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für die Berlin, Freitag den 4. Sep kein der 1840 c gc- Man rränumeriri aul diese« Liieralur - Blau in Berlin in der Ervedinon der AUg. Pe. Staate-geitung säriednsear. Nr. 72); in der Prora»; so wie im üueiande dei den Wcdllödl. Post Aemiern. Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«. Prei« 22; Sgr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. gen von Nikolaus ausgestattctc neue Testament, ovcr endlich irgend eine Ucbcrsctzung der Kirchenväter. Unter den Werken der Letzteren dürfte aber die „Beichte" des heiligen Angnstin das beliebteste ge wesen scyn, das man immer mit Vergnügen las, wenn auch manches fromme Gemüth, wie der Pater de Latour, an gewissen Stellen, in denen Augustin die Fehltritte seiner Jugend ciwas leidenschaftlich vorträgt, einigen Anstoß nahm. Während diese Lektüre von Generation zu Generation sich fort- Frankreich. Die Beichte des heiligen Augustinus. °) Von Saint-Marc Girardin. Bücher, die man heutzutage ain wenigsten kennt, waren einst die beliebtesten und gelesensten von der Welt. Vor Zeiten gab's in den Familicnzirkeln in Frankreich eine Lektüre, die dazu diente, den moralischen, frommen Sinn zu nähren, nnd die gewissermaßen die Grundlage der Ideen und Ncflerionen des bürgerlichen Lebens bildete. Bei den Protestanten war cs vic Bibel; bei den Katholiken war's entweder irgend eine Sammlung von Predigten, oder das mit den Anmerkungen des Paters Quesnel oder den moralischen Abhandlun- „Mit solchen Gesinnungen reiste ich nach Karthago; kaum in dieser Stadt angclangt, Horie ich überall den Jubel der unkeuschcn Liebe ertönen. Ich selbst liebte noch nicht, aber ich wollte gern lieben. Endlich erreichte ich das, was ich bisher so sehnlich er wünscht. Allmächtiger, barmherziger Gott! mit welcher Bitterkeit waren diese Freuden der Liebe vermischt! Ich liebte, ich wurde wieder geliebt, ich genoß! Ich Unglücklicher, welche Ketten von Kummer schmiedete ich mir selber, nnd mit welchen eisernen Rnthcn peitschten mich die Eifersucht, der Argwohn, die Eitelkeit, der Zorn und endlich die Trennung!" , Das nenne ich einen decentcn, christlichen Stpl, der weder zu kalt noch unwahr ist, der Alles heraussagt, ohne daß wir jedoch vor irgend einem Worte crröthcn dürften. Dieser decente Styl des heiligen Augustinus ist aber ein natürliches Produkt seiner gereinig ten Deukungswcisc. Wenn auch die Leidenschaft unter dem Joche der Rene noch frisch und lebendig erscheint, so beherrscht doch sein Gemüth jeden robcn Ausbruch derselben, und er spricht von ihr nur, um das Vcrdammungsurthcil über sie zu fällen. Hier bestätigt sich die Wahrheit des schon alten SvrüchwortS, daß mau so schreibt, wie man vcukt. Willst vu kcuich schreiben, so denke zuerst keusch. Aber wer, fragt man, ist Herr seines Gedankens? Derjenige ist cs, der sich für das verantwortlich hält, waS er denkt, und zwar nicht vor den, Publikum, vor einem Richler, den man höchstens zu ennuyircu sich fürchten dürfte, sondern vor Gott! Es ist bekannt, wie Rousseau in seiner „Beichte" uns seine erste Liebe schildert; eö ist nicht ein Bußfertiger, der seine Sünden bereuet, sondern ein Nomauvichtcr, der es kcineSwcgcs unterläßt, den Gegenstand seiner Erinnerung auSzuschmückcn und wo möglich zu verschönern. Seine Fran von Warcns ist dcr wahre Typus dcr weiblichen Empfindsamkeit im Sinne des achtzehnten Jahrhun derts, nämlich einer Empfindsamkeit, die ihre Quelle mchr in einer Zartheit dcr äußeren Sinne als des inneren Gcmüths hat. Ver geblich ist Rousseau bemüht, dcu Charakter der Frau von Warenü reiner darzustcllcn; ihr eigentlicher Charakter gicbt sich trotz des lügenhaften Schmuckes deutlich kund. Frau vou Warcns hat auf die Heldinnen seiner Romane den größten Einfluß ausgeübt. Julie und Sophie verstehen zwar zu lieben, aber ihrer Liebe mangelt cS an cmcm gewissen edlen Reize. Sic besitzen zwar alle die Zartheit, welche Vic Natur, aber nicht dic, welche die Erziehung, die Aus bildung der Natur verleiht. Julie kennt dic Freuden dcr Licbc: spricht, sie raisonnirt darüber; Sophie entzieht sich den Liebkosungen ihrcs Mannes, weil sie seine Gesundheit schonen will: sie sagt eS uns selbst. Kurz, in allen den weiblichen Gestalten Jean JacqueS Ronsscau's spiegelt sich zu sehr dcr Charakter dcr Fra» von Ma rens ab. Rousseau's Geist isst groß und kühn, aber sein Herz ist unrein. Er denkt hoch, aber er fühlt niedrig. Seinen Liebcsgc- mäldcn ist dieser doppelte Charakter aufgedrückt; sie sind zu gleicher Zeit erhaben und niedrig, und darum gefallen sie vielleicht den jungen Leuten in Frankreich so sehr, weil sie eben so sehr die erste Fieberhitze der sinnlichen Triebe, als den Enthusiasmus deS jugend lichen Gcmüths ansprcchcn. Der heilige Augustin hingegen spricht von den Liebesgeschichten seiner Jnacnd immer in einem bescheidenen, zurückhaltenden Tone. Bei ihm findest Du keine Ausschmückungen, um Interesse zu erregen: dies wäre ja eine neue Sünde. Je mehr Rousseau bemüht ist, seinen Gemälden cincn gewissen Licblingsrciz zu verleihen, desto mehr strebt Augustin dahin, jeden Reiz aus seiucu Erinnerungen zu verbannen. Rousseau sucht den Roman absichtlich hervor. St. Augustin verbirgt ihn; und doch scheint cs uns, wcnn man seine „Deichte" liest, als wenn mitten durch diese ernsten und reuevollen Erzählungen irgend ein anziehender Roman durchschimmcrte, dcr mchr von uns crrathcn als gesehen, ja der vielleicht nur einem profanen Auge bemerkbar wird, ähnlich dcr Schönheit jener orientalischen Frauen, die, beständig im Inneren ihres HauscS verborgen, stets verschleiert, von nnS kaum erspäht werde» und doch so viele Aumuth und zuweilen selbst eine gewisse Leidenschaft durchblickcn lassen- „Damals", sagt Augustin, „lebte ich mit einer Frau; wir waren nicht durch das heilige Band der Ehe, sondern durch kaS unsinnige Feuer dcr unkeuschcn Licbc mit einander verbunden. Sic war mir und ich ihr treu ergeben: aber welch ein Unterschied zwischen einem solchen Zusammenleben und einer wahren Ebe. Während man in dieser dic Absicht hat, Familienvater zu werden, wünscht man in der unrechtmäßigen Verbindung nicht einmal, Kinder in die Welt zu setzen: und doch ist man gezwungen, sic zu lieben, so bald sie geboren find." pflanzte und allmälig jenen Geist des Ernstes und der Reflexion hervorbrachte, dcr den Grundton des siebzehnten Jahrhunderts bildet, lesen wir heutzutage fast nichts als Romane und Flugschriften. Ja, während die „Beichte" des heiligen Augustinus in den Augen des Paters de Latour fast als profan erscheint, dürfte sic in unseren Tagen nur als zu ascetisch erscheinen. Indessen erlaube ich mir hier, um das Interesse zu erhöhen, auf die Achnlichkeit aufmerksam zu machen, die nicht bloß dem Titcl nach, sondern selbst hinsichtlich des Inhalts zwischen den Konfessionen Ronsscau's und denen unseres Augustin'S statlfindct. Auch Jean Jacques hat in seiner „Beichte" keinen Anstand ge nommen, ein Gemälde dcr Vcirrungcn seiner Jugend zu entwcrfen, und wir können ihn deshalb nicht tadeln. Denn Alics, was den Menschen iuteressirt, gehört der Literatur au. Nur gicbt sich in dein Style Jean Jacques', ungeachtet sich derselbe zum Reformator seiner Zeit berufen fühlt, noch die Befangenheit dcS Zeitgeistes in dcm öfteren Mangel au Keuschheit und Deccnz kund. Dagegen be wundern wir beim heiligen Augustin, der uns ebenfalls seine Jugcnd- vcrirrungen schildert, die Zucht und den Adel der Worte, die keines- weges in Kälte ausartcn. Seine Reue läßt ihm das Bild seiner Fehltritte eher in einem größeren als in einem verkleinerten Maß stade erscheinen, aber er stellt sie uns in gehaltvollen, kernhaften Ausdrücken dar, die dein Anstande keinen Abbruch thnn. Er ist wahr, ohne frech, er ist dreist, ohne schlüpfrig zu scyn. „Was ich wollte, waS ich wünschte", crzählt uns Augustin, „das war, zu lieben und wieder geliebt zu werden. Ich hielt mich nicht mchr in den Schranken der Freundschaft, mein Her; riß mich weiter fort. Meine Begierden entwickelten sich zu cincm dunstigen Jugendrausche, dcr alle meine Sinne umnebelte, und in meiner Verbleudung verwechselte ich bald die Leidenschaft mit dem wahren Glücke dcr Liebe. Wäre mein Vatcr auf meinen sittlichen Zustand aufmerksam gewesen, so hätte er, um dein Strome meiner Leiden schaften Einhalt zu thnn, dafür sorgen mögen, daß ich so zeitig als möglich in den Stand dcr Ehe träte; allem mein Vater war weit mehr um die Ausbildung nnd dic Erfolge mciner Beredsamkeit, als um mein Betragen und meine Moralität bekümmert. Meine Mutter suchte mich zwar stets von der Sünde abzuhaltcu, allein ihre Worte schienen mir vicl zu weibisch, als daß ich darauf hätte börcu mögen. Hierzu kam, daß ich mich vor meinen Jugcndgcnoffcn schämte, weniger verderbt zu scyn als sic. Da ich hörte, wie sie sich ihrer Ausgelassenheiten rühmten, da ich sah, wie sie sich einander um so mehr Beifall zuklatschtrn, je mehr sic dcr Zügellosigkeit sich Hin gaben, so eilte ich bald selber der Sünde entgegen, weniger nm Meine Wollust, als um meine Eitelkeit zn befriedigen. Wenn gc- wöhnlichcrweise dic Schande eine Folge des Lasters ist, so suchte ich vielmehr das Laster, um der Schande z» entgehen, und da ich nm jeden Preis meinen Gefährten gleichstchen wollte, so nahm ich öfter das Ansehen an, Urheber von Sünden zu scyn, die ich gar nicht be- gangen hatte, nur um ein wenig dcr so gefährlichen Achtung meiner Genossen thcilhaftig zu werden ... ') Kmzlich ist in Pari« eine neue Ausgabe der N,>er» <>mn>» 8»noi> ^.»«u-ltui jn ct Banden erschienen. Auch die „Konsemcncn", aus welch« »»nächst der hier mitgech-iltr Artikel sich dttitht, bctmden N» darunter.