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für die Berlin, Montag den 15. Zuni 1840. AS vor- ') Wörtlich wahr. Man prönumsrirt auf Licses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staatd-Acitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wobllöbl. Pog-Acmlern. Handels eine mir, da» sich der Deutschen scpn, und in England. Die Fremden in London. WS»e»Uich erscheinen drei Nummern. Pränumeration?» Preis 22^ Sgr. THIr.) vierteljährlich, 3 Lhlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. ständen, uni die Republikaner zu beaufsichtigen. Andere sind fashionable Gcntlemcn, die bloß leben wollen. Diese vornehmen Herren sprechen von ihren Hcldenthaten, machen den jungen Damen den Hof, singe» Romanzen und suchen vor allen Dingen den Vater zu einem Geschäft zu beschwatzen. Fast alle Liese Herren sind im Besitze eines wichtigen technischen Geheimnisses: Vieser verwandelt die Blätter Gott weiß welcher Pflanze in Daback; jener macht Papier aus einem unbekannten Stoffe, der fast gar nichts kostet. Ein Anderer, der noch unter-1 nehmender ist, tritt dreist hin 'und sagt: Bis jetzt habt Ihr Herren Engländer das kostbarste Verfahren zur Erzeugung des Gases befolgt. Ich habe eine neue Erfindung gemacht, welche! den Lctionnairen Soo Prozent Dividende sichert. Ich mache Gas! aus Nichts und brauche nur ein wenig Erde und Lüft. °) Oder! cs kömmt das Riesensieb zum Vorschein, vermittelst dessen die ganze Stadt mit klarem Wasser versehen werden soll. Dieser bereitet wieder ein ausgezeichnetes Bier ohne Hopfen und Gerste. Jener hat cS unternommen, den Engländern die ungeheure Aus lage zu ersparen, welche ihre Regierung auf die Weine gelegt hgt. Man geht damit um, Bvrdeaur-Weine und Champagner! so billig hcrzustellen, daß sie das Volk wird trinken können. Eben so bereitet man Weinessig, der dem von Bordeaur nicht nachstehr, ohne Wein, und Branntwein, welcher dem Cognac den Vorzug streitig macht. Die Engländer erkennen willig an, daß in Frankreich mehr Entdeckungen gemacht werden als bet ihnen, und nickt selten sind erst in England die Französischen Erfindungen auf die rechte Weise ausgebeutct worden. Es braucht nur daran erinnert zu werden, daß die FlußreinigungS-Maschine die Erfindung eines Französischen Ingenieurs ist, daß die Fabrikation des glatten Papiers von Divot herrührt, so wie die Garnspinncrei von Girard. Alle diese Erfindungen sind in England vervollkommnet und wieder nach Frankreich übergeführt worden. Die Engländer haben eine ungemeine Zähigkeit und Ausdauer, vermöge welcher sic Erfindungen, die in Frankreich nutzlos bleiben würden, durch allmäligc Verbesserungen fruchtbringend zu machen wissen. Mit Girard's Maschine wußte mau nichts Rechtes anzufangen; später machten sich die Engländer daran und erhoben mit ihrer Hülfe die Garnspinnerei zu einem ungewöhnlichen Grade der Vollkom menheit, zum größten Schaden der Französischen Industrie. Die Engländer haben im Allgemeinen ein günstiges Vor- urthcil sür die Erfindungen, welche Franzosen gemacht zu haben behaupten, weil sie viele chemische und mechanische Verbesserungen ans Frankreich geholt haben. Leider wird diese günstige Stim mung von Charlatans und Abenteurern auSgebeutet, welche die Franzosen in dcn Ruf der Falschheit und Betrügerei bringen. Richt selten versprechen auch neue Erfindungen Resultate, welche sich nicht gleich verwirklichen lassen, ohne daß män dcn Erfinder der Betrügerei beschuldigen könnte. Läßt John Bull sich anführen, so hat dies häufig darin seine» Grund, daß er sich zu viel zu traut. John Duil faßt einen Entschluß, ohne Jemand zu Rathc zu ziehen, weil man ihm cingcredet hat, daß er allein klug genug scp. Er hat drei Fehler, welche in die Augen springen: Stolz, Gewinnsucht und Gefräßigkeit. Da nun Vie Abenteurer keine Küchenkünstler in ihrem Solde haben, so können sie sich des letzteren Hebels nicht bedienen, aber die beiden anderen wissen sie sehr ge schickt zu handhaben. Ist John Bull angeführt, so speit er Feuer und Flammen gegen die Französischen Schelme. In seinem ein- sältigcn Zorn fällt er über die ganze Station her und belegt sie mit Schimpfwörtern, denn John Bull hat sein Geld immer auf eine so ehrenwerthe Weise gewonnen, daß cs ein fluchwürdiges Verbrechen ist, ihm einen Theil desselben abzunchmen. Wenn John Bull keinen übertriebenen Werth auf Titel und Orden legte, so würde er nicht seine Tochter und eine reiche Aussteuer einem Intriganten geben, der mit wahren oder falschen Titeln und Würden prunkt und in seinem Knopflvche ein Ordens band trägt. Die Gentlemen, welche in Frankreich gewesen sind, lassen sich nicht so leicht blauen Dunst vormachcn. Sie wissen um Zugang zu den Englischen Gesellschaften zu erhalten. Da es ihnen nicht lange entgehen kann, daß nicht nur Vie Aristokratie und die reichest Kaufleute, sondern auch der Bürgerstand ei» außerordentliches Gewicht auf Titel legt, so erheben sie sich ohne Umstände zu Baronen, Marquis, Gräfe», Herzogen, Generalen, Obersten und schmücke» ihre Knopflöcher mit irgend einem Ordc»s- bande. Obgleich nun in England die Orden, deren Zahl sehr beschrankt ist, nur bei Hofe getragen werden, so sind doch die Engländer höchlichst entzückt, einen Ritter der Ehrenlegion zu empfangen. Ein Orden begründet in ihren Augcn die Achtbar keit eines Menschen. Sic wissen freilich nicht, daß das Kreuz dcr Ehrenlegion aus der Brust mancher Polizei-Spione glänzt. Es ist belustigend, mit anzuschen, wie ein HandlungS-Neiscu- dcr, ein Friseur oder ei» anderes Individuum die vornehmste» Namen mit einer Ruhe und einer Selbstgewißhcit unterzeichnet, welche vermuthm lassen sollte, daß er immer dcr Chevalier von Choiseul oder der Vicomte von Montmorency geheißen habe. Alle ältere Personen sind zum mindesten >1uröosiaux st« ««m,, in der großen Armee gewesen, und der Kaiser hat selbst die Ordcn in ihr Knopfloch geheftet. Die jüngeren sind unfehlbar Karlisten; sie waren wenigstens Obersten unter Karl X. Die Sucht nach Titeln geht in London so weit, daß sogar Frauen von zweideutigem Rufe sich derselben als ciiicS Köders bedienen. Diese Damen nennen sich dreist die Marquise oder die Gräfin so und so, und sic bedienen sich ohne Umstände des Wap- Pens der Familie, mit deren Namcn sie sich schmücken. Mit diesem Wappen besiegeln sic ihre Billetdour; dasselbe prunkt auf ihrem Tischzcugc und ihrem Silbergeräth, und ihre Lakaien, wenn sie dergleichen haben, tragen eine vornehme Livree. Es läßt sich leicht denken, daß in cincm Lande, wo dcr Schein Alles ist, eine Courtisane, die eine aristokratische Maske versteckt, eine gewisse Rolle spielt und oft ihr Glück macht. Nicht selten sagt ein Eng länder, wenn er von einer galanten Frau spricht: „Sie ist von sehr guter Familie, die Nichte des Grafen von la Rochefoucauld, oder, sie ist mit dcn Broglics verwandt." Nur ein Engländer kann so etwas sagen. Ich habe eine Sammlung von Baronen, Grafen und Mar quis gesehen, die wirklich merkwürdig war. Bon vielen ver- muthete man, daß sie im Solde dcr Französischen Negierung London zieht vermöge seines ausgebreitctcn große Anzahl von Fremden an. Man versicherte ISMO Franzosen in London aufhielten; die Zahl und Jtaliäncr dürfte nicht geringer anzuschlagcn Folge der politischen Ereignisse sind auch viele Spanier und Por tugiesen hierher geströmt. Daß auch alle andere Nationen ihre Repräsentanicn in der Riesenstadt haben, versieht sich wohl von selbst, obgleich keine bestimmte Angaben über deren Anzahl liegen. Merkwürdig ist cs, daß das Volk alle Fremden mit dem Beinamen I'ronosiuwn bezeichnet, ganz so wie im Orient alle Europäer den Namcn Franken tragen. Mit Ausnahme dcr politischen Flüchtlinge, sind alle Fremden in Geschäften hier. Unter ihnen befinden sich viele Handwerker, > welche sich und ihre Familie im Schweiße ihres Angesichts er nähren; ferner Kaufleute, Künstler, Lehrer, Aerzte, das diplo matische Corps und endlich die flüchtige Menge vcr Reisenden, welche sich ein oder zwei Monate in London aufhaltcn. Gegen diejenigen, welche sich häuslich niedergelassen haben, welche simnm- üoem-rx (Hausbesitzer) sind, kann der Englische Argwohn nichts aufbringcn, und sie stehen in der Achtung, die sie verdienen. Eben so ist es mit den Reisenden,-die einen klar am Tage liegenden Zweck angeben können. Die Fremden, welche weder Geld noch Kredit haben, welche wcdcr cin Handwerk noch eine Kunst üben, wollen natürlich eben falls leben, und man kann sogar behaupten, daß sic zu diesem Behufe eine bewundernswerthe Fruchtbarkeit der Erfindung ent falten. Nichts ist komischer, als die Mittel, welche sic anwenden,