Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration?- Preis 22^ Sgr. (j TLlr.) vierteljährlich, 3 THIr. für Lq« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Prenllischen Monarchie. a g a für die Man pränumerirt auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Alla. Pr. StaatS-Aeitung (Fricdrichsstr. Rr. 72); in der Provinz s» wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 7. Berlin, Freitag den 15. Jann ar 1841 Nord - Amerika. Fanny Elslcr am Niagara-Fall. Von einem Amerikaner.') Auf meiner Reise nach den Niagara-Fällen hatte ich das Glück, die letzten Meilen bis zu denselben mit der schönen und berühmten Fann- Elster zusammen zurückzulegen; da ich die ganze Zeit ihres Aufenthalts bei den Wasserfällen ebenfalls daselbst zubrachte und sie auf verschiedenen Ausflügen in der reizenden Umgegend begleitete, die Ihnen °°) aus eigener Anschauung bekannt ist, so denke stch, cs wird Ihnen angenehm se-n, zu erfahren, welchen Eindruck die Wasserfälle auf die schone Fanny machten. Die letzten dreißig bis vierzig Meilen zeigte sic die lebhafteste Ungeduld, die Niagara- Fälle zu erreichen; zwischen Lockport und hier°°°) hemmte dcr'Eon- ductcur einmal die Maschine, damit Miß Fanny das Getöse des ewigen Wafsersturzcs hören könne; da übertraf der leuchtende Aus druck ihres Auges Alles, was ich bisher gesehen. Die Sprache ist zu arm, um wiederzugebcn, was sie mit Blicken und Worten auS- drückte; ihr ganzes Antlitz leuchtete vor Freude, als sie auSrics: „DaS ist die Musik des Donners!" Bei unserer Ankunft am Wasserfall wollte sic kaum in bas Gasthaus eintrctcn, so ungcduldig war sic, denselben zu erblicken. Als man nach dem unerläßlich nothwcndigcn Herrn Hooker, vcm einsichtsvollen Führer, gesendet hatte, machte sich die Danie auf den Weg, begleitet von ihrem Cousin, dem Führer, von mir und noch einem anderen Herrn. Mit der ausgelassenen Lustigkeit eines ent zückten Kindes klatschte sie in die Hände, als wir dem Getöse näher und näher kamen. Beim Hinunterstcigen wollte sie anf den Stufen mit der ganzen Ungeduld weiblicher Neugier den Kopf wenden, um den Fall zu sehen. „Halt! halt! Miß Fanny", ries der Führer, „sehen Sie sich jetzt nicht UM; nicht eher, als bis ich Sic dazu aus fordern werde; erst am Fuße dieser Treppe.... jetzt noch nicht.... nun blicken Sie durch das Fenster.... jetzt!" Sie wendete den Kopf, und der volle Anblick dieses herrlichsten Wunders der Welt bot sich ihr dar. Da Sie ein Freund von großen Effekten sind, so hätte ich Ihnen wohl gewünscht, diesen ersten Blick Fanny Elslcr'S auf den Niagara-Fall belauschen zu können. Der sehnlichste Wunsch ihres Herzens, den sie schon seit Jahren hegte, wie man mir erzählte, war nun erfüllt. Sie staunte das erhabene Schauspiel mit Bewun derung, Ernst und mit unendlicher Lust an; ihre ausdrucksvollen Augen folgten dem herrlichen Schaum-Bogen vom Fels zum Himmel, und als sie mit Ehrfurcht, die in ihrer ganzen Haltung sich kundgab, diesen einzigen Weihrauch, den die Wasser als Tribut des Dankes zu Gott hinaufscndcn, betrachtet hatte, senkte sie ihr Haupt, verbarg ihr Antlitz in daö Taschentuch und brach in Thräucn aus. Sie setzte sich hin und erwictcrtc auf die besorgten Fragen ihrer Freunde: „ES ist mir etwas unwohl", — zc me crauv-- un poa null. So war das erste Begegnen der Wasser des Niagara und Fanny ElSler'S, und so war die Wirkung ihres ersten Blickes auf dies Meisterwerk des Schaum-Gottes. Das Interesse dieser kleinen „Scene" wurde dadurch noch unendlich erhöht, daß sie nichts Stu- dirtcs, nichts Gesuchtes hatte, daß kein Haschen nach Effekt darin vorwaltcte, wie Manche cs in dcn Norbcreitnngcn zu einem schwic- rigcn PaS der „Sylphide" scheu wollen. ES war die reine Natur und die Wirkung deshalb um so größer. Man fragte Herrn Hooker, ob man jetzt noch weiter Vordringen könne; er aber erwicdertc, die ser Anblick sc» hinreichend für diesmal, und so kehrte Miß Fanny nach dem Gasthause zurück, um zu Mittag zu speisen. Während der Mahlzeit schien sic sehr angcgriffcü, später aber sammelten ihre Lebensgeister während einer kleinen Unterhaltung neue Kräfte; wir machten uns nun in Gesellschaft auf, um die Wasserfälle zum zweitenmal zu besuchen. Wir überschritten die ", ') Es wird UN,ecen Leiern gewm nicht uninteressant semi, in Obigem eine Probe von Amcrikaniiwem Enchunaömus zu erhalten, um so mehr, Lä Ler- selbe einer gefeierten vandömamnn gilt. Wie hüben, nm den Eindruck des VrtginalS möglichst treu wiedcrzugebcn, die ost ziemlich steifen und geschraub ten Wendungen des Amerikanuwcn Ausdrucks nicht umnndern wollen. Man acht, es ist den kaufmännischen Amcntancrn noch etwas Ungewöhnliches, nur der Poesie unuugehen. Aber m,Dongmrotischcr Verehrung der Bühnen- snclt und ihrer Heldinnen scheinen sie die eraltirteste Theater-Jett des alten ^"ropa »och ju überbieten. q, 'i Der Verfasser dieser Schilderung richtet dieselbe au einen Freund in beÄ'Amk, Herrn Bennet, der selbst einen Ausstug nach dem Niagara-Fall ."stieben hat, wie aus dem weiteren Verlaus des Brieses Hervorgeht. t Der Bries iß von den Niagara-Fällen datirt. Brücke und kamen bei der Hütte der alten Dame vorbei, deren sie in Ihren interessanten Briefen gedenken, und bei welcher Sie, wie überall, noch in guter Erinnerung stehen. Bald erreichten wir dcn runden Thurm dicht am Abhänge des donnernden, schäumenden und nimmer ruhenden Wasserfalls. Miß Fanny's Erregung trug diesmal ein ganz anderes Gepräge; sie war im höchsten Grade er griffen und begeistert; sie beugte ihren schönen Nacken vorwärts und und schaute nachvcnkenv in die gewaltige Masse des tobenden Was sers, die tief unter ihr im Abgrund schäumte und brauste, und gleich Byron schien sie zu denken und zu fühlen, daß man wünschen könne, den gefährlichen Sprung zu wagen. Sie nahm die Stellung eines Nenners an, der, aufgeregt durch den Trommelschlag, zum Sprunge bereit steht; sic sprach erst auf die sonderbarste Weise mit sich selbst, dann zu dem Wasserfalle; sie redete in Französischen, Deutschen, Englischen, Jtaliänischen Brocken und, wie mir schien, noch in einem halben Dutzend mir ganz unbekannter Sprachen. Eine naive Aeußerung belustigte mich ganz besonders. Nach dem sie mehrere Male sich über den Abgrund hinunter gebeugt und wieder zurückgclehnt hatte, ging sie behutsam vom Rande des Wasser sturzes hinweg, und zurückblickend nach dcm tosenden, zischenden Schaum in der Brandung des Kanadischen Falles, legte sic ihre Arme über einander und warf mit lächelndem, schelmischem Blick, mit her ausfordernder, neckischer, mulhwilligcr und komischer Trockenheit die Bemerkung hin: „guelle Iiiou.-i.-je ertrunräinLive" „das nenne ich mir Moussiren"! Die ganze Gesellschaft lachte so laut auf, daß selbst für einige Augenblicke das Gebrüll des Niagara davon über tönt wurde. Die Bemerkung war durch ihre Neuheit in Bezug auf den Niagara-Fall höchst ergötzlich; sie war belustigend durch ihren Kontrast mit der Erhabcnhett der ganzen Scene um und neben uns. Dcn Tag nach ihrer Ankunft befuhr Miß Fanny dcn Strom nach der Kanadischen Seite hinüber; ich bcsticg dasselbe Boot, um den Eindruck zu beobachten, den die Fahrt auf ihre Nerven hcrvor- bcingen würde, und wirklich gewann auch, wie ich vcrmuthete, ihre weibliche Natur hier die Oberhand. Der reißende Strom, das Getöse des Wasserfalls, der Schaum, die ganze Scencrie der Gegend hätten wohl stärkere Nerven als die ihrigen angreifen können; ganz bleich wendete sie sich ab, stammelte „ich fürchte mich" — j'ui peur — und war einer Ohnmacht nahe. Denselben Vormittag erhielt Fräulein Eisler einen Besuch von dem würdigen Beschützer dieses Theils der Gegend, vom General Porter, dessen Behausung dicht am Fall gelegen ist; ihm gehört auch Goat Island (Ziegen-Eiland) und manche andere werihvolle Be sitzung i„ dieser Gegend. Er lud Miß Fanny ein, ihn auf seinem eleganten Wohnsitz zu besuchen, und sie nahm die Einladung an. Ich gehörte auch mit zu der Gesellschaft. Es war ein sehr feiner nuv vornchmer Kreis von Damen und Herren versammelt, unter Anderen der tapfere, witzreiche und hochgebildete General Macomb, der ^or Allen Fanny's Aufmerksamkeit auf sich zog, denn cr war die Seele der Gesellschaft und sagte der „schönen Fanny" allerhand Artigkeiten in einem sehr reinen Französisch. Alles bewunderte sein gefälliges Benehmen, seine raschen geistreichen Antworten und seine unermüdliche Lebendigkeit. Miß Fanny gewann sich die ganze Hoch achtung des tapferen Generals und der angesehenen Gäste dcS wür digen WirthcS. Am nächsten Tage wurde General Macomb von den Britischen Offizieren cingeladen, einer Musterung des schönen Regiments Hoch länder beizuwohncn, welches an den Wasserfällen oder in deren Nähe stationirt ist. Er lehnte aber die Einladung ab, bloß aus dem Grnnvc, weil cr sich in dieser Gegend befinde, um seinen öffent lichen Pflichten als Oberbefehlshaber der Amerikanischen Armee ob- zuliegcn, und cr sich daher von diesen Pflichten durch nichts, wäre cs auch etwas noch so Angenehmes für ihn oder seine Stellung, dürfe abzichen lassen, wenn es nur ein Vergnügen und kein AmtS- gcschäst sey. Miß Fanny erhielt eine ähnliche Einladung, und sie, die nicht, wie der General, durch die Angelegenheiten des Landes oder durch irgend eine andere Pflicht abgehalten war, sondern nur dcm Vergnügen nachzugchen hatte, nahm es an, begab sich zu der Revue und wurde von dem Britischen Commandcur und seinem Stade aufs freundlichste und herzlichste empfangen. Der Anblick dieser Hochländer war ungemein schön; lauter auserlesene Leute von hohem, wohl proportionirtem Wuchs. Sie führten alle ihre Evolutionen mit großer Genauigkeit und Gewandtheit aus und zeigten die treff lichste Disziplin. Doch Sie haben sie ja selbst gesehen und geschildert. Ihre malerische Tracht mit ihren lebhaften Farben und ungewöhn-