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462 Frankreich. Die Abschaffung der persönlichen Sklaverei in Frankreich. Im Beginn des Wien Jahrhunderts wurde Frankreich im Norden durch die Räubereien der Normänner, im Innern durch den bürger lichen Krieg, im Süden durch die Landungen der Sarazenischen See räuber verwüstet. Zu gleicher Zeit senkten sich die Schwärme der Slawen und Ungarn auf Deutschland nieder. Das allgemeine Elend der Zeit brachte eine sonderbare Ansicht in Aufnahme: man glaubte das Ende der Welt nahe heran, und das Jahr tvttü wurde als der verhängnißvolle Zeitpunkt gefürchtet. Die Häßlichkeit der Ungarn, deren Bildung nur wenig von der der stammverwandten Hunnen ab wich, und der Schrecken, den ihre furchtbaren Raubzüge verbreiteten, beförderte die Meinung, daß sie die in der Offenbarung Johannis verkündeten Höllengeister Gog und Magog seyen. Sehr natürlich, daß Jeder an das Heil seiner Seele dachte, und die Freilassungen, welche die Geistlichkeit als ein verdienstliches Werk empfahl, wurden außerordentlich häufig. In den Sammlungen von Lobineau, Vaiffelle und Anderen findet man eine große Zahl von^ Freibriefen aus dieser Zeit, welche mit den Worten beginnen: iUunüi rermmo »npr^piii- guante PN» oder lunreeüv anima» mono. Freilich wur den bei weitem nicht alle Sklaven freigelaffcn, aber die Zahl derselben wurde doch sehr vermindert. Während des Verfalls der Karolingischen Macht kehrten die großen Lehensträger ihre Waffen gegen einander, und die Befehdungen nahmen kein Ende. Durch die Gemeinschaftlichkeit der Gefahr ent wickelte sich eine innigere Beziehung zwischen den Herren und Knechten: es entstand eine gewisse Waffenbrüderschaft. Der Geist der alten Deutschen Waffenverbrüderungen lebte wieder auf und verbesserte die Lage der Unfreien. Der Baron mußte wenigstens diejenigen schonen, die seine nächste Umgebung bildeten, und diese waren zufrieden, daß sie unter seinem Schutze leben konnten und Nahrung und auch einen Antheil an der Beute erhielten. Das Entstehen der freien Städte und der Gemeinden im l2ten Jahrhundert brachte wohl eine ähnliche Beziehung der Bürger zu ihren Dienern zu Stande. Die Zahl der Haus-Sklaven in den Städten war ohne Zweifel sehr beschränkt durch die Einfachheit der Sitten und Bedürfnisse, welche die literarischen Denkmäler des Mittelalters bezeugen. Eine andere Ursache trug noch zur Ausrottung der Sklaverei bei, indem sie die Sklaven selbst ausrottete. Im IVten, llten und I2ten Jahrhundert verwüsteten Hungersnoth und ansteckende Krankheiten alle Länder. Diese Geißeln zogen immer im Gefolge des Krieges einher. Für Frankreich hat Perresiot ein Verzeichnis aller Hungerjahre und ansteckenden Krank heiten ausgenommen. Im loten Jahrhundert zählt man in Frankreich IO Hungerjahre und i3 Seuchen. Das llte Jahrhundert war in dieser Beziehung noch unheilvoller. Im Jahre IW3 brach eine Hun- gerSnoth aus, welche S Jahre anhielt. Im Jahre t«>»l trat die vierte Hungersnoth ein. Eine gewöhnliche Speise war Menschen- fleisch, und auf die Hungersnoth folgte noch eine schreckliche Seuche. Eine andere Hungersnoth brach im Jahre Ill3S aus und dauerte 7 Jahre. Das I2te Jahrhundert war nicht weniger reich an solchen un heilvollen Ereignissen. Es läßt sich leicht denken, daß in diesen schreck lichen Zeiten Vie Haus-Sklaven dem Hungertodc mehr ausgesetzt waren als Lie Freien. Der Preis der Sklaven sank bedeutend, weil man sie nicht ernähren konnte. Als bessere Zeiten wiedcrkehrten, war es unmöglich, die Lücken in den inneren Provinzen wieder auszu- füllen. Die Folge war, daß man sich ohne Dienerschaft behelfen oder freie Leute micthcn mußte, wobei die Herren am Ende mehr Bortheil fanden als bei der gezwungenen Arbeit der Sklaven. Die Gewerbe entwickelten sich und übernahmen einen Theil der Arbeiten, mit denen sich sonst die Haushaltungen selbst befassen mußten. Eine andere Ursache führte das Aufhörcn der ländlichen Sklaverei und ihre Umbilvung in wirkliche Hörigkeit herbei. Es war dies das allmälige Verschwinden der Allode oder kleinen freien Besitzungen, welche von denen der großen Herren verschlungen wurden. Auf diesen kleinen Besitzungen fanden sich vorzüglich noch die länd lichen Sklaven, welche vom Herrn bewacht und beaufsichtigt wurden. Zur Zeit des Erlöschens des Karolingischen Stammes waren in Frank reich nur noch wenige Allode übrig. Sie verschwanden fast überall; ihr Untergang, aus dem das LchnSwcsen hcrvorging, entsprang vor züglich aus zwei Ursachen; die Schwäche der fürstlichen Gewalt ließ den freien Mann ohne Schutz gegen die Gewalithätigkeit mächtiger Nachbarn; er mußte sich also unter den Schutz eines der selben begeben und sein Lehnsmann werden. Andererseits waren die Strafsätze, welche das Gesetz auferlegte, so hoch, daß der Schuldige sie nicht durch seine Arbeit oder den Verkauf seines Viehs abtragen konnte. Auch zog die Krone von denjenigen, die sich nicht zum Kriegsdienst stellten, eine Strafe ein. So kam es, daß viele kleine Grundbesitzer ihren freien Besitz verloren. Was die kleinen Besitzer verloren, das fiel den großen Grund- eigcnthumern zu. In diesen kriegerischen Zeiten aber, wo kein Ueberfiuß an Menschen war, konnte der Herr die auf seinen Be- sihungen^zerstreuten Sklaven nicht durch besondere Aufseher bewachen lassen. Sein Interesse rieth ihm, das Laud durch Kolonisten bebauen zu lassen, welche einer Abgabe oder bestigunten Dienstleistungen unter worfen waren, die entweder feststanden oder die er nach Belieben seststellte. Die kleinen herabgekommenen Grundeigenthümer wurden ost selbst Kolonisten, und diese Modifikation der Knechtschaft griff bald überall um sich. Auch die Geistlichkeit verschlang eine Menge von Alloden, da sie viele Schenkungen erhielt. Die noch übrigen kleinen Freigüter verschwanden zur Zeit der Kreuzzüge. Der Lehns herr, in oegen Gewalt sie kamen, überließ sie den Kolonisten, nicht als ländlichen Sklaven, sondern als Hörigen, die an die Scholle ge bunden waren. Der Leibeigene dieser niederen Klaffe kann nicht als ein Lehnsmann angesehen werden, der mit dem Herrn durch gegen seitige Verpflichtungen verbunden ist; er war durchaus abhängig vom Herrn, den nur der eigene Bortheil zu dessen Vertheidigung aufforderte. Wie elend der Zustand dieser Menschenklasse im I3ten Jahrhundert war, kann man bei Beaumanoir nachlesen. Fassen wir alles Bisherige zusammen, so sehen wir, wie die häusliche Sklaverei, welche schon durch die Freilassungen und die Ein fachheit der Bedürfnisse beschränkt war, in den Städten durch das Elend der Zeit, in den Schlössern durch die kriegerische Genossen schaft verdrängt wird, während die ländliche Sklaverei vorzüglich durch den Untergang der Allode erlischt. Die Gewalt der Umstande und der Vortheil des Herrn selbst führte zur Unterdrückung oder Umbildung der beiden Formen der alten Sklaverei. Dies große Re sultat wurde aber nur dadurch möglich, daß cs schon lange vurch die Grundsätze des Christenthums vorbereitet war. An die Gleichheit der Menschen wurde beständig in den Predigten gemahnt, und be ständig galten Freilassungen der Sklaven für ein verdienstliches Werk. England. Robert Owen und sein Social-System. (Fortsetzung.) Mit der Widerlegung des metaphysischen Problem's dieser Sekte darf man es nicht zu leicht nehmen. Nicht von der Bekämpfung der unbedeutenderen Behauptung, „daß die Handlungen des Menschen von seiner Organisation abhängen", muß man ausgehen, sondern zuerst die bedeutendere bestreiten, „daß der Mensch deshalb für seine Handlungen nicht verantwortlich sep." Es ist eines der großen Ge heimnisse unseres Wesens, daß wir aufs innigste mit einer äußeren Schöpfung verknüpft sind, nicht nur mit den Maschinen unserer Körper, sondern auch mit den anderen Theilen der materiellen Welt. Es ist dies ein Geheimniß, welches wesentlich schon mit der Thatsache einer Schöpfung überhaupt zusammenhängt, denn eine Schöpfung ohne leitende Gesetze, Vie sie von dem Schöpfer abhängig machen, ist unbegreiflich, vielleicht unmöglich. Und in welchem Grade wir auch von einer materiellen Organisation außer uns abhängig scpn mögen, die Beweise von einer solchen Abhängigkeit liegen zu Tage und reichen hin, die metaphysische Untersuchung zu verwirren. Warum sollten wir uns auch dieser Thatsache zu entwinden suchen, da das Christenthum selbst, mehr als irgend ein anderes Religions- System, die innige Gemeinschaft zwischen Geist und Körper ausge sprochen und die Wiederauferstehung des Leibes sogar zu einem Glaubens-Artikel gemacht hatt Doch abgesehen davon, geht der Socialismus nicht blindlings zu Werke. Er hat Locke und die Sensualisten, Marat und die materialistischen Philosophen der Fran zösischen Revolution im Rücken, und die materialistischen Physiker und Metaphysiker unserer eigenen Zeit, und die Schottische Schule, die so lange darauf ausgegangen ist, unsere geistigen Operationen gerade so wie die physische Welt zu aualysiren, und vor Allem die Phrcnologen, die dem Socialismus treffliche Dienste geleistet haben. Man hat also wohl zu bedenken, daß die Frage der äußeren Orga nisation und des äußeren Einflusses gar nichts mit dem eigentlichen Zweck zu thun hat, um dessen willen ihre Vertheidiger darauf fußen, nämlich mit der Unverantwortlichkeit des Menschen. Die menschliche Verantwortlichkeit, sie mag nun recht oder unrecht, billig oder un billig seyn, — denn dies ist eine Sache, über die wir bei dem man gelhaften Zustanve unseres jetzigen Erkcnntnißvcrmögens kein zu reichendes Urtheil haben, — genug, sie ist eine Thatsache, die auf der Erfahrung beruht. Mag sie mit einer Abhängigkeit von äußeren Umständen vereinbar seyn oder nicht, wir wissen nun einmal, daß sie mit ihr zusammen besteht und bestehen wird. Wir werden ge straft, getadelt und belohnt, geliebt und gehaßt, für gut oder schlecht gehalten, und wir müssen uns die Folgen solcher Meinungen von unserem Charakter gefallen lassen, je nachdem dieser Charakter ge staltet ist. So lange die Gesellschaft die Macht dazu hat, wird sie den Mörder bestrafen, mag ihn sein Gehirn zu der That getrieben haben oder nicht. So lange wir Herz und Kopf haben, werden wir den einen Menschen mehr lieben als den anderen, werden wir diese Handlung billigen und jene verwerfen, werden wir unsere Billigung durch Wohlwollen, unsere Mißbilligung durch Strenge kundgebcn. So lange dem Menschen nicht seine Empfindungen ausgerissen, so lange das Triebwerk seines Inneren nicht zerstört ist, wird er einen Unter schied machen zwischen Gut und Böse und danach handeln. Und Owen selbst, was er sich auch von seinem tausendjährigen Reiche verspricht, wo entweder das Gefühl der Billigung und Mißbilligung moralischer Handlungen im Menschen ganz aufhörcn oder doch keinen Einfluß mehr auf seine Handlungsweise äußern soll, bis jetzt wenig stens hat er noch keine Probe von diesem gehofften Phänomen ab gelegt. Er preist und verdammt in sehr starken Ausvrückeu, und wenn er aucy anerkennt, daß er seine Ansichten durch keine offene Handlung aussühren dürfe, so gebt er doch darauf aus, die Charak tere, die Meinungen und die Sitten, welche er so beftig verabscheut, gänzlich zu zerstören. Daß er dadurch denen, welche der alten moralischen Welt den Vorzug vor der neuen geben, großes Aergerniß und Mißbehagen verursachen wird, ist auiier Zweifel; daß er seine Handlungsweise durch Hinweisung auf den schlichten Charakter ihrer Gegner rechtfertigen wird, ist ebenfalls klar; so wie auch, daß er sich für vollkommen befugt halten wird, Mit ihnen nach ihren Handlungen zu verfahren. Ob ein solches Verfahren gerecht seyn würde oder nicht, auf diese Frage brauchen wir uns hier nicht ein-