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Viele Waaren sind höchst sonderbar, aber nach einem bestän digen, feststehenden Herkommen gepaart. Z. B. findet man in den Buden, in denen Kreide und Pech verkauft wird, zwei Artikel, welche die Russen in Menge gebrauchen, auch immer Balalaiken aufgehängt, die doch wever mit Krcive »och mit Pech etwas zu thun habe». So wenig auf diesem Markte der Ring an dem ginger sicher sepn soll, so völlig sicher müssen doch die Silbcrrubel und Dukaten auf den Tischen der Wechsler sepn. Denn es sind überall an den Straßenecken — mitten in dem unerhörten Gedränge — solche Tische ausgestellt, auf denen höchst appetitliche Häuschen und Sümmchen der verschiedenen Münzsorten offen zu Tage liegen; eine Erscheinung, die gewiß in London, oder Paris, oder in jeder anderen großen und volkreichen Stadt unerhört sepn würde. Wie leicht wäre es da dem Raudlustigcn, seine Geldgier in vollem Maße zu befriedigen. Ei» kleiner Stoß, unv der ganze Tisch mit seiner kostbaren Ladung läge im Schmutz. Wer wollle in vem Gcwühle den Schuldigen er kennen, der sich mit der Beute bereichertes Und doch ist es gewiß, daß von riesen Wechslern, — ost sind kleine zwölfjährige Burschen zu Verwaltern bei Tausenden von Rubeln gesetzt, — Keiner einen Heller daran wagen würde, wenn er sich mitten unter all' diesem Volke mit seinem Gelde nicht vollkommen sicher glaubte. Allein das Russische Volk ist ein wunderlicher Kauz, der sich aus der einen an und für sich auch nicht ehrlichen Handlung, z. B. Einem eine Sache sechsmal höher zu verkaujen als sie werth ist, oder Einem seine Börse aus der Tasche zu ziehen und sie sich selber zu gute kommen zu lassen, nicht das geringste Gewissen macht, während er die anderen höchst strästich hält unv daher in gewissen Pimktcn so ehrlich und zu verlässig ist, wie die ehrlichsten Deutschen kaum. Diese Wechsler stehen unter dem Schutze des Publikums, selbst der Gauner. Ich habe cs nicht selbst erlebt, — allein ohne Zweifel hat cs sich gewiß schon olt ereignet, — daß solche Gclvtischc umgeworscn wurde» und doch dabei dem Wechsler kein Kopeken verloren ging, geschweige ein Dukaten, weil Vas ganze schaspclzige Publikum umher ihm mit der verbindlichste» Bereitwilligkeit dabei half, alle Gold- und Silbcrstücke auS dem Staube zusammenzulcscn. Es ist ausfallend, wie das Auge der Menschen, wenn cs die Wirklichkeit selbst in der Rähe schaut, so unendlich viel stumpfer und gleichgültiger ist, als ihr Geist, wenn er aus der Ferne durch das Kaleidoskop der Phantasie die Dinge betrachtet. Wie interessant und schön sind uns viele Gegenstände vorgekommen, wenn wir sie in Bücher» beschrieben lasen, während wir, wenn die Sinne zu ihrem wirklichen bauvgrciflichc» Besitze gelangten, nicht daS geringste Auf heben davon machten. Unv doch ist jede Beschreibung so unendlich dürftig gegen die reiche Fülle der Wirklichkeit, in deren Besitz wir daher doch eigentlich mit unendlich viel größerer Wollust schwelgen sollten. Auf den armen ruhende» Wanderer, der sich im Gcwühle des Lebens hcrumtreibt und balv hier bald da gestoßen wird, der in bestänviger Sorge schweben muß um seine irdischen Habseligkeiten, dringen so viele gcvankentöbtcude und phantasielähmende Eindrücke ein, daß ihm der Genuß stets getrübt wird und sein Geist ermattet. Er muß Acht haben, daß er seinen Fuß nicht in den Schmutz setze; er muß sebcn, daß er die Leute nicht anrcnnc, oder sic nicht ihn; ein wüstes Geschrei und betäubendes Gerassel vringt in seine Ohren, und vor seinen Augen dreht sich der Wirbel der Erscheinungen ruhelos in beständigem Wechsel, und es ist schwer, auch nur eine» Moment die Bilder zum St llstanv zu bringen, die Eindrücke zu fesseln und ein ruhiges Gemälde zu gewinnen. — Der Leser dagegen, in fried licher Ruhe auf weichem Polster gebettet, an, knisternden Kamine und bi um zauberi'chcn Scheine der nächtlichen Lampe, ist in der güustig- stcn Lage, um Alles richtig aufzufasscn, das Reich der ruheliebende» Geister ist rege um ibn her, und er kann alle geistige Zaubermittel ausbieten, um Jedem die rechte Beleuchtung zu geben und alle Effekte ungestört wirken zu lassen. Der Wanderer, um seiner schwachen Kraft mchr Energie zu geben, muß sich oft an die Stelle des LcscrS versetzen, muß schauend im Inneren versuchen, die Gegenstände z» beschreiben, muß unsichtbar im Stillen die Eindrücke ausprägcn, be festigen und gleichsam in seiner Seele malen, muß sich auf de» Flü geln seiner Phantasie erheben und sich bemühen, das Nahe aus der Fcrnc zu betrachte», muß das Bewegliche zum Stillstand bringen, muß sein Fleisch abtödtcn, daS Irdische abthun und, von den kleinen Sorgen mibckümmert, starken Geistes und festen Auges iu dem Ge tümmel vastcbcn. Sovaun wird freilich sein Gcnuß ein doppelt hoher sepn, unv sei» Gewinn überschwänglich. Tansenve sinv gejviß schon vnrch vio Thore deS Aprarin-Ruinoks ciiigegangen und gähnend wieder heransgcschlcndert, ohne sich deS NcichchumS ihrer gehabten Anschüttungen bewußt zu werden, und gewiß ist cs, wenn ibnen später Jemand die Dinge nur mit der Feder ovcr dem Pinsel einigermaßen treu nachmälen wollte, sie würden erstaunen über ihren apatischen Somnambulismus, der sie mitten zwischen solchem Reichthumc hintappen ließ, ohne daß sic davon gerührt wurden. In der That sind diese „Gewühl-Märkte" Petersburgs, auf denen sich Hungrige und Durstige, Satte, Wohl genährte und Magere, Arme und Reiche beständig umhcrtreibcn und auf denen die Gewinnsucht, Betrug und Diebstahl, Gutmüthigkeit und Höflichkeit, und noch ein ganzes Hccr menschlicher Leidenschaften und Tugenden in tausend unv aber tausend Gestalten und Ver kleidungen sich zeigen, Stolz unter Lumpe», Eitelkeit bei Häßlichkeit, Tugend und Herzensgüte miter gemeiner Hülle und nach Art des Russischen Volks, Ehrlichkeit bei Banditen-Figuren, Schelmerei in elegantem Gewände, Kindersinn bei Graubärtcn mW reifer Verstand bei den Knaben, reich an Sccnen der verschiedensten Art. — Wenn der Reisende nicht träumt, wie wir gefangene Geister gewöhnlich thun, so gcht cS ihm wie dem Naturforscher, der noch im Wasser tropfen eine eben so tiefe und endlose Welt schaut und ahnt, wie sie sich ihm am Firmamente des Sternenhimmels offenbart; und es ge hört in der Thal fast unsere ganze Einseitigkeit und Kälte dazu, um bei dem Andrange solcher Fülle die Feder nicht fallen zu lassen und muthig ins Leben hineinzugreifen, dcnn „wo ihr'S packt, da ist eS — leivcr! — interessant." Während der 308 Tage in jedein der hundert Jahre, di« da heranrollcn, bewegen sich auf jenen Märkten die intcrcffantestcn Erschcinunge» unbemerkt, unbeachtet, ungcmalt und unbeschrieben neben einander hin unv offenbaren sich immer in neuen unv aber neuen Bildern, und wenn man nur zu einem ein zigen Posauncnstoßc das Zaubcchorn vom Elfenkönige Oberon borgcn konnte, um all jenes Markilebcn in einem cinziaen Momente jener 303 Tage zu fcsscln, so würden Bilder genug vastehcn, um tausend Pinsel und Feder» zu beschäftigen. (Schluß folgt.) Mannigfaltiges. — JbnBatuta in Portugiesischer Ucbersctznng. Wäh rend der politische» Stürme, die Portugal in neuerer und neuester Zeit heimsuchtcn unv daS ohnehin schon matte Lämpchen der Wissen schaft in vicsem Lande für immer auSzulöschcn vrohien, erwarb sich ein bescheidener Franziskaner-Mönch, Pater Josö kcSa» Antonio Moura, das große Verdienst, eine Portugiesische llebersetzung vcS vollständigen ReisewcrkcS Ibn Batuta'S, cincs Afrikanischen'Ara bers aus dem l4teu Jahrhundert, anzufcrtigcn. °) Dieses Werk, bas für die Geographie, Völkerkunde und Geschickte Asiens von höchster Wichtigkeit ist, umfaßt zwei ansehnliche O.uart-Bändc Ara- bische» Textes. Der Ucbersetzcr war so glücklich gewesen, auf einer Reise in Angelegenheiten seiner Negierung, die er I7S8 nach Feß machte, einen schön geschriebenen Koder desselben käuflich zu erwer ben; später kamen die Bibliotheken von Gotha und Cambrivge, erstere durch Seetzen (I8N8), letztere durch Burckharvt (I8l!>) iu den Besitz bloßer Auszüge vcS Werkes. Nach dem Manuskripte zu Gotha hat Professor Koscgarten intcrcssante Probe» in Lateinischer llebersetzung geliefert; die andere abgekürzte Bearbeitung zu Cam bridge (drei Exemplare) ist von dem bekannten Orientalisten Lee in Englischer Dolmetschung mitgetheilt worden. Beide Epitomatore» Haden Ibn Batuta'S Werk ungefähr auf ein Vicrthcil seines UmfangS reduzirt. Exemplare deS ungekürzten großen JtincrariumS — und zwar nicht weniger als vier — sinv jetzt auch iu Paris, aber allc- sammt erst in vcn letzten Jahren acquirirt (das cine brachte der Herzog von Nemours von seinen! kriegerischen Ausflüge nach Kon stantine mit), und so haben die dortigen Gelehrte» mit ihrer beab sichtigten Französischen Uebcrsctzung der Portugiesischen des Pater Moura nicht zuvorkommen können. — Der Schauplatz der Reisen Ibn Batuta'S ist so ungeheuer gewesen, wie sein Name, der eigent lich Abu Abdallah, Muhammcv, Ben Abdallah, Ben Muhammed, Ben Ibrahim, el Lcwati, rl Tanvschi lautete, d. h. Muhammed, Vater des Abdallah und Sohn deS Abdallah (sein Vater und sein Sohn hießen beide Abdallah), deS SohncS Muhammcv'S, deS Sohnes Jbrabim's, der Mann vom Stamme Lewat, aus Tandscha (Tanger) gebürtig. Außerdem hieß er von seinem Oheim, der ihn an KinbeSstatl angenommen, Ibn Batuia (Sohn deüBatuta), von sciner Heimat, cl Maghrebi (der Abendländer), und scine Fröm migkeit erwarb ihm zu Allem noch den Ehrentitel Schein s-cv-vin (Sonne des Glaubens). Im Jahre I3»4 zu Tanger im Reiche Feß geboren, griff er schon als 22 jähriger Jünglmg nach dem Pilgcr- unv Wanvcrstabc. Er besuchte alle von Moslimen bewohnte Länver Border-Asiens, Nord-Asrika, Aegypten, Persien, Eborasan, Bochara, Kabul, das Pendschab, Indien, einen Theil von Tübet, Ceylon nebst deu Malviven, Java und daS Chinesische Reich. In Delhi, der Hauptstadt von Hindostan, schenkte ihm der damalige Sultan Mn- hammev Toghluk (l328 — bl) seine Gunst mW erlaubte ihm, sich einer Gesandtschaft anzuschließcn, die dieser Fürst nach China schickte. Auf seinen Wanderungen im „Reich der Mitte" fand Ibn Batuta fast in jever Stadt Muhammedaner, die ihn gast frei empfingen; aber politische Unruhen in China (sein Besuch fiel in die letzten Zeiten der Mongolen - Herrschaft) nöthigten den Arabischen Reisenden i. I. 1348, wieder in seine Heimat zurückzu- kchren. Auf seiner Rückreise huldigte er zum vierten Malc dem heiligen Hause in Mekka. Noch als Fünfziger unternahm er seine letzte und vielleicht gefahrvollste Wanderung ins innere Afrika bis zum Niger. ES scheint, daß dem merkwürdigen Manne eine Sichtung des reichen Materials, daS er selbst gesammelt hatte, bedenklicher war, als jede Art von Abenteuern, zu Lande unv zur See; denn schon lange vor seinem Tove wurden seine sehr lose zusammenhän genden Rcise-Notizen durch einen Anderen, einen gewissen Ahmed Ben Dschcssi, geordnet unv vcr Oeffentlichkeit übergeben. Ibn Batuta starb im Jahre 1378. -j Dee erste Band ist im lausenden Jahr aus Kosten der Atademie von Lissabon erschienen. Die Uebersekuna führt den Tuen V-agr"" e UUntininx Un erledrr <I e etl u - , inin- «vulaci-in I"lo namr kt-„. — Pater Moura war Prosessor em-ritu» und Mitglied der Akademie von Lissabon. Er barte schon früher durch Lie Nebers-wuna einer Geschichte Maurnaniens von Sali h-el. G h arnLN ,d. h. dein Granadcnseri Ruf erlangt. Der wackere Mann ist wahrend des Druckes des ersten Bande« feine» Batuta aenorbcn, da aber die Uebersenuna des Manzen war, so wird diese» traurige Ereigniß die Publikation des -weiten Bandes nicht verzögern. Heraukgcgcbcn von der Redaktion der Mg. Prcuß. StaatS-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hap».