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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumertttienS- Preis 22j Ege. sj Thir.) vierteiiShrti», » Thir. für da» ganze Jahr, ohne Er tz »düng, in alten Ttz'ilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »rSnumerirt auf dieses Literatur-Klatt in Berlin in der Expedition der Alig. Pr. Traars-Zeitung (Friedrich-ffr. Rr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den WolMbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 15» Berlin, Montag den 2l. Dezember 1840. Dänemark. Der Streit über die Echtheit der Tell-Sage. Von Frederik Schiern.') ES wird.cmcr nur einigermaßen scharfsinnigen Kritik schwerlich entgehen können, daß die Erzählung von Wilhelm Teil reich an Widersprüchen und mißtrauenerregendcn Angaben ist, »nd darum ist auch nicht zu verwundern, daß bereits sehr zeitig von F^anz Willimann in einem Briese an Goldast vom 27. März H)07 Zweifel über ihre ttederemsmumung mit der Wahrheit geäußert werben. Der genannte Schriftsteller stand indcß sehr lange allein; doch nachdem Saro's Erzählung von Toke nach und nach im Süden mehr bekannt geworden war"), mußten die helvetischen Gelehrten natürlich über die auffallende Achnlichkeit beider Erzählungen er staunen. Sie fanden, daß zwei Tyrannen ganz dieselbe sonderbare Grausamkeit ausgeübt haben sollten; daß em Kind bei beiden Ge legenheiten zur Hand gewesen seyn, der Vater beide Mal dasselbe Glück gehabt haben und beide Mal einfältig genug gewesen seyn sollte, seine Absicht einzugestehen; daß die dreisten Schützen auf beiden Veiten nach dem Meisterschüsse Gefahren aus dem Wasser, im Nor den in Folge des Schneeschuhlaufs und in der Schweiz bei der Fahrt über den See, ausgcstandcn, und endlich, daß sie an beiden Orten auch den Tyrannen getödtet haben sollten. Die Zweifel traten des halb immer stärker hervor, wie wir es bei Isaak Jsclin"), Jak. Christopher Jsclin") pud bei Voltaire') beobachten können. Endlich kam im Jahre t7W in Bern eine kleine, aus nur wenigen Blättern bestehende Schrift heraus: „6uillanine Dell, t'nbl« Danome", die ohne Umstände die Erzählung als eine aus Dänemark ringewanderte verwarf, ja sogar so weit ging, daß sie Wilhelm Teil alle historische Eristenz absprach. °) Gegen die Wahrheit der Geschichte vom Pfeil, schuß berief sie sich vornehmlich daraus, daß keine einzige von allen gleichzeitigen Oesterrcichischen Gcschichtsquellen das Geringste von dein Schüsse kennt, und daß Ettcrlin's Chronik vom Jahre lbl)7 kein Beweis für eine Begebenheit vom Jahre I.M7 seyn kann. Dar aus macht sie, außer mehreren anderen gewichtigen Gründen, auf die gegen alle Symbolik des Mittelalters streitenden Umstände mit dem Hut aufmerksam, auf den unnatürlichen Sprung den Felsen hinan, auf daS Unglaubliche, daß Tell mit einem Stoß seines Fußes das vom Sturm herangetriebene schiff sollte haben zurückstürzcn können, und auf den unwahrscheinlichen Widerspruch, womit Tell in der Ettcrlim'chkn Erzählung bald als ein in Pem Grave beschränkter Menfch geschildert wird, daß er sogar den Namen hiervon trägt, and bald als mit der allergrößten Schlauheit begabt.) Diese Broschüre über Wilhelm Teil, welche vom Prediger Uriel Freudenberger in Ligerz ') verfaßt war, machte so großes Aus sehen, daß ver Kanton Uri sder früher schon Rudolph Weid, welche», ohne Tell'S Geschichte anzugreifen, ihn einen Henker ge nannt, öffentlich Abbitte zu thun') "gezwungen hatte) nicht allein durch ein in starken Ausdrücken abgefaßtes Kreisschreiben vom 1> Wir «ntlehnen diese lnterrssante Zusammenstellung einer größeren Abhandlung diese» Dänischen Schriftsteller», der auf seine Resultat« fast gleichzeitig mit Häußer IN Heidelberg, dessen Forschungen ihm damals noch nicht bekannt waren, gekommen ist. 2) Tell's Geschickte wurde liierst mit der ryeschichte von Toko zusammen- gestellt durch Grasser sLchweizerisch Hetdcnbuch. Bafel, 1624. 4 S-54), weicher übrigen» weit davon entsernt ist, die Wahrheit der Geschickte zu be zweifeln, und eben so wie Etteriin seine Darstellung mit einem zierlichen Holzschnitt begleitet hat, auf welchem der Pseilschuß abgebildct ist 3) Ob-<^vatlv»ee l,i-turioLo ueieeellaueao. üs-il. 1754. 4 p. 18 4) Oi, tlvuuLir-. tV, L74. Z) ^uualo- No pkmziire. Ornrrex oowplöte«. kst. 6utb. XXV, 263. 6) Eine Deutsche Uederfeyung an» derselben Zeit giedt es unter dem Titeln Wilhelm Tell, rin Dänische« Mahrcken- Bern, um. 8. Rack der Verbrennung dieser klc-nen Schrift durch de» Henker ist sie sehr selten geworden; aber Breyer hat den Französischen Tert im historischen Magali" 325—34«> abdrucken lassen. 7) Hierzu kann noch Wilhelm Tell'S wunderbar glüeklicke Koniektur an geführt werden, daß Geßler tust bei Brunnen landen würde. Schiller «vierter Akt erste Scepe) erklärt dieselbe, indem er Tell die Worte in den Mund legt! „Ich ßo" ihn sagen, da ick noch im Schiff gebunden lag, er wollt'.bei Brunne» landen. ' , Freudenberger, in dessen Stelle malt lange unricktigcrwelse Haller als Verfasser annahm (man vergl. Bibliothek der Schweizer- geichichix v, 25), scheint übrigens das unholde Sckieksal seiner Abhandlung tast geahnt zu Haden, indem er als Motto die Worte von Voltaire wählte: B Im Jahr^im^"^« D- Juli- B re» er .'Historisches Magaün I, 328. Auch der Prediger Melchior Flüeler, der Tell eine» Mörder gescholten hatte, mutzte seine Worte widerrufe». . 4. Juni I76N die übrigen Kantone vermochte, ihr Mißvergnügen mit der Publication der Schrift zu bezeugen, sondern auch selbst alle Eremplarc, die man erlangen konnte, öffentlich verbrennen und dem Schriftsteller zwei goldene Medaillen zustellen ließ, der zuerst gegen Freudenberger in die Schranken trat. Dies war A. F. von Balthasar, an welchen sich Gott!. Em von Haller und General von Zurlaubcn anscklosscn. Diese Schriftsteller suchten indeß nur mit zum Theil äußerst schwachen Gründen Wilhelm Tell's historische Eristenz zu heben, wogegen sie sich fast gar nicht auf dasjenige cin- licßen, was vorzüglich der Gegenstand von Frcudenbcrger'S Kritik gewesen war, nämlich die ganze Geschichte vom Pfcilschuß. Zur Bcrtheidigung dieser führten sic allein an, daß die Erzählung auch bei dem zu ihrer Zeit noch ungedrucktcn Luzcrnischcn Chroniken- schrcibcr Melchior Russ ff- I4W) gefunden wurde, welches in zwischen fauch ohne Rücksicht, daß Russ' Darstellung, wie weiter unten angeführt werden soll, den Glauben an die Wahrheit der Geschichte gerade schwächen muß) die Sacke nicht viel weiter brachte, da Melchior Nuss nur wenige Jahre früher geschrieben hatte, als sein Zeitgenosse Petermann Etteriin, nämlich im Jahre 1482. Hier- nächst sprachen sie mit vieler Sicherheit aus, es wäre doch ganz un denkbar, daß eine rein unhistorischc Sage in einer so späten Periode unter Ettcrlin's streng historischen Angaben Vorkommen sollte. Jetzt aber haben die neueren Untersuchungen der Helvetischen Chroniken- schreiber hinreichend dargethan, daß Etteriin, eben so wie alle seine Zeitgenossen, in Bezug auf die ganze ältere Geschichte und das ganze vierzehnte Jahrhundert in hohem Grade mit Sagen ungefüllt sind, so daß eck im Gegentheil sonderbar wäre, den Glauben an die Er zählung des PseilschusseS bcizubchaltcn, während man so viele andere -sagen verwerfen muß, die in genaucr Verbindung mit Tell's Ge schichte erzählt werden. Wenn jene Schriftsteller übrigens behaupten, daß man nicht eine einzige völlig erdichtete Sage aus einer so späten Periode nachweisen könnte, als die, in welche die Erzählung von Teil hingehört, so ist dies offenbar eine eben so ungegründcte Ausstellung; ich brauche nur die oben angeführte Holsteinische Varia tion der Sage anzuführen und zu bemerken, daß, wenn die unhisto rischen Sagen aus dcm Idten und lütcn Jahrhundert bekannter wären, so würden sich ohne «Schwierigkeit viele Beispiele von Sagen- Wanderungen aus einer noch späteren Zeit aufzählen lassen. Wir wollen nur crinnern, daß die durch Shakspcare's Macbeth berühmte Soge von dem wandernden Walde'"), welche sich am frühsten bei Saro ") und später an mehreren Orten in Europa findet (z. B. in der Erzählung von der Scklacht zwischen Grafen Geert und den Dilmarsen, den 17. Juli IZId), noch bei uns als Doppelgänger in der Tradition von der Schlacht am Ochscnberg in der Fehde der Grasen spnkt "); und daß die Hcldenthat, welche Schiller's berühmter Ballade, „der Handschuh", zum Grunde liegt, und welche der Mönch Ekkehard der Jüngere in St. Gallen zuerst von einem Deutschen Nheingrafen Kuno Kurzbold von Lahnstcin erzählt"), von Spani schen Chroniken Manuel Ponce de Leon beigelegt wird, als er sich in Sevilla an Ferdinand des Katholischen und Jsabella's Hofe auP hielt"), und endlich von Französischen Schriftstellern, eben so wie von dem Dichter, dcm Ritter Delorges, einem von König,Franz des Ersten Hofleuten "). Wenn jedoch Balthaser, Haller und Zur- lauben Freudenbergern daS Recht absprcchen, etwas daraus abzu- leiten, daß die Fischer am Bierwaldstädter See darüber einig ge- wcscn wären, daß in der Leute Gedenken nie ein Sturm aus dem von hohen Bergin beschützten See geherrscht habe, so müssen wir hierin, aber auch nur hierin, jenen Schriftstellern Gerechtigkeit wider- fahren lassen. Denn wie jetzt bekannt, herrschen ja ab und zu hier so gewaltsame Windstöße, daß die Gesetze einschärsten: „beim starken Föhn" daS Feuer in den Häusern am Ufer des SeeS auS- zulöschcn und die Nachtposten auf den Bergen zu verdoppeln.'") 10) Die Sage vsm Viniam-Wald, so wie den ütriqen faktischen Stoff zu Macbeth, entlehnte Shakfpeare von Hoiingshed, kiswrx ok Srottlaus. Hooöoo. 1S77. töl. y. 242 — 753. 11) 8.110 LL. kikubau. ,>. 132 Hier wird fie Von Hagbard's Bruder Hake erzählt, welcher bei Harvig (Kallundborg) gelandet war und langS LeS Susedacke» hinzog, um in Sigcrsted Singnes Vater zu überraschen. 12, Christiani, Scbl. Holst- Grsch. III, 115. Ved el-S im on so n, Füen» Vilkaar l Grevens Felde. S 50 Vergl. Barthold, Lie Bürger meister-Fehde; in Raumcr'S historisck-m Tasckenbuck. Men Jahrgang S. 134. 13) ke^-nwirb. an. « ul ö »«t., Kev. ^lamnniear. Senpt Ist,,!. 173U. f. p. 3». 14> Sckmi d t, Taschenbuch Deutscher Romanzen S. 148. 15) HinricHS, Schiller'» Dichtungen in ihren historischen Beziehun gen t, 257. mi Veral. Johanne» Müller, Gesch Schweizerischer Eidgenossen schaft Vll, 251. .-v