Volltext Seite (XML)
283 desselben unter sich hatten, welcher viel Schlechtes vom Zaren erzählte und ihn beim Polke verleumdete, so hieb dieser auch unverzüglich nach seinem früheren Herrn so kräftig, daß er ihn sogleich tödtete. Die zahllose Menschcnmafse strömte nun durch alle Gemächer, bis zum Zimmer des Zaren, welcher bei dem andringcnden Lärm so gleich aus dem Bette sprang, seinen Schlafrock überwarf undfragte: was cs gäbet worauf einer der Russischen Diener antwortete, daß er cs nicht wisse, aber daß man „Feuer!" rufc. „Nein", sagte der Kaiser, „Du bist ein schändlicher Verräther! Nicht Feuer ruft man, sondern um etwas Anderes handelt es sich: denn allc Glocken, sowohl in der Stadt als im Palaste, läuten Sturm. Ha! glaubt Ihr etwa, daß ich Boris bin!" machte sich, die Aermcl seines Hemdes aufstreifcnd, zum Widerstande bereit und verlangte sein zweischneidiges Messer, welches er stets bei sich trug. Man konnte jedoch den Messer-Wärter nicht finden, und als er sah, daß die feindliche Bande hereinbrach und auf ihn los kam, bat er noch Vie an der Thür stehende Wache, ihn nicht in die Hände der Bojaren zu liefern, schloß selbst die Thür zu und zog sich in die cntlegcncrcn Gemächer, sogar bis zur Badstubc zurück, wo er sich gewöhnlich zu baden pflegte. Da jedoch auch bis hierher seine Feinde ihn verfolgten, so sprang er zum Fenster hinaus und stürzte sich von bedeutender Höhe auf bas Pflaster hinab, denn seine Zimmer lagen in dem obersten Stockwerke, so daß es ein Wun der war, daß er nicht Arme und Beine brach oder sich in Stücken zerschellte. Einer seiner Hellebardirer, Namens Fürstenberg, eilte so gleich die Treppen hinab und fand ihn noch am Leben; seine Brust war icdoch völlig zerschmettert, so daß das Blut hcrausricsclte, und auch sei» Kopf war zerschlagen und blutend. Genannter Hellebardirer trug ihn hierauf mit Hülfe Anderer nochmals in sein Zimmer hinauf und benetzte ihn hier mit kaltem Wasser und anderen stärkenden Mitteln, bis er wieder zu sich kam, worauf die Bojaren noch lange mit ihm sprachen und ihn über mehrere Punkte befragten, doch hat man nicht erfahren können, was zwischen ihnen verhandelt wurde: denn damit der genannte Hellebardirer nichts davon auSplandern könne, tödteten sie ihn sogleich nnv ermordeten hierauf auch den Prinzen mit den Schwertern, was außerordentlich kläglich mit anzuscheu war. Hierauf schleppten sie seinen Körper hinaus und stürzten ihn von oben hinunter auf die Erde, schlangen dann Stricke um den Leichnam und schleiften denselben aus das empörendste, wie cincn -Hund oder ein anderes krepirtes Stück Vieh, auf den Marktplatz, wo sie die Leiche unbedeckt und nackt, allen Leute» zur Schau, aus einem hoch aufgerichtetcn Brette oder Tische vier Tage lang liegen ließen, nachdem man dem Zaren den Körper seines Freundes Peter Baßmänoff imtcrge- legt hatte. Täglich kamen Männer und Frauen in Massen herbei, um das erfreuliche Schauspiel zu sehen, und zwar hatte man auf den Leib des Zaren eine ungestaltete Maske gelegt, welche man bci dem Plündern der Sachen der Zarin gefunden hatte, der Maske aber hatte man das Pfeifchen eines Dudelsacks in den Mund gesteckt und ein Geldstück geringen Wcrthes dabei gelegt, um auzudcutcn, daß er dafür das Instrument spielen würde. Unterdessen strömte der Pöbel ununterbrochen nach dem Palaste und den Wohnungen der Polen, tödtete deren viele, plünderte ihre Häuser und schleppte Alles daraus fort, fo Last nicht einmal Hemden zur Bedeckung der Leiche» übrig blieben. Die Musikanten schützten sich noch eine lange Zeit, und fünf oder sechs dcrselbc» gelang es, sich ganz zu rcttcn. Dic übrigen aber, gegen 29 an der Zahtz wurden erschlagen. Das Hans des Herrn Wojewodcn, welches mit festen Mauern umgebe» und im Inner» von gehöriger Wache vertheidigt war, wurde gerettet; auch waren die Thore desselben stets fest geschloffen, so daß Niemand hin- ansgehen oder entfliehen konnte. Mau kann sich denken, was dic arme Fürstin mit ihren vcrhciraiheten und unverhcirathcten Freun dinnen in ihrem Herzen leiden mochte: denn ihr hatte man ganz un erwartet alle ihre Reichthümer, kostbaren Steine, Möbel und Kleider geraubt; sogar Bcttcn und Bettstelle, ans denen sic schlief, wurden ihr weggcnommcm Aus gleiche Weise wurden aucp alle Polnijche Großen und Edcllcutc ausgeplündert, lo daß sie um alle ihre Kost barkeiten und dic Geschenke kamen, welche man ihnen unlängst erst gegeben hatte. In der That vertheidigten sich dic in ihren Häusern Befindliche» sehr tapfer, am Ende aber mußten sie doch abziehcn und ihr Hab und Gut als Beute im Stich lassen. Der Welmosh Wifchneweyki rettete sich und seine» Hof und tödtete viele Russen; denn als man eine Kanone vor seinem Hause aufgefahren hatte und er sich schr in dic Engc getrieben sah, steckte er eine weiße Fahne aus, als ob er sich zu ergeben wünschte, befahl aber gleichzeitig eine Menge Dukaten vor seinem Zimmer anszu- streuen. Die Russen stürzte» hierauf sogleich von allen Seiten über das Geld her, um ihre Hände damit zu stillen, seine Leute aber fielen sofort über sie her, tödteten wohl über hundert Russen und bahnten sich einen freie» Ausgang, während viele Bojaren vom Palast herbeieilten und, den Wclmoshen i» ihren Schutz nehmend, den Pöbel zurücktriebcn und dem Tumulte endlich ein Ende machten. Einem Polnischen Edelmann, Namens Niemezki, welcher viele Kostbarkeiten von hohem Wcrth hierher gebracht und dieselben Abends zuvor dem Zaren verkauft hatte, so wie einem Dicncr des Polnischen Marschalls, Herrn Wolski, welcher bci Hofe viel Schmuck nnd andere werthvolle Dinge gezeigt hatte, wurde Alles weggcnommen; besonders bcklagenswerth aber waren die Deutschen und Italiänischen Kaufleute, namentlich Giovanni Ambrosio Eellari aus Mailand, welcher dem Hofe für Polnische Gulden Waaren verkauft hatte und von, Pöbel schimpflich erschlagen wurde. J„ demselben Hanse wohnte» zwei Diener des Herrn Philipp Hcllbaum aus Augsburg, welche mir durch Krakauer Freunde empfohlen waren; auch sie hatten dem Zaren für mehr als 2»,NW Gulden Waaren verkauft, welche, so wie mehr als lN,NW Gulden baarcs Geld, geraubt wurden. Der Aelteste von Beiden wurde auch außerdem noch tödtlich verwundet und liegt heute noch elend bei mir danieder. Auch ist noch ein Kaufmann ans Augsburg, Namens Andreas Nathan, hier, welcher dem Hofe für 2W,Wn Gulden Waaren verkauft hatte und noch in,NW Gulden an Vermögen und Waaren verlor. Auch ist noch ein Kaufmann aus Russisch Lemberg, Namens Nikolai, hier, welcher schr viel Vermögen verloren hat, und ich fürchte schr, daß sic alle nie mals ihre Bezahlung erhalten werden. Ich habe zwei Mal mit dem Bruder des regierenden Zaren gesprochen und ihm, für die Ange legenheiten dieser Leute Sorge tragend/ deren Bittschriften übergeben, daß sie durch seine Vermittelung doch etwas vom Zaren erhalten möchten; er antwortete mir jedoch: „daß jene Waaren dem früheren Zaren nicht durch den Bewahrer des Schatzes überliefert worden seyen, sondern daß dic Polen sich derselbe» bemächtigt hätten, so daß die Russen nichts davon wissen wollten", indem er hinzufügte, „daß von allen diesen Sachen nichts in der Schatzkammer sep, sondern der Bösewicht — der sogenannte Rastriga, d. h. der liederliche, profa- nirte Mönch — so nannte er den ermordeten Fürsten — Alles aus Rußland fortgcschickt habe, so daß sich nicht einmal Geld zum be zahlen im Schatze vorfindc." Jene Deutschen Kaufleute hatten hier noch einen Diener, einen geborene» Antwerpener, Namens Jakob, welcher während der Bolks- gährung schmählich umgebracht und mit anderen Leichen in einen Graben geworfen worden war; ich habe denselben jedoch aus dem Graben heransholen nnd ehrlich begraben lassen. Uebcrhaupt aber ging cs an jcnem schrecklichen Tage jämmerlich her, das Geschrei der Leute war zu entsetzlich, das Sturmläuten ging ununterbrochen fort, des Mordens aber war kein Ende, so daß ich in der größten Furcht lebte, besonders als ich sah, daß sie das Nachbarhaus plünderten, wo Herr Peter Baßmänoff wohnte, welcher einer der Erste» war, die iin Palast umkamcn. Da ich dachtc, daß eS auch mir nicht besser ergehe» würde, so faßte ich mir endlich ein Herz, setzte mich z» Pferde und drängte mich, von dreien meiner Diener begleitet, durch die Volkshaufen, in dem ich mich der Gnade Gottes cmpsahl, und suchte einige Welmoshen, und Bojaren auf, um bei denselben Schutz zu finden und nicht im eigene» Hanse nicdergemacht zu werden. Ich begegnete aber einer so großcn Masse von so schrecklichen Leuten mit blutigen Schwerdtern, daß ich oft den Muth verlor und wieder umkehrcn wollte, was aller dings meinen Tod zur Folge gehabt haben würde. Doch der Herr, in seiner Gnadc, führte mich zu zwei Stadt-Aeltestcn, welche des Rechtes pflegten; dies: Iben erkannten mich sogleich und gaben mir einen ihrer Diener als Führer und Beschützer mit, welcher mit mir nach meinem Hause zurückkehrtcHeiner meiner Diener ging ihnen jedoch noch einmal nach nnd brachte mir »och sechs ihrer Leute, da mit diese, falls der rohe Haufe mein Haus überfallen sollte, dem selben im Namen des Gerichts kräftig entgcgcntreten könnten. Nicht genug kann ich daher dem Höchsten danken, daß er mich aus so augenscheinlicher Gefahr errettete. So dauerte der Aufruhr vom Morgen bis zum Abend; in der Nacht herrschte jedoch in der ganzen weiten Stadt cinc so tiefe Stille, daß cS schien, als sep keine lebendige Seele mehr darin. Die Häuser der Polen wurden mit starker Wache umgeben und allc Waffen aus denselben entfernt. Wären die Polen gehörig wachsam gewesen, hätten sic in ihren Häusern sich in gehöriger Ordnung und Bewaffnung gehalten, und wärc dic Stadt beim Beginn des Tumults an verschie denen Orlen angezündct worden, so würde das Morden noch ärger und das Blutvergießen so groß geworden scpn, daß man niemals etwas AchnlichcS gehört hätte, denn sie waren bedeutend an Zahl und hatten gute Pferde und Waffen; die Häuscr sind hicr aber alle von Holz , doch der Herr half gnädig so, daß nicht so großes Un glück geschah, denn die Polen sind nichts besser und eben so böse als dic Russen. Nachdem der Tumult durch die Brüder des Zaren mit Hülfe der beveuteuvsten Welmofheu und Bojaren gestillt war, versammelte man sich zur Wahl eines neuen Zaren und wählte einstimmig den Herrn Wassilii Iwanowitsch ishmSkv zum Monarchen; diese Wahl fand am 29. Mai statt. Er war der Aelteste der Fürsten des Landes und aus dem ältesten und berühmtesten Hause der Bojaren. Möge der Herr ihm ei» langes, segensreiches Lebe» geben und seine Re gierung zum Hcil gedeihen lassen! (Schluß folgt.) Einige Worte über Herrn v. Bulgarin's Statistik Rußlands. <AuS Rußland eingefandt.) Dem Talente und der schriftstellerischen Thätigkcit des Herr» v. Bulgari» verdankt Rußland eine Menge Schriften, die gewiß manches Verdienst um die Literatur unseres Vaterlandes haben — daß aber aus dieser ergiebigen Feder auch Einiges dem Drucke über liefert wurde, was nicht volle Reife hat, ist bei Gelegenheit der „Sommerwanderung durch Finnland und Schweden im Jahre 1838" bereits selbst von öffentlichen Blättern gerügt °), und nur zu bedauern bleibt cs, daß öfter unrichtige Darstellungen der Verhältnisse in un seren Provinzen und eben so unrichtige Schlüffe aus einzelnen Fällen auss Ganze selbst dem Auslände zu schärseren Ansichten und Beur- theilungen Veranlassung geben. °°) — Das jüngst in Deutscher llebcrsctzung erschienene Werk des besagten Schriftstellers, „die Ge schichte und Statistik Rußlands", läßt gleichfalls Mehreres zu wünschen üörig, und die Würdigung der einzelnen Theile dieses Werkes muß den Männern von Fach überlassen werden, — hier sep es nur er laubt, auf eine Menge Unrichtigkeiten und Unvollständigkciten auf merksam zu machen, welche die Beschreibung der Wasserverbindungcn 'I St. PcterSburasche Deutsche Zeitunq vom H- Deiember 1SZS Nr- 28«. ) Magagn für die Literatur des Auslaudes ISIS Nr. 1ZS vom 1t. Nov.