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SW men sind, der, weil er sich nicht in derselben Lagt wie wir befindet, die Leidenschaft, die uns beseelt, nicht zu theilcn vermag, so mildern wir instinktmäßig die äußeren Zeichen dieser Leidenschaft, wir bc- müh-n uns, sie so weit zu beruhigen, daß unser Seelenzustaud mit dem deck Anderen sich ausgleicht. Dieser Letztere dagegen bemüht sich seinerseits, seiner Empfindung, die nur sympathetisch ist, einen Grad von Stärke zu geben, der sie mit der unsrigc» in ein Niveau bringt. Diese Bemühungen gelingen zwar selten vollständig, die Erregung der Seele des Zuschauers bleibt gewöhnlich hiutcr der des Individuums, das direkt, sür seine eigene Rechnung ergriffen ist, zurück: nichtsdestoweniger ist dieses Bedürfniß, das zwei mensch liche Geschöpfe empfinden, die Lücke, welche die Empfindung des Einen und die Sympathie des Anderen von einander trennten, aus zufüllen, ein sehr reelles Phänomen, das in allen Momente» unseres moralischen Lebens hcrvortriti. Wer nntcr uns ist, der, von einem glühenden Enthusiasmus beseelt, denselben nicht zu mäßigen sucht beim Anblick eines Zeugen, dessen Charakter kalt und wenig sympa thetisch istf Und dieser Zeuge, steigert er Niwt schon ans Gefällig keit die Zeichen seiner Sympathie, so daß Jeder von Beiden dem Anderen gleich viel Schritte entgegen macht, bis sie sich genähert haben? Dies sind im Auszuge Vic Bemerkungen, weiche die Einleiinng zu Smith'S moralischer Theorie bilden. Vicior Cousin. Italien. Die Dauern der Romagna. (Fortsetzung.) Bauern hätten ein gut Leben, wenn fie's wüßten, sagt das Sprüchwort. Wenn sie's aber wüßten, so hätten sie's eben nicht. Die Kenner der Vorzüge, welche solch Leben haben kau»/ genicßen ihrer nur auf eine ideale Weise und führen nicht das gewünschte Lebet« selbst, denn diese Vorzüge, die Unmittelbarkeit des AuschauenS und Ergresscns, die Einfalt der Begierden und Genüsse, oaS unbe fangene Begnügen, innerhalb natürlicher und enger Schranken, alle find sie verloren dem, der über sie zu reflcktircn sich gemaßiget findet und so schon über die Beschränkung und Unmittelbarkeit selbst hinaus ist. Die Horaze und Sanazarc entzücken sich und ihre idyllisch ge stimmten Zuhörer in nichts Anderem als einem ländlichen und schäfer- lichen Dilettantismus, aber das Bäuerlichen, das wirkliche, hat seine eigene Poesie, deren Inhalt aller Rcichlhum der «»entfalteten, kind lichen Vorstellungen, Empfindungen und Interessen, deren Form der tmdcwußte und in göttlichem Selbstgenügen sich wiederholende Ver brauch derselben, deren Hauptfigur der durchgreifendste Kontrast ist. Der Bauer ist immer zufrieden und läßt nimmer ab zu klagen. Sein Gewinn liegt immer in der Ferne, und er denkt und will stctS nur das Nächste. Sein Glaube trachtet nach dem Wunderbarsten und befriedigt sich im Gemeinsten. Sein Verstand, welcher der geradeste ist, verarbeitet die stärksten Widerspruche. Er ist trag und obstinat, bornirt und schlau, mißtrauisch, als Liebhaber und Gatte eifersüchtig und Alles zum Uebeln zu deuten geneigt und doch so leichtgläubig; er ist eigennützig, aber gastfrei; er ist gutmüthig und jeden Au genblick zum Zorn bereit. Was der Bauer überall ist, das ist er natürlich da am «leisten, wo noch keinerlei Art von Aufklärung an ihm gemeistert hat, wo diejenigen, die zum Erzieher berufen waren, kein anderes Mittel als Aberglauben, um zur Devotion zu führen, kennen. Der Haushalt eines Bauer» in der Romagna hat etwas Patriarchalisches. Der Arzvor (Verwalter, r>-ggicnro), das Familien haupt, lenkt das Ganze, ordnet Feld- und Hauswiribschast und ge bietet unbeschränkt, wen» etwa nicht durch weibliche Künste die Frau Arzdora das Regiment, das aber immer dem Name» und der Ebre nach au dem Manne haftet, i» ibre emfigcn Hände gespielt hat. Lie Kasse verwaltet alle Zeit der Arzdor selbst, nimmt ein, was die Arzdora vom Markte als Rest dcS Erlöses für Käse, Grünzeug, Eier, Federvieh und anderen Kram, nachdem sic ihre Einkäufe an Ocl, Salz und derartigen Bedürfnisse» gleich in der Stadt gemacht hat, heim bringt und gicbt, was zur Bestreitung sonstiger Ausgaben er. fordert wird, einzeln heraus. Das Zeichen seiner Würde, welches in dcn guten alten Zeiten ihn überall kenntlich machte, die weiße Zipfelmütze, ist in dieser Zeit der selbst auch dort schon hierin merk lichen Veränderlichkeit säst zur Seltenheit geworden, so auch das Spitzentuch, die vlnri», mit darüber bcscstigtcm Deckel von Stroh ovcr Kork, ohne welche ehedem keine Arzdora sich blicken licß. Ein anderes wichtiges Attribut des Arzdor ist der linnene Quersack, mit welchem er zur Stadt geht. Dieser Quersack, dessen Besitz das Vorrcchl dcS Arzvor ist, bat seine große unv symbolische Bedeutung in unsere Tage herüber gerettet. Wenn der Arzdor, alt und schwach geworden, von seine» Mühen auszurnhen sich entschlieft, so verfam- mclt er die ganze Familie, Weib, Kind, Knecht und Magd und läßt seinen m.nnuwl», dcn ältesten Buben, in die Mitte des Kreises treten. Hier legt er ihm feierlich den Quersack auf die Schultern, durch welchen er das HauSrcgimcnt ihm überträgt, und spricht dazu: Kerst, iml! rli'ac urrustw ü'eä. „Da, mein Sohn! ich hab' dich zum Arzdor gemacht hiermit." lind unter den Begrüßungen und Glück- wünscheu^der Familie fügt er hinzu: Mn.' stnm-, guonü GimMir »Ila rittr», «o in stuf bteuuest tai murr gnöül-cn^n par mr, all' svrö rkrara, m- »ä >g v,0 ya'/ssnu „Mach Dir Elre! Wenn Du zur Stadt gehen wirst, und willst in fothanen Qucrsack etwas für mich stecken, wird mirs lieb sevn, wo nicht, werd' ich auch Nachsicht haben." Bon nuu an kümmert sich der Alrc um Nichts, was die Lcmdwirtb- schast unv oas HanS angeht, spaziert im Garten oder sitzt vor dem Thor auf der Bank, bis er zu Bett geht, ißt und trinkt, was ihm vorgesetzt wird, und spricht auch in Familien-Angelegenheiten nicht anders als etwa freundlich rathend mit. Wenn unter den Geschwi stern Streit vorsällt oder irgend sonst Jemand sich auf ihn beruft, so sagt er ruhig: an lm »i<> «l stimm st, „ich hab' dcn Quersack nicht mehr." Vnlrev' » qnnl, <-st»„li st» avnüi, zmrclw ü» I» «ol »So«»/ av! <la -iipcnüor. „Wendet euch an den, der ihn erhalten hat, denn unter ihm allein stehet ihr jetzo." Unter den Töchtern nimmt die Äelteste, die mmmn.ck», ebenfalls einen gewissen Vorrang ein; sie geht der Mutter in allen Dingen zur Hand und übernimmt, wenn diese hinfällig geworden, gleich wie ihr ältester Bruder vaS allgemeine Regiment, so an der Mutter Statt die Besorgung der HauSwirthschaft. Auch für Vie Knechte besteht eine Art von Jiang- Ordnung. Obcrknecht ist der I>i»igst (man spricht in Toskana Kifolcn) welcher vie Ochsen, die Karren, das Ackergerät!» in Hut hat, pflügt, säet und allerlei Feldarbeit verrichtet. Der '/.mstm«,- (sonderbar: Schwätzer, Plaudercr, «-»»lawro) besorgt Vic Ställe, schüttet Futter auf und treibt das Vieh aus. Ein Junge, welcher nach dcn Schwcincu siebt unv verschiedene Handdienste leistet, wird gewöhnlich gnarüstmn geheißen, in einigen Dörfern aber „der calmcco," vcr- muthlich deshalb, weil die Arbeiter ihn zum Einholcn von Taback und anderen kleinen Bedürfnissen gebrauchen. Arbeiten mögen, wie auch anvcrwäris, die Knechte gern recht wenig und machen sich'S gern leicht und bcqucm. Olli »nn t'a »»» fall", sagen sie, o cbi »NII men» st» n'ai lnint» carca, d. h. „Wer Nichts thut, macht Nichts krumm, wer dcn Farren nicht treibt, wirft den Karren nicht um." Wenigstens Alles mit Weile, k bö (»gar « onulliM' css <- r»r. „Der träge Ochs führt den Karren doch beim." Aber essen mögen sie so viel nur immer möglich. Sie haben dcn Spruch: kstssnv goils, üö nl-xm/ni lmee», UN' al V.I :> o c»c, mancst qngttcr ugnin ros. „Ein Ei ist kein Ei, Zweie macht Maulspitzen, Dreie mundet, min der denn Vier mag Keiner." Laß dir Zcit^und iß Brod zu, dies ist Vie Summe ihrer Lebensweisheit. Ja, sic verstehns noch besser als Griebels Schlosscrgcscll, der da meint: „Wenn Ancr müscht de ganze Tag in an Stuck frcsse fort, 'S würd a zolctzt so langsam gehn, aS wie beim Feile kort." Denn beim Aerudten unv Heuen, wofern mau nicht will, daß sic die Arbeit liegen lassen oder gar davonlaufen, muß nia» ihnen Tages siebenmal zu essen geben, zuerst früh, eine Stundc nach Aufstehen den Jnbiß, das ponmio, Bros und Schwcin- schnitte, Vann das Frühstück, die nallnrän», in Fritten von Fleisch, Kalbsleber und Eiern nebst eingekochtem Huhn bestehend, um Mittag die pr-ni/o, wozu Nudeln gehören, gesottenes Rindfic-isch, Puten und Hühnerbratcn; nach diesem die morooS«, nämlich Frittellen (Qclge- backncs), wieder eingekochtes Huhn und Salami: bald darauf ein merowllra von Fritten; zur oonn Abend-Schinken, Salat und Torte und endlich nach dem Tanze nochmals Hühnerbratcn. Den Wein tragen zwei HanSleutc ihnen unablässig in großen Krügen ;n; so oft cin Krug anlaugt, wird geschwind einmal herumgtkostet und, wenn der Wein gut ist, dem Herrn cin jnbclnveS kwivs dargcbracht. Wohl ieblt ihnen das Gewissen nicht, daß, wer erlangen will, was ibm gebührt, auch, was ihm selber zukommt, leisten müsse. Dies hat ihre Spruchweisbeit als „das Vollkommene", als eine Grundmarime aus. gedrückt, denn Auxomma e pnrfcit pflegen sie zu sagen: ltunl t'f« o gnB u.-ipe-tt, „Erwarte, daß man Dir mit Deinem Maße mißt", oder: „Thu' wie du willst, daß man dir thuc". Aber gleich jenen Pre digern, die da zeigen, das Gehalt für- Predigen, nicht fürs Thun zu haben, finden sie'S bequemer, die Ausübung solcher goldenen Regel ihren Herren zuzuschicbeu und sich selbst mit Pfiffigkeit hinter einen guten Schein zuzurückzuzichn Sie haben auch dafür ihren VerS: ro ko», NX«:, Pftnge tu gut, rstä-e schlecht, k«u r -LoNk-uPflüge nur den Feldraud recht; o p»ieo„ - reu > vss Wenn der Herr kommt nachmsehn, Iim'o cxiiwnl u, mott Bleidt er an dem Aewrand fttbn. Die Arzdore gehen in allem diesem mit ihrem Beispiele fleißig ihnen voran. Zu rechter Zeit Fasten-Kringlein ober HimmelfahrtS- Käse zu eisen und am letzten Karnevalcktagc die vollen sieben Mahl zeiten zu halten, oder zur Metzclsuppe Gevattern und Freunde zusam men zu bitten, vcrgcssen sie niemals, doch wenn cs Zeit ist, irgend eine besondere.Arbeit des Jahres zu beginnen, warten sie am lieb sten ab, was wochs vcr Nachbar thu» wird. Kommt dann der Guts herr und findet sich über Lersäumniß zu beschweren, so heißt es mit Achselzucken: Oah, der Nachbar hat noch nicht angefangen. Zwischen Viaüo und 8ooon: d. i. zwischen April und Mai, pflegt cS zu gesche- den, daß sie zur Aussaat nicht Korn genug bereit haben. Dann gilt es, dcn Gutsherrn zu bewege», daß er mit Vorschuß aushelfe. Der Arzdor nimmt seine» Qucrsack aus die Schultern, und geht in die Stadt. Er wendet sich aber weislich nicht sogleich an den Herrn, cr spricht zuerst ganz früh bei dessen Schwäher oder Gevatter vor. Da erzählt cr beiläufig Ob! K« purmetr mai ben e raccalt: O, es verspricht ein gesegnet Jahr zu werden. O'bclla Oampagns! ^runn nsn üllatr in <sschnnÜLn'/m! „Welch schönes Feld, cS wird dies Jahr Alles in Ucbcrfluk kommen." uv» ,-lm gli l«> »l "s. „Wie viel Trauben haben die Stöcke." Er setzt voraus, der Freund werde nicht crmangcln, dcn Guishcrrn, mit dem cr vermuthlich gleich im Kaffcc zusammen kommt, die gute Botschaft cilcndS mitzuthcilen. Nun tritt cr selbst bci scincm Herrn cin; langsamen Schrittes aus Ebrcrbietung geht er auf ihn zu und läßt die Thürc hinter sich offen, lüftet den Hut ei» paarmal und kratzt dcn Kopf, bevor er zu rcdcn anhcbt. Nicht ohne viel Umschwcif kommt cr zur Sacht; er schmei chelt dem Herrn, so gut erS vermag; i» den beweglichsten Worten, die cr ersinnen kann, trägt er sein Anliegen vor und bettelt aufs dcmüthigste »j ist die au-r acjogcui Kandsurchc dcS Ackcr».