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394 wo an jedem Morgen über fünfzig Neugeborene mehr nach Kleidung und Nahrung schreie» und alle Tage eben so viel Hingeschiedene zu ihrem.letzten Gange Toiletten machen, wo die Kommenden »nv Ab- reisendcn beständig aus- und cinströmcn, jene einer Visilcn-Kleidung, diese eines NciscmantclS bedürftig, wo 8»,«um Haushaltungen ihre Bedürfnisse befriedigen, ibre Havariccn ausbesscrn und alle die klei nen Lücken, welche in ihren bunt zusammengesetzten Einrichtungen sich stündlich bemerklich machen, aus'üllcn wollen, ist die Nachfrage nach jedem Artikel in jedem Augenblick groß und bringend. Wie viele Gewürze gehören nicht dazu, um einer solchen Stadt nur ihr Früh stück mundgerecht zu machen. Wie viele Eentner Zucker werden da nicht in einzelnen Pfunde» und Tütchen gekauft, um die erschöpften kleinen Vorrälhe von neuem zu ersetzen. Die ganze Tabacks-Aernvte einer Cubaschen Plantage reicht nicht hin, uni ihr eine Morgen-Pfeife zu stopfen, unk alle Handwerker-Zünfte einer Deutschen Landstadt hätten vollauf zu thuu, wenn sic alle täglich zerknickte Stuhlbeine, alle abgebrochene Federmesser und zerrissene Stiefeln auSzubcffcrn und zu sticken bekämen. Die tggliwen Bedürfnisse, welche Petersburg in seinem Gostiunoi-Dwor zu befriedigen bekommt, sind aber aus einem doppelten Grunde besonders groß. Erstlich, weil sic mehr als Irgend eine andere Europäische Nesivcnz sich unsolider Waare bedient, die einer beständigen Erncucrung bedarf und eines unaufhörlichen Ausbcsserns, und dann, weil sie mehr als irgend eine andere Residenz Launen hat und den Wechsel liebt. Die Russischen Großen, die bald hier, bald da sind, bald ihrer Gesundheit wegen ins Ausland reisen, bald mn ihre Rcvci üe i zu verbessern, die Hauptstadt mit der Provinz vertauschen, bald aus anderer Laune wieder an der Newa erscheinen und Hunvcrttauscnde verschwendend in Eours sctzcn, werfen alle Tage so viele ganze Hauüeinrichnmgen über den Häufen, sind alle Tage so vieler vollständiger Ameublements bedürftig, daß die Verkäufer und Handwerks-Buden, die Borräthe und Magazine aller Art hier verhältnißmäßig weit zahlreicher sepu müssen, als irgendwo. Man betrachte nur gleich die au Vie Perspektive stoßende lange Reihe von Papierhändlcrn, die alles gedcnkbarc Schreibe-Material in erstaunlichen Massen aufgehäust haben, um die Petersburger zahl losen BüreauS, ^omtoirc und Kanzclleien zu verproviantiren, die mehr Papier fressen, mehr Tinte vergeuden und Gänse rupfen, als irgend welche in der Welt. Oder man sehe sich die unglaubliche Menge von Spielsachen an, die in den sich ebenfalls zui'ammcnschaa- renden „igru.-i, Inigo Mrvki" aufgestapklt befindet, um sich einen Be griff von der Zahl kleiner Petersburger Kinder zu verschaffen, deren Geschrei diese Spielsachcn-Budensträfie gebaut hat und in-Nahrung setzt. Oder man trete unter die Kolonnade der Scherbel und Kon- sekt-Berkäuser, sehe, wie tamend Hände sich um diese süßen Waaren geschäftig abmühen, und erstaune über die Heftigkeit der Gelüste und Begierden, welche diese Hauptstadt in jedem Momente erzeugt. Es ist eine Eigcnthümlichkcit der Russischen Verkäufer, alle ihre Sachen schon so viel als möglich fertig und zum augenblicklichen Eintritt in den Dienst geeignet zu Markte zu liefern. Dies kommt daher, weil die Russischen Käufer gewöhnlich erst kaufen, wenn Noth an den Mann tritt. „KknrLze Ivean!" (Rasch! Iwan!) Hole mir das! A KciiG bui xalnvvu!" (Aber daß cS nur gleich fertig ist.) Daher diese fabrik mäßig betriebene Bearbeitung aller möglicher Waaren, die bei unS bloß auf Bestellung beim Handwerker gemacht werden. Daher diese großen Schuh-, Stiefel- und Kleider-Fabriken, die manufakturartigen Buchblndercien, diese auf Vorrath arbeitenden Konfekt-Bäcker-ieu, in welchen immer Hunderte von Arbeitern beschäftiget sind. Daher in dem Gostinnoi-Dwor nicht Papier, sondern große Massen von Schrei- bedüchern, nicht Leder, sonder» Zügelwerk, fertige Sättel, fertige Stieseln, ja fertige Sohlen und fertige Schäfte, und überhaupt immer jede Waare ganz fertig uud in allen ihre» Theilen, — wen» man nur eines Theils bevan, — fertig zu haben ist. Jede Waare hat ihre Budcnreihe, die nach ihr benannt wird, und doch ist die Masse der Reiheg so groß, daß man sie eben so schwer auffindct, wie bei uns einen einzelnen Kaufmann. Daher das ewige Fragen der Unerfahrenen: „Väterchen, wo ist die Pelz- budcn-Neihe?" „Väterchen, wo ist die Müyen-Reihe ?" „Brüderchen, wo ist die Stiefel-Reihe?" „Mütterchen, wo ist die Taschentücher- Reihe?" „Schwesterchen, ist dort die Unterröüc Reihe ?" Wenn das Getümmel der verschiedenen nachfragcnven Käufer schon amüsirt, so wird das Gerede und das Treiben der so eigenthümlichen Russischen Gostinnoi-Dwor's-Kaufleute den unter den Kolonnaden Spazierenden noch mehr erheitern. Diese Gostinnoi-Dwor's-Kaufleute sind immer höchst gewandte, flachshaarige oder hellbraun-bärtige Bur sche, in blauen Kaftan gekleidet und mit einer blautuchenen Mütze be deckt, die in ganz Rußland bei allen Kaufleuten denselben Schnitt hat— Sie empfehlen ihre Waare allen Vorübergehenden beständig mit den übertriebensten Lobeserhebungen: „Was ist Ihnen gefällig? mein Herr! Kleider die allerbesten nach dem neusten Schnitt!" — „Kleider die allerbesten! fir und fertige aus den vorzüglichsten Fabriken." — „Kasansche Stieseln von der ersten Sorte. Beliebe» Sie ge fälligst, meine Dame, „Ixwultjo! mevolljo!" (Belieben Sic! beliebe» Sie!) — „8cl»<> w»m uguünn f>!" waS könnte Ihnen anstchen, mein Hcrrk Ein Bärcnpclz, ein Fuchspelz, ein Wolfspelz? Sie finden hier Alles, treten Sie gefälligst herein." — Stets fertige Diener, den Hut in der Hand, öffnen sie jedem Vorübergehende» die Thür und machen dabei, mit dcrp beständigen Absingen ihrer Melodieen und mit dem Ausschütten ihrer Beredsamkeit beschäftigt, gar keinen Unterschied der Person, des Ranges, des Standes und Alters. Kleine Knaben laden sic zu den großen Bärenpelzcn herein, elegante Herren zu den plumpen Stiefeln, alte Mütter zu den Spiel- fache», junge Mädchen zu den Gewehr- und Säbel-Kammern, Bauern und Arbeiter zu den Galanteriebuden. Wen sie vor sich haben, gilt ihnen gleich. „Nur Alles, Alles, waS Geld hat, herein, immer her ein!" — Wenn die Kauilcute nicht selbst dieses Einladungs-Geschäft übernehme», so halten sie sich einen eigenen kleinen Marktschreier, der in jedem Wetter, in seinen Pelz gehüllt, hänvercibend und hi» und her trippelnd, vor der Thücc steht und den ganzen Tag, Vie Mütze in der Hand, seine höflichen Redensarten absingt. Man kann sich vcnken, wie dies Geschrei den Markt belebt, gegen dessen Leben unsere Märkte todt erscheinen. Dabei ist cs bcmerkcnswcrth, wie sich diese Leutchen, gleich den Prediger» und Schauspielern, einen ganz eigenthümlichen To» in ihre» Lobpreisungen angewöhnt haben, an den man schon von weitem den Gostmnm-Dwvv Kaufmann erkennt, und ven sic sogleich ändern, so wie ei» Fisch an der Angel sitzt und nun das nähere Besprechen über die Waare selbst beginnt. (Fortsetzung folgt.) D ä n e m'a r k. Thielc'ü Dänische Vollssagcn. ' (Schluß.) Die Wälle von Kopenhagen. Als man einst vor langen Zeiten einen Wall um Kopenhagen baute, sank dieser unaufhörlich, und cS war gar nicht möglich, rhn zum Feststebcn zu bekommen. Da nahmen sie ein kleines un- fchulvigcs Mädchen, setzten dies Kind auf einen Stuhl an einen Tisch und gaben ihr Spielzeug und süße Eßwaare. Während sie nun so da saß und sich zu Gute that, baute» zwölf Maurer eine 'Wölbung über ihr, und als diese fertig, warfen sic unter Musik und klingendem Spiel darüber den Wall auf. Darum soll dieser jetzt unerschütterlich sepu. Bruder Ruus. Man erzählt, daß, als einst der Teufel sah, wre fromm und tugendhaft die Mönche im Kloster Esrum lebten, er Menschengestalt annahm, zur Pforte ging und anklopste, um eingelassen zu werden, invem er sagtet sein Nanie wäre Ruus, er gab sich für einen Küchen jungen aus und wurde als solcher vom Äbte angenommen. Doch als er einst mit dem Kuckelmeister allein war, lehnte er sich gegen diesen auf und erhielt deshalb Züchtigung. Darüber wurde er sehr erbittert, und va er schon vorher eincn Kessel mit Wasser über dein Feuer stehen hatte und bemerkte, daß dies jetzt sievete, ergriff er mit aller Gewalt ven Koch und stellte ihn in dem Kessel auf ven Kopf. Daraus lief er hinaus und fing an zu schreien, als wenn er über das Unglück klagte, was seinem Herren in der Küche widerfahren wäre. So betrog er durch seine Falschheit alle Brüvcr im Kloster. Sic glaubten ihn ganz frei von Schuld, und er wurde jcyt von ihnen als Mcistcrkoch angcstellt. Aber das war cS eben, wonach eh gc- trachtet hatte, damit er sie alle mit einander verderben konntez Penn jetzt bereitete er die Speise» so fett und lecker, daß die Mönche Kasten und Beten vergaßen und sich auf das Wohlleben legten. Ja, man sagt sogar, daß er Weiber ins Kloster führte unv davurch sehr beim Abt in Gunst kam, so daß dieser ihn zuletzt dazu vermochte, Bruder zu werden, denn er wünschte sich wohl, beständig eincn solchen Koch zur Hanv zu haben. Bon der Zeit an nahm Zank und Unheil so erschrecklich im Kloster überhand, daß es sicher in des Bösen Gewalt gekommen wäre, wenn die Brüder sich nicht bei Zeiten bekehrt hätten. Als nämlich einst Bruder Ruus im Walve war unv er dort eine schöne fette Kuh gesehen hatte, schlachtete er sie unv nahm ein Viertheil mit zum Kloster, daS klebrige aber hing, er in einem Baum im Walve auf. Bald darauf kam der Bauer, dem die Kuh gehörte, und da er spürte, daß drei Biertheile in dem Baum hingen, wollte er in einem anderen Baume warten »uv Acht gebe», bis der Dieb das klebrige holen würde. Indem er hier saß, sah er, wie die Teufel ihr Spiel im Walve trieben, und er hörte manchcrlci von Ruuö reden, wie dieser den Abt und die Mönche zu einem Gastgebot bei siw in der Hölle cinladen wollte. Davon überkam den Bauer ein gewaltiger Schreck, und den nächsten Tag ging er zum Abt unv erzählte Alle», was er im Walve gesehen und gehört batte. Als der Abt dies zu wisse» bekam, ließ er alle Mönche zu sich in die Kirche kommen und begann dort zu predigen und zu singen, so daß NuuS, der solches nicht vertragen konnte, sich hinausstehlen wollte. Aber der Abt faßte ihn am Mantel und mahnte ihn zu einem rothen Pferde, indem er ihn in die Gewalt der Hölle zuriickbesahl. Lange nachher zeigte man im ESrum-Kloster seine eiserne Stürze und seinen Bratrost. St. Clemens Kirche. Die Domkirche in AarhuuS ist nach ihrem Schutzpatron St. Clemens genannt. Dieser heilige Mann nämlich, der als Märtyrer a» einen Schiffsankcr gebunden unv ins Meer geworfen worden war, kam, nachdem er so an eilfhundert Jahre im wildcn Meer umhcrgctricbcn, zuletzt nach Aars, wo er ausgenommen und begra ben wurde, unv dort ist er mit seinem Anker auf dem Altarbilve zu sehen. Die zwei Kirchthürme. Herr Asser Ryg wollte dem Dorf ZjcnncSlövlille eine Kirche bauen. Aber ehe dieselbe fertig war, mußte cr mit den Seinigen zu Felde ziehen. Da befahl er seiner Hausfrau, welche zur selbigen Zeit in gesegneten Umständen war, daß, wen» sie ihm einen Sohn gebäre, sollte sie einen Thurm auf die Kirche setzen lassen; wäre e- äber eine Tochter, so sollte sie ohne Spitze stehen bleiben. AlS dar- auf Herr Aster Ryg heimkchrte, sah er die Kirche von fern mit zwei Thürmen; denn seine HauSfra» hatte zwei Söhnc geboren, Absolon und Esbern Snarc.