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478 derl. Ich weiß nicht, ob die Gefangenen, deren Geheimnisse Dionys belauscht haben soll, ihre Klagen lauter ertönen ließen als die Cice- rone's jetzt ihre Stimme; aber das Ohr des Dionys schien mir etwas taub. In Neapolis, dem neuen Stadtviertel des alten Syrakus, war natürlich die Stelle des Theaters. Das Theater war bekanntlich bei den Alten nicht nur dein Vergnügen und den scenischen Darstel lungen geweiht, sondern hier wurden auch die politischen Fragen er örtert. Die Bürger versammelten sich hier, um sich über Lie Staats- Angelegenheiten zu berachcn. Der alte Circus, der drei Stockwerke hoch ist, war also der Schauplatz aller wichtigen Begebenheiten der Stadt. Dort stattete Gelo den Einwohnern Bericht von seiner Ver waltung ab, dort forderte Agathokleö Rechenschaft für das vergossene Blut und die Niedermetzeluug der besten Bürger, dort ertheilte Ti- moleon dem Volke seine Rathschläge, nachdem er seine Ketten zer brochen. Hier führten die Syrakusaner die gefangenen Athenicnser her und ließen sie die Tragödien des Euripides hersagcn. Diese Erinnerungen wiegten uns auf den zerbröckelten Steinen und zerfalle nen Stufen, auf denen jetzt eine Mühle steht, in süße Träumereien ein. Diese Entweihung des Ortes brachte sogar noch einen gewissen melancholischen Reiz hinzu. Der Genius der großen Griechischen Tragiker, der Pomp dec antiken Dichtungen, die großartige Erschei nung der Chöre, die Beredsamkeit und die Seelcngröße der -Staats männer und Kricgstührer waren längst entschwunden, aber die Zeit hatte die steinernen Stufen mit fruchtbarer Erde bekleidet, aus welcher große Baume rmporschosscn. Zugleich stürzte aus dem oberen Stock werke das Wasser einer Sarazenischen Wasserleitung, welche die Mühle trieb, brausend hernieder und übcrschäumte das alte Dcnkmah In der Ferne eröffnete sich noch die Aussicht auf das Meer, den Meerbusen, die Ebene. Auf einer Säulenplatte des Theaters sind die Worte eingegraben 7/.//»^. Den Rest verdeckt eine Mauer, an welche sich die Mühle anlehnt. Der Ritter Landolina wollte die Mauer auf seine Kosten abrcißcn lassen, konnte aber nicht die Genehmigung der Regierung erhalten. Die Inschrift setzt die Gelehrten in Verzweiflung. War die Königin Philistis eine Beherrscherin von Syrakus, welche Sic Geschichte ver gessen hat, oder bezeichnet der Litel Basilissa bloß eine Oberpriesterin des Bachus? Hierüber ist mau nicht im Klaren, aber viele Münzen, welche denselben Namen führen unv eine Frau von großer Schönheit darstcilcn, sind bei Nachsuchungen gefunden worden. Dieselben sind übrigens zu verschiedenen Zeiten geschlagen worden. Links vom Theater ist ein Weg, der durch zwei Reihen Grahcr gebildet wird; er führt zu einem änderen Wege und zu Felsen-Hü geln, in welche Grabhöhlen eingehaucn sind. Auf einem philosophi schen Spaziergange entdeckte hier Cicero das Grabmal des Archimc- scs. Verfolgt man der Weg, den Cicero ging, so gelangt man zum Sladivicrtcl Epipolä und zu den Latomicn oder steinbrüchen. Diese dienic» den Lebenden als Begräbnisse, wenn sic das Unglück hatten, einem Despoten zu mißfallen, und man zeigt hier noch die Höhle, nach welcher der Philosoph Philorencs znrückzugehen verlangte, als Dionys ihm seine schlechten Verse vorlas. An der Stelle der alten Burg, welche die neue Stadt auf dieser Seite schloß, steht das Dorf Belvedere; von der jetzigen Stadt ist dasselbe zwei Meilen entfernt. Die Steinbrüche sind von ungeheurer Ausdehnung. Man findet deren in allen alten Stadtvierteln, die außerhalb der Insel Ortygia lagen. DionyS hatte zwölf Gefängnisse zu seiner Verfügung, welche nichts Anderes als Sicinbrüchc öder unterirdische Gänge sind. Man ver sichert, daß einer dieser Gänge nach Ortygia führte, und daß eine Abtheilung Fußvolk darin mit Helmen und Lanzen aufrecht gehen konnte. Von diesen Höhlen dienen einige den Seilern zur Bearbei tung des Hanfes, andepe sind bloß offene Gruben; in einer haben die Kapuziner ein schönes Kloster errichtet, zu welchem ein unterirdi scher Garten gehört, dessen Wände eine Höhe von mehr als ZZ M>'>- trcS haben. In dem Garten blühen Grauatbäumc, Rcbcn und Po- meranzcn. Der Steinbruck), in welchem das Kloster liegt, heißt Palombino. Die größten dieser Katakomben ziehen sich unter Akra- di»a sort in drei parallelen halbkreisförmigen Linien. Diejenige, welche den Namen San-Giovanni führt, ist eine förmliche Stadt. Die Straßen, Plätze, Kreuzwege dieser Todtcnstadl dehnen sich in endloser Länge aus; man geht fortwährend durch zwei Reihen Nischen, m welche zahllose Grabmälcr cingcgrabcn sind. Die Gradmälcr stehen immer in Gruppen zusammen und bilden Grabkammcrn, die den verschiedenen Familien angehörtcn. Sie find ohne Zierraih und auf eine gleichförmige Weise in die Felsen eingehaucn. Unter jedem. Grabmal ist eine offene Bogcnwölbung angebracht, durch welche der Blick in den parallelen Grabweg hindurchdringt. Alle sind so breit, daß ein Wagen hindurchsahrcu kann, und die religiösen Ccrcmonieu, welche sonst hier stattfandcn, müssen eine» wunderbar großartigen Cbaraktcr gehabt haben. In Ermangelung architektonischer Verzie rungen, sicht man hier Inschriften, Zahlen, Botiv-Gcgenstäncc, welche verschiedene Jahrhunderte dargebracht haben. Die Grabschristen haben die Antizuarc abgcnommcn, und man muß sie im Museum von TyrakuS suchen. Das Stadtviertel Tychq, welches zwischen Akradina und Epipolä gelegen war, beherbergte die unteren VvlkSklaffen, die Glabiatorcn und Handler. Hier stand der Tempel der Fortuna", hicr daS Haus, welches der Senat und das Volk ihrem Befreier Timoleon geschenkt hatten. In Ortygia hausten in schönen Tempeln Diana und Mi nerva. Der letztere sieh! noch, wie schon bemerkt, und ich wohnte in demselben einer feierlichen Messe nach der Entfernung der Cholera bci, welche die Bevölkerung von Syrakus n:u die Hälfte vermindert hatte. Benn Ausbruche der Krankheit fand rin Polksausstanb statt; viele UngläcNiwe, welche beichutcig! würden, das Volk vergiftet zu haben, wu.P.m gemordet, und N: iblntcnrügc Hanse blieb eiiu'ae Tage in Besitz der Stadt, in welcher der General Tanzi mit einer Garnison von 400 Mann lag. Ein Ausfall anS dem festen Schlosse würde gewiß genügt haben, die Barrikaden in der Hauptstraße zu zerstören und die Aufrührer zu zerstreuen, die durchaus keiüc pon- rische Absichten hatten und das Werk der Zerstörung unter dem Rufe Viva el Uo e »rmka l.ucia! (Lucia heißt die Schutzheilige von Syra kus) vollbrachten. In Augusta fand ein ähnlicher Aufstand statt, aber der Oberst Bagni, ein entschlossener Mann, wußte durch einen kräftigen Angriff den Gesetzen Gehorsam zu verschaffen. In Erman gelung eines solchen Mannes war Syrakus nicht nur der Wutb der Krankheit, sondern auch dem zügellosen Schalten eines entfesselten Pöbels ausgesetzt. Eine Kanonier-Schaluppe, welche den Hospitä lern den nöthigen Bedarf zuführte, wurde geplündert und verbrannt. Das Schloß wurde blokirt, und lange Zeit hindurch waren die Kran ken sich selbst überlassen. Orgien, Ausschweifungen, Gcwaltthätigkciten nahmen immer mehr überhand, und die Unordnung schien nicht weichen zu wollen, als dieselbe plötzlich wie auf einen Zauberschlag aushörtc, ehe noch der General del Caretta, der mit der Vollmacht des »leer o^o bekleidet war, sich der Stadt genähert hatte. Dafür nun, für die Wieverherstcllung der Ruhe und daS Verschwinden der Krankheit, brachten wir an einem schönen Novembcrmorgcn in dem Tempel der Minerva zu Syrakus dem Himmel unseren Dank dar. Der Bischof von Syrakus und der General, Fürst Pignatelli Monteleone, der neue Militair-Kommandant der Stadt, wohnten dieser Messe bci; die anderen Behörden waren aber abwesend.. Ich fragte, wo sie wären; man sagte mir, in der Verbannung. Später erfuhr ich, daß dieselben nicht verbannt, sondern nach Noto versetzt worden waren. Folgendes war der Grund dieser strengen Maß regel. Als der Warquiy del Caretta in Syrakus eintraf, sand er dlc Ordnlung und Ruhe.wickerhcrgcstellt. Eine Bürgergarde hatte sich freiwillig organifirt unv den Pöbel in seine Schranken gewiesen. Obschon nun der Aufstand durchaus keinen politischen Charakter ge habt, so hielt es der Marquis del Caretta doch für angemessen, die Stadt Noto zum Hauptort des Bezirks zu erheben. Demgemäß erhielten daS Metropolitan-Kapitel, die Gerichtshöfe, der Inten dant Befehl, sich nach dieser kleinen Stadt zu begeben, welche eineu oder zwei Paläste, drei oder vier schöne Kirchen und kaum ltttt Häu ser cnthäle. Der alte und kranke Bischof entschloß sich nur nach langem Bedenken zu dieser Reise, als er aber die Wohnung sah, dic ihm statt seines prächtigen Palastes zu Syrakus bestimmt war, kehrte er augenblicklich nach seiner allen Residenz zurück. Der Inten dant, welcher einen schönen Palast in Noto besaß, war am besten daran. Am übelsten ging es den Beamten. Thcilweise hatten sie ihren Sitz in dem einzigen Kaffeehause des Orts aufgclchlagen, wel ches aus einem schmutzigen und engen Zimmer bestand. Andere wohnten in zerfallenen Häusern, welche bis jetzt bloß die Maulthier- treiber und ihre Thiere beherbergt hatten. Andere, die noch un glücklicher waren, irrten in dör Sonnenhitze auf den weitlänfiigen Plätzen der großen Stadt umher. Einen Augenblick glaubte ich mich nach Pöntoise versetzt, zu der Zeit, wo der Kanzler Maupeou das Parlament hierher verbannt hatte, aber im Vergleich zu Noto ist Pontoise eine Hauptstadt, und die Mitglieder desselben waren doch nicht gcnöthigt, weil kein Weg vorhanden war, sich zu Pferde nach dem Ort ihrer Verbannung zu begeben, auf einem Billarde zu schreiben und auf Stroh zu schlafen. Die Sicilianischen Richter und Beamten, die man so von einem Orte nach dem anderen tranS- portirtc, sind absetzbar. Indessen ist der Voile Xoyolöon auf der Insel in Kraft, aber nür thcilweise. Die Geschworenen und Ge richte sind abgeschafft worden, aber die Oeffentlichkeit der Gerichts- Debatten und die Formen der Französischen Gerichtshöfe hat man bcibehalten. In Folge der Aufstände, welche beim Ausbruch der Cholera stattfandcn, wurde der Caffalionshof nach Neapel verlegt. Bis dahin hatten die Sicilianer, welche sehr prozeßsüchtig sind, das Vorrecht gehabt, vag ihre eigenen Gerichtshöfe in letzter Instanz entschieden. Wenn sic jetzt eine Menge Instanzen durchgcmacht ha ben, nämlich dic Schicdörichtcr, dic Bezirks-Gerichte, die Instruc- tionS-Gerichtc, die Civil-Gerichtc, die Ober-Kriminal-Höse, die Obcr-Spczial-Höse, die Ober-Civil-Höse, so müsse» sic noch in Neapel Recht suchen. Sicilicn ist in sieben Intendanzen oder Thaler gethcilt, die Thä- ler zerfallen wieder in Bezirke. Der Intendant nimmt dieselbe Stelle wie der Französische Präfekt ein. An der Spitze der Ge meinde steht ein Syndikus, welcher dem Französischen Maire zu ver gleichen ist. Er hat zwei Adjunkten H-Ierei), einen Schatzmeister und einen Archivar. Der Gemeinde-Rath, welcher Dckurionat heißt, besteht aus zehn bis dreißig Mitgliedern, je nach der Größe der Gemeinde. Das Dekurioncit entwirft vgS Budget nach dem Vor schläge des Syndikus und unterzieht dessen Amtsführung jährlich einer Prüfung. Während dieser Prüfung wird der Vorsitz dem älte sten Dekurioncn übertragen. Das Munizipal-Svstcm stützt sich vor züglich auf den Adel mir» die unteren Volksklassen, welche in dem selben eine Unterstützung gegen den wachsenden Einfluß vcr Advokaten, Kauilcutc und Bürger finden. Die alte Aristokratie bemüht sich, j„ den Gemeinden den Einfluß wiederzugewinnen, den sic durch die Ab schaffung dcS LchnS-Systems cingcbüßt haben. Dcn Intendanzen stchr ein Provinzial Rath zur Seite, der it> Mitglieder zählt: nur in Palermo 20. Dieser Rath versammelt sich alliabruch, »nd die Sitzungen dauern 20 Tage. Der Intendant eröffnet dieselben und legt alle auf die Verwaltung bezügliche Aktenstücke vor. Außerdem giebt cs noch cincn Intcndanz-Ratb, der die Rechnungen aller Ver waltungs-Beamten, sogar dic des Intendantcn untersucht. Der Kö nig ernennt die Intendanten, vic Gcncral-Vccrctaire und dir Inten danz-Nälhe, so wie die Präsidenten dcr Provinzial-Näthe. Alic vier Jahre entwerfen vic Intendantcn dic Listcn derjenigen, dic zum