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Seit einer Stunde befand er sich daselbst, ohne daß einer von denen, welche die Neugierde herbeigezogen, ihn erkannt, als einer von den Besuchern im Weggehen bemerkte, dieser Mann scheine ihm Catinat sehr ähnlich zu seyn; dies hörten einige Kinder in der Nähe, und sofort liefen sic durch die Straßen und schrieen: Catinat ist ge fangen, Catinat ist gefangen! — Diese Nachricht zog eine bedeutende Menge nach der Wache, und unter dieser Menge war ein gewisser AnglLjas, der, nachdem er den Gefangenen genauer betrachtet, sagte, daß er ihn wiedererkenne, und daß dies wirklich Catinat fey. Sofort wurde die Wache verstärkt und der Gefangene durch sucht. Ein Psalmenbuch mit silbernem Schloß und ein Brief, den man bei ihm fand, mit der Aufschrift: „An Herrn Maurel, genannt Catinat", ließen keinen Zweifel übrig; überdies gestand der Gefan gene selbst, um den lästigen Nachsuchungen ein Ende zu machen, er sey Catinat. Sofort wurde er unter guter Eskorte nach dem PalaiS geführt, wo Herr von Baville mit dem Landgericht an Ravanel'S, Villas' und Jonquet'S Verurtheilung arbeitete. Als er diese Nach richt erfuhr, war der Intendant so erfreut, daß er, noch nicht an einen so wichtigen Fang glaubend, aufstand und ihm entgegenging, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß eS Catinat selbst sey. Aus dem Palais wurde Catinat zu "dem Herzog von Berwick ge führt, der verschiedene Fragen an ihn richtete, die Catinat beant wortete; dann sagte der Gefangene dein Marschall, er habe ihm etwas Wichtiges im Geheimen zu sagen. Der Herzog scheute sich nicht, mit Catinat unter vier Augen zu bleiben, ließ ihm aber vorher die Hände fest binden und befahl Sanvricourt, sich nicht zu entfernen. Als er mit dem Marschall und Saudricourt allein war, schlug Catinat die Auswechselung seiner Person gegen die des Marschall Tallard vor, der Kriegsgefangener m England war, indem er hinzufügte^ daß, wenn man hierein nicht eingehe, der Marschall Tallard dieselbe Be handlung erfahren würde, wie er selbst. Herr von Berwick, bei der aristokratischen Gesinnung, in der er auferzogcn war, fand diesen Vorschlag so unverschämt, daß er ihm sogleich antwortete: „Wenn Du keinen besseren Vorschlag zu machen hast, so verspreche ich Dir, daß Du in einigen Stunden nicht mehr auf dieser Welt sepu wirst." Demgemäß schickte der Marschall den Catinat in das Palais zurück, wo sein Prozeß in der That foglcich beendigt ward. Der der drei Anderen war schon fertig, und es fehlte nur noch das Urtheil. Cati nat und Ravanel, die Schuldigsten, wurden verurtheilt, lebendig ver brannt zu werden; einige Räche hatten dafür gestimmt, daß Catinat von vier Pferden zerrissen werde; aber die Majorität hatte für das Feuer gestimmt, weil diese Strafe „länger, heftiger und schmerzlicher sep, als das Zerreißen." VillaS und Jonquet wurden verurtheilt, lebendig gerädert zu werden, doch mit dem Unterschied, daß der Letztere lebend in den Scheiterhaufen Catinat's und Ravanel'S geworfen werden solle. Ueber- dies sollte noch jeder von den Verurtheiltcn auf die ordentliche und au ßerordentliche Folter gelegt werden. Catinat, der von heftigem Tempe rament war, ertrug sic mit Muth, aber indem er seine Henker ver wünschte. Ravancl benahm sich mit einer übermenschlichen Stand haftigkeit, so daß die Henker zuerst müde wurden. Jonquet sprach wenig oder vcrrieth unbedeutende Dinge. Villas dagegen gestand, daß die Verschworenen beschlossen hätten, den Marschall und Herrn von Baville auf der Promenade zu entführen, und daß dieses Kom plott bei einem gewissen Boeton de Saint-Laurent d'Aigozre, der zu Milhaud in Rouergue wohne, geschmiedet worden. Jndcß hatten alle diese Torturen und Verhöre die Sache in die Länge gezogen, so daß, als Scheiterhaufen und Schaffet bereit stan den, die Nacht schon anbrach, daher der Marschall die Hinrichtung auf den folgenden Tag verschob, indem er nicht wollte, daß eine so wichtige Erecution bei Fackelschein stattfände, damit, wie Brueys sagt, die Nebelgesinnten unter den Reformirten, wie dies schon ge schehen war, nicht behaupten könnten, Vie Verurtheiltcn, die man zum Tode führe, seyen gar nicht die Personen; die man in Händen Kl haben geglaubt, und damit alles Volk sehen könne, daß die, welche man hinrichte, wirklich Catinat, Ravanel, Villas und Jon quet scpcn. Aber wahrscheinlicher ist cs, daß Berwick und Baville einen Aufstand fürchteten: der Beweis dafür ist, daß sic, statt die Hin richtung auf dem gewöhnlichen Platz vollziehen zu lassen, das Schaf fst und den Scheiterhaufen dem Glacis des Forts gegenüber er richten ließen, damit die Besatzung im Falle eines Aufstands gleich bei der Hand sep. (Schluß folgt.) Aegypten. Baumwollene Waffe der Engländer gegen Mehmed Ali. Ein humoristisches B)ort in ernster Sache. Es ist ein wahrer Triumph der civilisirten Ausdauer, wenn man sieht, welche auffallenden Schritte die Engländer seit zehn Jahren thun, um einen Platz an den „Fleischtöpfen Acgpptens" zu erhalten. Diese Fleischtöpfe, deren Schmackhaftigkeit den Israeliten in der Wüste eine so rührende Erinnerung war, reizen den Gaumen der armen Engländer noch mehr, wenn sic nach langen Reisen von und nach Indien sich im Delta ein wenig ausruhen und etwas zu sich nehmen wollen. Aber der Koch, der jetzt diese Speisen zudcreitet, ist noch ungastlicher als die alten Aegppter, die, wie Klio'S böse Zunge darthut, die Gastfreundschaft zu den vielen Tugenden rechne ten, welche sie nicht besaßen, und will für Geld und gute Worte, 480 auf Schlechtmachen und Bangemachen nichts herausgeben. Anderen Leuten gestattet er wenigstens, in die Küche cinzutreten und sich am Dufte der Speisen zu labeu; die Briten hingegen läßt er nicht gern über die Schwelle, und sind sie endlich einmal zugelassen, so dürfen sie doch, bei Strafe, erklecklich auf die Finger geklopft zu werden, nichts berühren. Gegen diese Ungcschlachthcit zeigten sic anfangs ein recht ae- MüthlicheS Verfahren. Sie verklagten den groben Menschen bei seinem Brodherrn mehrere Jahre hindurch, und dieser befahl, mit etwas wenigem Zittern, dem Dienrr, er solle die Gastfrcunde in Zukunft nicht ohne einen guten Biffen Vorbeigehen lassen. Mehmed Ali weinte beim Empfange dieses mit gebührender Schüchternheit ausgesprochenen Willens des Herrn Thränen der wcitausreichendsten Ergebenheit, Thränen, wie sie sein Nachbar, das Krokodil, zu weinen pflegt, ehe cS auf seine Beute stürzt. Alle Stadien auf dem Wcgc Rechtens waren nach und nach durchlaufen, der Prozeß war tu Konstantinopel gewonnen; cs wurde auch ein Erekutor mit zahl reicher Eskorte nach Alerandrieu geschickt, dem Trotzigen das Wesen der Folgsamkeit begreiflich zu machen; aber ach! Erekutor und Ge folge steckten sich unter Eine Decke mit Verklagtem. Das war zu viel! Die ticfbcleidigteu Engländer zogen vom Leder. Aber wie beträgt sich Mehmed Ali hierbei? er lacht! „Da kommt Ihr mir gerade recht", sagt der unverbesserliche Türke; „war denn Aleranver der Große umsonst mein Landsmann"), daß mir bei jevcr Drohung daS Herz abhanden kommen soll? Hat er denn diese Stadt mir bloß deshalb zur Nesivcnz gebaut, damit ich in jeder Straße sechs Buden von Trödlern aus London und Birmingham figurircn lasse? Oder hat etwa sein späterer Kollege, Napoleon, nicht Recht gehabt, als er sagte, von diesen Pyramiden sähen auf uns Acaypter viertausend Jahre herab, die nicht mit sich spaßen lassens Nein, eine Gewalt ist Lie andere wcrth, und Allah ist groß!" Man sagte dem Pascha, die Engländer würden für Syrien die Zufuhr abschneidcn; da antwortete er, er habe 10,000 Schiffe der Wüste, welche vor den Fcindcn sicher seyen; er habe 10,000 Kamecle, die durch die Wüste nach Syrien alle Bedürfnisse führen. Man sagte ihm, die Engländer würden seine Städte mit Kanonen ä Ir ksixsisns zerstören; da soll er spöttisch erwiedcrt haben: „Ich glaube seit 7! Jahren an den wahren Allah und werde nicht in melncm 74sten anfangen, an Allah PairhanS zu glauben." Indessen die Englische Politik ist klüger als sic auSsicht; sic hat im Stillen eine Waffe geschmiedet, die verderblicher und doch edler als die öffentlich ausgestellten Waffen ist: cS ist eine baum wollene Waffe. Nach den neuesten Berichten im ^nisric.saurnsl wird in Ostindien die Kultur der Baumwolle mit solcher Energie und mit solchem Erfolge betrieben, daß die Fabriken des Mutter landes ihren ganzen Bedarf bald durch Lieferungen von dorther er ledigen werden. Die ergiebigste Finanz-Quelle des Acgyptischcn Herrschers ist bekanntlich vcr große Gewinn, den er aus seinem weitverzweigten Handel mit.Baumwolle zieht. Ihn an diesem Ncrv angrcifcn, heißt, ihn an der verwundbarsten Stelle angreifen, und er muß auf viele Jahre, also für seine Person noch den ganzen geringen Rest, seines Lebens, in allen Operationen gelähmt werden. Diese Waffe kann England mit Glück und gutem Gewissen ohne Ver bündete und ohne Widerspruch von Seiten Frankreichs führcn. Es kann sie im Schutz guter Wünsche von Seiten gebildeter Völker führen, die, so lange schon an die segensreichen Künste des Friedens gewöhnt, keinen Beruf in sich fühlen, die Aussicht auf einen Euro päischen Krieg mit Freudentaumel zu begrüßen. L —t. Mannigfaltiges. Amerikanische Theater-Zettel. Von dem größten Schauspielhaus? in Amerika, dem Isnrverv zu New-Jork, liegt uns ein neuerer Theater-Zettel vor, der auch als Beitrag zur Charaktcr- zeichnung des dortigen Volkslebens merkwürdig ist. New? Jork ist faktisch die Hauptstadt des Landes, es ist bevölkerter, reicher und, nach Amerikanischen Versicherungen, so oder noch mehr gebildet als Berlin; wie würden aber die Berliner staunen, wenn sie eines Morgens auf ihren Theater-Zetteln folgende Worte läsen: „Der Direktor freut sich seht, «»kündigen zu können, daß er aus sechs Abende den eminenten Tragöden (knünenr Trage,lig» mit größter Schrift) hft und die glückmachende tragische Schauspielerin w. cngagirt hat. Ihre Vorstellungen.... entlockten stets den gedrängt vollen Häusern und der Presse den durchdachtesten Beifall (cbe Uw8r cricioal »jmrubacion)." Ferner heißt es auf demselben 2 Fuß langen und j Fuß breiten Zettel, wo jede auf Effekt berech nete Stelle von zwei großen demonstrativen Händen eingeschloffen ist: „Einstudirt wird und nächsten Montag ausgeführt in einem Grade von Pracht und Glanz, der Alles und Jedes übersteigt, was bisher dem Publikum in irgend einem Theater der Wclc (magnitirence, «ylenilvur und XVnr!,l wieder durch riesenhafte Buch staben hervorgchoben) geboten worben, daS große Melodram« von starkem Interesse, genannt re. re." In Deutschland ist man bei Seiltänzern kaum mehr diese Sprache gewohnt, und die Französischen und Englischen Marktschreier wissen wenigstens ihr Publikum scharf sinniger zu fassen. ') Mehmed Ali, der ein geborener Macedenier <a, nennt, äußerlich im Scherze, innerlich im Ernste, bei jeder Gelegenheit Alerander seinen Landsmann. Herausgegebcn von der Redaction der Mg. Preuß. Staals-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.