmal der ganze Himmel sich herabzu« senken schien; dir Hülle der Atmosphäre zog nch-immer mehr zu sammen und verdichtet» sich; rin heißer Windstoß verkündigte unS die SchreckcnSsctne, und schwarze finstere Wolken, einem Schwarme von uvaeheuren fürchterlichen Raben ähnlich, bedeckten unser Haupt. Der Wind hatte zugleich den Regen herbrigeführt, und welch einen Regen! Eine hartnäckige, unaufhörliche und ununterbrochene Sündfluth. Inzwischen wiederhallte di» Lust von Donnerschläaen, gleich als wenn Hi» ganze Natur Lärm schlagen wollte. Der Regen verbreitet sich, verdichtet sich immer mehr, üherzi»ht «ndlich das ganze Land und verwandelt jeden Helsen in eine Quellt, jede Quelle in einen Bach, jeden Bach in »wen Fluß „„» jeden Fluß in einen Strom: alles dies vereinigt sich zu lener unumschränkten, absolute» Gewalt, deren Opfer wir nunmehr geworden. Städte und Dörfer stellen den Schauplatz des Schreckens dar. Der Rhone steigt, seine Ufer weichen; d«S Morgens überdeckt »r daS Gefilde, und des Abends durchzieht er die Stadt. Seine reißende Schnelligkeit und sein» Eroberungssucht scheint keine Gränzen mehr zu kemicn. Was er nie erreichte, waS ') Die"» vom r7 November <8Ui datlrte SMrelben wird bei der trau ten «Pelwerubmevett, die >eoe Sreiqnme rrk-Uien Kaden, »ow >.kt oo» Interesse ie>m Wu drauwen webt mit 1-ema aus o,n SäUu« die,es «»reibens nicht erst des», d rs ,u bemerken, da» cS von einem Icgttimu»!-» - summen «»dsranzvfen verrührt. er niemals bedroht», das reißt er plötzlich mit sich fort. JehtS Feld wird ein See, jcve Straße ein Kanal und jedes Haus ein Wasser behälter. Aus diesem neuen Meere sieht man nur einige rieselnde Baumwipfel hervorragen, so wie einzelne traurige Dächer, deren Schornsteine den auSgestreckten Armen eines Unglücklichen gleichen, der um Hülfe ruft. O weh! die Dächer werden in der That bald von Schaaren von Unglücklichen besetzt; ganze Familien fliehen von eincm Stockwerk zum anderen, und überall verfolgt, erreiche» sie endlich hier einen Zufluchtsort. Hier, zwischen den Flutben, die über ihre Häupter zusammcnzubrechcn drohen, und dem Gewässer, das bis zu ihren Füße» steigt, bringen sic ganze Stunden, ganze Tage, ganze Nächte zu und rusen um Hülfe, schreien nach Brod und suchen bald leinen anderen Zufluchtsort zu erreichen; das Geschrei, das Flehen, die Flintenschüsse vermischen ihr dumpfes Getöse mit dem Rauschen der reißenden Gewässer, mit dem Krachen der zusammcnstürzenden Häuser und mit dem Heulen deö zerstörenden Windes: cs ist der unermeßliche, unergründliche Zorn Gottes! Der Fluß wächst immer mehr an, der Regen strömt herab ohne Aushören, die Nächte haben eine Dauer von fünfzehn Stunden, und die Menschen fangen an, zu verzagen, indem sic düstere, verzweifelte Blicke um sich her werfen? Die geängsteten Mütter drücken zitternd ihre kleinen Kinder an die Brust, welche vor Kälte und Hunger umzukommen drohen! O, eS ist zu schrecklich! Die Feder vermag cs nicht zu beschreiben, wa- Jever in seinem Herzen, in seinem Inneren litt und lcidct! Zu derselben Zeit, als wir dem Schauspiele unseres «igenen Unglücks beiwohnten, wurde» unsere Gemülhcr durch die mitleid- rrrcgeiiden traurigen Beweis« entfernter«» und vielleicht noch grau sameren Unglücks tief erschüttert, welche vor unseren Augen sich kund- thateu: es waren Bäume, Gebälk«, Thürkn, Karrens Ackergeräth, Wäsche, Kleidungsstücke, Thiere, die von dem wilden Strom« fort- gerissen wurden, um uns von irgend einer herzdurchbohrenden Episode unserer eigenen Geschichte Nachricht zu geben und dann auf imm«r zu verschwinden. O, wie viel äußcrcS Glück, wie viel Freude und Wonne wurde mit jedem dieser unzähligen Trümmer plötzlich begra ben! Wie viele Kinder lind Greise sind mit jenem ziisammcnstürzen- dcn, in den Abgrund sich versenkenden Gebälk dem nackt«n Elende preiSgcgeben! Wo wird die arm« Familie, deren Bett so eben von der wüthenden Fluth zertrümmert wordrn, ihr» Zuflucht findens Wer wird den öden Acker jenes unglücklichen Landmanns b»ftcll«n, dessen Karren, dessen Pferd und Heerde so urplötzlich «in» Beut» des stür menden schonungslosen Meeres geworden? O, welch« groß» L«hre für den der Wcltlust hingegebeucn Menschen, für dich, d«n träume- rischrn Reichen, der du »«in ganzes Leben den Täuschungen de» Scheinglücks, frivolen Täntnkrwn und flüchtigen Vergnügungen opferst! Schau um dich her! Betrachte dies» Trümmer und si«h', wie daS Fleisch, daS Blut, der letzte Schweiß und daS letzte Gut des Armen unter denselben begraben liegen. O! erröth» über d«inen «ingebildetcn Stotz und beuge dich vor diesem namenlosen Unglück! Als bereits Alles vorüber zu sepn schien, als der Rbon«, gleich einem unerbittlichen Eroberer, der sich überall genau umsteht, ob's in dem zu verlassende» Lande nicht noch «twaS z» zerstören und za verheeren gebe, sich langsamen Schritte» endlich zurückgezogen hatte, als bereits Jeder von unS sich anschickte, den Umfang des erlittenen Unglücks zu überschlagen, al- wir in nufere öden Häuser, die wir kaum noch erkannten, wieder zurückkchrtcn: in diesem Augenblicke stcllte sich der Regen wieder ein; der Wind erhob sich von neuem, lind der von neuem wachsende Strom riß uns abermals fort; der von der ersten Ucbcrschwemmung noch feuchte Boden ward von einer zweiten heimgcsucht; zu dem bereits erlittenen Unglück sollte sich noch die Furcht vor der Zukunft gesellen, die ängstlich» Aussicht, daß die eingctretentn Leiden gar kein Ende nehmen möchten! Dies ist daS Schicksal, das während des Laufes eines vollen Monats dir schönsten Provinzen Frankreichs heimsuchte, jene Länder, deren sanftes Klima, deren schöne Sonne, deren fruchtbare Gefilde, deren Früchte voll Wohlgeruch, deren prachtvolle Blumen in jeder Reisebeschreibung so gerühmt werden! Aber noch ist daS Unglück nicht ganz an den Tag gekommen; vielmehr hat es kaum erst begonnen. Bei jedem ersten Ausbruche eines öffentlichen Mißgeschickes werden die Ge- mülhrr von einer gewissen unbezwingbaren Gewalt gleichsam mit Sturm eirmenommen und von der Begeisterung znm Wohlthun hin gerissen. Aber wie verhält es sich in der Zukunft! Wie wird »« un« im harten Winter gehen! Wie den außer Thäligkeit gesetzt»» Armen wieder anshelfen! Wie dem unersetzlich»» Verlust« begegnen, d«n Zeder erlitt, der rin Fcld, einen Garten oder »in HauS b«saß! DirS ist es, woran man jetzt zn denken hat; es ist die lang» Kette der Folgen des Unglücks, auf welche das Mitleiveu seine Aufmerksam keit richten muß. Hierbei darf aber auch der Umstand nicht über sehen werden, daß an Ort und Stelle das Mitleiven zwar von selbst die Herzen rührt, daß aber das schreckliche Unglück, das den Reichen eben sowohl als den Armen heimsuchte, zu gleicher Z«it die Han» des Bittenden und die Hand des Gebers lähmt. Mit Recht dürften wir demnach unsere Aufforderung zur Hülfe an Europa, an Frankreich und insbesondere an die Bewohner der Pro vence richten. Seit zehn Jahren hat daS Unglück rin festes Ban» der Freundschaft, eine heilige Verkettung der Brüderschaft unter diesen Bewohnern erzeugt, die sich durch die Tbat bewähren muß. Seit zehn Jahren sind nur wenige Tage verflossen, wo wir nicht irgend eine Thräne zu trocknen hatten oder irgend eine Wunde bluten sahen. Jedes dieser Jahre hat für uns irgend »in bedeuten des Mißgeschick oder gar ein doppeltes herbtigesübrt: im Jahre I8W die Revolution und die darauf folgende Handelskrise; l83l dir ruch lose Evisodc von St. Germain-L'Amcrrms, welch« unsere frommen Mitbcüoer in Trübml versetzte, und außerdem di« Erkigniss« in Lyon, in jnr ganz besonders unglücklichen Stadt; 1832 grassirte in «inen»