Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrSnumerntions- Preis 22^ Sgr. Tdlr.) vicrteijSdrlich, 3 THIr. für da» ganze Jahr, ahne Er- döbunq, in allen Tdeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prjnumerirt aus diese» Literatur-Lia» in Berlin in der Exoedition der Ällg. Pr. Staats-Zeitung (Zricdrichestr. Nr. 72); in Ler Provinz so wie im Audlande dei den Wokllibl. Post-Acmtern, Literntur des Auslandes. 87. Berlin, Montag den 20. Juli 1840. Frankreich. Scenen aus dem Chouans-Kriege in der Bretagne. Doii E. Souvestre. I. Das Departement der Cntes-du-Nord war, vermöge seiner geographischen Lage, der Brennpunkt der einzelnen Chouanncriecn in der Bretagne, llcberdws hatten hier die Royalisten einen so thätigcu und unternehmenden Führer gefunden, Ivie nur je einer in einem Bürger-Kriege aufgetreten ist. Dieser Führer war ein unbekannter Evclmann, Namens Boishardy, welcher sich bis dahin mit nichts Änderen! abgegeben hatte, als ans Vic Wolfsjagd zu gehen und den jungen Pächterinnen den Hof zu machen. Die Bauern, welche ihn wegen seiner Kratt uns seiner Kühnheit fürchteten, liebten ihn wieder wegen seines vertraulichen Benehmens, seiner Munterkeit und seiner zufahrendcn Gutmüthigkcit. Er war einer von den Männern, welche von Natnr bestimmt sind, Lieblinge des Belkes zu werden, weil jcder ihrer Tugenden ein in die Augen springender Fehler das Gleich gewicht hält. Bevor noch die Revolution VoiShardp zu einem Partcihaupte gemacht Haire, war er schon wegen seiner verliebten Abenteuer in der ganzen Gegend berühmt.' Er war, so zu sagen, ein Lovelace in Holzschuhcn, den man sicher war, Sonntags bei allen Tanzvergnügungen, an anderen Tagen auf den Mühlen, an den Quellen, überhaupt an allen Orten zu finden, wo sich die jungen Mädchen versammelten. Die Mütter fürchteten ihn, die Väter wurden bleich, wenn sic ü n vor ihrcr Thür vorüdergehcn sahen, und der Pfarrer von Brehand hatte sogar einmal gegen ihn gepre digt. Natürlich erweckte ihm sein schlimmer Ruf zahlreiche Bewun derer und Neider. Die Drangsale des bürgerlichen Krieges hatten ihn zwar nicht vermocht, seine verliebten Abcntencr ganz einzusteltcn; indeß fehlte ihm jetzt doch mehr die Zeit zur Unbeffänoigkeit. Einer neuen Ge bieterin seines Herzens war cs endlich gelungen, ihn dauernd zu fesseln. Sic ließ sich Masame Katharine nennen; wegen ihrer stolzen Schönheit und ihres hochfahrenden Charakters erhielt sie abcr von den Chouans den Beinamen der „Königlichen". Man sagte, sie sep aus einer adeligen Familie des Departements der Jllc-de-Bilainc hervorgegangcn. Auch ihr sagte man nach, daß sie in der Liebe nicht allzu wählig gewesen und ihre Gunst zuerst einem Müller geschenkt habe. Ihrem jetzigen Geliebten .folgte sie zuweilen auf seinen Zügen, und ihre Eifersucht hatte ihn einer strengen Aufsicht unterworfen, welche Boishardp geduldiger ertrug, als man es erwartet hatte. Gegen das Ende des Thermidor l794 rief mich ein Geschäft nach Lamballc. Als ich aus dem Gasthose kam, begegnete ich un seren! alten Arzte, dem Bürger Launay. Er war noch immer so sonderbar wie sonst. Während der Herrschaft Rvbcspicrre'ö war er als Feuilletonist verhaftet worden, und nun dieser gestürzt war, hatte er sich plötzlich in einen Jakobiner verwandelt; er beweinte jetzt die „heilige Guillotine", welcher ihn nur der S. Thermidor entrissen hatte/ Der Geist deö Widerspruchs war stärker in ihm, als das Gefühl der Selbsterhaltung Er sprach lang und breit von den Aus schweifungen der Chouans, brandmarkte die Nachsicht der Negierung als Vcrrath und sagte mir, daß ich nicht ohne die größte Gefahr würde nach Lachözc gelangen können, wohin ich wollte. „Unsere Felder", sagte er, „gleichen jetzt einer Wüste, und man wagt nur noch, mit einer Karawane zu reisen. Doch da kömmt ja dcr Capi- tain Rigaud; der kann Dir vielleicht helfen." Ein Mann von ungefähr 40 Jahren kam auf uns zu. Er trug einen blauen militairischen Uebcrrock, dein inan die Spuren langen Gebrauchs deutlich ansah, Holzpantoffeln und einen alten Filzhut, dcr mit einer dreifarbigen Feder geziert war. — „Haben Sie eine Sendung nach Lachözc, Capitain?" schrie ihm der Doktor entgegen. - „Ich gehe morgen mit einem starken Detaschement dorthin ab", antwortete der Offizier. — Launay faßte mich bei der Hand und sagte: „Dann nehmet! Sic den Jungen hier wohl mit." — „Mit Vergnügen", antwortete der Capitain. — „Baptiste wird cs sich ge sagt seyn lassen; aber Sic sichen mir für ihn, und ich hoffe, daß Eie mir nicht, wcnn Sie zurüakommcn, wie der Feuillaniisi Kain, sagen werden: „„Bin ich fcin Wächter gewesen?"" — „Was wir am besten bewachen, ist nicht immer am besten aufgehoben", ent- Mnrtc der Capitain; „wie die feit jetzt ist, kann Niemand für den Änderen stehen: earp« lliam nnnm minimem ereüuln pu^lceo." Launay kehrte sich zu mir und sagte: „Ich muß Dir sagen, daß Rigaud ein klassischer Gelehrter ist. Er frühstückt mit Cicero, speist zu Mittag mit Virgil und zu Abend mit Horaz; in einem Kriege gegen Vic Chouans ist das von erstaunlichem Nutzen." — „Von größerem, als Sie glauben", crwicdcrtc dcr Capitain; „meine Studien geben mir die Ruhe, welche Ihnen fehlt. Da das Leben doch nur ein unbehülflichcr Wagen ist, welcher uns dem Tode zu führt, so sind die Weisen diejenigen, welche die Fenster schließen und sich nicht um vas Ziel und um das Rütteln kümmern." — „O, die Weifen sorgen nicht einmal sür Schuhe", sagte Launay, indem ex einen Seitenblick auf die Schuhe des Capitains warf. Dieser ant wortete nicht, sondern lächelte bloß und grüßte uns mit der Hand. „Morgen also, Bürger", sagte er dann, „auf dem Waffenplatzc." — Ich versprach, mich pünktlich einzusindcn. Launay schaute ihm nach; dann äußerte er, Lie Achseln zuckend; „Das ist auch so ein armer Teufel, dcr seinem Lande vierzig Jahre dient und mit zerrissenen Bcinkleivern in einem Winkel stirbt. Siehst Du, Baptiste, die ein fachen und edcln Menschen sind die Lastthiere der Gesellschaft; so lange sie gehen können, bürdet man ihnen Lasten auf; wollen sie nicht mehr fort, so zieht man ihnen bas Fell ab." Trommclschlag weckte mich am nächsten Morgen, und ich eilte mit meiner Jagdflinte nach dem Waffenplatzc. Dcr Capitain stand in demselben Kostüm wie gestern an der Spitze seiner Compagnie. Die 150 Grenadiere, welche er befehligte, hatten ebenfalls nur ein zelne Ucberrcste ihrcr Uniform aufzuwciscn. Meistenthcils waren sie mit aufgcklaphten Strohhütcn und leinenen Röcken mit blauen Auf schlägen dcklcivct. Das Jammervollste abcr warcn die Schuhe: entweder ein Stück Filz over eine Sohle, die mit einem Bindfaden befestigt war. Sah man sic so, bcwaffnct mit einem geschwärzten Karabiner, mit den verschiedenartigsten Säbeln und mit Pistolen, welche an einem Stricke nm den Leib hingen, so mußte man sic für einen Haufen Banditen halten. Dennoch gab die Regelmäßigkeit des Schrittes, vic Uebercinstimmung ihrcr Bewegungen rind die Gewohn heit vcs Gehorsams sic als Soldaten zu erkennen, freilich nicht als vcn koketten, wohlgenährten, behandschuhten Soldaten nuferer Zeit, sondern als den sonngcbräuntcn, ausgehungerten Soldaten dcr Re publik, vcr sich kur cm Wort, daS er nicht verstand, in den Kampf stürzte. Hotter pe« Grenadieren zog ein Hanfe von Freiwilligen her, Lie mit Sensen und^ Dretthslcgeln ausgerüstet waren: sie bildeten die Compagnie der Schnittcr, welche cm Dekret des Konvents ins Lcbcn gern cn hatte, um das Gctraidc in den eroberten Länvcrn zu mähen und zu dreschen. Ich ging neben dem Capitain auf dcr linken Seite des Dctaschc- mcntS. Der Tag war angebrochen, die Vögel saugen. Mein Ge fährte zeigte auf den von der aufgchenvcu Sonne gcröthcten Himmel. — „Cm Jtaliänischcr Sonnenaufgang", sagtc er; ,,'I utwm crocenm linguon-i uurura cnbilo." — „Ich sehe", sing ich an, „daß Virgil Ihnen eben so bekannt ist wie Horaz." — ,-Scit zwanzig Jahren", versetzte er, „suche ich die Belege zu ihnen in dcr Schöpfung auf; jevcs Bild erinnert mich an einen ihrer Verse." — „Seitdem Sic hier sind, muß Ihnen auch Lucan öfter vor daS Gedächtniß treten." — „O, gewiß, Eure Bretagne gleicht dem blutigen Gewanvc des Bürgers JcsuS; Jeder will ein Stück haben." — „Und wird dicscr verruchtc Kampf nie ein Ende erreichen?" —„Wie ist das zu erwarten, so lange Vic Repräsentanten und Generale verschiedene Pläne und gleiche Vollmachten haben? Hier handelt Jeder sür sich und ohne Verantwortlichkeit. Ucbcrdics ist Lie republikanischc Armee zu schwach. Die Journale haben so oft wiederholt, sie sep 60,000 Mann stark, daß der Wohlfahrts-Ausschuß es endlich geglaubt hat; abcr i» Wahrheit sollen wir mit 30,000 Mann 4000 Quadratmeilcn und 350 Meilen Küsten bewachen. Von dieser Zahl schmachten 10,000 in den Lazarethen, I0M0 haben keine Waffen, Alle abcr weder Schuhe noch Brod. Bei Vitrö traf ich eine Compagnie- Grenadiere, welche ihre Barraken nicht verlassen konnten, weil sie keine Kleider hatten, und in Fougöres beriethen sich Vie ausgehungerten Soldaten- ob sie Leich name cffen sollten. Das ginge indeß noch, wenn die Sache in einer Schlacht entschieden werden könnte; wir wollten unsere Grenadiere wie eine Schaar bnngrigcr Wölfe ins Feuer führen; wcnn sic Pa tronen beißen, fühlen sic dcn Hunger nicht. Das ist aber tin Krieg ans Tausend und einer Nacht; wir kämpfen mit unsichtbaren Genien, Vic Bäume schießen auf uns. Haben wir die Obcrhanv, so, ver kriechen sich Alle in der Erde; wir finden nur Bauern, welche das Feld bestellen, Weiber, welche spinnen, Kinder, welche die Mütze vor uns abzichen. Müssen wir aber zurückwcichcn, so springt aus jevem