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Morgenblättcr oft noch mehrere Stunden zu arbeiten haben, ehe sie nur essen können. Die Redacteurc der Provinzial-Korrespondenzcnsind im Punkt der Arbeit die Glücklichen der Tribune, und wenn man von der be schwerlichen Aufgabe, mit ihrer abscheulichen autographischen Dinte auf ihrem ennuyanten Papier schreiben zu müssen, absieht, so haben sie eine leichte Arbeit: sie haben nur eine mehr oder weniger aus führliche und ausgearbeitete Uebersicht der Sitzung zu geben, und so wie es vier ein halb Uhr schlägt, müssen sie aufhören, denn man muß Probebogen machen und sie vor dem Abgang der Couriere auf die Post schicken. In der Journalisten-Loge sieht man auch einige Engländer, welche Notizen nehmen, die sie nach London schicken, aber diese haben nur einen gastlichen Platz auf der Tribune, und sie werden, trotz dem Juli-Vertrag, doch immer noch nach wie vor, wenigstens bis zur Kriegserklärung, ausgenommen; man wartet mit ihrer Aus schließung auf den cazu« bosti. Zwischen dem Stenographe-Redactcur und den Mitgliedern der Kammer, als deren Seceetair er erscheint, besteht eine Analogie, die man hcrvorheben muß. Wie der Deputirte, so ist der Redacteur im Beginn der Session voller Eifer; an der Diskussion der Adresse nimmt er den lebhaftesten Antheil; so wie aber die schönen Tage kommen, wird er lauer, und im Juni ist sein Eifer auf Rull herab gesunken. Leider wird der Vergleich von hier ab unpassend: denn wenn die Ordonnanz, welche die Session schließt, erscheint, so gehen die meisten Dcputirten auf ihre Güter, um ihre Ncveuüen zu genie ßen; der Stenograph?-Redacteur dagegen, der meist, so viel wir wissen, weder Güter noch Revcnüen besitzt, nimmt mit nencm Eifer die Beschäftigungen vor, deren Emolumente durch die Arbeiten bcr Session vermehrt worden waren. Dann zerstreut sich diese buntscheckige Menge, die sechs Monate hindurch neben einander in der Tribune zugebracht, auf einmal: die Einen kehren ins Palais, die Anderen ins Theater zurück; der wird einen Roman, den die Session unterbrochen hatte, beendigen, jener besucht seine Kranken, die er geheilt findet; mehrere suchen unschul dige Vergnügungen auf, z. B. das des Angelns. Und man glaube nicht, daß wir hier einen schlechten Cälcmbourg machen wollen, denn wir könnten zur Noth einige Redacteurc anführen, welche die ganze Session hindurch sich nach dem Moment sehnen, der sie aus dem PalaiS-Bourbon erlösUund den Ufern der Seine oder des Ka nals Saint-Martin wiedergiebt. Sie geht schnell vorüber, diese Mußezeit, welche die Sessionen des Parlaments von einander trennt; sie geht schnell vorüber für die Minister, für die Pairs, für die Deputirtcn, das begreift sich leicht, und man findet es erklärlich, wenn diese Herren zuweilen auf sich war ten lassen. Den Stenographen nun, sollte man meinen, vergeht diese Zeit noch schneller, aber dem ist nicht so: kaum ist der Novem ber da, als diese Vögel, die einige Monate vorher so lustig ihrem Käfig zu entfliehen schienen, sich auf jede Weise bemühen, in densel ben hmeinzukommen; man sieht sie dann zum Journal zurückkehrcn, um sich die Physiognomie des Lüreau anzueiancn und sich mil der neuesten Politik bekannt zu machen, kurz alle Vorbereitungen treffen, die dazu gehören, um mit Muth die Arbeiten wieder zu beginnen, die sie vielleicht am "Schluß der vorigen Sitzung mehr alö ein mal verwünscht hatten. Es ist leicht, den Grund dieser Verschiedenheit zwischen den Rcdactcnrcn und Deputirtcn anzuacben, die geringe Eile der Einen und den Eifer der Anderen zu erklären: die Dcputirten haben nur die Angelegenheiten des Landes zu betreiben, die Journalisten dage gen ihre eignen, und das ist ein großer Unterschied. Bald hat man nur noch einige Tage Freiheit bis zur Eröff nung der Session: bann wird von der Ouäflur der Kammer» eine Verfammlung von Stenographen berufen. Hier sicht man sich wie der, bewillkommnet sich, lernt ein Paar neue Gesichter kenne», die ephemeren Redakteure jener vergänglichen Blätter, die mit cincnl Ministerium entstehen und ost nicht einmal so lange leben als dies; verlorne Kinder der Presse, dcrcn Eristenz an der Ernennung dcs Präsidenten, an einer Phrase der Adresse, an dem Schicksal cincS Gesetzes, an dem unbedeutendsten Antrag hängt, auS dem eine Ca price eine KabinctSsragc macht. Diese ändern sich allc Jahre; sie allein also haben vor und während der Session beständig zn laufen, zu fragen, zu sorgen, denn was man die soliden Journale nennt, die wechseln selten ihre Debatten-Redacteurc: da sie gut und pünktlich bezahlen, so haben sie die besten und behaltcn sie am längsten: man hat sogar an der Dienstzeit eines solchen Rcdacteurs einen guten Thermometer für das Gedeihen und den Wohlstand eines Journals. In dieser vorbereitenden Versammlung wählt man unter den ältesten und fähigsten drei Syndici: diese Syndici habcn die Pflicht, die Ordnung auf der Tribune zu erhalten und die Reckte ihrer Kollegen zu schütze». Endlich kommt die Zeit der Session mrd mit ihr die Arbeit, die Nachtwachen, die Anstrengungen, aber auch die lustigen Geschich ten und die pikanten Unterhaltungen. Das ist das Leben eines Stc- nographe-Redacteurö. Einige haben cs durch ihr Talent zu glän zenden Stellungen gebracht. Wir wollen nicht von de» Lebenden sprechen, wohl aber von den Todtcn: Maret, nachheriger Herzog von Bassano, verdankte seine Beförderung und sein Glück zum großen Theil der Gewandtheit, mit der er auffaßte und auSarbcitcte, was der Kaiser ihn, mit der ihm eigenen Schnelligkeit in Kürze diktirte, und doch wäre Maret, der aus Napoleon'S eigenem Munde jene Manifeste, jene Memoranda, wie man jetzt sagt, nachschricb, die Europa zittern machten und die heutzutage fabelhaft erscheinen müs- 28 en, ganz gewiß ein sehr schlechter Stenograph des Moniteur gcwe, sen; aber wenn er nicht Pair von Frankreich geworden wäre, so hätte er ohne Zweifel einen trefflichen Berichterstatter der Debatten im höheren Sinne des Worts abgegeben. Auch die Eröffnungs-Sitzung oder die Königliche ist noch ein Ruhetag für die Redacteurc. Die Thron-Rede wird immer im vor aus geschrieben; man braucht sic alfo nicht nachzuschreiben und hat während dieser kurzen Sitzung weiter nichts zu thun, als die immer sich gleich bleibende Physiognomie dieser feierlichen Versammlung de^obersten Staatsgewalten zu zeichnen. Auch die paar Tage, in welchen die Kammer ihr Büreau bildet, sind nicht sehr anstrengend, aber endlich kommt die Avreß-Diskussion, diese für die Stenographen wie für die Minister gleich furchtbare Klippe, jene große Schlacht, in der alle Fractionen der Kammer ihre höchsten Kräfte gegen ein ander aufbieten, wo die Minister sich mit dem Muth Vertheidigen, den die Furcht vor einer schimpflichen Niederlage einflößt, ein Streit, in welchem die Kampfrichter nicht mehr Muße haben als die Käm pfer, und dessen Schilderung gewissermaßen den ersten Gesang der Epopöe aussüllt, deren Katastrophe das Budget ist. Von diesem Augenblick an muß man das Loos der Stenographe- Redacteurs beklagen, besonders wenn man bedenkt, was dazu gehört, um dieser stürmischen Diskussion zu folgen, sie aufzufassen und so wiederzugcben, daß man zugleich die Leser, die Zeitungs-Direktoren und besonders die Redner zufricdenstellt, die Redner, diese Race, die noch reizbarer ist, als daS genuz irric»bile valum des Horaz. Mannigfaltiges. — LcbcnS-Skizze Guizot'S. Francois Guizot ward am 4. Oktober 1787 in Rimes von protestantischen Acltern geboren. Nachdem sein Vater daselbst, auf Robcspicrre'S Befehl, hingerichtet worden war, verließ scine Mutter einen Wohnort, der so fürchter liche Erinnerungen in ihr weckte, und begab sich nach Genf, um Trost bei ihrer Familie zu sucken und sich der Erziehung ihrer Kinder zu widmen. Der junge Guizot besuchte in Genf das Gym nasium, wo er durch Talent und Fleiß sich bald ungemein hervor- that. Nachdem er diese Schule vier Jahre besucht hatte, las und verstand er in ihren Sprachen: Thucydides und Demosthenes, Cicero und Tacitus, Dante und Alfieri, Schiller und Goethe, Gibhon und Shakespeare. Die beiden letzten Jahre seiner Schulzeit widmete er hauptsächlich historischen und philosophischen Studien. Im Jahre I80S wurde er als einer der ausgezeichnetsten Abiturienten entlassen, worauf er nach Paris ging, um die Rechtswissenschaft zu stndircn. Im Jahre I80S gab er sein erstes Werk: l-e Dimlounawe üez VH IMII) mez, heraus. Alsdann folgten die Vwz üoz pnörez fca»ca!z und demnächst Ucbcrsctzungrn von Hibbon's GcschichtSwerk mit treff lichen Anmerkungen und von Rehfues' „Spanicn in, Jahre 18118." Diese literarische Thätigkeit hatte Guizot bereits entwickelt, bevor er noch Vas Aste Jahr zurückgclegt. Die Ereignisse von 18>4 fanden ihn in Nimcs, wo er scine Muttcr besuchte, die er lange nicht gesehen hatte. Bei seiner Rückkehr nach Paris ward er durch dcs ihm eng befreundeten Royer Collard Vermittelung von dem Minister LcS Inner», Abbe vo» Montesquieu, als General-Secretair dcs Ministeriums angestellt, und dies war der erste Schritt, welchen Guizot aus seiner bisher rein literarischen in die politische Laufbahn that. Bei Napoleon'S Rückkehr trat er wieder in die l^acultö ckoz lmtros als Dozent ein. Als gegen das Ende der hundert Tage Napoleon'S Stur» unvermeidlich erschien, ward Guizot von dcn constitntivnellen Royalisten, seinen Freunden, nach Gent abgcsandt, um mit dem Könige Ludwig XV11I. über die Beibehaltung der Charte zu unterhandeln und darauf zu dringen, daß der Herzog von BlacaS, dcn man für dcn Lester der Partei des sncien lögimo hielt, von den Geschäften entfernt werde. Als Frucht seiner histo rischen Studicn publizirle er demnächst seine „Oollecn-m ,!e Vlönwirc« relutifz ;> la Xövolnuon ü'.änAlmorro", die beiden ersten Bände der „lUzkvire cke la Ki'volntw» ü'S>»gUtorre", die „^nllocniouz üo silönwuoz lolatifz ä I'tUzlvico üo h'<anee" und endlich scine „Lzzuiz zur I'IIiztnire üe bVanro." Gleichzeitig erschienen von ihm in Zeitschriften einigd interessante Abhandlun gen über Shakespeare und Calvin, so wie über politische Gegen stände in der ncugcgründeten Uovuo I"r»»cs!zo. Die bescheidene Wohnung Guizot's war auf diese Weise eine thätige Werkstättc der Wissenschaft geworden, als im Jahre >827 der Tod ihm die Gefährtin seines Lebens, seine Frau entriß, die an allen seinen Bestrebungen dcn lebhaftesten und anrcgcpdstcn Theil genommen hatte. Gegen die Zeit der Juli-Revolution ward Guizot eines der thätigsten Miiglicdcr der Gesellschaft tu!, Io »iel r'aiüer», die durch alle gesetzliche Mittel die Freiheit der Wahlen aufrecht erhalten wollte. Unmittelbar nach der Juli. Revolution und bis zum Tode Casimir Periers war sein politischer Einfluß minder bedeutend, als seit dem Eintritte dieses Ereignisses, welches ihn und Thiers am II. Oktober 1832 an das Ruder brachte. Als Minister des öffentlichen Unterrichts war Guizot's Einfluß sowohl in der Deputirtcn-Kammer, als in dcm damaligen Ministerratbe, einem der an, längsten dauernden seit 1830, übcr- »megend. Sein Gesetz vom 28. Juni I8ZS in Bezug aus den Ele mentar-Unterricht wird ihm in der Bildungsgeschichte Frankreichs eine» ehrenvollen Namen sichern. Unter welchem Gesichtspunkte man aber auch Herrn Guizot betrachten möge, ob als Privatmann, als Literat, als Geschichtsschreiber, als Redner oder als Staatsmann, — immer wird man Achtung vor seinem Talent und seiner Ehrenhaf tigkeit bckommcn. ((tulei-io üez konkcug>vr»i»z illuztroz.) HerauSgezebcn von der Ncdaclion bcr Allg. Preuß. SlaatS-Zestunz. Nedigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.