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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Prei« 22 j Sgr. Tdlr.) »iert-ljähriich, 3 Tdlr. für da« ganze Jahr, ohne Er- dibung, in allen Tdeiün der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in ter Expedition ter Allz. Pr. StaatS-Zcitung (Friedrichsür. Rr. 72); in der Prorinj so «eie im Anslande bei den WohllSbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 124. Berlin, Mittwoch den l4. Oktober 1840. Frankreich. Die Verhältnisse der arbeitenden Klassen in Paris. Bon Granicr de Cassagnac. So viel uns auch Vie politischen Zeitungen über die jüngsten Bewegungen der Pariser Arbeiter erzählt, so wenig haben sie uns doch über den eigentlichen Gehalt der Beschwerden, welche diese Be wegungen hervorgerufen, Aufschluß gegeben. Dies unternimmt nun Herr Granicr de Cassagnac, der die Geschichte der arbeitenden Klassen zu seinem besonderen Studium gemacht, in Briefen an den Fran zösischen Minister des Innern, in welchen sowohl die Lage jener Arbeiter besprochen, als über die Verfassung der Gewerke überhaupt mancher gute Wink gegeben wird, ein Gegenstand, der ja auch bei uns neulich vielfach zur Sprache gekommen. Wir werden daher das Interessanteste und Belehrendste auS diesen Briefen mittheilen. Nach dem der Verfasser in der Einleitung bemerkt, er halte sich nach den umfassenden Studien, die er darüber gemacht, zu einem gründlichen und unparteiischen Urtheil über die Lage der Arbeiter vorzüglich be rechtigt, fährt er fort: „Die Arbeiter haben dreierlei Beschwerden erhoben: erstens be klagen sie sich über die sogenannten MarchandcurS oder Unternehmer zweiter und dritter Klaffe; zweiten» verlangen sie, daß das Arbeiten auf Akkord aufhöre und bloß nach Tagelohn gezahlt werde; drittens endlich soll Niemand über das Tagewerk hinaus arbeiten; diese Arbeit der Ruhe- und Erholungsstunden soll denjenigen ihrer Kame raden, die gerade ohne Arbeit find, Vorbehalten bleiben, damit auch diese sich etwas verdienen können. Die Arbeiter haben diese ihre Beschwerden auf ein Felo vcr- pflanzt, wo sic nicht hingehöreu, auf die Straße; diese Art der Bc- schwerdeführung mußte die Obrigkeit abweiscn, aber damit hat sie die Beschwerden selbst nicht beseitigt, noch ihren Gehalt einer Prüfung unterworfen, worauf es doch hauptsächlich ankommt. Ich meinestheils bin überzeugt, daß die Beschwerden der Arbeiter durchaus nicht so ungegrünvct sind, als es scheint. Damit soll nicht gesagt seyn, daß ihre Klagen ihrem ganzen Umfang nach zu recht fertigen find, oder daß sic einen richtigen Begriff von ihrer Lage haben, oder daß das vorhandene Uebel sogleich verschwinden würde, wenn man ras thäte, was sie verlangen; am allerwenigsten sage ich, daß sie Recht haben, Paris aufzuregcn, den Handel zu stören und würdige Diener der öffentlichen Gewalt, die nur ihre Pflicht thun, zu ermorden; aber ich sage, daß sich in ihrer Lage Mißbräuche finden, unter welchen sie zu leiden haben, Mißbräuche, von deren Ursprung und Bedeutung sie sich nicht klar Rechenschaft geben, aber deren schädliche Wirkungen ihr gerader Verstand richtig fühlt und ausspricht. Um die erste der oben angeführten Beschwerden zu verstehen, ist rS vor Allem nöthia, einen Begriff von dem Wesen der Marchan- deurs zu geben. MarchandcurS sind einfache Handwerker, die ans ihre Rechnung kleine Theile einer großen Arbeit übernehmen. Bei Häusern ;. B. nimmt ein Arbeiter die Treppe, ein Anderer die Thüren gewissermaßen in Unterpacht. Diese Handwerker, die keine große Werkstätten und nur kleine Kapitalien haben, müssen damit um so sparsamer zu Werke gehen, als der General-Unternehmer, indem er einen Theil seiner Unternehmung ihnen überließ, schon au ihnen verdient haben muß. Da der Tagelohn in jedem Gewerke genau bestimmt ist, so kann der Marchandeur keine gewöhnliche Handwerker, d. h. solche, die das Handwerk schon kennen, in Dienst nehmen, denn er würde dann in daS Berhältniß des General-Unter nehmers zurücktreten, nur mit dem Nachtheil, daß dieser schon seinen Gewinn sich vorweg genommen. Daher nimmt der Marchandeur nur ungelernte Handwerker, die das Handwerk noch nicht kennen und denen er einen geringeren und willkürlichen Lohn zahlt, da sie nicht geschickt genug find, «m ans den allgemeinen Lohn Anspruch machen zu können. Und zwar verfährt er dabei folgendermaßen: die gröberen Theile der Arbeit läßt er sie allein machen; die schwie rigeren Theile dagegen, die nur ein gelernter Handwerker vollenden kann, läßt er unter seinen Augen machen, indem er ihnen hüifreich zur Hand geht, ihnen sagt, wie fie's machen sollen, oft auch selbst Meißel und Feile nimmt und kurz Aufsicht und Anstrengung nicht spart, eine todte, unerschöpfliche Waare, von der er verkauft, so viel er kann, woran er übrigens sehr wohl thnt. So wird cs bei diesem System der MarchandcurS überflüssig, die Handwerke ordentlich zu erlernen, da ja jeder Arbeiter, so unwissend er auch seyn mag, immer noch zu etwas gut ist und sich gleich Geld verdienen kann, ohne je etwas gelernt zu haben. DaS Lchrlingswcsen mit bestimmten Be dingungen und Garautiecn wird also durch die MarchandcurS voll kommen unterdrückt. Indem man aber die untergeordnete Stellung der Lehrlinge aushcbt, hebt man auch die höhere der Meister auf, d. h. man wirft das entsetzlichste Chaos in die Gewerke. Was würden die Advokaten und Aerzte, die so lange und kostspielige Studien gemacht und ein ordentliches Eramen abgelegt, sagen, wenn alle Welt sich das Recht aumaßtc, zu plaidiren mid zu heilen, unter rem Vorwand, Jeder habe das Recht, seine Gesundheit und seine Geschäfte anzuvertrauen, wem er wolle? In einer ähnlichen Lage besinnen sich die gelernten Handwerker jenen Eindringlingen gegen über. Doch gehen wir näher ein in die Folgen dieses Verhältnisses, so werden wir finden, daß die Unterdrückung des LehrlingSstandeS dem individuelle» Interesse eben so sehr nachtheilig ist, als dem all gemeinen. Die MarchandcurS nehmen allmälig alle Werkstätten ein, begleitet von einem Schwarm ungeschickter und schlecht bezahlter Arbeiter, die doch zufrieden und glücklich find, mit Handwerken, die ihnen weder Zeit noch Mühe gekostet haben, ihr Brod zu verdienen. Die guten Arbeiter, die, welche ihr Handwerk mühsam erlernt, in dem sie alle Stufen desselben durchmachten und ssch seine Regeln merkten, sehen sich also durch Pfuscher verdrängt, die sehr bullig arbeiten können und die doch meist unter Aufsicht und Leitung dcr Marchandeurs eine leidliche Arbeit zu Stande bringen. Bei dieser den guten Arbeitern durch die schlechten bereiteten Konkurrenz seben sich also Jene genöthigt, entweder keine Arbeit anzunehmen oder sich mit einem viel geringeren Lohn zu begnügen. ES ist also klar, daß bei dem jetzt allgemein herrschenden System dcr Bermicihung dcr Arbeit au die MarchandcurS die guten Arbeiter durch die schlechten verdrängt und durch die zu große Zahl der Mittclleutc, die sich zwischen dem zahlenden Konsumenten unv dem probuzircuden Arbeiter cindrängen, dcr Verdienst.dcr Arbeit verrin gert wird. Ich will nicht sagen, daß die guten Arbeiter in der gegenwärtigen Krise sich von selbst erhoben, und daß sie sich nicht von Schwindelköpfcn und Aushetzcrn verführen ließen, aber ich sage, daß die Presse nnt Unrecht behauptet hat, die von den Pariser Ar beitern erhobenen Beschwerden gingen nur von den Widcrspänstigcn, Trägen und Unwissenden auS; das ist ein Jrrthnm und eine Unge rechtigkeit, denn diese Beschwerden sind gerade im Gcgentheil die Sache der guten Arbeiter, die von den schlechten verdrängt und ruinirt werden, indem die Letzteren jene zwingen, sich in einen niedrigen Lohn zu füge» oder keine Arbeit anzunchmcn. Ich sage dies ganz offen und entschieden, denn es ist die Wahrheit. Ich kann weder den Männern dcr Regierung verdächtig seyn, die ich immer vcrtheidigt habe, noch denen der Unordnung, die ich immer bekämpft. Man ficht also, daß die Unterdrückung des LehrlingSstandcs dem individuellen Interesse in der Person der gute» Arbeiter nachtheilig ist, welche lange Zeit gebraucht, ihr Gewerbe zu lernen, und alio nicht so billig arbeiten können, als die ungelernten, wozu noch kommt, daß cS einem aufgeklärten und weise regierten Lande nicht ziemt, eine große Menge Individuen sich einem Beruf widmen zu lassen, iu welchem sie keinen Platz finden können, da derselbe schon von Anderen, die sich nicht dazu vorbcreitcn, eingenommen ist. Ich werde jetzt zeigen, daß das Aufhören veS LchrlingswescnS die allgemeinen Interessen nicht weniger verletzt. DaS Erlernen der Handwerke überflüssig machen, heißt ganz einfach, sie vernichten, denn mau nimmt ihnen damit die Arbeiten und Studien, durch die sie forklchrciten, und die Garantier», auf die sie sich bisher stutzten. Statt Maurer, Schlosser, Zimmerleute, die ihr Handwerk ordentlich studirt und die Regel» desselben gründlich kennen, wird man mit dcr Beseitigung dcS Lchclingswescns in wenigen Jahren nur cine unwissende und ungeschickte Menge von Stein-, Eisen- und Holzpsuschern haben und nicht einen ordentlichen Hand werker. Die Trümmer der alten Architektur können aus einander fallen, cs wird nicht einen Maurer geben, dcr sie wiederhcrstellen kann; die Reste der wunderbaren Schlosserei dcS l7tcn und lfiten Jahrhunderts können sich abnutzen, eS wird keinen Schlosser geben, der sie auSbcffern kann; die herrlichen „Wälder" unscrcr alten Kathe dralen können vom Blitz zerstört werden, und kein Zimmermann wird sich finden, dcr ihre eleganten unv soliden Zufamnicnstellungcn rckon- struircn kann. Ach Gott, diese ganze herrliche Baukunst, dcr Ruhm der Handwerker des MiltclalierS, zerfällt jetzt in erMimcr. Ich