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338 unerträgliche Auswüchse waren. Das ist der Zorn der Tugend, ein Zorn, der edel und heilig ist, wenn er den verhärteten Sünder an donnert und zerknirscht, aber den jungen Herzen, die sich nur der Liebe öffnen, schädlich. Die Liebe, der die Seelen der Kinder gehorchen, ist keine weich liche, schwache Zärtlichkeit. Niemand achtet mehr als ich Vie Milve, die Gott in das Herz der Frauen gelegt, und wenn ich eine'Mutter die Pflichten ihrer Mutterschaft erfüllen sehe, so bin ich versucht, mich wie vor einem übermenschlichen Wesen zu neigen, denn sie ist für mich ein lebendiges Bild der Vorsehung. Aber diese Bewunde rung läßt mich die Pflichten meines Berufs nicht übersehen. Jch kann nicht sagen, daß bei uns die Liebe der Mütter im Allgemeinen von der Art ist, wie sie zur Erziehung gehört. Es ist vielmehr eine Liebe, die die Kinder verdirbt, weil sie schwach ist und die Schwäche der Mutter verräth. Nur Schwäche ist cS, sich zuweilen gegen ein strafbares Kind erhitzen und sich beständig über seinen Ungehorsam beklagen. Festigkeit dagegen ist es, ihm unerschütterlich zu verweigern, was es nicht bekommen soll, sich nicht Bähren zu lassen, wenn seine Augen sich mit Thräncn füllen oder seine üble Laune ausbricht, be sonders aber seinen Liebkosungen zu widerstehen, wenn diese nur ein Kunstgriff sind, um das zu erlangen, was man ihm verweigert. Die wahre Festigkeit gehört jedem Momenten; die Fran, die sie besitzt, weiß mit einer gewissen Würde milde Sitten und Worte zu verlan den, sic überläßt sich nicht unmäßigen Liebkosungen und bewahrt in der mütterlichen Zärtlichkeit die Besonnenheit und Autorität der Erzieherin. Das Uebcrmaß von Nachsicht von Seiten der Mütter und von Strenge von Seiten der Erzieher stammt aus einem und demselben Jrr- thum. Man hält sich bloß an das, was das Kind, das man liebt, gegen wärtig ist; man liebt oder zürnt dem Kinde, das man vor sich hat, vergißt aber dabei ganz den inneren Menschen, den die Erziehung bilden soll. So betrachtet der rohe Mensch bewundernd einen Mar- morblolt von glänzender Weiße, während er eine Lehmmasse mit Füßen tritt. Aber der erleuchtete Mensch entdeckt in dem Lehm, wie in dem Marmor, ein Bild der Gottheit; er hebt jenen auf und formt ihn mit Emsigkeit, er behaut diesen mit Muth, mit Kraft und fchcut sich nicht, Unebenheiten, deren Glanz den Haufen blendet, abzuschneiden, und bald sind Lehm und Marmor verschwunden, es sind Formen daraus geworden, die zu leben scheinen, Wesen, die vom Himmel herabgcsticgen sind. Bewundert auch ihr, allzu zärtliche Mutter, unter den äußeren und vergänglichen Reizen eures Kindes, unter jener gebrechlichen Hülle, den wahren Menschen, der allein schön und unsterblich ist. Scheut euch nicht, den sinnlichen Menschen zu betrüben, ihn zn eurem Feind zu machen, wenn dies das Mittel ist, den geistigen Menschen in seinem ganzen Glanze hcrvortrcten zu lassen uUd ihn für Vie Ewigkeit zu eurem Freund zn machen. Behauet den schönen Mar mor nach dem himmlischen Urbild. Und ihr, ihr Erzieher, bewundert doch in einer rohen und entarteten Natur die verborgenen Formen der Schönheit. Verachtet diesen Lehm nicht, sondern sucht ihn zu formen; liebet schon jetzt die edle Gestalt, welche die Erziehung aus diesem scheinbar so unedlen Stoff schaffen soll; sagt nicht: „Es wird doch nur eine Statue von Lehm scyn", der Hauch des Lebens kann auch den Lehm beseelen. Eine Liebe von einer Kraft, von einer Reinheit, wie sie dcr Natur so fremd sind, und welche zugleich das Herz des Zöglings und das des Erziehers veredelt, eine Liebe so verschieden von der, wie sie die Jugend gewöhnlich cinflößt, ist nicht leicht zu erwerben. Sic kann sich nur im Gefolge einer großen Zahl von Tugenden in uns ausbildcn. Besonders aber gicbt es eine, ohne welche alle an dere unfruchtbar sind. Um die Autorität zu mildern uns sie unse ren Zöglingen zu versüßen, um sie zu lieben, selbst dann wenn sie uns Verdruß mache», um zu machen, daß sie uns lieben selbst dann, wenn wir gcnöthigt sind, sie zu strafen, dazu gehört Demuth. Junge Erzieher, laßt euch von diesem Namen nicht zuruckschrecken; ändert ihn, wenn ihr wollt, aber schätzet und liebet die Sache. Die Demuth ist eine Gerechtigkeit, welche, wahrend wir so schnell die Fehler Anderer anf- zufindcn wissen, uns auch Vie eigenen erkennen laßt, welche, während wir auf unsere Rechte eifersüchtig und übcr die geringste Verletzung empört sind, uns auch die Rechte Anderer zeigt, die wir achten sollten, und die Verletzungen, deren wir selbst uns schuldig »rachen, und diese Gerechtigkeit trägt so viel dazu bei, »ns Achtung zu verschaffen, daß kein Mittel sicherer dazu führt, die Autorität in ihrer ganzen Kraft zu erhalten und selbst zu steigern. Die Demuth wirkt aber noch viele andere Wunder in dein, der sie besitzt: sie gicbt ihm mcht bloß Kraft, den Demüthigungen, mit denen die Laufbahn des Erzie hers übersäet ist, ohne Schrecken entgegenzuseben, sondern sie macht ihm dieselben sogar lieb. Sie zieht ihn von sich selbst ab; sic trinm- phirt über den maßlosen, uncrsättlichcn, sich selbst anbctendcn Egois mus, und die freic Seele erhebt sich dann zu Gedanken, welche die stolze Weisheit nie gekannt hat; sic empfängt die heilige Weihe jener gchcimnißvvllen Liebe, welche im Opfer Freude findet. Dan» erst fängt die Seele an, wahrhaft religiös zu scpn. lind ihre Religion ist kein Prunken mit.Worten, die nur zu ost Lüge sind, sondern ein tiefer Glauben, der außerordentlich zurückhaltend ist, ich möchte bei nahe sagen, ein schamhafter Glauben. In der Tbat: die Jugend er ziehen und keine Religion haben, sind zwei unverträgliche Dinge, nicht bloß weil der Erzieher seinem Zögling nicht die Religion dcS Herzens cinflößen kann, wcnn cr sie selbst nicht iu sich hat, fouLcru auch, weil er dann jener crhahcncn Jdccn unfähig ist, die sein Beruf er fordert. Nie wird er übcr den Willc» scincs Zöglings dic erforder liche Autorität erlangen, wenn cr nicht dic verborgenen Motive kennt, die denselben zu leiten vermögt», und wcnn er nicht die erhebenden Wirkungen empfunden hat, die der innere Umgang mit dem großen Wesen hervorbringt, das dic Quelle alles Wissens, aller Macht und alles Guten ist. (Fortsetzung folgt.) Frankreich. Der Französische Iournaliemuö. (Schluß.) Ein Politiker kann in Frankreich durch sciu Journal sich bekannt machen und, wenn seine Prinzipien aus Lagcsruder kommen, vom Journalisten zum Minister vorrücken. In England giebt cs auch nicht ein cinziges Beispiel, daß ein Zeitungsschreiber einzig und allein durch seine Artikel zum Minister cmporgcsticgcn wäre. In England ist ein Journal eigentlich nur eine Handels-Speculation, in Frankreich war cS bis jetzt immer dcr Ausdruck einer Partei,'ein Mcimmgs- Organ. In England kann man ein Journal wie eine alte Bank oder wie eine Domaine betrachte»; nichts ist schwieriger zu begründen und nichts schwerer zu zerstören, als eine gute Amwncen-Kuudschast, und darin besteht dcr Werth eines Englischen Journals. Als dcr „Courier" vor zehn oder zwölf Jahre» bedeutend hcrabgckommcn war, galt er immer noch für sehr einträglich, denn man veranschlagte seinen Werth noch auf 30,0M> Pfund, und man würde dic „Times" weit unter ihrem Wcrthe abschätzen, wcnn Pia» sie »ur cinc halbe Million Pfund Sterling tariren wollte. In Frankreich würde cs sich nicht verlohnen, ein Journal auf mehrere Jahre zu kaufen, und der Tod eines populairen RedacteurS wäre selbst für das beste Blatt un heilbringend. In England würden alle dem Kabiuct zu geheimen Fonds bewilligte Summen kaum hinreichcn, um auch nur ei» Blatt zweitem Ranges an sich zu bringen, denn hier läßt sich ein Opposi- lions-Organ nicht erkaufen. In Frankreich hingegen wird cs der Regierung sehr leicht, ein Journal zu gewinnen, oder eines zu be gründen, oder ein anderes zu begünstigen, indem man dem Rcdacteur einen Posten verleiht, und wenn diese Taktik nicht noch öfter an- gewentet wird, so kömmt dies vahcr, weil der Journalismus die Lebenskraft und die beständig sich erneuernden Köpfe der mythologi schen Hydra besitzt. Zum Lobe der Französischen politischen Schrift steller müssen wir hinzufügcn, daß sic alle einen gewissen Anstand bei ihre» Streitigkeiten beobachten, während die Englische» Journalisten ihre Ausdrücke lcidcr nur zu ost dem Wörterbuch dcr Fischweibcr und O'ConneU's cntlchnen, dw ohne jene Herren ein Monopol darauf besäßen. Alles, was wir so eben gesagt, bezieht sich nur auf den politi schen Thest dcr Blätter; hinsichtlich dcr Literatur fällt jcdc Ver gleichung entschieden zum Nachtheil Frankreichs aus. Der kamerad schaftliche Geist, vcn Scribe so trefflich in seinem unterhaltenden Lust spiel schildert, ist vielleicht gleich thätig in beiden Ländern. „Eine Hand wäscht die andere", sagt das Sprüchwort. Wenn nun eine literarische Schule sich eines Journals bemächtigt, so waschen sic sich cinanver um die Wette; weiß man nicht recht, wie man sich aus der Verlegenheit ziehen soll, in dic man durch dic Nothwcndigkcit ver setzt wird, übcr das Buch cincs Mitarbeiters zu rcferircn^ so giebt man cs wo möglich eincm anderen Rcdacteur derselben Schule, einem vertrauten Freunde, und man ist dadurch einer Aufforderung zur nachsichtigen Bcurtheilung überhobcn. Man hat »nS zwar versichert, daß die Englischen Schriftsteller mW Schauspieler, die gewisse Kritiker zu Gaste laden, besser beurtbeilt werden, a!S andere minder Borsich- lige; doch haben wir noch nie gehört, baß irgend ei» »och so wenig chrcnwcrkhes -kritisches Journal Englands Vie Gewohnheit besäße, dic Kunstler nur Schriftsteller auf Robin des Rothen Art zu brandschatze». Dagcgc» wird versichert, daß Vic mcisten Französischen Blätter haupt sächlich von derlei Abgaben leben, eso wirv zum Beispiel erzählt, daß bei Nourrit's Abreise nach Italien der Rcdaeecur eines musika lischen Blattes zn dessen Nachfolger Duprez gekommen scy und ihm unter tauscuv Komplimenten zn verstehe» gegeben habe, daß Nourrit ihm beständig 20W Franken lährlich bezahlt hätte. Dergestalt über fallen, bot Duprez ihm dic Hälfte dcr genannten Summe an, dic der Journalist achselzuckend mit dcr Versicherung annahm, daß cr dabci aus sein El-rcnwort tausend Frauken verlöre. Wie dicSache» jetzt stehen, wäre cs verlorene Mühe, den Jour nalismus »»greifen zu wollen. Er ist das Volk in Folio, wie Balzac sagt, dcr einen ganzen Roman gegen die Journale geschrieben hat. Dw Stimme dcS Volkes kann Gottes Stimme scyn, wcnn das Volk sich bei einer große» Gelegenheit wie Ein Mann für die gerechte und nothwendigc Wiedererlangung seiner Rechte erhebt, aber es ist schwer, den göttlichen Ursprung zu erkennen, wen» wir nur den vcr- worrcnc» Lärm des Eigennutzes, der Verderbtheit und der Jntriguc vernehmen. Paris wär in ven letzten zehn Jahren vaS Treibhaus dcr Eitelkeit, vaS Utopien des Charlatanismus und das wahre gelobte Land aller Abenteurer der Presse. Man hat hier so seltsame Vennö- gcnS-Uniwälznngen erlebt, die Beispiele dcr durch dic Fever bcreichcr- ten Personen waren so verführerisch, die Gesellschaft eignet sich gerade hier so recht für Emporkömmlinge, diese Gesellschaft ist so bewegt, so unruhig, so aller bestimmten Regel» bar, daß cS ein wahres Wunder wäre, wcnn dic periodische Presse, die sich aus der schlausten, eitelsten, beweglichsten und ehrgeizigsten Klasse der Bevölkerung ihre Kämpfer wählt, nicht einige dcr gangbarsten Laster wievcrgcben sollte. Die, welche jetzt zu Vermögen kommen wollen, sangen gewöhnlich damit an, Vas ihrige zu verschwenden: Vic Verschwendung dcr jctzi- gcn Generation übcrstcigt bci weitem ihre Mittel, aber das junge Frankreich verläßt sich auf seine Feder, wcnn cs sich nm dic Bezah lung seiner Thorheiten handelt. Schlechtigkeit, Sittenlosigkeit, Ver käuflichkeit unv Lüge stehen in Frankreich neben Muth, Ehre, Uneigen nützigkeit und Wahrheit, und in den Journalen flnvct sich gerade