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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22; Sgr. (Z Mr.) rieneljwrNL, Z Td!r. für das gan;e Jahr, ohne Er- döhuna, in allen Theilen der Prcußmccn Monarchie. Magazin fü,r die Man pränumerirt auf diese« Literatur-Bian in Berlin in der Expedition der Alla. Pr. StaatS-Aeituna (griedriä'Sgr. Rr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den WolWbl. Post - Aemiern. Literatur des Auslandes. 102 Bertin, Montag den Li. August 1840. England. Lord Chesterfield und sein Erziehungs-System. Bei Lord Chcstcrsirlv'S Namen denkt man sogleich an Erziehung »nd an seine Ansichten über Umgang mit Menschen und den Werth der geselligen Bildung; Vielen ist sein Name auch gleichbedeutend mit Verstellung, Weltlichkeit und Libertinage. In diesen Beziehungen ist er auch allein der Nachwelt im Andenken geblieben. Seine glän zenden (Laben als Hofmann und Gesellschafter, seine Gewandtheit in der Diplomatie, seine Beredsamkeit, seine liberale und unabhängige Haltung als Staatsmann, seine Popularität als Lord-Lieutenant von Irland sind vergessen, .da dies Alles keine über den Tag hinaus reichende Bedeutung hatte. Als Beschützer der Literatur, was er lmzwcifklhaft war, durfte er sich eine ehrenvolle Erwähnung seines Ramens in oen Werken der Dichter und Geschichtschreiber, die er gefördert ober besonders geschätzt hatte, versprechen, aber wir würden nicht einmal wissen, daß er mit Schriftstellern in Verbindung ge standen, existirtc nicht jener berühmte Brief Iohnson's, worin ihm dieser die späte Empfehlung seines Wörterbuchs, so wie Vie Abwei sung einer früheren Bitte, übel nimmt; auch als Schriftsteller (im gewöhnlichen Sinne des Wortes) würde Chesterfield jetzt kaum be kannt scnn, wenn nicht Johnson in demselben Briefe zweier Aussätze in der Wochenschrift „die Welt" gedacht Hütte, worin der Lord Iohnson's Wörterbuch dem Publikum empfahl. Ucbrigcns machte Chesterfield selbst, wie er in seinen Briefen gesteht, keinen Anspruch auf einen literarischen Namen, obwohl er, wie man sieht, zur Tages- Literatur sein Schärficin beitrug, und wenn er später die Absicht gehabt zu haben scheint, historische Skizzen seiner eigenen Zeit zu schreiben, so hatte er wenig Hoffnung, etwas zu Stande zu bringen. Seine Gesundheit war untergraben, lange bevor die Last der Jahre allein seine Entfernung von den StaatSgeschäslen nothwcndig machte, und obgleich er beinahe eln achtzigjähriges Alter erreichte, so ließen ihm doch in den letzten fünsnnvzwanzig Jahren seines Lebens die Sorge sür seine geistige Gcsnnvheit nnd das ängstliche Bemühen, den Wirkungen des Schwindels und der Taubheit nicht ganz zu erliegen, wenig freie Stunden zu geistigen Anstrengungen. Er hat daher bei seinem Tode gewiß nichts für den Druck hinterlassen und sich wahrscheinlich auch selbst mit nichts, was er geschrieben, Hoff nung auf Nachruhm gemacht. Sein eigentlicher Ruf gründet sich nur auf seine Korrespondenz; diese aber ist erst von Anderen gesammelt worden und umfaßt gewiß nur einen kleinen Theil seiner Briese. Er selbst hat an dieser Samm lung keinen Theil, ja wer weiß, ob er die Veröffentlichung (einer Briefe in ihrer ursprünglichen Gestalt je gebilligt hätte. l)r. Maly, sein Biograph, meint, cS wäre gut gewesen, wenn der Gras so lange gelebt hatte, seine Briefe an seinen Sohn selbst hcranszugeben: er würde dann manche verwerfliche Stellen vernichtet haben. Der nachherige Herausgeber, obgleich eine Dame, fühlte keine Skrupel in dieser Beziehung, und es möchte vielleicht für Jeden, Lord Chester field nicht ausgenommen, schwer gewesen sepn, etwas, was in allen seinen Theilen schadhaft ist, durch Entfernung einzelner Auswüchse zu heilen, »r. Matv's Apologie verdient Beachtung, wenn er den Lord nur von dein Vorwurf reinigen will, er habe den Plan ge habt, durch jene Briefe die ganze Englische Jugend sittlich zu ver derben; aber wenn er jene verwerflichen Stellen „vorübergehende Jrrthümcr, die sich aus eine Periode von drei oder vier Jahren be schränkten", nennt, so scheint diese Periode lang genug, um ein junges Gemüth für immer zu vergiften, nnd der Charakter des Grafen wird durch die Apologie wenig gewinnen, wenn man er wägt, daß die bösen Stellen für sein eigenes Kind bestimmt waren. Wir hatten immer von Lord Chesterfield gehört als dem großen Meister in den Manieren, als dem Gesetzgeber und Orakel in Allem, waS den äußeren Anstand betrifft. Sein bloßer Name, im Ton der Warnung ausgesprochen, enthielt eine Rüge jeder Rohheit und er innerte an Alles, waS einem wohlerzogenen Manne ziemt. Wir hatten in Englischen Schulbücher» mehrere seiner trefflichen Briefe über seines Benehmen gelesen und später auch erfahren, daß der, welcher sich znr Bildung eines Knaben herablassen konnte, ein Pair von Enaland war, welcher eine Pension und ein Herzogthum aus- aes»laa?n, nnd ein StaatS-Minister, der freiwillig seinen Abschied qeuommen. Wir konnten mit Sicherheit vermuthcn, daß gar Vieles von der seutcnziösen Weisheit, die w>r von allen Engländern ver nahmen, eine Wiederholung der praktuchen Aussprüche dessen war, den wir mit Ehrfurcht als den Britischen Komplimcntenmeister be trachtet hatten. Seine Autorität bei wenigstens zwei Generationen, sowohl in Enropa als in Nord-Amerika, ist nicht in Zweifel zu ziehen, und wir werden nachher den Charakter dieses Einflusses näher betrachten. Wir haben schon gesagt, daß er seinen literarischen Ruf dem Zufall, daß ein Theil seiner Korrespondenz anfbewahrt wurde, zu verdanken hat. Er war nach Neigung und Grnndsätzcn ein Mann der Geschäfte, des Vergnügens und der Welt. Nachdem er zwei Jahre in Cambridge gewesen, ging er im Alter von neunzehn Jahren allein auf Reiten. Den Geschmack au rohen Vergnügungen auf der Universität hatte er für ein nothweudigeS Erfordernis) eines Eng lischen Gentleman gehalten, und dieses Vorurtbeil scheint er auch während seiner ersten Abwesenheit von Hause beibehalten zu haben. Etwas später erst bildete er sich seine Vorstellung von dem fein- gebildeten Gentleman und verabscheute seine gemeinen, tölpischen Landsleute jedes Ranges, die im AuSlande der Gesellschaft halber zusammennisteten und, wie zu Hause, in dem schmutzigsten Pfuhl des Lasters ihre Genüsse suchten. Bei der Thronbesteigung Georg's I. kam er in daS Unterhaus und hielt seine erste Rede znr Unterstützung der neuen Regierung. Er war noch nicht einundzwanzig Jahr alt, und eS wird erzählt, daß er, um der Verlegenheit zu entgehen, vor dem gesetzmäßigen Alter im Parlament zu sitzen, wieder nach Paris ging. Und hier beginnt sein Noviziat als ein Mann der fashionabeln Welt, wobei er aber stets Vas höhere Ziel im Äuge hatte, sich zu einem Mann des praktischen oder öffentlichen Lebens heranzubilden. Denn cs war ihm nicht darum zu thnn, ein bloßer Stutzer zu werden; sein Gentleman soll ein Mann von Einfluß in den höchsten Sphären des praktischen Lebens seyn; hat er sich erst alle nöthige Kenutnisse, und mit ihnen einen guten Theil Ballast, angcschafft, so soll er sich unter diejenigen mischen, welche in der vornehmen Gesellschaft zu Hause sind, damit er Gelegenheit bekommt, das Erworbene anzuwenden. In den Briefen an seinen Sohn beschreibt er diesem seine Verlegen heit, als er zum ersten Mal in Gesellschaft ging, und die Art, wie ihn eine ausländische Dame aus derselben hcrauszog. „Ich crumerc mich noch, wie ich aus der Fassung fiel, als ich nnt all "wmer studentischen Tölpelhaftigkeit zum erstenmal in gute Gesellschaft gemhrt ward. Ich hatte mir vorgenommen, daS zu scpp, was ich für höflich hielt: ich machte tiefe Verbeug,,»gen und räumte Jedem meinen Platz, aber wenn ich angeredet ward oder selbst einen Versuch zu sprechen machte, <>b->rnpui, metoruntg»« cumao, er vox kiNKubu-i lmoCt. Wenn ich die Leute flüstern sah, so glaubte ich, sie sprachen von mir, und ich hielt mich für den einzigen Gegenstand des Lachens oder des Tadels der ganzen Gesellschaft, die, Gott weiß, nicht an mich dachte." — „Wenn Vann und wann einige mitleidige Leute, die meine Verlegenheit bemerkten und selbst gerade nichts Besseres zu thun hatten, zu mir kamen und mich anrevetcn, so hielt ich sie für Engel, die zu meiner Erleichterung gesandt worden, und dies gab mir wieder einigen Muth, bis ich endlich so kühn war, zu einer schönen Dame heranzutretcn und ihr zu sagen, es sep heute ein heißer Tag. Sie antwortete mir sehr höflich j auch sie sep dieser Meinung, worauf die Unterhaltung von meiner Seite wieder stockte, bis sie, ,n ihrer HcrzenSgüte sie wieder aufnehmend, folgendermaßen zu mir sprach: „Ich sehe, wie verlegen Sie sind, und ich bin über zeugt, daß die wenigen Worte, die Sie sprachen, Ihnen viel gekostet haben; aber lassen Sie sich dadurch nicht cntmuthigen und zur Ver meidung guter Gesellschaft bestimmen. Wir sehen, daß Sie das Be streben haben, zu gefallen, und das ist die Hauptsache; cs fehlt Ihnen nur an der rechten Art, und Sic halten gewiß die Sache für schwerer, als sie wirklich ist. Sie müssen Ihr Noviziat durchwachen, ehe Sie auf vollkommene Bildung Anspruch machen können, und wenn Sie mein Novize sepn wollen, so will ich Sie meinen Bekannten als solchen vorstellcn." Sobald ich meine Antwort hcrvorgestottert, rief sie drei oder vier Leute herzu und sagte: „Wissen Sie, ich habe diesen - jungen Mann übernommen, er muß ermuthigt werden- Ich glaube, ich habe eine Eroberung an ihm gemacht, denn er wagte cs cben, obwohl zitternd, mir zu sagen, daß es warm sep. Sie werden mich in seiner Ausbildung unterstützen. Er muß nothwcndig für Jemanden eine Leidenschaft haben, und wenn er mich nicht für einen würdigen Gegenstand derselben hält, so wollen wir ihm einen anderen aus suchen. Aber, mein Novize, werfen Sie sich nicht weg, indem Sie Operntänzerinnen unv Actriccn besuchen u. s. w." Die Umstehenden lachten über diese Vorlesung, und ich war ganz verdutzt. Ich wußte