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eine so bewunderungswürdige Vollendung erhalten Haden. Heinrich hat alle Demüthigungen, welche Frankreich seit zehn Jahren erlitten, wie Beleidigungen gegen seine Person empfunden. Sein Herz hat vor Freude und Stolz gebebt bei der Kunde von den rühmlichen Waffcnthaten, welche, Dank unseren tapferen Soldaten, in Afrika, der edlen Eroberung der Restauration, wenigstens noch die Ehre des Französischen Namens aufrecht erhalten und der Welt zeigen, daß die diplomatischen Feigheiten den Degen von Fontenap und Austerlitz noch nicht abgestumpft haben. Heinrich hat den Geist seines Jahr hunderts durchaus in dem richtigen Maße in sich ausgenommen: kein Fortschritt, keine wahre Aufklärung ist ihm fremd. Man würde sich seltsam irren, wenn man bei dem Fürsten, welcher in Italien Herrn Liautaud, den wackeren Tischler von Marseille, zu seiner Tafel zog, verjährte Vorurthcile vermuthen wollte. Man kann mit Zuversicht behaupten, daß, welches Geschick auch die Vorsehung Hein rich von Frankreich Vorbehalten Haden mag, er nie unter demselben stehen wird. Ich hatte das Glück, auch Mademoiselle, dir Schwester Hein- rich'S, zu sehen. Sie ist ein Jahr älter als dieser, völlig auSge- wachsen, von sehr einnehmendem Wesen und vereinigt in sich alle Eigenschaften, welche an einer Frau gefallen, wie lhr Bruder alle gute Eigenschaften eines ManncS und Fürsten besitzt. Von Gestalt ist sie nicht groß, aber vollkommen ebenmäßig; sie ist blond und frisch; aus ihren blauen Augen leuchtet die ganze Güte ihrer Seele, alle Liebenswürdigkeit ihres Geistes. Louise von Frankreich kennt kein größeres Glück, als den Ausdruck der Gefühle zu hören, welche ihr geliebter Bruder erweckt; denn dieser ist ihre Freude, ihr einziger Stolz. „Haben Sie meinen Bruder gesehen?" fragte sie mich, gleich nachdem ich ihr vorgcsicllt worden war, mit reizender Lebhaftigkeit. Ich hatte nicht nöthig, die Wahrheit auszuschmücken, um ihre Schwesterliebe vollkommen zu befriedigen. Ihre Lebensweise ist, man darf eS sagen, ein wenig ernst, ja streng für ein junges Mäd chen. Aber Louise von Frankreich hat so viele Hülfsaucllen in ihrer glücklichen Natur-Anlage, in der köstlichen Kunst, sich immer Be schäftigung zu machen, daß Zufriedenheit und sogar Fröhlichkeit stets in ihren Zügen leuchtet. Mademoiselle liebt die Künste, wie ihr Vater dieselben liebte und ihre Mutter noch liebt. Sie treibt sie sogar mit Erfolg; in der Malerei würde jede Schmeichelei bei ihr überflüssig scyn. Ich habe die Königliche Familie gesehen, wie sie zu Fuß die Messe in der Kathedrale besuchte, ohne irgend eine Auszeichnung durch die Bevölkerung von Görz und die Slavischen Landlcuie der Umgegend, welche in ihren weißwollencn und scharlachrothen Westen sich vor der Kirche aufgepflanzt hatten, hingehend. Auch die Equipage, worin die hohen Verbannten spazieren fahren, ist sehr einfach. Nur in den Wohlthaten, welche sie, sey eS in Frankreich oder in ihrer Umgebung, verbreiten, haben sie ganz Königliche Gewohnheiten bewahrt. Von den Personen, welche unsere Fürsten zur Zeit meiner Reise , umgaben, will ich, außer dem Grafen von Bouillö, diesem so erge benen und vortrefflichen Diener, nur den Herrn Grafen von Mont- bel, den ehemaligen Minister, nennen. Herr von Montbcl ist ein Mann vom liebenswürdigsten und gebildetsten Geiste, Musiker, Maler, ausgezeichneter Schriftsteller, wie dies die Schriften „Neriäöro öpague ü« la vio <Ie kharlc« X." und „Vie llu 0»c >le Keivk-itaSr" be weisen, welche beide volkSthümlich geworden sind. Aus der Unter haltung des Herrn von Montbel spricht die vollkommenste Kcnntniß unserer Zeit und der gegenwärtigen Politik, so wie die erhabenste und umfassendste Ansicht. — «,Ma» kann sich nicht verhehlen", sagte er zu mir, „daß die Fürsten nicht daraus Auspruch machen können, heutzutage unter denselten Bedingungen zu regieren, wie ehemals." AuS diesen Worten schließe man, ob Heinrich von Frankreich in einer Atmosphäre von Vorstellungen, welche dem Rückschritte angchörcn und unserer Zeit fremd sind, lebe. Der Besuch der Orte, wo Karl X. wohnte und nun ruht, ist eine Pilgerfahrt, die ich während meines Aufenthaltes in Görz nicht unterlassen wollte. DaS Schloß Gräfenberg ist Privateigenthum, und die Königliche Familie hatte es, wie auch den Palast Strassoldo, bei ihrer Ankunft in Görz in Miethe genommen. Die Gemächer desselben sind größer als die von Strassoldo, ohne aber im Geringsten etwas Königliches darzubitten. Die Lage desselben ist schön, auf einer Anhöhe an dem Strassoldo entgegengesetzten Ende der Stadt. Von den Fenstern desselben sieht man, auf einem ziemlich bedeutenden Hügel, in der Entfernung von ungefähr einer Viertelstunde von Görz, ein Franziskanerkloster. Karl X., dem die Lage dieses Klosters aufficl, hatte sich einen Spaziergang dahin vorgenommcn; nach weni gen Tagen aber trug man seine entseelte Hülle dahin, unter den Thränen der Königlichen Familie und der Trauer der ganzen Be völkerung, welche die Tugenden dieses hohen Gastes schon kennen gelernt hatte. °) Ich bestieg den Hügel. Von der Höhe desselben überblickt man die Stadt Görz und das ganze Thal, welches von der Vipata und Jsonzo befruchtet wird. Bon den Mönchen wurde ich mit einer Zuvorkommenheit empfangen, welche sie vorzugsweise gegen Fran zosen zeigen. Ich stieg in das Gewölbe hinab, wo der Monarch ') Karl X. hatte, al» er Prag verließ, Gök!, der gesunde» vage dieses VrteS wegen, zum Aufentb«» gewählt; dasselbe war au» in der Thar, wah rend die Lkolera ringS umher gewüihet hatte, saft ganz von derselben ver schont geblieben. Aber Karl X. batte wahrscheinlich den Keim dieser Krank heit schon auS Böhmen mitgebracht und derselbe entwickelte sich nur an dem neuen Wohnorte mimo» und mit solcher Hettigkeit, daß dreißig Stunden nach dem Ausbruch der Krankheit Ler To» erfolgte- ruht, dessen Ueberreste sogar noch verbannt bleiben. Seine Grab stätte ist unter dem Chore in der Kirche. Beim Scheine einer Fackel, welche der Prior hielt, las ich die einfache Inschrift, welche anzeigt, daß dort ein Fürst ruht, dessen Grab in St. Denis sepn sollte. „Wer hätte jemals vorausgesehcn", sagte der Prior zu mir, „daß wir die Reste eines Königs von Frankreich in unser Haus bekommen würden!" Nachdem ich in Görz sechs Tage zugebracht, deren geringste Umstände mir nie aus dem Gedächtniß schwinden werden, trat ich die Rückreise nach Paris an, den Weg durch Oesterreich und Deutsch land nehmend. P- 3. Vidal. Mannigfaltiges. — Alessandro Manzoni. Der berühmte Manzoni hat wieder ein Lebenszeichen von sich gegeben, und zwar dadurch, daß endlich seine seit langer Zeit angekünvigte und von allen Jtaliänern mit Begierde erwartete 8tvri» Sells koloun» infam» an das Licht getreten ist. Diese selbst bildet jedoch nur einen Anhang zu einer neuen Ausgabe seines weltbekannten Romanes l prome.^i .-»posi (die Verlobten), welchen der Verfasser vollständig umgearbeitet und in seiner gegenwärtigen Gestalt zu dem vollkommensten stplistischen Meisterstücke der neueren Jtaliänischen Prosa gemacht hat. Um jedoch dem Nachdrucke, dem bis jetzt nicht bloß im Auslande, sondern auch in Italien selbst alle klassische Werke dieses Landes in hvhein Maße ausgesetzt waren, die Mühe diesmal zu erschweren, hat Man zoni zu seiner neuen Ausgabe von einigen der berühmtesten Künstler Italiens ungefähr WO Zeichnungen dazu anfertigen lassen, die in dem rylographischen Institute von Luigi Sacchi in Mailand in Holz geschnitten wurden und nun dem Terte zur Erläuterung und großen Zierde dienen. Dieser Umstand war eS auch, der das Erscheinen der erwarteten kolvmm infam» so lange verzögert hat. Alle ältere Ausgaben der promexrii «pom sind übrigens durch diese fast in jeder Zeile mit dem feinsten Schönheitssinn veränderte neue unbrauchbar gemacht. Auch kommen dem Verfasser jetzt, außer den „Illustra tionen", die Verträge gegen den Nachdruck zu statten, welche die meisten Jtaliänischen Regierungen seit kurzem mit einander abge schlossen haben. ES dürfte daher das jetzt erschienene Buch nicht bloß, wie die frühere Ausgabe, dem Ruhme Manzoni'S, sondern auch seiner Kasse von dem einträglichsten Gewinne sepn. — Gibbon und sein neuester Herausgeber. Der Ge schichtsschreiber des sinkenden und fallenden Roms steht in seiner Weise so groß und unnachahmlich da, wie sein Landsmann Shake speare. Man hat ihn wohl übersetzt, auSgezogen (in mancher Be deutung dieses Wortes), widerlegt und kommentirt, aber noch nicht erreicht, viel weniger entbehrlich gemacht. Doch dieser rückwärts sehende Prophet galt am wenigsten in seinem Baterlande. Mochte sein hellstrahlendes Gestirn so schön am historischen, wie das Gestirn Shakespearc's am poetischen Himmel prangen, das Britische Pu blikum erhob selten einen ungetrübten verehrenden Blick dahin. Nicht mit dem Dichter vom Avon verglich man gern Gibbon in seiner Berechtigung zur öffentlichen Gunst, sondern mit Bprvn, den man anstaunen, aber deSavouiren müsse; dessen Gestirn gleich dem Gibbon'S mit unreinem Strahl und Feuer, blendend und sengend, seine Bahn durch daS moralische Weltsystem beschrieb. Gibbon'S Lehrer war Montesquieu, aber neben diesem allerdings auch der durch seine Lehren nur vernichtende, niemals anfrichtende und erhebende Vol taire. Mit Letzterem hcsonderü hat er das gemein, daß er dem Aufgange des ChristenthumcS, als herrschender Religion im Römi schen Reiche, den Untergang dieses letzteren als natürliche Folge zur Last legt. Fast durch das ganze Werk weht der Geist solcher Ansicht, und fast überall ist Weisheit und Bildung auf Seiten der Heiden und Muhammedaner, Barbarei aber im Schoße der Christen. Tadle man darum die Briten nicht, wenn sie, zurückgeschreckt durch die Ungerechtigkeit solcher Ansicht, ein Bornrtheil gegen das ganze Werk faßten, so daß eS gewissermaßen einer Purisication desselben bedurfte, um eS wieder in allgemeine Gunst zu bringen. Der be kannte Theolog und Geschichtsschreiber Herr H. H. Milman hat eS unternommen, Gibbon'S Werk mit Noten hcräuSzugeben, in welchen die überspannten oder irrthümlichen Ansichten dcS berühmten Histo rikers als solche nachgewicsen werden. Die Ausgabe ist so eben in 12 Oktavbändcn erschienen"), und sie wird von den Kritikern aller Farben gelobt. Die iAuntbl.v Uevicrv z. B. sagt Folgendes darüber: „Gibbon'S Geschichte, besonders in der Milmanschen Ausgabe, ist ein Werk für alle Zeiten und Klaffen. Früher konnte man eS jungen Leuten nicht in die Hand geben und auch Erwachsenen nicht, welchen Gelegenheit und Mittel fehlten, seine Jrrthümer zu entdecken. Jetzt aber sind diese Jrrthümer geschickt und überzeugend als solche dar- gestellt. Ist das Gift auch nicht hcrauSgcnommen, so ist man doch davor gewarnt." Milman ist seit lange als theolo gischer Schriftsteller geachtet. Er hat in prosaischer und poetischer Form die Geschichte dcS Judenthums und dcS Christenthums behan delt, und Gibbon, dessen Leben er auch schrieb, nahm seit Jahren seine Thätigkeit in Anspruch. ') OilrlrDu'U ot t!»e rlecline anil t«U <»k kN« kvmau Empire, kutire.'zk new e6itiou, will, uote« rev. II. II- Ailmau, aoü witk or>8>osl tiibtorieal map«. Hierbei Titelblatt und Inhalts-Verzsichniß z«m »origen Halbjahr. Herausgegeben von der Redaction der Mg. Preuß. Staaw-Icitunz. Redigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.