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854 sie die prächtigen Wälder, die grünen Hügel und die niedlichen Kin der vergessen, Vie auf dem Wasser schwimmen konnten, ob sie gleich keine Fischschwänze hatten. Die vierte Schwester war nicht so dreist; sie blieb auf dem öden Meere draußen und erzählte, wie das eigentlich das Schönste wäre, daß man rings umher auf viele Meilen weit sehen könnte, und wie der Himmel über einem stände, wie eine große Glasglocke. Schiffe hatte sie zwar erblickt, aber weit fort, sie wären ihr vorgekommen wie Strandmöven, die närrischen Delphine hatten Kobolde ge schlagen, und die großen Walisische aus ihren Nasenlöchern Wasser g.sprützt, daß sic wie Hunderte von Springbrunnen um sie her ge schienen. Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag war gerade im Winter, und darum sah sic, was die anderen Schwe stern beim ersten Male nicht geschaut hatten. Die Sce nahm sich ganz grün aus, und rings um sie her schwammen große Eisberge; jeder Hai wie eine Perle ausgcsehcn, sagte sic, und war doch viel höher, als die Kirchcnthürmc, oie die Menschen bauen. Sic zeigten sich in dc» wunderbarsten Gestalten und schimmertcn wie Diamanten. Sie hatte sich auf einen von den größten gesetzt, und alle Segel, welche vort krcuztcn, wendeten erschrocken um, als sic sic sitzen sahen, wie sic den Wind in ihren langen Haaren wehen ließ; aber in der Nacht umzog sick der Himmel mit Wolken; cs blitzte und donnerte, die schwarze See hob die großen Eisblöcke in die Höhe und ließ sie glänzen wie rothe Blitze/Auf allen Schiffen zog man die Segel ein, da war nur Angst und Grausen, jedoch sic laß ruhig auf ihrem schimmernden Eisberge und sah die blauen Blitzstrahlen in Zickzacks in die lcuchtcndc See Niederschlagen. Wenn eine von den Schwestern zum ersten Mal über das Wasser kam, war jede zuerst über das Neue und Herrliche entzückt gewesen, was sie Alles gesehen, aber jetzt, wo sie als erwachsene Mädchen Erlanbniß hatten, anfzusteigcn, so ost sic wollten, wurde es ihnen gleichgültig; sie sehnten sich wieder nach ihrer Heimat, und nach Verlauf eines Monats sprachen sic, daß cs unten bei ihnen doch am aUerschönflen sep, und nur dort fühlten sic sich so recht zu Hausc. Zn mancher Abendstunde faßten die fünf Schwestern sich unter die Arme und stiegen in einer Reihe auf die Oberfläche; sic hartcn liebliche Stimmen, schöner als irgend ein Mensch, und wenn dann »in Sturm heraufzog, so daß sie dachten, di« Schiffe müßten stranden, schwammen sie vor diesen her und sangen so rührcnd, wie reizend es auf rem MecreSgrunde wäre, und baten die Seeleute, nicht bange zu seyn und zu ihnen herab zu kommen; aber diese konnten die Worte nicht verstehen, sie glaubten, eS wäre der Sturm, und sie bekamen auch die Herrlichkeiten da untcn nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen und kamen nur als Torte zu des Sce- königS Schloß. Wenn die Schwestern so des Abends Arm in Arm hoch durchs Meer hinaufsticgen, dann war die kleine Schwester allein zurückge blieben, dann sah sie ihnen nach, und sic hätte am liebsten weinen mögen, aber dik Seejungfcr hat keine Thränen, und darum leidet sie viel mehr. „Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahr!" sprach sie, „ich weiß, daß ich die Welt dort oben und die Menschen, die auf ihr bauen und sie bewohnen, recht lieb gewinnen werde!" Endlich war sie nun ihre fünfzehn Jahr alt. „Sich, nun wirst Du los kommen", sagte ihre Großmutter, die alte Witwe-Königin. „Komm her, laß mich Dich putzen, wie Deine andcren Schwestern!" Und sie setzte ihr einen Kranz von weißen Lilien aufs Haar, aber jedes Blatt an einer Blume war die Hälfte von einer Perle; und die Alte ließ acht große Austern sich an den Schwanz der Prinzessin fest klemmen, Vie ihren hohen Rang be weisen sollten. „DaS thut ja so weh!" sagte die klemc Secjungicr. „Ja, Hoffahrt will Zwang haben!" sprach die Altc. O! sie hätte so gern alle diese Pracht abgcschüttclt und den schweren Kranz weggelcgt; ihre rothen Seeblumen kleideten sic viel besser, aber sie durfte eS jetzt nicht thun. „Leb wohl", sagte sic und stieg so leicht und luftig wie eine Wasserblase. Die Sonne war eben untcrgcgangen, als sic ihren Kopf über daS Meer hinaushob; alle Wolken schimmerten noch wie Rosen und Gold, und mitten in dem blaßgerötheten Himmel strahlte der Abend- stern so klar und so schön, die Luft war mild und frisch und die See ganz ruhig. Ein großes Schiff mit drei Masten lag auf der selben, eS war nur rin einziges Segel aufgezogen, denn nicht ein Lüstchen frühes« sich, und die Matrosen saßen überall im Tauwerk und auf den Stengen. Musik und Gesang tönte davon herüber, und da es Abends dunkel wurde, zündeten sic hundert buntfarbige Laternen an; es sah aus, als wcnn die Flaggen aller Nationen in der Luft wehten. DaS Seejüngserchcn schwamm bis zum Kajüten fenster bin, und jedesmal, wenn sie die Wellen in die Höhe hoben, konnte sie durch die spicgclhellcn Scheiben hincinschcn, wo so viele geputzte Menschen standen; aber der schönste unter ihnen war ein junger Prinz mit großen schwarzen Augen, er war wohl kaum über sechzehn Jahr, eS war sein Geburtstag, und darum geschahen alle diese Feierlichkeiten. Die Matrosen tanzten aus dem Verdeck, und alS der Prinz heraustrat, stiegen Hunderte von Raketen in die Höbe, di» wie der Helle Tag leuchteten, so daß dir kleine Seejungfrau sich ganz »rschrak und untertauchte; doch steckte sie ibr Köpfchen gleich wieder hinauf, und da war eS, als wcnn alle Sterne vom Himmel aus sic hcrunterfielen. Niemals hatte sic ein solches Feuerwerk gese hen. Groß« Sonnen schwirrten im Kreise, prächtige Fcuerstsche schwgngen sich durch di» blaue Luft, und Alles spitzelte sich in der klqren, ruhigen Sce. Aus dem Schiff selbst war eS so hell, daß man j«d»S kleine Tau sehen konnte, natürlich auch die Menschen. O, wie war doch der jungt Prinz so schön, und er drückte den Leuten die Händc, lachte und frcute sich über dir schöne Musik, dir in die herrliche Nacht hinausklang. (Fortsetzung folgt.) Tscherkessien. Herr Dell und die Tscherkessk». (Schluß.) Di« bräutliche und Ehestands-Etikette der Tschrrkessen bat viel Eigcmhümlichcs. „Bor einigen Tagen bat Jungfrau Disscbli's Bruder seine Braut heimgcsührt, und heule sind alle junge Freundinnen der Fa milie mit Kuchen und Konfitüren zu ihrer Begrüßung aufgebrochcn. Bor der Trauungs-Cercmonic darf die Brant ihr Zimmer nicht ver lassen, und dem Bräutigam steht eS in dieser Periode nur bei nächt licher Weile frei, snnc Zukünftige zu bcsuchen; bei Tage ist cs ibm streng verpönt. Selbst die Thür seiner Acltern bleibt ihm verschlossen bis zum Hochzeitstage, an welchem er sie mit einem Ochscn, einem Schaf, oder einer Ziege beschenkt. Bei der Geburt des ersten Soh nes und oft auch der folgenden Söhne wiederholt sich die Festlichkeit lwclchc?); der junge Ehemann muß aber Jahre lang von seinen Kindern getrennt bleiben; ja, er dars nicht einmal seine Acltern an- rcdcn, wenn die Kinder der ihnen sind. Das letztere wunderliche Verbot hat jedoch nur bei der Aristokratie Gültigkeit Die Vor nehmen und Reichen übergeben ihre Kinder bald nach der Geburt einem Erzieher, der sie bis ins zehnte oder zwölfte Jahr in Obhut nimmt. Wie Potozki sagt, so wurden dem Erzieher vormals, wcnn sein Pflegebefohlener starb, die Obren abgelchnitten; dieser Ge brauch ist aber, wenn er wirklich jemals beständen hat, schon lange abgcschafft." Ehescheidungen machen bei den Tscherkcssen keine vmsiände; man hort abcr selten davon, ha die mcistcn Ehcn glücklich sind. Wir lass»« NnscrcN Autor zuck Schluff« ein glückliches und wür diges Paar schildcrn, bei dem cr einig« Wochen lang gastfreie Auf- nähme fand. „Herr und Frau Hattav, meine jetzigen Wirth«, geben ein erfreuliches Beispiel, wie bei «inen so rauhen und kriegerischen Volke die gegenseitige Anhänglichkeit zweier Gatten den Rausch der Jugend überdauern kann. Beide lirden und achten einander nicht bloß darum, weil sie Mann und Wcib sind, sondern vornebmlich, weil der Cha rakter Beider Achtung und Liebe verdient. Hattav ist rin guter Muhamedaner, ein sehr tapferer Krieger, ein srcundtlchcr Gemahl, ein edclinüthigcr Freund und in öffentlichen wie in Privat-Angclc- cheiten ein thatigcr, rühriger Mann — sein Weib eine zärtliche, hei tere, kluge und ihrem Hauswesen mit Eifer vorstedendc Frau. Ich glaube, daß dieses Paar zu den bravsten der vi«len braven Leute gehört, dic ich in Tscherkessien kennen gclernt; darum wird der Lcscr mir verzeihen, wenn ich noch länger bei ihnen verweile. Herr Hat tav ist athletisch gebaut, ungefähr 5l> Jahr alt und mit einer Miene voll kühnstcr, Entschlossenheit. Sein« große massiv« Habichtsnase ragt zwischen den feurigen Augen hervor, wie ein stattliches Kap zwischen zwei Signal-Feuern. Er ist kein Grqncr, der mit sich spielen läßt, selbst nicht auf dem Gcbicte des Witzes und Scharfsinnes; denn seine Antworten gleichen oft dem cinschlagenden Blitze, und er berück, sichtig! nur dasjenige, was gesprochen wird, nicht aber die redende Perlon. Hattav wäre der rechte Mann, um «inen dünkclvollen Gcücn zu entlarven und der Welt zu zeigen, welches sein wahres Kaliber ist." „Er batte mich dringend einladen lasse», ein paar Wochcn lang bei ihm fürlieb -u nehmen, und sobald kr in das HauS der Gäste trat, wo ich in seiner Abwesenheit angrkommen war, umschlang cr mich mit seinen Boa-Constrictor-Armcn, drückte seine massive Nase in mein Gesicht und küßte mich auf beide Backen. Darauf ging er und trieb seine Frau aus ihrem besten Zimmer, dem einzigen kom fortablen Gemache, das ich im ganzen Lande kennen gelernt; denn es ist wasserdicht — di« Fenster-Orffnungen auSgenommcn, die mein Wirth mit Papier verkleben ließ — und ein großer irdener Ofen gicbt ihm Sommer-Temperatur — eine gar angenehm« Sach« in h«r jetzigen Kälte. Beim Eintretm sagte er mir im bicderflen Tone: „Dieses Zimmer betrachtet als Euer Eigenthum"; und seitdem beweist «r mir alle erdenkliche Aufmerksamkeiten: cr hält mein Gemach in Ordnung, reinigt meine TabackSpfeif«, leistet mir Gesellschaft und bittet mich wiederholt, ihm doch zu sagen, waS ich gern essen möchte. Auch bat cr mir zu Ehren eine Jagdpartic verabredet, und sein Ncffe ist auf snncn Befehl eine Tagereise weit geritten, um ein Stück Leder zu holen, dessen ich zur AusbeckeruNg meines Reiserocks bedarf. Was seine Nase betrifft, so sagt er, sic sep von cincm Schlage so aufgeschwollcn, den er bei Gelegenheit einer Jagd am Kuban im verzweifelten Kampfe mit einem Anderen bekommen habe." „Hattav'S Frau ist ein schönes, kräftig gebautes und sehr leb- hasteS Weib von ungefähr 40 Jahren; sie trägt eine prächtige seidene Robe und einen Schleier aus weißem Musselin. Am ersten Abknd wurde sie mir vorgcstellt, damit ich die Rolle des Arztes bei ihr spielen, d. h. einen heftigen Kopfschmerz, von vcm sic befallen war, kurircn sollte; aber schon am zweiten Abend kam sie allein, setzte sich neben mir nieder, faßte meine Hand und sagte mir, sic sep ordentlich verliebt in mich, denn ich hätte sie durch bloßes Fühle« ihres Pulses von dem Kopfweh befreit! Solche Wunder wirkt die Einbildung. Jetzt kommt sic öfter, bald mit, bald ohne ihren Mann, und sagt: „Legt Euer Papier bei Sette; Ihr habt genug gefchrie- ben, und ich besuche Euch, um vergnügt zu sepn." Hattav sagt mir