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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«. Preis 22^ Sgr. THIr.) vierleljädrlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der ÄUg. Pr. Staats-Zeitung (ZriedrichSftr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllödl. Post Aemtcrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 3. Juli 1840. Frankreich. George von Guerin. Ein Hinblick aus einen früh verstorbenen Dichter. Lon G. Sand. George Maurice Guerin de Capla wurde auf dem Schlöffe Capla, un Departement des Tarn, gegen 1810 oder I8ll gehören. Seine Familie gehört zu den ältesten des Languedoc. Er begann seine Studien zu Toulouse unv voUenvete sie im Oulieg« zu Paris, welches er 1830 verließ. Hierauf brachte er ziemlich ein Jahr in der Bretagne zu, und zwar bei Herrn von La Mennais, der sich damals mit der Erziehung mehrerer jungen Leute beschäftigte, und kehrte wieder nach Paris zurück, wo er an seiner Ausbildung weiter arbeitete, jedoch ohne rechten Plan und Zusammenhang.. Bis zu seiner Vcrhcirathung im Jahre 1838 war sein Leben äußerst ein fach und ^keincSwegcs literarisch in der äußerlichen Bedeutung des Worts; nie trat er mit einem Journale in Verbindung, nie gab er etwas heraus. Seine ganze Zeit füllten die Lektüre, poetische Studien und der Umgang mit der Welt, die er sehr liebte, aus. Er starb im vergangenen Jahre auf dem Schlosse Capla bei seinem »Later und hinterließ nur wenige Bruchstücke. Diese kurze biographische Notiz ist uns allein über ein schönes Talent überkommen, Vas sich selbst nicht erkannte und nur wenigen Freunden sich offenbarte, welche seinem Andenken zu huldigen wünschen. Uns hat zu dieser Veröffentlichung daS tiefe Mitgefühl bestimmt, welches der Genius einfloßt, der in seiner Blürhe dahinwelkt. Guerims Loos bildet ein Scitenstück zu dem Hegöfippc Moreau's, auf dessen düstere Lebensbahn ebenfalls kürzlich die öffentliche Auf merksamkeit gelenkt worden ist. Wenn inveß das düstere Schicksal Bewer eine große Aehnlichkeit darbietet, wenn Beide gleiche Ansprüche auf die Kränze deS Ruhmes haben, die nie ihre Stirn umkränzcen, so unterscheiden sic sich durch die besondere Beschaffenheit ihres Ta lents, durch ihre innere Eigenthümlichkeit, durch die Veranlassungen ihres Lebensüberdrusses - denn Beide litten ain Spleen —; beson ders aber knüpfen sich ganz verschiedene Betrachtungen an die Wen dung ihres Schicksals. Die unsrigcn sollen kurz und ehrfurchtsvoll sepn, denn George Guerin trug seinen Schmerz still und edel bis zum Grabe. Gewiß sind nur zu häufig das unruhige Haschen nach den materiellen Gütern des Lebens und das Bedürfniß, eine kleinliche Eitelkeit zu befriedigen, die Ursachen, welche die Seele des Dichters umdüstern und zum Lebcnsüberdrusse und zum Selbstmorde führen. Aber wenn wir einem stummen Schmerze gegenücersteyen, der ohne Stolz und obnc Erbitterung getragen wird, wenn wir ein Leben sich verzehren sehen, weil es ihm an edler Nahrung fehlt und welches ohne feige Lästerung erlischt, so liegen darin tiefe Lehre», die bei dem gegenwärtjgcn Zustande der Gesellschaft ein Jeder auf sich selbst anwenden kann. In einem solchen Falle kann der gesunde Menschen verstand das Richtcramt übernehmen und entscheiden, ob der Dichter, der von dannen geht, oder die Gesellschaft, die er zurückläßt, undank bar, vergeßlich und gefühllos war. George Guerin war weder ehrgeizig, noch genußsüchtig, noch eitel. Seine vertraulichen Briefe, die geheimsten Offenbarungen seines Inner», zeigen überall, wo er auf den vergänglichen Ruhm der Tagesschreiberei zu sprechen kömmt, eine Resignation, welche bis zur Gleichgültigkeit geht. „In die große Welt, — wir lassen einen Freund reden, dem er sich eröffnete, — brachte er eine vollkommene Eleganz, ein edles Benehmen und eine gewählte Sprache mit; er war nicht geeignet, in Gesellschaften zu glänzen und Aufsehen zu erregen, aber in seiner ganzen Erscheinung lag etwas Zartes, Feines, Anziehendes, das ihm eigen war und das einen unwiderstehlichen Eindruck machte. Die Unterhaltung liebte er außerordentlich, und wenn er mit Leuten zusammcntras, die zu reden verstanden, so lebte er auf und genoß ihres Gesprächs, wie er sich der Musik, deS Duftes einer Blume oder des Lichtes erfreute." — Er war krank, und seine Faulheit des Schaffens, seine Faulheit des Lebens, wenn wir so sagen dürfen, hielte» vielleicht eine innere Hraftanstrenaung zurück, die ihn hätte retten können. Sein frühzeitiges Ende darf also nicht geradezu der Gesellschaft beigcmeffen werden, aber sie trägt die Schuld der gräßlichen Erschlaffung, der schmerzlichen Abspannung, welche seine Kräfte aufrieb, ohne daß eine Offenbarung des Ideals, welche», er nachjagte, ihm tröstend zur Seite getreten wäre, ohne daß eine kräftige und belebende Lehre in die Oedc seiner Seele gedrungen wäre. Bevor wir aber die furchtbare Gefühllosigkeit der Gesellschaft oder vielmehr die Berabsäumung ihrer Muttcrpflichten gegen ihre edelsten Kinder aufdecken, wollen wir zunächst den Charakter des Unglücklichen schildern, damit man einsehe, was ihm fehlte, um in seiner Seele die Liebe zum Leben zu entzünden. Er war einer von den Geistern, weiche die gemeine Wirklichkeit nicht ertragen können, welche dem Schönen und Wahren zustreben und ihrer eigenen Schwäche fluchen, wenn sie es nicht erreichen; er krankte mit einem Worte an den grausamen Leiden, die ihren poeti schen AuSoruck in Reim, Obermann und Werther gefunden haben. Die 1b Briefe George Gucrin's, welche uns vorliegen, sind eine eben so schöne, eben so rührende Monodie wie die schönsten psycholo gischen Gedichte, welche zur öffentlichen Kenntniß gekommen sind. Für uns haben sie einen noch viel rührenderen Charakter, denn sie sind das Geheimniß einer unbefangenen Traurigkeit, die ihren Schmerz nicht mit künstlichem Faltenwürfe umhüllt. Es spricht sich darin eine natürliche Poesie, eine unbewußte Größe aus, ein Schwung der Ideen und des Stpls, welche gedruckte Werke nur selten aufzuweisen haben. Wir führen einige Bruchstücke an: »Ich hätte Ihnen Vieles aus dem Abgründe der Langenweile, in welchem ich schmachte, zuzurufcn, üe pr-ckmwi« clsmo sä re; aber ich darf mir diese Thorheiten nicht gestatten. Sie lindern das Uebel nicht, und man nimmt die lächerliche Gewohnheit an, sich zu beklagen. Wir leiden alle an so vielen uns unbekannten Lächerlich keiten, daß wir wenigstens die offenbaren nach Möglichkeit verhüllen müssen. Einst sagten Sie mir, daß ich beim Scheiden aus dem College wahrscheinlich alle Ueberspanntheiten und einfältige Phan tastereien der damaligen Jugend gctheilt hätte, daß ich aber jetzt wohl wahr sepn und nicht den Lebcnsüberdrüssigen spielen würde. O, zweifeln Sie nicht daran; ich fühle, daß ich nicht vernünftig bin, aber ich besitze einigen Geschmack, welcher der Verstand des Geistes ist, und, meiner Ansicht nach, giebt es nichts Lächerlicheres als diese Phantastereien. Ich habe das Unglück, mich jetzt zu langweilen, wie nnst auf den Bänken des College Stanislas; dies ist die Aehnlichkeit. Damals sagte ich mehr, als ich fühlte, jetzt sage ich weniger; dies ist der Unterschied." „Der Tag ist traurig, und ich bin wie der Tag. Mein Freund, was sind wir doch, oder vielmehr, was bin ich, daß mich alle Dinge so schmerzlich berühren, und daß meine Laune vom Wechsel des Lichtes abhängt. Anfangs dächte ich, diese sonderbare Reizbarkeit scp ein Fehler meiner Jugend, der mit ihr verschwinden würde. Aber der Lauf der Jahre, auf den ich hoffte, zeigt mir, daß mein Uebel unheil bar ist, und daß cs sich immer mehr verschlimmert. Selbst die gleichmäßigsten und friedlichsten Tage, werden für mich von kleinen Zufälligkeiten unterbrochen, die nur mich stören können. Dies geht bis ins Unglaubliche. WaS wäre wohl zusammenhangsloser als mein Leben und welcher feine Faden beweglicher als meine Seele? Kaum habe ich einige Seiten an dem Werke geschrieben, welches mich anfangs sosehr anzog; Gott weiß, wann ich es beenden werde. Gewiß aber soll es zu Ende kommen, denn ich will nicht, daß dieser so abspringcnde und unbeständige Geist seinen Willen habe. ES werde daraus, was da wolle, so sollen Sie das Werk haben, und zwar ein sehr dickes." — „Wenn ich den Anwandlungen von Vernunft glauben wollte, die ich zuweilen habe, so würde ich nicht ein einziges Wort schreiben. Je weiter ich vorrücke, desto beängstigender und unfaßbarer steigt das Rebclbild (das Ideal) neben mir auf: Das eigenthümlichc Wort, der Ausdruck, welcher allein paßt, wie La Bruyere es nennt, stellt sich mir nie, und ich fühle nie die Befriedigung, ihn gefunden zu haben." In einem anderen Brieffragmente ist seine instinktartige und abstrakte Liebe zur Natur ausgesprochen. ll. April 1838. — „Gestern fieberte ich; heute ist Schwäche, Abspannung, Erschöpfung eingetreten. Der Himmel ist heiter, die Sonne herrlich. Ach, warum fitze ich nicht im Schatten der Wälder! Sic werden über diesen Ausruf lächeln, da an den Bäumen noch nicht die ersten Knospen zu sehen sind, welche Bernardin de St. Pierre die Tropfen des GrünS nennt. Vielleicht erwächst mir aus dem Dunkel des Waldes in der Jahreszeit, wo das neue Leben sich in die Spitzen der Zweige ergießt, etwas Gutes, und vielleicht er halte auch ich einen Antheil an der Fülle der Fruchtbarkeit und der Wärme. Ich komme, wie sie sehen, auf meine alten Einbildungen über die natürlichen Dinge zurück; cS ist dies die unhcmmbarc Neigung